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11 Februar 2009

Die Angst des Roland Reuß vor Open Access (Teil 1)

(Aufmerksam geworden durch Steinhauers Wissenschaftsurheberrechtsblog)
Hier geht's zu Teil 2.

Roland Reuß hat in der FAZ heute den Teufel an die Wand gemalt: die Open Access-Bewegung sei eine „klammheimliche technokratische Machtergreifung“. Er versucht seinen Lesern zu erklären, warum Open Access schlecht ist: aus „kulturelle[n], rechtliche[n] und finanzielle[n] Gründe[n]“, nämlich. Außerdem bringt er es fertig, durch seine Wortwahl das Kritisierte in die Nähe sowohl des Faschismus („Machtergreifung“) als auch des Kommunismus („staatsmonopolistischer Verwertungskreislauf“) zu stellen. Open Access-Vertreter sind, folgt daraus, fanatisch. Mit Verlaub: das ist unfair. Ich kann mir solche Rhetorik nur so erklären, dass Reuß wirklich echt und tiefempfunden Angst hat vor dem, was er da heraufziehen sieht. Angst ist etwas Irrationales, und so bringt Reuß seine Angst wohl auch dazu, sich an die Fakten nicht zu kehren.

Roland Reuß
Wer ist dieser Roland Reuß? Auf der Webseite seines „Instituts für Textkritik“ erfährt man, dass er seit 2007 in Heidelberg als Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft wirkt, 1994 das besagte Institut mit begründet hat, 1958 geboren ist. Seine Forschungsinteressen sind: „Theorie der Edition, Hölderlin, Kafka, Kleist, Romantik, Paul Celan, Digitale Medien“.
Die Publikationsliste nennt zwei Publikationen (wenn ich nicht was übersehen habe), die etwas mit „Digitalen Medien“ zu tun haben, ein Aufsatz „Digitalisierung ohne Daumen“ (oder vielleicht zwei titelgleiche) und „Textkritische Editionen und Datenformate“ im Jahrbuch der Computerphilologie 1999, den zu verlinken er sich nicht die Mühe macht.
Die anderen Forschungsinteressen sagen mir als studiertem Germanisten, dass wir es hier mit einem zu tun haben, der die ‘Theorie’ liebt: Hölderlin, Kleist, Romantik, Kafka, Celan: das sind die typischen Spielwiesen der Literaturtheoretiker. Die schwierigen, vieldeutigen Autoren. Reuß hat auch Kafka und Kleist ediert und gibt die Zeitschrift TEXT heraus, bei der er fleißig selbst schreibt.
Reuß’ Editionen im Stroemfeld-Verlag sind Faksimile-Editionen, d.h. solche, die das Manuskript und auf der gegenüberliegenden Seite einen Transkriptionsvorschlag zeigen. Damit hat Reuß methodisch die Editionsphilologie vorangebracht; mit seinem streitfreudigen Eintreten für diese Form der Edition und gegen alle anderen aber auch seinen wissenschaftlichen Solipismus gezeigt. Reuß ist einer, der nicht gern auf andere Meinungen hört, aber immerzu von andern fordert, sie möchten auf ihn hören.

David gegen Goliath: Reuß gegen DFG, WR und KMK
Ich verneige mich vor der Chuzpe, mit der Reuß sich zum Underdog macht: er steht nämlich auf gegen Kultusministerkonferenz, Wissenschaftsrat UND Deutsche Forschungsgemeinschaft, die im Verein „partiell und mit Billigung der unkundigen und hilflosen Opfer“ diesen Open Access aufzwingen. David Reuß gegen Goliath Politik. Die DFG zum Beispiel gibt in ihren Richtlinien vor, zitiert Reuß, „dass die mit ihren Mitteln finanzierten Forschungsergebnisse publiziert und dabei möglichst auch digital veröffentlicht und für den entgeltfreien Zugriff im Internet verfügbar gemacht werden“. Ähnliches sieht Reuß (vermutlich) auch bei der KMK am Werk, und da die Unis aus Ländermitteln bezahlt werden, fürchtet er, dass Uniangehörige von ihrer Hochschule verpflichtet würden, ihre Forschungsergebnisse auf dem Hochschulserver abzulegen. Der Streit geht nicht darum, ob das stimmt (für die DFG kann das jeder auf deren Webseiten nachlesen), sondern wie das zu bewerten ist. Warum soll das schlecht sein? Sehen wir uns Reuß’ Gründe an.

Die finanziellen Gründe gegen Open Access nach Reuß -- und Kommentar
  • OA setzt „leichtfertig“ die „bewährte Infrastruktur mittelständischer Wissenschaftsverlage“ auf Spiel.
Reuß meint, wenn Wissenschaftler OA veröffentlichen müssen, dann haben die mittelständischen (deutschen) Verlage nichts mehr zu drucken. Denn, das hält er für so evident, dass es keiner weiteren Begründung bedarf, was kostenfrei zugänglich gemacht wird, kann nicht mehr verkauft werden. Wer die Entwicklung von OA verfolgt hat, weiß, dass diese These noch des Belegs harrt; OA-Anhänger wissen dagegen von dem umgekehrten Effekt: dass die freie Zugänglichkeit im Web die Nachfrage nach dem gedruckten Buch befeuert hat. Aber unabhängig davon, wie sich dies verhält, fragt sich, warum die wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen überhaupt hier ins Feld geführt werden sollten. Das Argument ist analog zu: Wir sollten keine Solarstromautos bauen, weil damit die bewährte Infrastruktur der Tankstellen aus Spiel gesetzt wird. Überzeugend?

  • Verlage, die nicht mehr da sind, können dann auch nicht ihre wesentlichen Leistungen für die Wissenschaft erbringen.
Was sind denn diese Leistungen? Reuß sieht drei: 1. Verlage kümmern sich um „Satz, Druck, Lektorat“. Bei OA fällt das weg, darum sind OA-Veröffentlichungen, meint Reuß, typographisch hässlich. 2. Verlage „bewerben“ eine neue Publikation und etablieren sie „wo dies nötig ist, auch gegen Widerstand öffentlich“. 3. Verlage wählen Qualität aus, filtern also den Wissenschaftlichen Output.
Ad 1. Typographie
Dass das für ihn als typographischen Feinschmecker von Belang ist, muss man ihm nachsehen. Dass es aber nicht stimmt, sollte man schon mit in die Bewertung einbeziehen. Es stimmt beides nicht: OA ist nicht notwendig hässlich. (Belege kann man sich schenken, da Reuß Behauptung ohnehin nur Polemik ist.) Und Verlage erbringen nicht immer diese Leistungen. Ich rede nicht von Peter Lang oder VDM. Ich habe die Produktion von Dissertationen, Tagungsbänden und Professorenmonographien mitbekommen, und Veröffentlichungen bei den Verlagen Mohr Siebeck, Vandenhoeck und Ruprecht, Carl Winter, Neukirchener, Königshausen & Neumann, Niemeyer, de Gruyter. Die verlangten Druckkostenzuschüsse sind natürlich unterschiedlich hoch, bilden aber schon jeweils eine stolze Summe. Bei Niemeyer musste ich meinen eigenen Text komplett zum Satz vorbereiten. De Gruyter hat einem Autor eine Word-Dokumentvorlage gegeben; Mohr Siebeck eine Formatierungsvorschrift auf Papier. Beide haben das druckfertige Manuskript zum Abfotografieren (CRC-Verfahren) bekommen. Sammelbände werden in der Regel von den Hilfskräften der Herausgeber korrekturgelesen und oft auch gesetzt.
Ad 2. Durchsetzen
Von welchen Werken redet Reuß? Der Verdacht liegt nahe: von seinen eigenen Editionsvorhaben im Stroemfeld-Verlag, die ja in der Tat umstritten sind und für die der Verlag sicher Mut gebraucht hat. Aber sonst?
Ad 3. Qualitätsfilter vs. Wissenschaftsdarwinismus
Das Argument Qualitätsfilter bringt Reuß gerade im Zusammenhang mit Dissertationen: die „besseren“ lägen gedruckt vor, nur die „mittelmäßigen“ landeten auf dem Hochschulschriftenserver. Dazu ist verschiedenes anzumerken. Welcher Verlag sucht sich die Dissertationen selbst aus, die er druckt? In der Regel, bei den mittelständischen Verlagen, um die es geht, gibt es Reihen und Reihenherausgeber, das heißt Wissenschaftler. Die könnten diesen Dienst an der Wissenschaft natürlich auch bei OA-Publikationen erbringen. Da besteht kein notwendiger Zusammenhang. -- Glaube ich an den hier von Reuß vertretenen Wissenschaftsdarwinismus: Qualität wird gedruckt? Nein, ich halte das für eine zynische Sicht. Ich kenne einige bestens bewertete Dissertationen, die allein darum auf dem Hochschulschriftenserver landeten, weil die Autoren das Geld für Druckkostenzuschüsse nicht aufbringen wollten und nicht die Geduld hatten, auf die Entscheidung von VG Wort oder DFG oder Boehringer Ingelheim oder eine der anderen Fördereinrichtungen zu warten. Die Veröffentlichung auf dem Hochschulschriftenserver hingegen kostet den Verfasser in der Regel nichts.

  • OA versteckt die „gesamtgesellschaftlichen Kosten“, die viel höher sind als angenommen. Beleg 1: Die Uni Yale hat die Unterstützung des OA-Verlags Biomed Central eingestellt, weil ihnen die Publikationskosten für die Autoren zu hoch sind. Beleg 2: OA basiert darauf, dass „öffentlich sichtbare Kosten (Zeitschriftenabonnements, Bücherkäufe, kurz: Außenweltbeziehungen)“ durch „unsichtbare (immanente, komplett durch Steuermittel beglichen) verwandelt“. Gemeint sind: „Server, Eingabegeräte, Bildschirme und tariflich bezahlte Angestellte“, die „laufend beträchtliche Gelder verschlingen“.
Zum 1. Beleg: Der Fall Yale
Reuß verweist hier auf eine in seiner eigenen Zeitschrift erschienenen Text vom nicht gerade als neutralen Beobachter ausgewiesenen Konstanzer Bibliothekar Uwe Jochum. Der ist, sagt Reuß, „den Dingen auf den Grund“ gegangen in einem Beitrag über Nationallizenzen, und hat „erstaunliches“ festgestellt. Was kann das sein, dieses Erstaunliche? Dass die Uni Yale ihren Angehörigen die Publikation beim OA-Verlag BioMed Central nicht mehr bezahlt, weil sie dafür im Jahr 2005 4648 Dollar, im Jahr 2007 aber schon 64.000 Dollar hätten zahlen müssen, was immerhin, weiß Reuß, „den Abonnementkosten von rund vierzehn biomedizinischen Fachzeitschriften entspricht“.
Was ich hier wiedergegeben habe, rundet sich nicht zum Argument, ganz egal, wie man es dreht und wendet. Hier fehlen z.B. die Zahlen, wieviele Yale-Autoren in den entsprechenden Jahren überhaupt bei Biomed Central veröffentlicht haben. Denn was bei Reuß aussieht wie „explodierende Kosten“, d.h. mehr Geld für gleichbleibende Leistung, ist in Wirklichkeit mehr Geld für mehr Leistung. Ohnehin lohnt ein Blick auf die Antwort von Biomed Central und der Vergleich mit den von anderen Verlagen erhobenen Gebüren.
Ohnehin verfehlt dieser Blick die „gesamtgesellschaftlichen Kosten“. Denn hier sollten nicht die Abonnementkosten einer Institution mit den Gebühren verglichen werden, die dieselbe Institution zahlt. Sondern die Gebühren dieser einen Institution und aller anderen müssen verrechnet werden mit den Abonnementkosten dieser Institution und aller anderen. OA heißt, dass es zugänglich für alle ist. Niemand zahlt mehr das Abo für BioMed Central.

Zum 2. Beleg: Versteckte Kosten
Ich muss gestehen, dass ich Reußens Argumentation da nicht ganz verstanden habe. Aber ich nehme an, dass er meint, OA koste dann zwar keine Abo-Gebühren mehr, aber dafür müssten die Institutionen, die sonst die Abos bezahlten, nun Geld für Hilfskräfte und Technik ausgeben, um den Internetzugang zu haben und um selbst als OA-Verlag (Hochschulschriftenserver) aufzutreten.
Hier nimmt Reuß das zentrale OA-Argument nicht zur Kenntnis: In der gegenwärtigen Publikationspraxis bezahlt die Gesellschaft die Forschung doppelt. Sie zahlt, wenn staatlich bestallte Wissenschaftler an staatlichen Unis und in staatlichen Forschungseinrichtungen in staatlichen Laboren und Büros Forschungsergebnisse produzieren, und sie zahlt dann noch einmal, um diese Forschungsergebnisse, die die Wissenschaftler in der Regel kostenfrei Verlagen überlassen (wenn sie nicht sogar für die Veröffentlichung bezahlen), in Form der in Verlagen produzierten Veröffentlichungen zurückzukaufen. Der Gedanke liegt doch auf der Hand, dass Geld gespart wird, wenn die Gesellschaft nur einmal zahlt und sich um die Veröffentlichung selbst kümmert!
Und auch sonst: Auf dem Hochschulschriftenserver der UB Erlangen-Nürnberg wurden 2007 165 Dissertationen veröffentlicht. Nehmen wir mal an, die wären alle gedruckt worden, mit einem Druckkostenzuschuss der Autoren, wie es üblich ist. Kalkulieren wir vorsichtig mit 500,- € pro Stück (4.000,- €, wie ich es von einigen der oben genannten Verlage schon gehört habe). Dann hat die Veröffentlichung auf dem Schriftenserver 82.500,- € gespart: nicht der Uni, aber der „Gesamtgesellschaft“. Demgegenüber stehen die Ausgaben für den Betrieb des Servers und der Diplomkraft, die die Autoren mit einem Teil ihrer Arbeitszeit betreut. Es ist leicht auszubuchstabieren, was billiger ist für die Gesellschaft!

(Update 19.2.) Antwort von Gudrun Gersmann auf Reuß' Artikel in der FAZ, zu lesen bei Archivalia.

(Update 18.8.09) Gerade entdeckt, dass es einen "Infobrief" über "Das für und Wider der urheberrechtlichen Diskussion im Zusammenhang mit dem Heidelberger Appell" des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages gibt, den Roger Cloes und Christopher Schappert verfassten. Hier das pdf: http://www.bundestag.de/dokumente/analysen/2009/heidelbergerappell.pdf. Wer bis zum Literaturverzeichnis liest, wird feststellen können, dass dort dieser Eintrag und Teil 2 zusammen 4 mal angeführt werden -- allerdings unter dem Namen von "Gudrun Gersmann"! Warum nur? Ist doch nicht so, dass ich meinen eigenen Namen versteckt hätte?

Wie würdigt man ästhetisch eine Landschaft?

Normalerweise sind ästhetische Werke nicht so ausdrücklich empfehlend. Daher bin ich schon erstaunt, wenn ein Werk zur Umweltästhetik mit dem Kapitel endet "What is the correct way to aethetically appreciate landscapes?" So nämlich Allen Carlson: Nature and Landscape : an introduction to environmental aesthetics. New York : Columbia UP, 2009, 106-128. Seine Antwort zielt darauf, den "Landscape relativism" der Postmoderne zu vermeiden und stattdessen die Aufmerksamkeit zu richten auf "form, common knowledge, science, history, contemporary use, myth, symbol and art".

Verwirrende Sacherschließung

Hier, so sieht ein Datensatz im Bayerischen Aleph-Verbundsystem aus, den ich gerade erschließe:

Grün markiert ist die Sacherschließung aus den englischen Fremddaten, womöglich Library of Congress. Rot meine. Wenn man nämlich den Aleph-Index der Schlagworte aufblättert, findet man, dass es zwei Alcibiadesse gibt, die beide dem Corpus Platonicum zugehören, wobei die Echtheit des ersten umstritten sei und die des zweiten nicht: der sei unstrittig falsch. Wie kommen die Kollegen auf Alcibiades 2? Das Inhaltsverzeichnis des Buches sagt nämlich, es ginge um den Alcibiades 1. Könnte natürlich sein, dass sich die Benennungsweisen unterscheiden, und dass in den USA der Alc2 Alc1 genannt wird und umgekehrt. Nur diskutiert das Werk auch die Frage der Echtheit, was mir auch nur zum Status "umstritten" zu passen scheint. Der Autor ist übrigens der Meinung, dass mehr für die Echtheit als dagegen spricht, auch wenn sich das nicht endgültig entscheiden lassen wird. Ohnehin findet er aber, dass der Dialog Aufmerksamkeit wegen seines philosophischen Gehalts verdient, ganz unabhängig davon, aus welcher Feder er stammt. (Feder? Schrieb Platon mit einer Feder?)

09 Februar 2009

Die bereuende Magdalena

Maria Maistrini hat einen Aufsatzband veröffentlicht, Filosofia, verità, felicità (Rom: Aracne, 2008). Besonders gefällt mir das ausgesuchte Titelbild:

Mit welcher Gedankenverlorenheit das Mädchen den Schädel auf dem Schoß hält und sinnend in die Kerze blickt!

Der Umschlag sagt, dass dies ein Bild von Georges de la Tour ist, "Maddalena penitente", die büßende Magdalena. Spannend finde ich, dass der Maler dasselbe Motiv noch mindestens zweimal gemalt hat:


Schade, dass ich nicht weiß, in welcher Reihenfolge, die Bilder entstanden sind. Mir gefällt es zu denken, dass für den Maler das Motiv immer dunkler wurde.

Zeigt das Bild "Philosophie, Wahrheit, Glück"? Da der Titel des Bildes sagt, dass wir hier Buße sehen, lässt das wohl darauf schließen, dass der Weg zum Glück und zur Wahrheit über die Buße führt...

Informationsplattform Open Access: Philosophie

Die Plattform open-access.net gibt es schon länger, aber die Philosophie-Seiten sind recht jung. Zitat:
Trotz vereinzelter Ansätze spielt Open Access in weiten Teilen der akademischen Philosophie bislang keine bedeutende Rolle.
Wohl wahr, leider! Was es gibt an Ansätzen, steht auch da zu lesen. Falls Ihnen noch etwas bekannt ist, liebe Leser, her damit!

08 Februar 2009

Gedankenexperimente-Lexikon mit 13 neuen Experimenten

http://www.jg-eberhardt.de/philo_exp/
Nun 83 Gedankenexperimente von 62 Philosophen!

Dilthey in Bildern



Ein prächtiger Band, den der Alber-Verlag da vorgelegt hat: Guy van Kerckhoven, Hans-Ulrich Lessing und Axel Ossenkop zeigen uns Wilhelm Dilthey. Leben und Werk in Bildern. Laut Klappentext "alle verfügbaren Bilddokumente", ein Großteil davon "erstmals veröffentlicht". Die strengen Blicke der Personen, die noch weilenlang stillsitzen mussten für die Fotografie! Rudolf Hermann Lotze blickt distanziert-grimmig drein (Abb. 139), Hermann Ebbinghaus sieht visionär in die Ferne (Abb. 203); nur der geschätzte Friedrich Althoff guckt verschmitzt (Abb. 151). Briefe und Dokumente, Lebensorte, Freunde und Verwandte, und natürlich Dilthey selbst, mal jugendlich flott, mal altersweise.

Das junge Bild hier ist aus den Wikimedia Commons, das alte von den Webseiten der Dilthey-Forschungsstelle der RUB.

06 Februar 2009

Interview mit Luce Irigaray in TPM Online

Julian Baggini ist wirklich geduldig, finde ich, während er sich mit Irigaray unterhält. Und Irigaray scheint sich, nach dem Zeugnis ihrer Äußerungen, darauf verlegt zu haben, ihr Erbe zu verwalten: Kolloquium mit Leuten, die ihre Diss über sie schreiben; "according to me" als Einleitung in Sätze. Wenn ich Chomsky wäre, würde ich mich auch nicht auf eine Diskussion mit ihr darüber einlassen, ob es zwei verschiedene Universalgrammatiken gibt, eine für Männer und eine für Frauen.

Sacherschließung, heute: Gutes Leben = Hedonismus?

Dagmar Fenner hat ein Buch über das "Gute Leben" in der Reihe Grundthemen Philosophie bei de Gruyter geschrieben. Die DNB hat das Werk verschlagwortet mit "Hedonismus" (und sonst nix). Wie kommen die darauf? Philosophisch betrachtet ist der Hedonismus ja nur eine von vielen Antworten auf die Frage danach, wie sich gut leben lässt. Und schlägt man Fenners Werk auf, dann sieht man schon am Inhaltsverzeichnis, dass sie einen weiteren Begriff von Gutem Leben hat als den hedonistischen. Da die Sacherschließung der DNB an alle Verbünde ausgeliefert wird und, wie Klaus Haller in der Ausbildung meinte, "Normdatencharakter" hat ...
Na, für den BVB kann ich's korrigieren; mein Vorschlag ist: "Gutes Leben" (ja, das gibt es als Schlagwort!) und "Lebensführung / Philosophie".

05 Februar 2009

Briefe der Aufklärung im Volltext

Sehr eindrucksvoll, was Oxford University Press da zusammen mit der Uni Oxford auf die Beine gestellt hat: E-Enlightenment ist eine Volltextdatenbank der Korrespondenz von Personen der Aufklärung. Sie basiert auf kritischen gedruckte Editionen, soll in Zukunft aber auch um Dokumente ergänzt werden, die bisher nicht gedruckt erschlossen waren. Sie enthält den entsprechenden wissenschaftlichen Kommentarapparat. Die Suchfunktionen sind ordentlich; blättern kann man nach Personen oder Dokumenten. Erwartungsgemäß ist die Abdeckung besser im englischsprachigen Bereich: keine Briefe von Lichtenberg. Aber z.B. Christian Wolff, 4 Briefe an ihn. Neulich habe ich über das Zusammentreffen von Rousseau und Hume geschrieben -- hier sind die Briefe dazu enthalten. Wie umfangreich die erhaltene Korrespondenz von Voltaire ist, wusste ich gar nicht: 15708 Briefe von ihm, 3253 an ihn. Alles durchsuchbar im Volltext.

Leider ist das ganze nicht unbedingt billig für Institutionen...

04 Februar 2009

Oxford Handbook Philosophy of Mind

ist da -- und erstaunlicherweise sind zwei von drei Herausgebern deutsch! Sven Walter und Ansgar Beckermann sind aber ansonsten auch die einzigen deutschen Beiträger; Walter mit einem Kapitel über Epiphänomenalismus, Beckermann über "Property physicalism". (Der dritte Herausgeber ist Brian McLaughlin.)

Das Buch ist noch so neu, dass Oxford University Press es nicht geschafft hat, auf der Webseite der Philosophy Handbooks etwas mehr Information dazu anzubieten; dafür hier. Hier die Liste der Beiträge und Beiträger.
Sollte man haben.

03 Februar 2009

Philosophen wissen, wo ihr Handtuch ist

Zumindest die, die Thomas Buford kaufen. (Den Screenshot von Overstock habe ich nur gekürzt und verkleinert.)

02 Februar 2009

Logik im Alltag; Heute: Börsenverein und Urheberrecht

Der Börsenverein wirft der Kultusministerkonferenz einiges vor. Gerade ist bei Heise eine Meldung zu lesen, deren ersten Teil ich hier zitiere:

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und der Deutsche Hochschulverband kritisieren eine Ankündigung der Kultusministerkonferenz, laut der sie wissenschaftlichen Autoren und Verlagen auch weiterhin keine titelbezogene Vergütung für die Nutzung ihrer Werke in den Intranets von Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen bezahlen will. Börsenverein-Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis meint, das Verhalten der Kultusministerkonferenz sei gesetzeswidrig und ein Skandal. "Weil die Länder nicht ausreichend Geld für Hochschulen und Bibliotheken bereitstellen wollen, sollen Urheber und Verlage enteignet werden." Der Geschäftsführer des Deutschen Hochschulverbandes, Michael Hartmer, fragt: "Welcher qualifizierte Wissenschaftler wird künftig noch Lehrbücher schreiben und wer diese verlegen?"
Interessant finde ich, dass die beiden Zitierten Hartmer und Skipis beide implizit behaupten, dass sich etwas zum Schlechten verändert: xy soll enteignet werden; künftig findet sich keiner mehr. Die Ankündigung der Kultusministerkonferenz bezieht sich aber offenbar darauf, dass sich nichts ändert.
Richtig ist, dass es da die Vereinbarung gab, die (erlaubte) Verwendung von Werken in Intranets solle geprüft werden. Diese Vereinbarung wurde offenbar ohne eine Vorstellung darüber abgeschlossen, wie denn eine solche Prüfung stattfinden könnte; die Ankündigung der Kultusministerkonferenz reflektiert sicher auch die Einsicht, dass eine solche Prüfung schlechterdings nicht mit vertretbarem Aufwand möglich ist. Das ist andererseits schon schade, weil so auch der KMK Zahlen fehlen.
Richtig ist auch, dass die Länder zu wenig Geld für Hochschulen und Bibliotheken bereitstellen. Allerdings ist sicher nicht richtig, dass Urheber und Verlage enteignet werden sollen, weil das so ist. Was für ein merkwürdiger Begründungszusammenhang! (Kann man überhaupt seiner Rechte "enteignet" werden?)
Ist es eine "Enteignung", wenn ein geschütztes Werk im gesetzlich umrissenen Rahmen im Intranet bereitgestellt wird? Oder ist das bloß die elektronische Form der Kopierordner in den Seminarapparaten? Ach ja, richtig: Kopierordner haben durch die Kopierabgabe auf die Geräte der VG Wort (und damit auch den Urhebern) mehr Geld verschafft.
Hhm, wo habe ich das gerade gelesen, dass die freie Veröffentlichung im Internet zum verstärkten Absatz des normalen Produkts geführt hat?

Elektronische Jaspers-Zeitschrift "Existenz"

Scheint in der deutschen Bibliothekarischen Welt unbekannt zu sein, die Zeitschrift der Nordamerikanischen Jaspers-Gesellschaft namens Existenz. Für Deutschland ist Andreas Cesana zuständig.
Habe sie der ZDB, EZB und DOAJ bekanntgegeben.

01 Februar 2009

David Chalmers und David Bourget machen der Philosophie ein Geschenk

Chalmers ist sicher einer der bekanntesten australischen Philosophen, und das liegt nicht zuletzt an seiner beeindruckenden Online-Aktivität. Nun hat er dem ganzen die Krone aufgesetzt mit http://PhilPapers.org. Das ist eine sehr umfangreiche frei zugängliche Datenbank, die online erreichbare Forschungspapiere, vor allem aus Zeitschriften, aber auch Preprints auf Servern etc., recherchierbar macht. Federführend dabei ein Doktorand von Chalmers, David Bourget, der sich um die Programmierung gekümmert hat.
Philpapers.org ist daher so gut zu nutzen, weil "online" hier großzügig definiert ist: auch Google books z.B. sind online. In der ersten Woche der Veröffentlichung sind schon über 180.000 Nachweise zu recherchieren! Philosoph(inn)en können hier übrigens auch ihre eigenen Papiere ablegen, wenn sie wollen.

Ich muss das noch eine Weile ausprobieren. Die einzige Beschränkung, die mir gleich anfangs aufgefallen ist, ist die Fixierung auf die englischsprachige Welt. Sieht daher so aus, als könnten wir mit Sophikon dazu ein Gegengewicht werden.

[Update 5.2.] Die Software, mit der philpapers auf die Beine gestellt ist, wurde von Bourget federführend mit entwickelt und nennt sich, Arbeitstitel, DIVRE, siehe hier: http://divre.org/.

22 Januar 2009

Neues Dilthey-Jahrbuch

Bei Frommann-Holzboog ist das Dilthey International Yearbook for Philosophy and the Human Sciences angekündigt; der erste Band soll Juni 2009 erscheinen:

Das Jahrbuch versteht sich als Plattform der internationalen Dilthey-Forschung. Darüber hinaus soll es aber auch jenen Wissenschaftlern als Publikationsorgan dienen, die sich der methodischen Erneuerung der Kultur-, der Philosophie- und der Begriffsgeschichte verpflichtet haben. Es wird Forscher verschiedener Traditionen und Kulturen unter einem Dach versammeln. Die Beiträge werden auf Englisch, Französisch, Spanisch, Deutsch, Portugiesisch und Italienisch veröffentlicht. Ihnen vorangestellt werden Abstracts in der Originalsprache und in englischer Übersetzung. (Quelle: Verlag)

19 Januar 2009

Fundamental, mein lieber Watson

Was ist fundamental? Für eine Antwort bis zum 1.3. will Dialectica immerhin 500 Pfund lockermachen. Mehr dazu auf der Homepage der Zeitschrift: http://www.wiley.com/bw/journal.asp?ref=0012-2017&site=1

15 Januar 2009

The world's most notorius atheist ?

Anthony Flew habe ich hier schon mal erwähnt. Ich käme nicht auf die Idee, ihn als den berühmtesten Atheisten anzusehen, da fallen mir eher Dawkins oder Dennett ein. Aber wer will darüber schon streiten. Ich käme auch nicht auf die Idee, ihn als "stellar philosophical mind" oder "one of the leading analytical philosophers" (Lobesworte aus Rezensionen) zu bezeichnen, aber was solls. Vor kurzem hat er There is a god vorgelegt, Untertitel: "How the world's most notorious atheist changed his mind" (New York : HarperCollins, 2007). Liegt gerade vor mir, und ich wundere mich schon, dass das Buch sich nicht mit einem Klappentext von Michael Behe unwohl fühlt. Das Buch enthält bekannte Argumente (vgl. die Darstellung hier), die keinen anderen Atheisten von der Existenz eines Gottes überzeugen werden, aber natürlich den Theisten gefallen, und zwei Anhänge anderer Autoren. Der erste ist von einem Roy Abraham Varghese, der mir noch nie aufgefallen ist.Aber er bringt ein Argument, das mir neu ist, das geht so: Atheisten und Theisten seien sich einig, wenn überhaupt etwas existierte, dann müsse es etwas vorher gegeben haben, dass immer existierte. Wie kam das zur Existenz? Antwort: Es war schon immer da, d.h. es ist ohne Anfang. Nun müsse man sich entscheiden, ob das Gott sei, der dann eben das Universum geschaffen habe (das dann einen Anfang hätte) oder das Universum (das dann keinen Anfang hätte). Diese Alternative sei aber asymmetrisch. Denn wenn die atheistische Lösung "Das Universum gab es schon immer" wahr sei, sei es unerklärlich, wie dieser ewige Zustand der Existenz zustandegekommen sei. Wenn es hingegen einen Gott gäbe, möchte es zwar für uns Menschen unerklärlich sein, wie es zu der Existenz Gottes gekommen sei, aber natürlich nicht für Gott. Oder kurz: Eine ewige Existenz des Universums ist unerklärlich, eine ewige Existenz Gottes ist es nicht. Also ist die letztere Theorie vorzuziehen.
Hier scheint mir das Motiv für den aggressiven, argumentativen Theismus ganz offenkundig: es ist ein Kampf gegen die Angst und das Geworfensein. Kierkegaard behalf sich mit dem Glauben, aber die modernen Theisten wollen lieber wissen. Also behelfen sie sich mit dem Postulat, dass Gott eben weiß, dann weiß wenigstens einer.
Aber Wissen ist gegen den Glauben, und ohne Glaube bin ich nichts, sagte Gott, und verschwand in einer Logikwolke. (Douglas Adams, Per Anhalter durch die Galaxis)

13 Januar 2009

Kann eine Klassifikation falsch sein?

Zu meinen Aufgaben in der Sacherschließung gehört, dass ich RVK-Notationen vergebe, für jedes Buch. Da wir in Erlangen die Notation kaum zur Ordnung der Aufstellung nutzen -- Magazinbibliothek --, hat für mich die Notation reinen Sacherschließungscharakter. Daher habe ich z.B. kein Problem damit, einem Titel mehrere Notationen zu verpassen. Und daher habe ich auch kein Problem damit, eine bereits vorhandene Notation zu ändern, wenn ich meine, dass eine andere besser passt. Weil das nicht zur Folge hat, dass wir auch die Signatur ändern müssten.
Nun habe ich im Referendariat gelernt, dass man als Fachreferent die Sacherschließung der andern am besten in Ruhe lässt, und zwar a) weil man dann Zeit spart, und b) weil die andern sich bestimmt was dabei gedacht haben. Allerdings habe ich auch gelernt, dass es hin und wieder vorkommt, dass da schlicht was falsch ist. Das kann banale Gründe haben. Hin und wieder treffe ich auf Schlagworte, die ich nur mit einem Computerfehler (vielleicht der Update-Routine der DNB oder einer Datenübernahme in den Bayerischen Verbund) erklären kann, weil sie dermaßen offensichtlich neben der vorliegenden Publikation liegen. Erinnerlich ist mir ein allgemeiner Aufsatzband zur politischen Philosophie, der durch einige geographische und historische Schlagworte erschlossen wurde. Die entferne ich ohne Gewissensbisse. Bei Schlagwortketten füge ich ansonsten lieber eine weitere hinzu, statt etwas zu löschen. Aber wie ist es mit der klassifikatorischen Erschließung?
Konkret habe ich hier ein Buch über Jan Patočka, das mit der Notation CI 7800 versehen wurde. Die Notation bedeutet: Philosophie seit 1900, regional: "Andere Länder". Das ist die "Sonstiges"-Klassifikation. Da Patočka Tscheche ist, hätte ich ihn in CI 7400 getan, das ist "Russland, ehem. Sowjetunion und slaw. Sprachraum". Durch die Diskrepanz ging mir auf, dass ich gar nicht weiß, ob tschechisch eine slawische Sprache ist. Aber wenn es eine ist, dann ist doch wohl die Notation CI 7800 definitiv falsch?
Wikipedia meint: Tschechisch ist eine westslawische Sprache. Hab also die Notation geändert.

07 Januar 2009

Kann ein Telefon den Geist erweitern?

David Chalmers bekennt im Vorwort zu Andy Clarks Supersizing the mind (Oxford : OUP, 2008), er habe ein Iphone gekauft und benutze es regelmäßig; es habe bereits einige zentrale Funktionen seines Gehirns übernommen! "My iPhone is not my tool, or at least it is not wholly my tool. Parts of it have become parts of me." (S. X). Darin vertritt Chalmers die These des Erweiterten Geistes (extended mind): "When parts of the environment are coupled to the brain in the right way, they become parts of the mind". Clarks Buch stellt dar, was das bedeutet, und argumentiert für diese Betrachtungsweise des Geistes. Gegenargumente sollte man wohl erst formulieren, wenn man Clarks Argumente gelesen hat...