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25 August 2008

Fundstück

Gerade angezeigt gesehen: ein Wolfgang Baumgartner hat ein dreibändiges Werk über "Intuitionismus" verfasst. Leider bei Books on Demand erschienen, d.h. nicht peer reviewed. Dafür gibt es bei BoD ein paar biographische Angaben zum Autor. "Wolf Baumgartner arbeitet hauptberuflich als hochspezialisierter Personenschützer und nebenberuflich als freier Schriftsteller und als Gastlektor an verschiedenen Universitäten". Das klingt doch, hhm, interessant? Immerhin habe der Autor auch einen Doktor der Philosophie an der Uni Wien. Das lässt sich ja leicht überprüfen: tatsächlich gibt es da eine philosophische Diss eines Wolfgang Baumgartner von 1984, Essay über das sinnliche Leben : antiphilosophische Beschreibungen. 200 Blatt. Die Inhaltsangaben zu den Büchern von Dr. Baumgartner überzeugen mich aber nicht.

BoD ist ja nur ein Dienstleister, deswegen wäre es Unfug, sich darüber zu beschweren, was die so veröffentlichen. Aber was ich schon etwas lästig finde, ist, dass nun vermehrt Urheberrechtsfreies dort angeboten wird. Eine kleine Auswahl aus dem Bereich Philosophie, angekündigt im Neuerscheinungsdienst 31/2008 der DNB.
Ernst Haeckel: die Weltraetsel. Herausgegeben von Klaus-Dieter Sedlacek, der auch BoD-Autor ist und möglicherweise hofft, mit Jules Verne-Schmökern sich was dazuzuverdienen.
John Stuart Mill: System der deduktiven Logik. Hg. von Rolf Nölle, der offenbar Spaß daran hat, philosophische Werke herauszugeben.
Immanuel Kant: Von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Eine Auswahl aus seinen Werken von Willi Maslankowski. Zweite Auflage!

19 August 2008

Zitate erkennen und Bloggen

In meiner Diss habe ich einige Mühe darauf verwandt zu klären, wie man sicher sein kann, dass ein Autor einen anderen zitiert, oder genauer: wann ein Bachmann-Forscher berechtigt ist zu sagen, dass Bachmann diesen oder jenen anderen Autor zitiert habe. Das ist eine interessante Frage immer dann, wenn die Forschung offenkundig Einflüsse / Zitate / Anspielungen auf die Autoren entdeckt, die den Forschern selbst wichtig sind. Mein Ergebnis jedenfalls: Es hängt a) vom realen Kontext ab (z.B. kann Bachmann den angeblich zitierten Text überhaupt gekannt haben?) und b) vom Kontext des angeblichen Zitats und dessen Eigenschaften im Text. Ein gutes Beispiel habe ich in meinem Bachmann-Nietzsche-Aufsatz dargestellt, wo die Kommentatoren meinten, Bachmann habe einen obskuren Nietzsche-Text zitiert, während eine Kleist-Formulierung, die Bachmann zudem nachweislich gekannt hat, viel ähnlicher ist und viel besser passt.
Der Gedanke scheint trotzdem der Forschung im allgemeinen eher unangenehm zu sein, bremst ja auch die Entdeckerfreude etwas, wenn es nicht genügt, einfach eine Ähnlichkeit zwischen zwei Texten wahrzunehmen, sondern wenn auch noch etwas weitergehende Erläuterung verlangt wird. Aber das passiert auch im "richtigen Leben", wenn man die Bloggerwelt so nennen darf. Da hat der Schriftsteller Peter Glaser, der für die Stuttgarter Zeitung bloggt, in seinem Blog mitgeteilt, dass er dem FAZ-Journalisten Marco Dettweiler einen Brief geschrieben hat. Weil der nämlich in einem seiner Artikel den Satz schrieb "Die Welt ist eine Google", und zwar am 6.8.08 in der FAZ. Glaser hatte den Satz selbst auch formuliert, und zwar viel früher, nämlich am 13.5.2005, in einem Artikel in der Stuttgarter Zeitung, und danach noch einmal in einem Artikel in der Stuttgarter Zeitung von 2006. Also, schreibt Glaser, möge Dettweiler beim nächsten Mal angeben, dass der Satz eben von ihm, Glaser, sei. Dettweiler reagierte beleidigt und verwies darauf, dass der Satz nicht allzu fernliegend sei; und er sei selbst darauf gekommen. Glaser meinte daraufhin zeigen zu müssen, dass seine Erfindung aber die früheste nachweisbare sei.

Ich stelle das hier so ausführlich da, weil das ein Musterbeispiel ist, wie in der Intertextualitätsforschung manchmal argumentiert wird. Glaser steht für den eifrigen Forscher, der etwas wiedererkennt und zum Schluss kommt: das spätere der beiden Auftreten muss zitiert sein! Dettweiler sagt hingegen, der Satz sei, mit meiner Terminologie zu reden, nicht prägnant und nicht originell genug, um so eine eindeutige Einflusslinie zu zeichnen.
Das spannende ist, dass dies der Autor selbst tut, der doch ohnehin am besten weiß, ob er zitiert hat oder nicht! Aber offenkundig geht es ihm auch darum, den Verdacht zu zerstreuen, dass er vielleicht lügt, weil er ja andernfalls sich schuldig gemacht hätte, seine Quelle nicht anzugeben. Während Dettweiler in dem Disput auf ein paar tausend Google-Treffer für den Satz hinwies als Beleg dafür, dass er nicht originell sei, gelang es ein paar findigen Lesern von Glasers Blog, im Web Veröffentlichungen des Satzes zu finden, die älter sind als Glasers eigene erste Veröffentlichung; das ist alles in seinen Kommentaren nachzulesen. Was zeigt diese Auskunft über die Fakten? Sie zeigt -- bloß --, a) dass der Satz nicht originell ist, b) dass Glaser nach der Logik seiner ursprünglichen Forderung nun auf andere Quellen verweisen müsste, statt sich selbst als Urheber zu sehen. Sie zeigt hingegen nicht, dass Dettweiler die Formulierung nicht von Glaser hat. Aber da können wir ihm vielleicht einfach glauben.

Glasers Argumentation "Ich habe den Satz aber zuerst gesagt!" scheint mir ohnehin fragwürdig. Er will die "Credits" der geitigen Urheberschaft immer noch bekommen, auch wenn ihm gleichgültig zu sein scheint, ob Dettweiler tatsächlich zitiert hat. D.h. die Frage verlagert sich vom tatsächlichen Zitat als Beziehung zwischen zwei Texten bzw. Autoren zu so etwas wie einem Geistesblitz-Patentstreit: "Völlig egal, ob Du meinen Text kennst, du nimmst meine geistige Schöpfung in Anspruch!" Aber "in Anspruch nehmen" besteht eben nicht darin, dass man zu einem gleichen Ergebnis kommt, zumal, wenn das Ergebnis einigermaßen banal ist.

Bayerische SWD, Sortierreihenfolge

Die Registerfunktion des Aleph-Katalogs des BVB ist, gelinde gesagt, nicht optimal. Man gewöhnt sich mit der Zeit daran, dass die Homonymenzusätze mit einsortiert werden, so dass z.B. "Kind <0-1>" lange vor dem Hauptsatz "Kind" kommt, da nämlich als zweites Sortierkriterium die Identnummer des Satzes in der Datenbank fungiert, und die beginnt in der Regel mit "4".


Lästig.
Aber noch lästiger finde ich, dass gleichlautende Verweisungsformen und Ansetzungsformen so angeboten werden, dass die Verweisungsform zuerst steht. Will man etwa mit "Socrates" erschließen -- gemeint ist der Philosoph, der hier RSWK-konform in lateinischer Form eingetragen werden muss --, dann bietet das Register:
Rot habe ich die beiden Socrates-Einträge markiert. Für den oberen sieht man darunter die Details, und das Feld 800 "Ansetzungsform" verrät, dass dieser Socrates eigentlich Francois Hemsterhuis ist. Warum kann nicht die "Tmp02"-Form, d.h. die Verweisungsform, die später einsortierte sein?

Dieser Fall ist mir gerade wieder eingefallen wegen eines italienischen Buches über einen gewissen Tommaso Cornelio:
Hatte arglos zunächst mit dem ersten verknüpfen wollen, in der Annahme, dass meine italienische Veröffentlichung Tommaso Cornelio : Appunti per una biografia eben die italienische Form des Namens gewählt habe. Ging mir erst danach auf, dass hier vielleicht zwei Leute ungefähr gleich heißen. (In diesem Fall kommt noch hinzu, dass die SWD-Identnummern der Sätze sehr ähnlich sind.)
Also: Warum muss die Verweisungsform für Corneille vor dem eigentlichen Cornelio stehen?

17 August 2008

Philosophie digital

Wenn ich mal mehr Zeit habe, habe ich mir vorgenommen, gehe ich den Möglichkeiten nach, die philosophische Forschung durch Werkzeuge und Hilfsmittel im Web und für PC bekommen hat. Im Augenblick verweise ich nur gern auf das Blog von Lisa Spiro (Digital Scholarship in the humanities), und Dan Cohens Digital Humanities Blog.
Kann jedenfalls dauern. Daher hier der Hinweis auf zwei Fundstücke:
PhiloSURFical ist ein Projekt, das versucht, mit der Technik der semantischen Beschreibung, die gewöhnlich für Thesauri eingesetzt wird, einen Text zu beschreiben, und zwar beispielhaft Wittgensteins Tractatus.
Und Argunet ist eine Software des Instituts für Philosophie der FU BErlin, um Argumente zu erfassen / zu strukturieren. Hab's noch nicht ausprobiert, aber ist klarerweise etwas für Leute, die ohnehin gern elektronisch arbeiten. Möchte das jemand rezensieren?

16 August 2008

Transhumanistische Webseiten

Paolo Augusto Masullo hat seinem Buch l'umano in transito : saggio di antropologia filosofica (Bari : Edizioni di pagina, 2008) eine kleine Webseitensammlung mitgegeben. Zum Transhumanismus habe ich hier schon ein paar Worte verloren.

http://www.grafifoto.com/page/postumano.htm
http://www.tecnoetica.it/2004/12/07/addio-cyborg-benvenuto-post-umano/
http://it.groups.yahoo.com/group/tecnotransumani/
http://www.posthuman.it/
http://www.frc.ri.cmu.edu/users/hpm/
http://www.lex.unict.it/dottorato/std/tecnoscienza.htm
http://www.posthuman.com/
http://www.kainos.it/
http://www.ariannaeditrice.it/articolo.php?id_articolo=5017
http://www.edge.org/
http://www.fondazionebassetti.org/
http://www.intertheory.org/pepperell.htm

Philosophien der Welt

Gerade erschienen: die 2. Auflage des Klassikers von Ninian Smart World philosophies (London : Routledge, 2008). Die zweite Auflage wurde überarbeitet von einer Gruppe von Autoren, die nun dafür sorgt, dass die Kapitel über die verschiedenen asiatischen Philosophien ebenso wieder auf der Höhe der Forschung sind wie das über die afrikanischen oder jüdische und islamische Philosophien.

Kunst und Moral

Dass es moralische Gesichtspunkte für die Beurteilung von Kunst (Malerei, Literatur, Film etc.) gibt, scheint mir kaum bestreitbar. Und dabei braucht man nicht mal die Verletzung religiöser Empfindlichkeiten heranzuziehen, für die regelmäßig Rücksichtsnahme eingefordert wahlweise die Freiheit der Kunst in den Ring geworfen wird. Aber muss man mit solchen Meldungen nur rechnen, wo Kunst zugleich politisch sein will (Karikaturenstreit) oder die historische "Wahrheit" im Blick hat (Wilkomirski-Fall)? Meine Argumentation würde ungefähr so laufen: Kunstwerke sind kommunikative Akte. Wie jeder weiß, hat Kommunikation neben anderen Funktionen auch eine Appell-Funktion, die in jedem Akt vorhanden und mehr oder weniger ausgeprägt ist. Dieses Appellative kann jederzeit dem moralischen Urteil unterworfen werden. Und da es im Auge des Betrachters liegt, wie stark der Appell wirkt, hängt es auch von ihm ab, wie stark er urteilt. So könnte, wer will, auch noch einem meditativen Mondrian vorwerfen, dass er eben welt-fremd ist, statt sich zu engagieren.

Der neue Sammelband Art and ethical criticism (hg. von Gerry L. Hagberry, Blackwell 2008) untersucht den Zusammenhang von Kunst und Moral. Ein Teil der Beiträge beschäftigt sich damit, wie Kunst moralische Inhalte vermitteln kann. Das ist natürlich auch ein Aspekt der Frage der moralischen Beurteilung von Kunst, denn immer lässt sich fragen, ob die Kunst denn diesen oder jenen Inhalt vermitteln sollte. Interessanter finde ich aber die paar Beiträge über die "ethical dimensions of photography" (David Davies) oder "Ethical judgements in museums" (Ivan Gaskell).

14 August 2008

Gehirn und Moral

Dass es einen Sitz des moralischen Empfindens im Gehirn gäbe, haben wohl die Theoretiker gedacht, seit bekannt ist, dass im Gehirn überhaupt etwas an Empfindungen sitzt. Was wann darüber gedacht wurde, erzählt Jan Verplaetse in Het morele brein : een geschiedenis over de plaats van de moraal in onze hersenen (Antwerpen : Garant, 2006). Habe gerade entdeckt, dass es zum Thema auch eine Webseite und ein Weblog gibt -- und beide auf englisch. Ah, und aus der Liste der Publikationen geht hervor, dass das Buch von Verplaetse wohl auch auf Englisch erscheint, bei Springer, 2008.

13 August 2008

Der Sinn nach Harmanus

[Entwurf vom 13.8.; wurde nicht zu Ende geschrieben]

Hat die "Existenz" einen "logischen Sinn"? Fabian Harmanus ist überzeugt davon und hat darum ein Buch geschrieben. Was qualifiziert den inzwischen 33jährigen Diplom-Kommunikationsdesigner dazu, die Frage zu beantworten? Dass er schon im Alter von 4 anfing, sich tiefe Fragen zu stellen, und seitdem nicht aufgehört hat, darüber nachzudenken?

Irgendwie ist das sympathisch: dass sich jemand hinsetzt und 30 Jahre nachdenkt ohne sich dabei Rat zu holen bei den Profi-Nachdenkern. Und dann, natürlich, von seinem System so überzeugt ist, dass er es publizieren muss: denn es könnte ja den andern helfen. Harmanus findet, dass "viele existenzielle Fragen des Menschen nur aufgrund von Vermutungen behandelt werden", dabei könnte man doch von Tatsachen ausgehen! Es gibt nämlich nur: "Wissen, das logisch gefolgert wird, gleich einer mathematischen Formel; Reine Logik, die keinen Spielraum für Relativierungen lässt". Harmanus wird daher nicht nur verraten, worin der Sinn besteht, sondern auch, warum alle andern bisher daran scheiterten, ihn zu finden!

Wie denkt er so? Auf S. 14 definiert er "absolute Erkenntnis". Sein Beispiel ist die "absolute Erkenntnis" eines Pferdes, und da er abstrakt definiert hat, dass eine absolute Erkenntnis von etwas darin besteht, "alle maßgebenden Faktoren und Informationen zu wissen (...), jede noch so schier belanglose Information zu wissen". Über ein Pferd müsste man, von seinem Äußeren abgesehen, auch über sein Inneres und schließlich darüber Bescheid wissen, wie es sich anfühlt, ein Pferd zu sein. "Das mag sich absurd anhören, ist aber in dieser vorerst abstrakte Form logisch". Philosophen, die nach Erkenntnis streben, müssten also, folgert er eine Seite weiter, auch die Erkenntnis sein oder jede andere "übernatürliche Kraft", um die es ihnen geht.

12 August 2008

Achte Auflage des "Lexikon der Ethik"

Höffes Lexikon habe ich selbst noch nie gebraucht. Aber nun liegt hier die 8. Auflage 2008, wieder erweitert und aktualisiert. Ich habe zum ersten Mal bemerkt, dass das Lexikon nicht nur von Höffe in Zusammenarbeit mit Forschner, Horn und Vossenkuhl herausgegeben, sondern auch geschrieben ist; d.h. diese 4 haben alle Inhalte besorgt. Ich teste ein solches Lexikon gern an ein paar Begriffen; bei der Ethik liegen mir "Supervenienz" und "Supererogation" nahe. Für Supererogation wird auf "Verdienstlichkeit" verwiesen und dort einigermaßen ausführlich erläutert; die Supervenienz findet im Lexikon nicht statt.
Es gibt leider -- aber das würde das Lexikon auch zu sehr aufblähen -- keine Personeneinträge; Ausnahmen sind adjektivierte Personennamen: z.B. die Kantische Ethik. Kurz nachgesehen: natürlich, in einem Höffe-Buch, auch die Aristotelische Ethik. Nützlich finde ich die Listen am Ende über "Quellen", d.h. klassische Werke der Ethik, Nachschlagewerke und "Sammelbände". Allerdings scheinen die Autoren von den Blackwell Philosophy Companions nicht allzuviel zu halten, denn diese generell recht nützlichen Bände erscheinen weder bei den "Nachschlagewerken" noch bei den Sammelbänden noch, z.B. Beim Blackwell Companion to christian ethics, bei den Literaturangaben zum Artikel Christliche Ethik.

Wer die Vorauflagen kennt oder besitzt: Höffe schreibt im Vorwort, was neu ist. Die 6. Auflage war von 2002, seitdem wurden Artikel überarbeitet und die Literaturangaben ergänzt sowie einige Verweisungen neu aufgenommen, um sich an die wandelnde Terminologie anzupassen bzw. um neue Inhalte in älteren Artikeln unterzubringen, z.B. das "Gefangenendilemma" im Artikel "Entscheidungstheorie". Ganz neue Einträge sind, unter anderen, "Angewandte Ethik", "Bürgertugenden", "Intergenerationelle Gerechtigkeit", "Unternehmensethik".

07 August 2008

Nietzsche am Rand

Reading Nietzsche at the margins / hg. von Steven V. Hicks, Alan Rosenberg. - West Lafayette, Ind. : Purdue UP, 2008.
Das Katalogisat enthält bereits Schlagwörter: Nietzsche, Friedrich ; Randbemerkung ; Aufsatzsammlung. Liest man die Editorial introduction, dann erfährt man, dass die Nietzsche-Rezeption in den letzten zwanzig Jahren in der Wahrnehmung der Herausgeber eine Konzentration auf einen eng umrissenen Themenkreis erfahren hat: auf die Umwertung der Werte, das Übermensch-Konzept etc. Der Aufsatzband will sich demgegenüber Themen zuwenden, die nicht als zentral wahrgenommen wurden. Handelt es bei diesen Themen um "Randbemerkungen" Nietzsches (im Sinne der SWD)?
Sicher nicht. Denn die SWD ist da, wie eigentlich immer, wörtlich zu verstehen. Eine Randbemerkung ist etwas, was am Rand von etwas (anderem) steht.

Das Buch, auf das die Sacherschließung passt, muss also wohl erst noch erscheinen. Immerhin gibt es ja ein Werk von Martin Stingelin über Nietzsches Lichtenberg-Rezeption, wo sicher auch die eine oder andere Randbemerkung Nietzsches Berücksichtigung findet...

06 August 2008

Ist es besser, nicht gelebt zu haben?

Vor einiger Zeit habe ich auf eine neue philosophische Veröffentlichung zur Frage hingewiesen. Dabei ist mir allerdings nicht aufgefallen, dass es ja eine Tradition seit der Antike gibt, die sich mit der Frage befasst bzw. die eben vertritt, dass es besser sei. Als erster Zeuge dafür wird Silen angeführt, der von Midas befragt wurde (das ist der mit den Goldfingern), was er denn dem Menschen am zuträglichsten erachte. Der darauf: Wenn er nicht geboren würde, und danach, wenn er gleich wieder stürbe (so gibt das Hederichs Lexikon wieder).
Darüber und über die Conditio humana "zwischen Aischylos und Nietzsche" mehr in Umberto Curi: Meglio non essere nati. Turin : Bollati Boringhieri, 2008.

05 August 2008

Volltexte aus Humanismus und Renaissance

Bin mehr oder weniger zufällig, auf der Suche nach Webseiten zu Giordano Bruno, über Bivio (Biblioteca Virtuale Online) gestolpert. Das ist eine italienische Seite, die Texte bekannter Autoren im Volltext zur Verfügung stellt: und auch mit Suchmöglichkeit, da man sich die Mühe gemacht hat, sie als XML aufzubereiten. Das Projekt ist an der Uni Pisa, Zentrum für Renaissance-Studien, entstanden und man arbeitet inzwischen auch mit Historikern aus Harvard zusammen. Sieht sehr gut aus!

03 August 2008

Muss man über alles reden dürfen?

Oliver Hallich schreibt im gleichen Heft der AZP über Grenzen der Redefreiheit : Lassen sich Diskussionsbeschränkungen in der Bioethik rechtfertigen? (S. 125-153). Dabei bleibt er nicht im Theoretischen, sondern beleuchtet sein Thema mit Blick auf Peter Singers Wahrnehmung in Deutschland Anfang der 90er. Kurz und knapp kommt der Aufsatz zu dem Schluss, dass es sehr wohl Fälle vorstellbar sind, in denen die Einschränkung der Redefreiheit zu rechtfertigen wäre, dass aber Singer nicht so ein Fall war. Allerdings waren Singers Theorien zur Bioethik auch deswegen nicht so ein Fall, weil sie falsch verstanden wurden. Und so könnte man mit Hallich zu dem Schluss kommen, dass die Redefreiheit eines Forschers stärker wiegt als die Kränkung seiner Hörer, sofern sie durch ein Missverständnis entsteht.
Das Kränkungs-Argument ist eines von drei Argumenttypen, die Hallich der Beurteilung unterzieht. Die anderen beiden sind "Dammbruch" à la: "wenn hier schon über das Thema öffentlich nachgedacht wird, wird damit der Boden bereitet für eine gesellschaftliche Akzeptanz der verdammenswerten Praxis"; und "Diskriminierung" à la: "die Thesen Singers implizieren eine Diskriminierung einer bestimmten Gruppe, und Diskriminierung ist eine verwerfliche Praxis."
Dammbruch und Diskriminierung haben gemeinsam, dass sie als Rechtfertigung für die Einschränkung der Redefreiheit heranziehen, dass die Rede, um die es geht, für eine fragwürdige moralische Praxis argumentiert. D.h. sie funktionieren nur, 1. wenn man weiß, worin die Rede besteht, die eingeschränkt werden soll, und 2. wenn sich wirklich alle (vernünftigen) darin einig sind, dass die beworbene Praxis fragwürdig ist. Auch beim Kränkungsargument muss man, um eine Kränkung der Zuhörer zu verhindern, die Rede vorher unterbinden, also schon wissen, was gesagt werden wird (sonst könnten wir jegliche Rede einschränken mit Hinweis auf eine mögliche Kränkung / Diskriminierung / Dammbruch).
Aber wie Hallich auf die Diskrepanz zwischen Singers Thesen und dem verweist, was manches Publikum vorher für Singers Thesen gehalten hat (die es ihn nicht wieder äußern lassen wollte), um zu zeigen, dass die Einschränkung der Redefreiheit (durch Proteste, Trillerpfeifenaktion etc.) nicht gerechtfertigt waren, wird man solche Rechnung öfter aufmachen können. Die Frage scheint mir daher zu sein, wo wir wohl die Redefreiheit einschränken wollen würden. Und die Antwort ist offensichtlich: da, wo wir es im Strafrecht auch schon getan haben. Wo sonst?

02 August 2008

Macht Google dumm?

Nicholas Carr hat das in The Atlantic gefragt, und die ZEIT weist darauf hin. Die Überschrift (auch meine :-)) ist irreführend; Carr stellt zunächst dar, welchen Wandel er bei sich selbst wahrnimmt, wenn es ums Lesen geht. Er meint, sein Internetkonsum habe die Art und Weise, wie er Informationen aus Texten aufnehme und verarbeite, verändert, nämlich von der langen Aufmerksamkeitsspanne und dem deep reading hin zum "skimming" und der Konzentration auf kleine Informationshäppchen. Dabei versucht er zu zeigen, dass, je mehr wir mit dem Internet machen, das Internet auch etwas mit uns macht:
Yet, for all that’s been written about the Net, there’s been little consideration of how, exactly, it’s reprogramming us.
Es "reprogrammiert" uns! Wenn wir nicht aufpassen, werden wir zu unmenschlichen Computern, die bloß noch Informationen suchen und verarbeiten!

Ja, da lässt sich natürlich leicht drauf antworten, dass selbst schuld ist, wer sich reprogrammieren lässt. Oder dass gerade die Leute, die das Internet häufig nutzen, auch viel lesen. Denn gegen derlei steht ja Carrs Befund, dass er dies bei sich selbst wahrnimmt, und er ist ja eigentlich gerade so ein Vorzeigeintellektuell-Vielleser.
Außerdem ist Clay Shirkys Antwort im Britannica-Blog ein ziemlicher Witz. Wenn Carr feststellt, dass deep reading ihm nicht mehr möglich sei, dann hilft Shirkys Feststellung, er habe das ohnehin noch nie gemacht, und auch niemand, den er kenne (so fasse ich seine Bemerkung über Krieg und Frieden und Auf der Suche nach der verlorenen Zeit zusammen) natürlich nichts.

Mir geht's hier eigentlich nur um die Gleichsetzung von Google, oder: Suchmaschine, und Internet. Suchen und Finden ist eine tolle Sache. Wie kann uns das dümmer machen? Die Antwort, die Carr da gibt, ist aristotelisch: durch Gewohnheit. Wir üben im Internet ein bestimmtes Verhalten ein, und davon können wir nicht mehr lassen anderswo. Allerdings scheint mir das im Falle Carrs eine typische deformation professionelle, die in direktem Zusammenhang steht mit der Zeit, die er selbst im Internet verbringt. Muss man ja aber nicht!
Interessanter, ob das Internet die Ausbildung von deep reading-Fertigkeiten in Jugendlichen verhindert, also anders ausgedrückt, ob es Leute gibt, deren Mediennutzung vom Internet nicht "reprogrammiert", sondern gerade erst "programmiert" wird.