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29 Januar 2007

Gott kann nicht unwandelbar und nicht allwissend sein

meinte Norman Kretzmann in einem Aufsatz Omniscience and immutability im Journal of Philosophy 63 (1966) 14, 409-421. Und zwar aus logischen Gründen. Ich weiß nicht, ob diese Art der Begründung in der Religionsphilosophie mal Beachtung gefunden hat, aber ich fand sie ganz bemerkenswert. Das Argument geht so:
Gott ist allwissend, also weiß er auch immer, welche Zeit gerade ist. Ein Wesen, das immer weiß, welche Zeit gerade ist, ist nicht unwandelbar, denn: es weiß zu jedem Zeitpunkt etwas anderes, und etwas anderes zu wissen heißt, in einem anderen Zustand zu sein.

Hector-Neri Castaneda hat diese Argumentation ein Jahr später (S. 203-210, 1967) weiter ausgebaut, unter anderem mit der These, dass ein allwissendes Wesen, dass unwandelbar wäre, nicht allmächtig sein könnte, weil es keine "indexical propositions" formulieren könnte.

28 Januar 2007

Verdiente Gnade?

Gerade denkt die politische Welt, unter anderem, über das Gnadengesuch des RAF-Terroristen Christian Klar nach, der seit 24 Jahren im Gefängnis sitzt (hier ein Artikel bei Spiegel Online, in dem auch die Äußerungen zu lesen sind, auf die ich Bezug nehme). Dazu möchte ich gar nichts sagen, aber zu den Äußerungen, die zur Begründung für pro und contra angeführt werden. Klaus Kinkel wird z.B. zitiert mit der These, 24 Jahre seien genug, Klar müsse die Chance zur Rückkehr in die Gesellschaft haben (Klar war zu einer Mindesthaft von 26 Jahren verurteilt worden). Genug wofür? Machen diese letzten beiden Jahre in dieser Hinsicht wirklich einen Unterschied?
Volker Kauder wird als einer der härtesten Gegner einer Begnadigung zitiert mit der Äußerung, es dürfe keine Gnade geben für diejenigen, "die gnadenlos Ehefrauen die Männer und Kindern die Väter weggemordet haben mit dem Ziel, unsere Demokratie zu zerstören". Außerdem findet er: "Gnade darf es für terroristische Verbrecher nicht geben, die sich in keinster Weise an der Aufklärung der erbarmungslosen RAF-Verbrechen beteiligt haben". Interessante Kriterien, finde ich. Folgt daraus, dass Kauder sich für Gnade erwärmen könnte, wenn die Terroristen sich nur Opfer ausgesucht hätten, die keine engeren Angehörigen haben? Warum lässt er hier weg, dass der Verlust des Lebens der Opfer selbst ein großes Übel war? Mir scheint, dass Kauder hier auf die Gefühle der Angehörigen schielt, deren Beifall er sich erhofft: sie bezieht er mit ein, und ihretwegen will er keine Gnade. -- Dass die Beteiligung an der Aufklärung da ins Gewicht fallen soll, will mir auch nicht einleuchten: was ist denn schon die Verweigerung der Verbrechensaufklärung gegen die Untat selbst?
Hans-Ludwig Zachert, Ex-BKA-Präsident, wird zitiert mit der Äußerung, Klar habe "keine Gnade verdient", weil er keine Reue empfinde.
Kann man sich Gnade verdienen? Ich denke nicht; denn die Idee des Verdienstes ist genau das Gegenteil von Gnade. Der hinter der Formulierung stehende Gedanke ist aber der, dass man sich der Gnade würdig erweisen muss: dass man an sich arbeiten muss, um auf Gnade hoffen zu dürfen. Ein ganz christliches Verständnis.

Über Brigitte Monhaupt, die auch noch in Haft sitzt, fasst Spiegel Online die Biographie so zusammen: sie sei eine "gebürtige Rheinländerin und frühere Philosophie-Studentin". Was sagt uns das über die Philosophie? Gebiert sie Terroristen?

Mit Klötzchen philosophieren

Wie kommen die auf mich?
Ich erhielt per Email folgende Einladung, die ich hier weitergebe:

Please pass on our invitation to the conference and the festival to all interested parties, representatives of humanities' and artistic circles, especially the philosophers and students of philosophy, sociology, pedagogy and psychology:

- The Creatio Ex Legendo International Conference (1st -3rd of March, 2007
WARSAW)

- 'Creatio Ex Legendo' Interniational Warsaw Festival of Philosophical
Culture - (6th-12th of May, 2007 WARSAW)

We are pleased to inform you that "Creatio Ex Legendo" will be the biggest philosophical event in the world - over 120 000 guests and participants from Poland, Europe, the whole world, are expected. We do hope that representatives from Your Institution will also be present during the conference and the festival.

We are grateful for your interest in our project and for your help.
Hope to see you in Warsaw!


Mehr zum Projekt findet man auf der Webseite www.lego-logos.pl
Dort auch die Bestätigung zum Titel: der größte Philosophie-Event der Welt ist ein Spiel mit bunten Klötzchen:

Das Projekt LEGO-LOGOS passt die natürliche Spielumgebung des Kindes (hier das Spiel mit Bausteinen) an die philosophische Lehre und das Philosophieren als solches an. Den Ausgangspunkt des Unterrichts stellt die Lektüre klassischer Philosophietexte dar, die anschließend von den Teilnehmern in Bauwerke aus den Bausteinen umgewandelt werden. Die Aufgabe der Schüler ist es, das was sie aus dem vorgelesenen Text verstanden haben, aus den Bausteinen darzustellen. Eine genaue Analyse der Bauwerke und deren Vergleich mit den Texten führt die Schüler dahin, die besprochenen Texte besser zu verstehen sowie eine
selbstständige und schöpferische Vision ihrer philosophischen und künstlerischen Interpretation zu schaffen.
Unter den während des Unterrichts gelesenen Autoren befinden sich unter anderem Werke antiker Philosophen wie: Plato, Aristoteles, Cicero, Mark Aurel sowie auch späterer Autoren wie Leonardo da Vinci und Descartes. Das Hauptziel des Projektes und des Festivals ist die Förderung der philosophischen und künstlerischen Kultur in Europa sowie eine Verbesserung der Unterrichtsqualität in der Schule, vor allem durch die Weiterentwicklung der Fähigkeit des Leseverstehens, die Entwicklung der Fähigkeit zum kreativen Denken und künstlerischem Schaffen, das Entgegenwirken dem Phänomen des sekundären Analphabetismus und der Gewalt an der Schule sowie die Bildungschancengleichheit für Kinder und Jugendliche auf dem Land und in kleinen Städten sowie in den sog. unteren Gesellschaftsschichten.

Ja, Legos gehörten auch zu meiner "natürlichen Spielumgebung". Trotzdem wäre ich nie auf die Idee gekommen, "Ich denke also bin ich" in Steinchen zu setzen.

23 Januar 2007

M&M ... & M

Als im Gefolge der 1968 die Universität von Rom von Studenten geschlossen wurde, stand auf einigen Transparenten: MMM. Die drei Ms meinten: Marx, Mao und Marcuse.
Marcuse (Herbert, nicht Ludwig) war also einer der Helden der radikalen Linken, damals. Das New York Times Magazine schrieb 1968, Marcuse "may be the most important philosopher alive" und "for countless young people ... the angel of the apocalypse".
Aber was weiß man heute noch von ihm? Da hilft vielleicht der Blick in eine zeitgenössische Einführung in sein Werk. Robert W. Marks veröffentlichte 1970 The Meaning of Marcuse (New York : Ballantine), in der kein einziges Mal Marcuses Vorname vorkommt: den kannte ohnehin keiner. Sie fängt so an:
To understand Marcuse, this analogy may be helpful: A blackout occurs. An electrician is called and discovers at once that the trouble results from a faulty fuse. He then prepares a lenghty report, providing in learned detail the entire history of electricity, and a strong indictment of all theorists, from Aristotle to Mesmer, who have given faulty or incomplete accounts of the nature of electricity. He justifies this study on the grounds that the true nature of anything is not grasped until it has been placed accurately in its historical context. Then, in a digression on method, he explains that the concept of a fuse, by reason of the logic of nature, is meaningful only in terms of its negation, a nonfuse -- the absence of a fuse. You reply that this makes excellent sense, but you are already familiar with a nonfuse; and you remind him that because of a nonfuse you are now immersed in nonlight. The question which follows is: What to do about a nonfuse?
The electrician is dejected. It so happens that he has no replacement for a nonfuse. And he reminds you that, even if he did, what might be put in its place would sooner or later suffer the same fate as the original fuse, which by the negation of nature -- which is a polite way of telling you that you overloaded the lines -- a fresh fuse will again be negated, and the reality principle which contradicts the pleasure principle will once more plunge you into darkness.

22 Januar 2007

Chisholm erfindet Szenarien

Let us assume that you are about to undergo an operation and that you still have a decision to make. The utilities involved are, first, financial -- you wish to avoid any needless expense -- and, secondly, the avoidance of pain, the avoidance, however, just of your pain, for pain that is other than yours, let us assume, is of no concern whatever to youl The doctor proposes two operationg procedures -- one a very expensive procedure in which you will be subjected to total anaesthesia and no pain will be felt at all, and the other of a rather different sort. The socond operation will be very inexpensive indeed; there will be no anaesthesia at all and therefore there will be excruciating pain. but the doctor will give you two drugs: first, a drug just before the operation which will induce complete amnesia, so that while you are on the table you will have no memory whatever of your present life; and, secondly, just after the agony is over, a drug that will make you completely forget everything that happened on the table. The question is: Given the utilities involved, namely the avoidance of needless expense and the avoidance of pain that you will feel, other pains not mattering, is it reasonable for you to opt for the less expensive operation?

Fragt Roderick Chisholm in einem Aufsatz Identity through time (S. 163-182, hier S. 178, in: Language, belief, and metaphysics, ed. by Howard E. Kiefer and Milton K. Munitz, Albany : State University of New York Press, 1970). Chisholm präsentiert das Gedankenexperiment, dass er Peirce zuschreibt (Collected Papers V (1935), 355), als Frage nach der Identität durch die Zeit: man könnte ja so tun, als sei die Zeit zwischen den beiden Amnesien die einer anderen Person. Könnte man: würde man aber nicht, wie Strawson in seinem Kommentar dazu anmerkt.
Chisholm präsentiert noch eine zweite Geschichte (S. 179):
Suppose you know that your body, like that of an amoeba, would one day undergo fission and that you would go off, so to speak, in two different directions. Suppose you also know, somehow, that the one who went off to the right would experience a life of great happiness and value. If I am right in saying that one's question "Will that person be I?" or "Will I be he?" always has a definite answer, then, I think, we may draw these conclusions: There is no possibility whatever that you would be both the person on the right and the person on the left. Moreover, there is a possibility that you would be one or the other of those two persons. And finally, you could be one of those persons and yet have no memory at all of your present existence. it follows that it would be reasonable of you, if you are concerned with your future pleasures and pains, to hope that you will be the one on the right and not the one on the left -- also that it would be reasonable of you, given such self-concern, to have this hope even if you know that the one on the right would have no memory of your present existence. Indeed it would be reasonable of you to have it even if you know that the one on the left thought he remembered the facts of your present existence.

Was zeigt das? Strawson: "to conclude from this that there is such a thing as strict criterionless personal identity through time wold simply be an enormous non sequitur."

Wie studiert man Philosophie um 1900? (1)

Indem man große Worte macht. Das könnte man jedenfalls glauben bei der Lektüre der "Anleitung zum Studium und zum Selbststudium der Philosophie" (Untertitel) von "Dr. Max Apel", die Stuttgart 1911 erschien. Apel leitet ein:
Was die Sonne für die irdische Welt das bedeutet die Philosophie für den Geist des Menschen. Die Philosophie strahlt ihr helles Licht aus in die weiten Gefilde menschlichen Denkens, Fühlens, Wollens, sie belebt undbeseelt Menschentum und Menschenschicksal und umsäumt auch noch die dunklen drohenden Rätsel des Daseins mit hoffnungsfreudigem Schimmer. Und wenn auch bisweilen ihr Glanz eine Zeitlang von Gleichgültigkeit und Stumpfheit umwölkt wurde, immer wieder brach er doch sieghaft durch alle Widerstände. (S. 1)

Das Nette an diesem Büchlein ist, dass es auch ganz praktisch über das Philosophiestudieren handelt. Allerdings verbirgt sich die praktische Anleitung hinter weiteren Sprachschleiern. Bevor Apel daran geht, Ratschläge zum Studieren an der Uni zu geben, verliert er erst einmal ein paar Sätze über das Gefühl der Freiheit:
Freilich wird der Gedanken an die praktische Seite des Studiums dem rechten Studenten noch fern liegen. Zuerst beherrscht ihn ein großes Gefühl der Freiheit. Wie der Schmetterling aus dunkler enger Puppe in die bunte Welt hinein flattert, so der junge Student der seligen ersten Semester in die freie Luft der Universität. (S. 4)

Apel findet, man bräuchte keine Sprachkenntnisse: "man kann in alle Tiefen der Forschung eindringen, ohne das Griechische, Lateinische oder fremde neuere Sprachen erlenrt zu haben". Das kann ja nur bedeuten, dass es keine nennenswerte Forschung außerhalb der deutschen Sprache gibt -- und dass man die Philosophiegeschichte gut in Übersetzung studieren kann. Woher der Wind weht, zeigt die Feststellung, man benötige aber unbedingt Kenntnisse "auf dem mathematisch -naturwissenschaftlichen Gebiete". Apel empfiehlt für den Studienbeginn -- sofern man die Wahl hat -- eine kleinere Universität, weil dort das Zahlenverhältnis Dozent zu Student besser sei und man sich leichter Übersicht über das Lehrangebot verschaffen könne. Als Entscheidungshilfe gibt er auch gleich eine Übersicht nach den Angaben des Deutschen Universitätskalenders, der man z.B. entnehmen kann, dass im Sommersemester 1910 in Berlin 7902 Studenten immatrikuliert waren, vor München mit 6890. Es gab insgesamt 21 Unis, an denen 3474 Dozenten 54.393 Studierende unterrichteten. Studiengebühren gab es: als "Honorarbeiträge", für die man im Durchschnitt für eine Wochenstunde 4 bis 5 Mark ansetzen musste, "sodass also eine vierstündige Vorlesung sich im Semester auf 16 bis 20 Mark stellt" (S. 9). (Stundung für solche Gebühren für unbemittelte Studierende gab es offenbar.) Die Kosten für den Lebensunterhalt gibt Apel nach W. Lexis (Die deutschen Universitäten, 1903) mit 1200 bis 1500 Mark an, "wobei aber zu beachten ist, dass 5 Monate vom Jahre Ferien sind, die größenteils in der Heimat verlebt werden können" (S. 10). Stipendien gibt es, und Preisaufgaben, durch deren Lösung man vielleicht zu Geld kommt.
Der Anfänger sollte übrigens keine Zeitschriften lesen: "da die Spezialabhandlungen zumeist schon viel voraussetzen" (S. 12). Unter die 14 "wichtigsten deutschen philosophischen Zeitschriften" rechnet Apel neben bekannten Titeln wie Kantstudien oder dem Philosophischen Jahrbuch der Görres-Gesellschaft auch die Psychologische Arbeiten, die Zeitschrift für pädagogische Psychologie, Pathologie und Hygiene, das Archiv für die gesamte Psychologie.
Das Büchlein ist eine prima Quelle: seitenlang wird thematisch und nach Orten gegliedert aufgezählt, was im WS 1908/09 wo gelehrt worden ist! Apel hat seine Tabelle auch ausgezählt und stellt fest, dass Kant mit weitem Abstand der Philosoph ist, dem die meisten Veranstaltungen gelten: 54 mal wird über ihn gehandelt; der zweite ist Hume mit 15 Veranstaltungen; Hegel bekommt gerade mal 2.

Wird fortgesetzt...

21 Januar 2007

Motivation moralischen Handelns

Es ist ein altes Problem: eine kognitivistische Theorie der Moral (das ist eine, die sagt, dass moralische Urteile wahr oder falsch sind) hat ein Problem damit, die Motivation moralischen Handelns zu erklären. Das Problem rühre von Hume her, schreibt Sebastian Harrer in seiner auch online zugänglichen neuen Diss Emotionale Einstellungen : ein moralpsychologischer Lösungsansatz zu Michael Smith's "Moral Problem". Hume meinte, dass eine Handlung einen Glaubenszustand darüber, wie die Welt gerade ist, und einen motivationalen Zustand des Dafürseins voraussetze. Kognitivistische Theorien decken den ersten Teil ab, emotivistische Theorien den zweiten Teil. Harrer unternimmt es, dies mit Bezug auf die Position des australischen Philosophen Michael Smith zu klären. (Nicht ganz frei vom Slang der analytischen Philosophie, das Werk.)

20 Januar 2007

Gerechte Notenvergabe nach PISA

"Wenn uns die Ergebnisse nicht gefallen, kürzen wir das Geld für die Studie." So könnte man wohl die Stellungnahme des Lehrerverbandes zu PISA vom 19.1. zusammenfassen, die der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes Kraus abgab. Würden wir das auch verlangen, wenn wir besser abschnitten?
Eigentlich wollte ich aber auf eine andere Formulierung der Pressemeldung bezugnehmen: Kraus' Behauptung, dass mit "zentralen, landeseinheitlichen Abschlussprüfungen" alles "gerechter und transparenter" würde. Was für eine Gerechtigkeit kann so etwas herstellen? Offenbar ist hier an eine gleich verteilende bei der Notenvergabe gedacht. Kann die allein durch eine einheitliche Prüfung erreicht werden?
Das bedürfte schon großer weiterer Anstrengungen. Aus meiner Schulzeit ist mir deutlich in Erinnerung, welch riesiger Unterschied sich aus den jeweiligen Lehrern ergab. Ein guter Lehrer machte auch das Verständnis eines Faches leichter und interessanter, ein schlechter wirkte wie eine Schlaftablette.
Ist es gerecht, wenn Leute, die bei Schlaftabletten Unterricht hatten, mit demselben Anspruch gefordert werden wie solche, die guten Unterricht genossen? Der Lehrerverband könnte da etwas mehr auf die eigene Nase schielen: guter Unterricht ist auch seine Sache.

16 Januar 2007

Wieviel Bücher besaß Benjamin Franklin?

3740 -- soviele nennt das Bestandsverzeichnis The library of Benjamin Franklin, das von Edwin Wolf 2nd (sic) und Kevin J. Hayes 2006 in Philadelphia herausgegeben wurde. Wer sich fragt, was denn an Das Vermächtnis der Tempelritter und den Freimaurer-Verschwörungstheorien dran ist, kann hier zumindest prüfen, welche Quellschriften Franklin besessen hat.

Franklins Bibliothek war nicht im Original erhalten; Edwin Wolf der Zweite hat sie rekonstruiert nach dem einzigartigen Signaturensystem, das Franklin erdachte. 100 $ für das Ergebnis ist gar nicht viel, wenn man bedenkt, dass da 30 Jahre Arbeit drin stecken.

15 Januar 2007

Auf der Suche nach einem spanischen Philosophen des 18. Jahrhunderts

Wer mehr Sprachen kann, lebt besser: auf die Gefahr hin, den Kennern nichts Neues zu sagen, möchte ich das Scholasticon als großartige philosophische Netzressource angeben. Gerade war ich auf der Suche nach Informationen über den spanischen Philosophen Juan de Nájera, den Brockhaus, Meyer und Wikipedia nicht kennen, von dem ich nichts weiß, außer dass er so heißt, wie er heißt. Das Scholasticon, eine französische Webseite, die an der freien Universität Brüssel erstellt wurde, kennt immerhin eines der Werke von Nájera und dessen Erscheinungsdatum: 1720 und Ort, so dass ich ihn zeitlich etwas eingrenzen kann. Die spanische Nationalbibliothek kennt den Namen auch und weitere Veröffentlichungen:
Desengaños filosoficos (Sevilla 1737). Maignanus redivivus (1720).

Wo erfährt man mehr? In einer Geschichte der spanischen Philosophie, sicher, wenn man eine zur Hand hat. Vielleicht im World Biographical Information System (Saur / Thomson Gale), das dank der DFG in jeder deutschen wissenschaftlichen Bibliothek zur Verfügung steht. Dort findet man einen Juan Jacint0 de Nájera, von dem der Eintrag weiß, dass es ein Sevillanischer Schriftsteller gewesen sei, mit einem Werktitel von 1728 (der Eintrag stammt aus einem Lexikon spanischer Schriftsteller von 1923). Schließlich führt Google auf die Online-Diss (pdf) eines Julián López Chruchet von 2001, die sich Nájera widmet und in deren Literaturverzeichnis man weitere Angaben zur Primärliteratur findet: und keine Reprints. Lebensdaten haben wir damit nicht, aber auf dem Wege noch erfahren, dass er wohl Franziskaner war.

Nicht viel: aber besser als nix.

14 Januar 2007

Wo bleiben die Philosophiestudierenden ab, wenn sie fertig sind?

... und in Berlin an der HU studiert haben, möchte man hinzufügen. In der aktuellen Ausgabe der Information Philosophie (Dez. 06) wird eine "Verbleibestudie" (pdf) von Katrin Bialek und Holger Sederström zusammengefasst. Sie haben 77 Absolventen befragt, die zwischen 1995 und 2005 ihr Studium am Institut für Philosophie der HU "erfolgreich" beendet haben. "Erfolgreich" heißt hier konkret: kein Lehramtsstudium, sondern 1. Hauptfach. (Dies soll vermutlich keine Aussage über den Erfolg sein, sondern hat wohl mit den Berufsaussichten etc. zu tun -- andererseits hat mir seinerzeit die Studienberatung nahegelegt, ein Lehramtsstudium zu absolvieren, um mit einem staatlichen statt einem universitären Abschluss ausgerüstet ins Leben zu gehen.)
Von den 154 Absolventen konnten 77 ermittelt werden: 50%. Alle Aussagen der Studie gelten also nur der Hälfte der Absolventen.
Die Studienverfasser interessiert vor allem die Zukunftstauglichkeit der Absolventen bzw. deren Bewertung des Studiums. Deswegen melden sie auch als Erfolg, dass von den Befragten 88,3 % wieder Philosophie studieren würden, und von denen die meisten auch wieder an der HU. Das ist doch schön für die Berliner.

Interessant der Blick auf die "erworbenen Kompetenzen" und die "Defizite des Studiums". Man könnte sagen, dass beide Fragen auf dasselbe zielen: welche Kompetenzen hat das Studium erbracht, und welche hätte man außerdem gebraucht? Gebracht hat es, neben einer gewissen Vertrautheit mit den Techniken wissenschaftlichen Arbeitens, den logischen und analytischen Blick, sagen die Absolventen (immerhin 10% hätten sich das ausführlicher und systematischer gewünscht). Vermisst haben sie (1/4 der Befragten) -- beinahe folgerichtig -- eine systematische inhaltliche Hinführung zur Philosophie. Das scheint überall so zu sein: und wird womöglich besser durch die Einführung von BA und MA.

Die Studie hat nur die befragt, deren Adressen sich ermitteln ließen. Gibt es eigentlich einen Zusammenhang zwischen der Ermittelbarkeit der Adresse bzw. der Möglichkeit der Kontaktaufnahme und dem beruflichen Erfolg? Ich denke: Ja.

13 Januar 2007

Theorie des Mülls?

Roger Fayet, der das Museum Bellerive in Zürich leitet (geleitet hat?), ist ein Müllionär (Mülliralala): er hat eine Theorie der Reinheit geschaffen, die natürlich auch auf deren Gegenteil angeht. So trägt sein Buch Reinigungen, 2003 bei Passagen in Wien erschienen, den schönen Untertitel Vom Abfall der Moderne zum Kompost der Nachmoderne. Der Klappentext kündigt übrigens an, dass man vom ersten Teil des Buches ein "bestechendes Erklärungsmodell für Abfallphänomene" erwarten darf. aber eigentlich geht es ihm darum, die Gesellschaft zu beschreiben, und daran richten sich auch seine Erklärungsmodelle (bzw. die Kritik an solchen) aus. "Kompost" und "Reinheit" sind für Fayet die beiden unterschiedlichen Ziele, zwischen denen eine Gesellschaft wählen kann, die mit Abfall umgeht: das eine ist Wiederverwertung, das andere ist Vernichtung.
Lustigerweise ordnet Fayet diesen beiden Zielen die Begriffe Moderne und Postmoderne zu: die Postmoderne ziele auf die "Rückführung der Abfälle in den Bereich der wertvollen Dinge". Daraus folgt -- da werden mir alle zustimmen, die sich noch an die Spruchbänder an Brücken über den Transitautobahnen erinnern, auf denen z.B. stand "Schrott ist ein wertvoller Rohstoff" --, dass die DDR eine postmoderne Gesellschaft sein wollte (oder war?).
Anders ausgedrückt: Fayet verkennt für mich die Rolle, die die Motivation bei der Kompostierung spielt: bin ich bloß ein ökologisch korrekter Resteverwerter, oder versuche ich, mit Mangel zurechtzukommen. Fayets Charakterisierung der Postmoderne klingt für mich ein bisschen nach: "das kann man doch noch gebrauchen" und ist damit, vielleicht, keins von beiden. Postmoderne ist aber auch eklektisch, mit dem Mut zum Wegschmeißen, und damit wohl eine Haltung zwischen den Polen.

10 Januar 2007

Habe ich schon hingewiesen auf

mein kleines Gedankenexperiment-Lexikon? Es ist noch nicht besonders weit gediehen, aber ich hab's trotzdem schon mal online gestellt: auch um die Exportfunktion von lexiCan zu testen, womit ich es erzeugt habe. Sieht ganz ordentlich aus, finde ich: fehlt nur die Möglichkeit, die eigenen Navigationselemente anzubringen.

09 Januar 2007

It's no argument, it's just contradiction

Gerade habe ich ein gruseliges Büchlein vor mir liegen. Es heißt Philosophy is no mystery, was ja ganz harmlos klingt. Aber der Untertitel verrät die Richtung: "peasants put their study to work". Erschienen in der Foreign languages press in Peking, 1972. Das Heft fängt mit einer Editor's Note an:
In recent years there occurred in China an upsurge in the mass movement to study Chairman Mao's brillian philosophic thinking. The broad masses of workers, peasants and soldiers at the forefront of the upsurge study philosophy in the three great revolutionary movements of class struggle, the struggle for production and scientific experiment. With philosophy as their sharp weapon, they untangle the knotty problems facing them, especially the problems arising in the course of the struggle between the two lines -- the proletarian revolutionary line and the counter-revolutionary revisionist line.

Und so weiter. Tatsächlich erzählt das Buch einige Fälle, und die sind traurig genug. Sie stammen von der "Chinchien Production Brigade of Kiangshan County, Chekiang Province". Die sind Bauern, die wenig fruchtbare Erde bearbeiten. Wenn es regnet, kann die Erde das Wasser nicht halten. In jeder Brigade gibt es neben den Äckern auch "Ponds", Teiche, die zum Fischezüchten angelegt wurden. In einigen werden diese gemeinsam bewirtschaftet, in anderen dürfen einzelne diese mieten und nutzen. 1964, berichtet das Heft, ist ein dürres Jahr. Man schlägt vor, Wasser aus den Teichen zu nutzen, aber dagegen wenden sich die Mieter: schließlich haben sie ja für den Teich bezahlt. Hier gibt es eine "contradiction", und um die zu lösen, studieren die Bauern Maos "On contradiction". Netterweise berichtet das Heft auch von den Verständnisschwierigkeiten und den komplizierten Wörtern des Werks. Natürlich hilft es nicht, wenn man Studenten aus der Stadt um Hilfe bittet (wie in der DDR: die Werktätigen müssen die Schwierigkeiten alleine anpacken), die es nicht verstehen, das Gelesene so zu erkären, dass es für die Praxis anwendbar wird. Wie wird es anwendbar? Na, indem der "Widerspruch" zwischen den konterrevolutionären Eigeninteressen der Mieter und den kollektiven Interessen der Brigade zugunsten letzterer aufgelöst wird. Natürlich in gut sozialistischer Manier durch die Selbsterkenntnis der Egoisten.

Eine traurige Geschichte in mehrerlei Hinsicht: Die Verschwendung von Arbeitszeit, indem man den Bauern unverständliche Werke vorsetzt, die Unausweichlichkeit der Lösung, die Demütigung und der Zwang zur Selbstkritik, und, weniger wichtig: dass dies alles Philosophie genannt wird.

06 Januar 2007

Noesis is back

Es gab mal eine Philosophie-Suchmaschine namens Noesis, die an der Universität Evansville von Antony Beavers betreut wurde. 2003 stellte die ihren Betrieb ein: zu aufwendig war der Betrieb geworden. Nun sind sie zurück, mit einem Konzept, das von mir sein könnte: mit Googles Custom search engine. Und im Unterschied zum Philoskop mit eigener Webadresse und Ausgabe der Suchergebnisse auf den eigenen Seiten.
Aber es gibt auch ein paar inhaltliche Unterschiede, und die beruhen natürlich im wesentlichen auf der großen systematischen Schaffenskraft, mit der man dort ans Werk gegangen ist. Und dem Fokus: auf die amerikanische Unilandschaft. Tolles Ding!