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26 Juni 2007

Tier und Mensch in der Antike

Vegetarismus ist keine neue Idee. Porphyrius berichtet die Diätregeln für ägyptische Philosophenpriester in einer bemerkenswerten Abhandlung namens De abstinentia. Wie Catherine Osborne schreibt:
The pretext of rescuing Firmus Castricius from his meat-eating errors allows Porphyry to present and discuss arguments on both sides of the debate. As a result, De abstinentia is a treasure store of evidence for philosophical thinking on the status fo animals form the Pesocratics to Porphyry's own school, Neoplatonism.

Und Osbornes Buch mit dem schönen Titel Dumb beasts and dead philosophers : humanity and the humane in ancient philosophy and literature (Oxford : Clarendon, 2007) ist ein ebensolches Schatzhaus, und eine Abkürzung in die antike Diskussion.

25 Juni 2007

Gefühle

In den letzten Jahren gibt's mehr und mehr philosophische Publikationen zum Thema: die rationalen Forscher entdecken das 'Andere' der Vernunft. Besonders hervorzuheben ist vielleicht der Band von Simo Knuuttila, Emotions in ancient and medieval philosophy (Oxford : Clarendon, 2004), wiewohl er natürlich keinen Überblick gibt darüber, wie Gefühle jetzt betrachtet werden.
Das tut aber der gerade bei Metzler erschienene Band Philosophie der Gefühle, den Christoph Demmerling und Hilge Landweer verfasst haben. Man findet dort neben einer systematischen Einleitung eine alphabetisch geordnete Sammlung zu 'zentralen' Gefühlen wie Achtung, Angst, Ekel, Freude, Liebe, Zorn, die jeweils umfangreich diskutiert werden. Die Autoren scheinen dabei sowohl mit der eher phänomenologischen Betrachtung als auch mit der analytischen Philosophie hinreichend vertraut, widmen sogar ein paar Seiten der Reflexion der Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Interessant finde ich auch den Rückbezug der "Gefühlstheorie" eines bestimmten Autors an das paradigmatische Gefühl, an dem sie entwickelt wurde; Demmerling und Landweer mühen sich, sowohl komplexen Gefühlen (wie Liebe) als auch einfachen Empfindungen (wie Ärger) gerecht zu werden; "Gefühlsdispositionen" und "Einstellungen" ebenso zu behandeln wie "akute Gefühle". Personen- und Sachregister sowie ausführliche Bibliographie runden das Buch ab. --
Im Kapitel über "Scham und Schuld" hätte ich mir eine Rückbindung an die öffentliche Diskussion des Scham-Begriffs in der Debatte nach Walsers Friedenspreis-Rede gewünscht; hier könnte das Buch ruhig etwas weiter weg sein von der akademischen Analyse.

[Update 22.1.2008] Den Trend bestätigt auch der Sonderband 14 der Deutschen Zeitschrift für Philosophie: Gefühle - Struktur und Funktion, hg. von Hilge Landweer: und darin natürlich auch einen Aufsatz von Demmerling. Landweer stellt einleitend fest, dass es zwar einen Haufen Publikationen gebe, aber ein "Resümee der bisherigen Debatten" ebenso ausstehe wie eine "Bündelung auf die strittigen Fragen hin". Das soll das Werk nun leisten.

[Update 3.12.08] Von Landweer und Ursula Renz herausgegeben ist soeben bei de Gruyter ein Band "Klassische Emotionstheorien" erschienen.

21 Juni 2007

Moral und Rechnen

Nur die Utilitaristen müssen rechnen, um moralisch zu handeln? Es schadet jedenfalls nicht, wenn man rechnen kann, weil die meisten Theorien der Rationalität ein rechnerisches Element haben.
Nehmen Sie eine Karte von einem kompletten 52er Spiel. Wenns eine Sieben ist, gibt's dafür 100 Euro, wenns Kreuz ist, gibt's 25 Euro, andernfalls kostet das Spiel 10 Euro.

Spielen Sie? Tja: die Entscheidung hängt (rationalerweise) davon ab, ob Sie genug Geld haben, mehrfach zu spielen. Beim einfachen Spiel ist die Chance zu verlieren 69% (36/52). Spielen Sie eine Serie, dann muss man stärker berücksichtigen, wie hoch Gewinn und Verlust jeweils sind: (100 € x 4/52) + (25 € x 13/52) -- (10 € x 36/52) ist das durchschnittliche Spielergebnis: 7,04 € Gewinn pro Spiel. Viel besser als Roulette.
Das Beispiel stammt aus dem Buch The Moral Wager : Evolution and Contract (Dordrecht : Springer, 2007), in dem der Verfasser Malcolm Murray (Kanadier!) für eine Art Evolution moralischer Prinzipien plädiert. Es zeigt (was natürlich auch die Ethik längst weiß), dass Handlungsregeln (die sich als Serie von Einzelnhandlungen auffassen lassen) anders zu beurteilen sind als Einzelhandlungen. Murray meint dann zeigen zu können, dass sich eine bestimmte Handlungsregel als die erfolgreichste durchsetzt: "Don't do unto others without their consent".
Stimmt seine Betrachtung, dann ist das eine statistische Antwort auf die Frage "Warum moralisch sein?", die zugleich erklärt, warum es so schwierig ist, im Einzelfall zu zeigen, das moralisches Handeln sich lohnt.

17 Juni 2007

11 Jahrhunderte Bulgarische Philosophie

Die Bulgarische Akademie der Wissenschaften veröffentlichte 1973 Eleven centuries of Bulgarian philosophical thought (hg. von Michail D. Buchvarov, Sofia) -- ich hätte gar nicht gedacht, dass es da so viel "philosophical thought" gegeben hat, dass man ein Buch damit füllen kann. Die letzten 80 von 180 Seiten gehören dem zwanzigsten Jahrhundert und damit dem Marxismus-Leninismus; erst davor wird es interessant (für den Rückwärtsleser). Natürlich dominiert auch hier in der Darstellung die kommunistische Perspektive; die Positionen werden dann z.B. "burgeois" genannt, als wenn das schon eine hinreichende Erläuterung wäre.
Im Mittelalter sind sie jedenfalls stolz auf die Heiligen Methodius und Cyril: letzterer gilt ja auch als Erfinder der Kyrillischen Schrift, wenn ich recht sehe. "Their general theoretical activity gives proof that Bulgarian philosophical thought at that time was not lagging biehind the development of medieval culture, but had in its own way lost not time in joining it." Das Buch enthält auch eine Bibliographie der Hauptwerke, aber während es selbst in Englisch ist, sind diese es natürlich nicht, wie auch die meisten Quellenangaben in Fußnoten, was die Lektüre ein wenig erschwert.
Eine Ausnahme gibt es. Es gab in der Bulgarischen Philosophie offenbar eine Periode des "Rehmkeismus": "The sorce of Bulgarian Rehmkeism is the conceptions of the German philosopher Johannes Rehmke (1848-1930), professor of philosophy at Greifswald." Schon mal gehört?

16 Juni 2007

"Tugend ist ihr eigner Lohn"?

Das hört sich an wie eine Eltern-Maxime: eine, die vertreten wird von Leuten, die einen dazu bringen wollen, dies und jenes zu tun. Ein leeres Versprechen vermutlich; wobei ohnehin die Frage offen bleibt, ob man den Lohn der Tugend überhaupt will. Oder wie Harry Graham dichtet:

What makes Existence really nice
Is Virtue -- with a dash of Vice.
Nun habe ich aber mit Dickens' Roman Martin Chuzzlewit ein Modell entdeckt, das mich zumindest von der Möglichkeit überzeugt, dass der Satz ein Körnchen Wahrheit enthalten könnte. Da gibt es nämlich eine Figur namens Mark Tapeley, die nichts anderes im Sinn hat, als unter den widrigsten Umständen "jolly": bester Laune zu bleiben. Das ist natürlich nur eine Herausforderung, wenn man auch in widrigsten Umständen sich befindet, also begibt er sich in solche. Dickens schildert, wie Tapeley auf der Überfahrt von England nach New York durch seine fröhliche Hilfsbereitschaft (selbst bei Seekrankheit) das ganze Unterdeck bei Laune hält. Infolgedessen ist er bei allen Mitreisenden so beliebt, dass er ins Grübeln kommt, ob diese Umstände es nicht jedem leicht machen würden, "jolly" zu sein. Dass es seine eigene Güte ist, die erst das Wohlwollen der Anderen zum Vorschein brachte, kann er nicht sehen: wohl aber natürlich der Leser.

13 Juni 2007

Bewusstsein, wie es früher war

Auf eine "Geschichte des Bewusstseins" habe ich hier schon mal hingewiesen. Gerade begegnet mir ein neues Buch namens The seat of consciousness in ancient literature (Jefferson, NC : Mc Farland, 2007) von einem Richard E. Lind, der laut Klappentext sein Berufsleben als klinischer Psychologe verbracht hat und den nun offenbar der Ehrgeiz packte, das, was er zu heilen suchte, besser zu verstehen. Lind untersucht in diesem Buch den Begriff von Bewusstsein, der sich in Texten und Zeugnissen findet, die vor 500 v. Chr. entstanden: als der Sitz des Bewusstseins noch im Herzen war, nicht im Kopf. Es gab auch noch kein Leib-Seele-Problem: glückliche Zeiten :-)

12 Juni 2007

Schlechte Aufsätze

Die Topformulierungen, die für mich einen schlechten Aufsatz anzeigen, unabhängig von seinem Thema, sind solche wie:
(1) "Das [Zitat] kann man so-und-so lesen". Bedeutet ja doch nur, dass man es auch ganz anders lesen kann. Ich will aber wissen, warum ich etwas so-und-so lesen soll.

(2) "Studien haben gezeigt ...[Fußnote]": sieht man sich dann die Fußnote an, findet man dort eine einzige Studie. Für mich klingt so ein Satz wie die Berufung auf den Common sense der Forschung. Den kann man aber nicht belegen mit einer einzigen Schrift.

(3) "xy hat gezeigt ...", wenn xy das gar nicht gezeigt, sondern nur vertreten (und vielleicht bloß behauptet) hat.

(4) " wie Kant in der Kritik der Urteilskraft (Stuttgart 1971, S. 63) sagt". Statt Kant könnte hier z.B. auch Plato stehen und ein Nachweis wie (Reinbek 1962, S. 15): Autoren, die unbedingt nach kanonischen Ausgaben zitiert werden sollten: und nicht nach dem Reclam-Heft-Seitenzahlen, die man gerade zur Hand hat.

Wie ich darauf komme? Gerade eine Rezension geschrieben für einen Sammelband ...

11 Juni 2007

Pascals Wette

Pascals Wette (Pascal's Wager) ist sicher eines der bekanntesten "Argumente" für den Glauben, und ebenso zahlreich sind die Analysen und Widerlegungen. Pascal hatte gemeint, einen rationalen Grund für den Glauben angeben zu können: es sei rational zu glauben, weil man im Falle von Gottes Existenz "unendlich viel" gewinne, nämlich ewige Glückseligkeit, während man im Falle seiner Nichtexistenz nichts verliere. Ein Ungläubiger hingegen käme im Falle von Gottes Existenz in die Hölle. Man möge also lieber auf die Existenz Gottes setzen. Dagegen ist eingewandt worden, dass immerhin ein paar Religionen miteinander im Wettbewerb stehen, man also auf den falschen Gott setzen könnte; gewichtiger aber noch der Einwand, dass man sich nicht entscheiden kann zu glauben (und dass Gott womöglich keine Gläubigen will, die nur vom Kopf her glauben).
Ich schaue immer mal in einen Aufsatz oder ein Buch, um zu sehen, ob da noch was mir Neues drinsteht. In W. Donald Hudsons A philosophical approach to religion (Macmillan 1974) ist auch ein Kapitel über Religion und Rationalität. Hudson hält es für möglich, dass "one can put oneself in the way of acquiring religious belief", um Pascals Wette einzugehen. Ein aristotelischer Gedanke: der Übung der religiösen Praxis würde irgendwann auch der Glaube folgen: Gewöhnung macht den Charakter. Glaube unterläge zwar so nicht der rationalen Kontrolle, aber den Weg dahin einzuschlagen, schon. Hudson fragt dann:
"But the question arises, in the light of what has just been said: is it morally right to put oneself in the way of belief, if one thinks that there is a low degree of probability that such a belief is true?"
Interessanter Begriff von Moral: objektivistisch, als Maßstab könnte so etwas wie "sich selber treu sein" im Hintergrund stehen. Die Frage beantwortet Hudson dann selbst, indem er implizit einen anderen Begriff von Moral anbietet: es könne nichts unmoralisch daran sein, sich in einer Frage zu entscheiden, deren Für und Wider man nicht entscheiden kann: jede Antwort sei erlaubt. Ich denke, diese Antwort verkennt die Frage. Die Frage lautet ja eigentlich: soll man sich verbiegen?

Habermas' Nachruf auf Richard Rorty

in der Süddeutschen.

10 Juni 2007

Zitierregeln

Wie mit Aufsätzen umgehen, die sozusagen ins Unreine geschrieben auf Webseiten zugänglich sind, aber noch auf ihre "kanonische" Publikation warten? Man möchte meinen: wie mit anderem veröffentlichten Kram auch. Was aber, wenn der Autor drüberschrieb: "Bitte nicht zitieren?" Das scheint häufiger vorzukommen, als man denkt, wenn man die Diskussion bei Ross Cameron, Brian Weatherson und auf Crooked timber (nochmal Weatherson) liest.
Übrigens hat auch Angela Merkel so einen Vermerk auf ihrer Webseite, da heißt es nämlich im Impressum: "Bei dem Inhalt unserer Internetseiten handelt es sich um urheberrechtlich geschützte Werke. Die CDU gestattet die Übernahme von Texten in Datenbestände, die ausschließlich für den privaten Gebrauch eines Nutzers bestimmt sind. Die Übernahme und Nutzung der Daten zu anderen Zwecken bedarf der schriftlichen Zustimmung der Partei." Dieses Posting verletzt also das schon: denn ich zitiere hier nicht zu privatem Gebrauch, sondern um die Absurdität der Formulierung bloßzustellen...

07 Juni 2007

Gottesfrage, von den Anfängen bis 1972

Falls man mal einen Überblick braucht, welche Argumente für und gegen die Existenz Gottes im Laufe der Philosophiegeschichte schon gebracht wurden, nützt einem vielleicht Michelle Federico Sciaccas zweibändige Sammlung Con Dio e contro Dio (Mailand 1972). Der Untertitel verspricht eine "raccolta sistematica degli argomenti pro e contro l'esistenza di dio"; tatsächlich fängt der Überblick bei den Vorsokratikern an. Mich würde interessieren, ob es nicht auch schon in den früheren Hochkulturen derlei Argumente gegeben hat.

05 Juni 2007

Was ist Diskriminierung?

Ich versteh die Amerikaner nicht. Ein amerikanischer Flirt- und Kuppelservice namens eHarmony bietet keine Suche nach gleichgeschlechtlichen Partnern an; vermutlich, weil der Gründer ein bekennender konservativer Christ ist. Jetzt klagt eine Lesbe, weil sie sich diskriminiert fühlt (Bericht bei Spiegel online). Heißt das (ein Beispiel), demnächst kann ein Buddhist klagen, weil er nicht nach buddhistischen Partnern suchen kann? Ich verstehe, dass man sich diskriminiert fühlen kann, wenn es einen Laden am Wohnort gibt, der einem nix verkaufen will. Aber im Web? Wo die Konkurrenz aller'orten' ist?
Und kann nicht der Anbieter einfach darauf bestehen, dass seine Produktpalette begrenzt ist? Oder kann man in den USA auch eine Klage beginnen, wenn ein Laden, der Kleidungsstücke verkauft, keins in meiner Größe hat? Ich habe jedenfalls Mühe, hier Diskriminierung zu erkennen. Ulkig finde ich überdies die weiteren Umstände: laut Spiegel online wirft "die Konkurrenz" des Dienstes eHarmony vor, "flirtwillige User abzulehnen. Also, wenn ich ein Produkt verkaufen würde, und mein Konkurrent würde eine bestimmte Gruppe nicht bedienen, dann würde ich doch jubeln!