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27 März 2007

Heideggers Hütte

Adam Sharr hat einen schönen kleinen Bildband über Heideggers Hütte bei Todtnauberg gemacht: Heidegger's Hut, erschienen bei der MIT Press (Cambridge / MS, 2006) (siehe auch die Forschungsprojektbeschreibung hier). Neben Bildmaterial (z.T. neu gefertigte Fotos) von der Hütte selbst und der Umgebung enthält das Büchlein auch Grundrisse sowohl der Hütte als auch von Heideggers Haus im Rötebuckweg in Freiburg. Sharr selbst ist kein Philosoph, sondern ein Architekt: und hat damit einen erfrischenden Blick auf die sagenumwobene Stätte. (Natürlich gibt's auch ein Kapitel für die Frage, in welcher Weise der Ort des Philosophierens die Philosophie Heideggers widerspiegele.)

Wie war es, ein Philosoph zu sein?

Wie das mit dem Geld war früher für Philosophen, davon handelt das hier bereits einmal empfohlene Buch. Aber wie es ihnen überhaupt erging, das kann man nun in dem eindrucksvollen Sammelband The philosopher in early modern Europe : the nature of a contested identity, hg. von Conal Condren und anderen (Cambridge : Cambridge UP, 2006) nachlesen. Hier geht es also auch um Institutionengeschichte, um die Funktion des Philosophen in der frühneuzeitlichen Universität, z.B. in Deutschland (Ian Hunter, Robert von Friedeburg), um das Selbstverständnis als 'natural philosopher' am Ende des Barock usf. Sehr spannend! Der Ansatz ist nicht ganz so europäisch, wie der Titel verspricht; neben Deutschland und England ist noch Frankreich im Blickfeld.

26 März 2007

Philosophie in Kanada

Na, kennen Sie einen kanadischen Philosophen? Wahrscheinlich schon: so als Teil der englischsprachigen Welt. Eine Anthologie In the Agora : the public face of canadian philosophy (hg. von Andrew D Irvine und John S. Russell. - University of Toronto Press, 2006) stellt nun Beispiele der gegenwärtigen kanadischen Philosophie vor, mit gut 100 Beiträgen ein umfangreiches Bild: das sich allerdings nicht zu einem Kanadischen Diskurs rundet, es sei denn an den Stellen, wo auch über Kanada geschrieben wird: über die nationale Einheit, über Themen der praktischen und Wissenschaftsethik, über die Folgen des 11. September für das Land. Mir sind übrigens neben James Robert Brown, der schon viel über Gedankenexperimente geschrieben hat, vor allem die beiden Churchlands bekannt, oder andersherum ausgedrückt: die übrigen rund 30 Beiträger sind für mich unbeschriebene Blätter. Gibt also viel zu entdecken.

Harry Frankfurt über Wahrheit

Nach seinem Bestseller On Bullshit -- der Text war ja schon zig Jahre alt -- hat Frankfurt festgestellt, dass er dort offen gelassen hatte, warum wir uns überhaupt für Wahrheit interessieren sollten: warum die wichtig ist. Denn nur vor diesem Hintergrund ist das Bullshitting ja fragwürdig. Also schiebt er ein Büchlein nach, das On truth heißt, und das der Verlag Alfred a Knopf sich nicht schämt, in einem goldfarbenen Umschlag auf den Markt zu bringen: auf 101 Seiten aufgeblasen. Und die These? Ach: lest selbst, das hat man doch in zwei Stunden durch.

14 März 2007

Wittgensteins Schüler

Gibt es irgendwo eine Liste, wer alles mal bei Wittgenstein gehört hat?
Hier gibt's eine Rezension von Hackers Wittgenstein im Kontext der analytischen Philosophie, wo von ein paar die Rede ist. Ich habe keine gefunden; neu war mir jedenfalls der Name von M. O'C. Drury, der in seinem Buch The danger of words (London : Routledge & Kegan Paul, 1973) im Vorwort feststellt, "the author of these writings was at one time a pupil of Ludwig Wittgenstein". Darin findet sich auch diese nette Anekdote über Russell:
Someone was inclined to defend Russell's writings on marriage, sex, and 'free love'. Wittgenstein interposed by saying: 'If a person tells me he has been to the worst of places I have no right to judge him, but if he tells me it was his superior wisdom that enabled him to go there, then I know that he is a fraud.' He went on to say how absurd it was to deprive Russell of his Professorship on 'moral grounds'. 'If ever there was such a thing as an an-aphrodisiac it is Russell writing about sex!'

Beurteilt LW also eine Handlung nach ihren Folgen, nicht nach ihrer Intention...

13 März 2007

Google Books: Philosophische Klassiker finden

Kürzlich habe ich erst gelernt, nach viel zu langen Krankentagen, dass man bei Google Books die gefundenen Bücher auch downloaden kann: sofern Google sie als urheberrechtsfrei betrachtet. Urheberrechtsfreie Bücher sind solche, die man in der "Vollansicht" sehen kann, und da die Suche auf diese beschränkt werden kann, ist es kein Problem, welche zu finden.
Google Books, für alle, die es nicht wissen, ist ein jüngerer Streich in der Google Produktfamilie: ein gigantisches Digitalisierungsprogramm in Zusammenarbeit mit zunächst 5 großen amerikanischen Universitätsbibliotheken, neuerdings auch ein paar Europäern. Zuletzt, am 6.3.07, gab die Bayerische Staatsbibliothek in München bekannt, dass sie ihren Urheberrechtsfreien Bestand in Google Books einbringen will: Google trägt die Kosten für das Herstellen der elektronischen Versionen und bringt dafür seinen Schriftzug auf den Bildern an.
(Google betrachtet übrigens in Europa solche Bücher als urheberrechtsfrei, die vor 1864 veröffentlicht wurden. In den USA sind sie da großzügiger.) Gerade diese Ankündigung brachte mich darauf, Google Books (oder GBS) mal wieder anzusehen.
Ein bestimmtes Buch zu finden ist nicht so einfach: weil ja im wesentlichen die "Volltexte" durchsucht werden, während man z.B. in einem Bibliothekskatalog in Feldern mit Bezeichnungen sucht, und weil auch in der "erweiterten Suche", wo man tatsächlich nach Autorennamen und Buchtiteln suchen kann, die Schreibungen nicht normiert sind. Und was durchsuchbar ist, beruht auf Texterkennung, die bei Fraktur noch stark zu wünschen übrig lässt. Immerhin findet man z.B. von Kants Critik der reinen Vernunft eine 7. Auflage.

Übrigens kann man, wie ich es hier getan habe, gezielt auf einzelne Titel verlinken. Man bekommt als Resultat der Suche vielleicht eine URL wie die folgende, hier aus Layoutgründen in zwei Zeilen geschriebene:
http://books.google.de/books?vid=OCLC02188115&id=cJOFM46ISTAC
&dq=intitle:critik+intitle:der+intitle:reinen+intitle:vernunft&as_brr=1

Von dieser nimmt man neben dem Start
http://books.google.de/books?

nur den Bestandteil
id=cJOFM46ISTAC

oder was immer da gerade steht, so dass man
http://books.google.de/books?id=cJOFM46ISTAC

erhält. Fertig ist der konstante Link. Wer möchte kann dahinter noch ein "=de" oder "=en" hinzufügen: aus unerfindlichen Gründen sieht man nur in der englischen Version, aus welcher Bibliothek das Buch stammt, das Google digitalisiert hat.

05 März 2007

Kollektive Verantwortung beim Handeln?

Die Midwest Studies in Philosophy widmen dem Thema ein ganzes Heft. Und der Verlag Blackwell Synergy ist so nett, einen der Beiträge auch frei zur Verfügung zu stellen: Janna Thompson über Collective Responsibility for Historic Injustices (Midwest Studies 30 (2006), 1, 154-167) (Text als pdf oder html). Als Deutscher denke ich da gleich an die historische Verantwortung der Deutschen: die ich nicht hinterfragen würde, für die mich aber schon interessiert, wie ein Moralphilosoph das methodisch angeht. Thompsons Lösung führt über die Verpflichtung einer Gruppe, generationenübergreifende moralische Institutionen zu schaffen: das klingt für mich wie eine Analogie zum Recht und dem Konstrukt des Rechtsnachfolgers. Wie hätte dann der Einzelne mit der Kollektiven Verantwortung umzugehen? Thompsons Antwort ist eine realistische, scheint mir: er hätte nur insofern besonders zu handeln, als er im Auftrag der Gruppe handelt, also z.B. indem er ein Amt ausübt. Was dabei außen vor bleibt, ist das Gefühl der Verantwortung, dass Gruppenmitglieder empfinden mögen und dass mir wertvoll genug erscheint.

04 März 2007

Philosophen mit Literaturnobelpreis

Im vorherigen Posting hätte beinahe gestanden, dass Kazantzakis Literaturnobelpreisträger war, daran meinte ich mich nämlich zu erinnern. Das scheint aber nicht zu stimmen, glaube ich der Wikipedia-Liste. Dafür fielen mir dort zwei deutschbeflaggte Herren auf, die mir als Preisträger noch nicht geläufig waren: Paul Heyse (1910, naja) und Rudolf Eucken (1908). Und letzterer ist ein nicht ganz unbekannter, auch nicht wirklich bekannter, Philosoph. Eucken setzt damit die Tradition Mommsens fort, der als zweiter überhaupt, 1902, den Preis bekommen hatte, u.a. für seine Römische Geschichte: dass Wissenschaftler für wissenschaftliche Prosa mit einem Literaturpreis ausgezeichnet werden. Ich möchte noch anmerken: so ein erfolgreiches Jahrzehnt gab es natürlich nie wieder für die deutsche Literatur. :-)

Gibt's noch mehr Philosophen unter den Preisträgern? Jawollja, da muss einem natürlich Lord Russell (1950) einfallen: gelobt als "Vorkämpfer der Humanität", und die beiden Franzosen, Camus (1957) und Sartre (1964), wobei Sartre den Preis nicht annahm. In Wikipedia ist auch Henri Bergson (1927) aufgeführt: trägt seine Ideen so sprachmächtig vor. (Auf den wär ich nie gekommen.)

Schriftsteller mit Philosophie-Diss

Bei Ingeborg Bachmann ist es eine Pest gewesen: die Verweise der Forschung auf den Einfluss Heideggers, schließlich habe sie ja über den promoviert. Das wurde auch nicht besser, nachdem vermehrt Bachmanns eigener Interviewsatz, sie habe "gegen Heidegger" geschrieben, angeführt wurde: das ändert ja nur den Fokus. Ich frage mich, ob es wohl den Gelehrten mit Nikos Kazantzakis genauso geht. Dessen Diss über Nietzsche Friedrich Nietzsche on the Philosophy of Right and the State wurde nämlich gerade bei der SUNY Press ins Englische übersetzt. Kazantzakis: ist für mindestens zwei Bücher bei uns bekannt: für Alexis Sorbas und für Die letzte Versuchung Christi, beide mit prominenten Verfilmungen. Da seh ich doch gleich im Sorbas einen Zarathustra-Schüler...

03 März 2007

Körperdenken

Gabor Csepregi hat sich nach eigenem Bekunden schon länger gewundert, warum Philosophy of body nicht so eine Disziplin ist wie Philosophy of mind. Mit seinem The clever body (Calgary : University of Calgary Press, 2006) hat er nun zumindest ein Fundament gelegt. Sieht man den Körper als Werkzeug und ausführendes Organ des bewussten Willens, dann gibt es nicht so viel über ihn zu sagen. Csepregi interessiert sich vor allem da, wo die eigene 'Intelligenz' des Körpers sichtbar wird.
Der Klappentext des Buches teilt nicht nur mit, dass Csepregi am Dominikanischen College in Ottawa lehrt, sondern auch, dass er über Erziehung, Musik und Sport gearbeitet habe: klingt nach einer guten Qualifikation für das Thema Körper, einmal nicht von der Phänomenologie à la Merleau-Ponty ausgehend (da habe ich in letzter Zeit einige Titel über die 'Leiblichkeit' gesehen).

01 März 2007

"Experimentelle Philosophie"

... ist ein netter Ausdruck, und hier wird erklärt, was er bedeutet:

Experimental philosophy is the name for a recent movement whose participants use the methods of experimental psychology to probe the way people make judgments that bear on debates in philosophy. Although the movement has a name, it includes a variety of projects driven by different interests, assumptions, and goals. Just in the past few years philosophers have carried out experimental work in areas as diverse as epistemology, action theory, free will and moral responsibility, the philosophy of language, ethics, the philosophy of law, and the philosophy of science. Given that "experimental philosophy" is perhaps best viewed as a family resemblance term, the boundaries are admittedly vague.

But the following two questions nevertheless help shed light on what it means to be an experimental philosopher: First, do you run controlled and systematic studies and use the resultant data to shed light on philosophical problems? Second, do you sometimes address the tension that exists between what philosophers say about intuition and human cognition, on the one hand, and what researchers are discovering about these things, on the other hand?


Zitiert nach dem programmatischen Blog Experimental philosophy, von Thomas Nadelhoffer und anderen. Für mich liegt die Frage nahe: Wie verändert eine solche Anbindung ans Empirische die Methode des Gedankenexperiments? Funktioniert das nun besser oder schlechter: als Appell an die Intuition vieler, nicht des einzelnen?