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19 Dezember 2006

Moral ist angeboren?

Das bekannteste moralische Gedankenexperiment dürfte der "runaway trolley" sein: Eisenbahnwagen rast auf eine Weiche zu; wird die nicht umgestellt, überrollt er fünf Gleisarbeiter, stellt der Leser sie um, aber nur einen. Was tun?
Ich meine, Philippa Foot hätte das Experiment aufgebracht. In Spiegel online (und wohl auch in der Druckausgabe) berichtet Jörg Blech über empirische Forschung, die zu klären sucht, wie die meisten Menschen in diesem Fall entscheiden würden. Gefragt wurde aber auch nach einer Alternative:
Und was, wenn ein dicker Mann auf einer Brücke direkt über dem Bahndamm stünde? Sein schwerer Körper würde den heranrasenden Zug aufhalten, die fünf Gleisarbeiter wären gerettet. Wäre es richtig, den Mann zu schubsen?

Blech teilt auch das Ergebnis mit: die meisten Leute würden die Weiche umstellen, aber nur 15% würden den dicken Mann schubsen, obwohl doch unterm Strich die gleiche Bilanz stünde. 300.000 Leute aus unterschiedlichsten kulturellen und sozialen Kontexten haben ihre Antwort abgegeben; da scheint schon so etwas wie eine interkulturelle, genetische (?) Konstante hervorzuleuchten. Blechs ausführlicher Artikel verdankt sich dem Buch von Marc Hauser, Moral minds, 2006 erschienen, das auch schon der Südeutschen einen Artikel wert war.

12 Dezember 2006

Goodmans Rätsel

Grad blättere ich durch den Aufsatzband von Nelson Goodman Problems and Projects, erschienen 1972. Der endet mit einem "Puzzle", das nach eigenem Bekunden nicht nur Goodmans "first publication in logic and philosophy" war, sondern auch "by far the most popular and widely circulated of all my writings". Goodman schickte es an die Boston Post, 1931, wo es in der Ausgabe vom 8. Juni veröffentlicht wurde: da war er grad mal 25. Und es geht so:
All the men of a certain country are either nobles or hunters, and non one is both a noble and a hunter. The male inhabitants are so nearly alike, that it is difficult to tell them apart, but there is one difference: nobles never lie, and hunters never tell the truth.
Three of the men meet one day and Ahmed, the first, says something. He says either "I am a noble", or "I am a hunter." (We don't know yet which he said.)
Ali, the second man, heard what Ahmed said, and in reply to a query, answered, "Ahmed said, 'I am a hunter'". Then Ali went on to say, "Azab is a hunter".
Azab was the tird man. He said, "Ahmed is a noble".
Now the problem is, which is each? How do you know?

Goodman ergänzt, dass eine der ersten Reaktionen in der Bemerkung eines gewissen J. C. Furnas bestand, der im Esquire feststellte, die Verbindung von "noble" und "truth teller" würde auf die bourgeoise Gesinnung des Verfassers deuten. -- Wie steht's mit der Lösung?
Ich konnte im Web keine finden, und Goodman selbst gibt auch keine :-). Bleibt nur: selber denken. (So schwer isses nicht.)

05 Dezember 2006

Philosophie des Geistes, 1835

John Abercrombie (1780-1844) war ein "schottischer Arzt und Philosoph": sagt die deutsche Wikipedia, ein tiefergehender Eintrag fehlt bislang. In der englischen -- man ersetze einfach das "de" in der Browserzeile durch "en" -- erfährt man ein bisschen mehr, wenn auch nicht sehr schmeichelhaftes, über die philosophische Tätigkeit:
He also found time for philosophical speculations, and in 1830 he published his Inquiries concerning the Intellectual Powers of Man and the Investigation of Truth, which was followed in 1833 by a sequel, The Philosophy of the Moral Feelings. Both works showed little originality of thought; they achieved wide popularity at the time of their publication, but have long been superseded.

Das erstgenannte, die Inquiries, liegt mir gerade vor, in der 5. Auflage von 1835: wirklich ein Bestseller. Auf dem Titelblatt wird Abercrombie nicht nur "M.D. F.R.S.E." genannt --was ist das bloß? --, sondern auch "fellow of the Royal College of physicians of Edinburgh, &c. and first physician to his majesty in Scotland": ein erfolgreicher Arzt. Die Inquiries finde ich deswegen bemerkenswert, weil das Inhaltsverzeichnis bestätigt, was der Verfasser im Vorwort verspricht: das hier die philosophische Untersuchung des Geistes zielt auf "useful purpose" und "application". Während also die erkenntnistheoretischen und sonstigen philosophischen Theorien im Rahmen des vom Empirismus gewöhnten sein dürften und mit vielleicht "little originality" vorgetragen werden, scheint mir die Ausweitung auf Abercrombies Erfahrung als Mediziner und die Kombination mit damals bekannten medizinischen Theorien und Fakten über Bewusstsein, spektralen Illusionen, Delirium, Erinnerung, Traum, Schlafwandelei, und geistiger Behinderung alles andere als unoriginell. Außerdem ergänzt Abercrombie seine Reflexionen zu Ursache und Wirkung für seine Mitmediziner um Regeln zur Forschung!
Alles in allem taugt das Buch, denke ich, durch seine (originelle) Kombination von Spekulation und Empirie sehr gut als Überblick über den Kenntnisstand zum Thema 'Bewusstsein' in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

04 Dezember 2006

"Ich habe französische Literatur des 19. Jahrhunderts studiert"

Wer ist noch mal Édouard Cournault? Wikipedia kennt ihn nicht, Brockhaus auch nicht. Aber Google weist auf ein feines Webangebot: Philo 19 ist eine Webseite, die Informationen über französische Philosophen des 19. Jahrhunderts bereitstellt. Da kann man dann immerhin erfahren, dass Cournault 1819-1895 gelebt hat und ein Buch zur "experimentellen Psychologie" schrieb. In den bibliographischen Angaben finden sich sogar noch drei weitere Publikationen. -- Philo 19 ist Teil des größeren Angebotes textesrares.com, das auch ein paar philosophische Rara enthält: auf französisch.

03 Dezember 2006

Kinderphilosophie in Österreich

Dass mir jemand schreibt, um einen gebrochenen Link auf sein eigenes Webangebot mitzuteilen in einem Posting, dass schon über 1 Jahr alt ist ... Also: das Österreichische Institut für Kinder- und Jugendphilosophie hat nun eine etwas eingängigere URL als vorher, und zwar www.kinderphilosophie.at. Da findet man nicht nur Informationen über die jährlich ausgerichteten Kongresse, sondern auch über die Projekte und Veranstaltungen, bekommt bibliographische Hinweise und Links auf verwandte Institutionen hier und da. Da möchte sich für Lehrer und Eltern schon was eignen!