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23 Juli 2007

Erkenntnistheorie der Detektion

In der Edition Suhrkamp gab es mal (1982) ein nettes Bändchen des Semiotikers Thomas A. Sebeok über die Verwandtschaft zwischen einer pragmatischen Semiotik à la Peirce und der Arbeit des Detektivs: Du kennst meine Methode : Sherlock Holmes und Charles Sanders Peirce (es NF 121). Diese Verbindung muss eine gewisse Attraktivität haben: Renato Giovannoli hat nun eine Filosofia del racconto poliziesco, erschienen 2007 in Mailand bei Medusa veröffentlicht. Der Titel: "Elementare, Wittgenstein!" Kenner der Krimiklassiker von Doyle bis Hammett werden daran ihre Freude haben -- sofern sie sich für Logik und Erkenntnistheorie interessieren...

22 Juli 2007

Manchmal staune ich

über die Gelehrsamkeit anderer Leute, die unmögliche Bücher gebiert wie das Folgende: Stuart Clark: Vanities of the eye : vision in early modern European culture. - Oxford : OUP, 2007. Clark beschäftigt sich mit der frühen Neuzeit und wie dort ein Riss entstand zwischen den Menschen und dem, was sie wahrnahmen. "What were supposed to be ... 'socially agreed descriptions of an intelligible world' came to be marked by profound disagreement". "For between the fifteenth and seventeenth centuries European visual culture suffered some major and unprecedented shocks to its self-confidence": die Entdeckung der Zentralperspektive in der Malerei, die Reformation, die Wiedergeburt des Skeptizismus. Clark breitet also ein Panorama aus, das die Geschichte des Sehens als Kulturgeschichte schreibt: faszinierend.

19 Juli 2007

Neues zur Ideengeschichte

Im Beck-Verlag gibt es eine Zeitschrift, deren erstes Jahr jetzt um ist: die Zeitschrift für Ideengeschichte. Sie ist sicher ein Wagnis, weil sie ihre Leser auch unter allgemein historisch Interessierten sucht, und weil sie einen Geruch des Archivs mitbringt, der sich den beteiligten Institutionen verdankt: dem Literaturarchiv in Marbach, der Stiftung Weimarer Klassik, der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Wolfenbüttel. Die Ideen, um die es geht, kommen etwas weniger staubig daher, jedenfalls in den Formulierungen. So hieß das erste Heft "Alte Hüte": darin ging's allerdings nicht um die Idee / Metapher / Begriff "Alter Hut": was mich durchaus interessiert hätte. Das ist vielleicht eine Anregung für die Folgehefte: nämlich den Titel auch ideengeschichtlich zu durchleuchten.
Ein paar Beiträge sind auch online zu lesen.

Jüngst bin ich auf eine sehr lohnende Online-Quelle zum Thema Ideengeschichte gestoßen, nämlich das Dictionary of the History of Ideas. Das gab's mal gedruckt in den siebzigern, und weil es schon seit Jahren vergriffen ist, haben die Rechteinhaber es für die Digitalisierung freigegeben. Schade, dass man die Abbildungen nicht einschließen durfte! Jedenfalls eine tolle frei zugängliche Quelle!

18 Juli 2007

Geschichte des solipsistischen Denkens

Solipsismus ist keine ernstzunehmende Theorie, sondern eine Befürchtung: die schon viele Philosophen zu respektablen Ergebnissen geführt hat, meint Anthony D. Nuttall in seiner Darstellung mit dem unverdächtigen Titel A common sky : philosophy and the literary imagination (Berkeley : Univ. of Calif. Press, 1974). Nuttall folgt den Ergebnissen bis zu ihrem Niederschlag in der englischen Literatur, z.B. im Tristram Shandy, Logikern bekannt als das unendliche Buch: da Shandy in einem Jahr einen Tag seines Lebens beschreiben will, wird er nie fertig, es sei denn, er hat unendlich viel Zeit. Solipsismus ist auch eine Form der Unendlichkeit: die Unfähigkeit, die Ränder des eigenen Selbst zu sehen.

10 Juli 2007

05 Juli 2007

Warum Präferenzerfüllung ein problematisches Maß ist

Zum ersten Mal bin ich der Theorie bei R. M. Hare begegnet. Der möchte die Moralität einer Handlung am Maß der Präferenzerfüllung der Betroffenen messen, nicht wie der klassische Utilitarismus an den erwarteten Glückszuständen. Das ist natürlich eine Präzisierung, denn die über die Präferenzen können Personen Auskunft geben, über die vermutliche Stärke des empfundenen Glücks wohl nicht.
Allerdings lese ich in der Einleitung von Dan Egonssons Preference and Information (Aldershot : Ashgate, 2007) eine interessante Beobachtung: nämlich das Präferenzerfüllung nicht unbedingt glücklich macht. Stattdessen tritt es häufig ein, dass Leute, deren Ziele gerade erreicht sind, über Leere klagen und deprimiert sind. Das ist sicher ein psychologisches Phänomen, dass nur bei der Erfüllung ganz bestimmter Präferenzen auftritt, aber es ist doch beachtenswert: weil damit die Präferenzerfüllung als solche untauglich wird als Maß des Erfolgs einer moralischen Handlung.

Urheberrecht geändert

Heute ging das Urheberrecht durch: der Bundestag genehmigte in zweiter und dritter Lesung den "Zweiten Korb", der "das Urheberrecht fit macht für das Informationszeitalter", wie es vollmundig von Verantwortlichen zu hören war. Das ist, leider, großer Quatsch. Das Gegenteil ist passiert. Wissenschaft wird für deren Leser teurer werden und besonders teuer dann, wenn die "Neuen Medien", sprich: Internet, genutzt wird. Wissenschaftler selbst müssen sich beeilen mit ihrem Widerspruch, wenn sie nicht im nächsten Jahr das Recht auf Online-Verbreitung an ihren vor 1995 gedruckten Veröffentlichungen an die Verlage verlieren wollen (hier ein Musterbrief). Aus gut unterrichteten politischen Kreisen -- mein MdB hat mich angerufen aufgrund einer Protestmail! -- war zu hören, dass die Politiker fanden, die Wissenschafts- und Bibliotheksseite habe sich mit wenig überzeugender Lobbyarbeit selbst ins Knie geschossen. Der Vertreter des Urheberrechtsbündnisses (Rainer Kuhlen) mag ihnen auf die Nerven gefallen sein, und dass die Einigung zwischen DBV und Börsenverein von den großen Bibliotheken in D nicht mitgetragen wurde, habe auch nicht gerade einen guten Eindruck gemacht.
Nun, die Politik wird hoffentlich die Folgen des Gesetzes nach einer gewissen Zeit bewerten und sich fragen, ob das wirklich das ist, was sie gewollt hat. Beispielsweise wird als Verbesserung gefeiert, dass jetzt die "elektronische Kopie" zu wissenschaftlichem Zweck erlaubt ist (vorher war sie nicht im Gesetz behandelt). Allerdings ist sie nur dann erlaubt, wenn kein Verlag "offensichtlich" die gewünschte Quelle selbst digital anbietet. Das bedeutet z.B. für den Lieferdienst Subito, welcher Aufsätze auf Wunsch auch als pdf per Email verschickt hat, dass er bei jedem Kopierauftrag prüfen müsste, ob nicht ein Verlag den Aufsatz bereits selbst digital anbietet. Das ist nicht zu leisten, daher wird Subito seine Emaillieferung erst einmal einstellen. Oh ja, im Gesetz ist auch davon die Rede, dass das Verlagsangebot einen "angemessenen" Preis haben müsste. Aber es fehlt eine Festlegung darauf, was denn ein angemessener Preis ist. Also gebe ich mal ein Beispiel: Für einen einzelnen Aufsatz von 26 Seiten zahlt man bei ingenta connect etwas über 35 $. Per Subito-Email-Lieferung hätte ein Wissenschaftler einer deutschen Universität dafür 5 € zahlen müssen.
Nun ja, die Lieferung per Fax und Post bleibt erlaubt. Bei der nächsten Änderung des Urheberrechts wird man dann wohl zur Lieferung per Kurier zurückkehren, danach zu Rauchzeichen...