blogoscoop

28 Februar 2007

Der Sinn des Lebens?

Yuval Lurie hat es gewagt, ein Buch darüber zu schreiben. Es beginnt mit der Beobachtung, dass a) diese Frage einen persönlichen wie einen überpersönlichen Sinn hat und b) der traditionellen Antworten im 20. Jahrhundert zwei sind: die eine ist phänomenologisch und beginnt mit der Umformulierung der Frage, etwa zum "Sinn der Existenz" oder des "Daseins". Die Phänomenologen
then formulate their intricate answers to the question by means of s specialized, weighty, and complicated philosophical jargon, one stage after another, as though engaged in careful and meticulous archaeological excavation that is meant to uncover, layer by layer, an ancient structure that has been covered by rocks and debris over the years.

Die andern reagieren, natürlich, mit dem Versuch, zu zeigen, dass die Frage nicht sinnvoll gestellt ist und warum das so ist.
Lurie will keins von beiden, und da hilft ihm auch seine Motivation: ihm geht es auch um den persönlichen Sinn der Frage. Danken wir der University of Missouri Press (Columbia), dass sie Tracking the meaning fo life : a philosophical journey 2006 veröffentlicht hat, so dass man nicht auf die hebräische Ausgabe von 2002 angewiesen ist, wenn man Lurie auf seiner Reise folgen will!

22 Februar 2007

Nur wer sich ändert?

Großen Respekt habe ich vor Leuten, die einen grundlegenden Wandel ihrer Weltanschauung öffentlich machen, z.B. Susan Blackmores Wandel von der Spiritistin zur Skeptikerin. Darum finde ich auch Anthony Flews Aufgabe seiner strikt atheistischen Position bemerkenswert, die seit einigen Jahren zu beobachten ist, insbesondere wenn man bedenkt, dass er zu den bekanntesten Atheisten überhaupt zählte. Bemerkenswerter aber noch die im Secular Web von Richard Carrier dokumentierte Tatsache, dass Flew zugleich mit dem Atheismus auch den argumentativen Rigorismus aufgegeben zu haben scheint. Oder mit Rilke: "Die sich Verlierenden lässt alles los."

21 Februar 2007

Ethik des Gedankenlesens

Darf man Leute verurteilen für Verbrechen, die sie noch nicht begangen haben? In Philip K. Dicks Story Minority Report ist das keine Frage: die Polizeieinheit Precrime bedient sich der Hilfe von drei "Praecogs", die Verbrechen voraussagen, um rechtzeitig an Ort und Stelle das Verbrechen zu verhindern und die Beinahe-Täter zu verhaften. Steven Spielberg hat daraus einen Thriller gemacht, der die Voraussage-Paradoxie-Thematik der Erzählung entschärft (aber das ist eh eine andere Geschichte). Gleich ist jedenfalls in Erzählung und Film die Ausgangspointe, dass der Chef der Einheit eine Voraussage erhält, er selbst werde jemanden ermorden. Im Film führt dies zum Versuch des Polizisten, seine Handlungsfreiheit zu beweisen: was dann aber bedeuten würde, dass das System fehlerhaft und also ungerecht ist. Und wenn die Kenntnis der Voraussage, man werde ein Verbrechen begehen, dazu führen kann, dass man das Verbrechen nicht begeht, ist es dann nicht unmoralisch, den Betroffenen die Prophezeiung vorzuenthalten?

Wired online berichtete schon vor einer Woche, dass nun Wissenschaftler einen Durchbruch meldeten beim Versuch, die Messung von Gehirnaktivität zum 'Gedankenlesen' zu benutzen. Ich finde den Artikel interessant: Jennifer Grannick von der Stanford Law School bedenkt darin -- neben dem noch enormen Abstand dieses "Durchbruchs" zum praktischen Einsatz zu welchem Zweck auch immer -- die möglichen Folgen für die Gesellschaft, sollte die auf die Idee kommen, Gedankenlesen zur Prävention einsetzen zu wollen. Sie hält es für möglich, dass sich die technischen Möglichkeiten schneller entwickeln als die passende moralische Reflexion. Man könnte natürlich mit einem Verbot des 'Gedankenlesens' reagieren: das wäre bestimmt die Option der deutschen Politik.

13 Februar 2007

Philosophie auf youTube?

Gibt noch mehr als Descartes...
http://seziertisch.com/2007/02/01/barbie-auf-erkenntnistour-philosophie-auf-youtube/

Philosophie Podcast aus Österreich

Wer Podcasts mag, der kennt wahrscheinlisch schon das schöne http://phaidon.philo.at/podcasts/ der Uni Wien. Der Blick lohnt sich jedenfalls; Vorlesungen von H. Hrachovec und M. Füllsack z.B., oder am 24.1.07 über Wittgensteins Witz.

12 Februar 2007

Philosophie in Deutschland 1933-1945

Marion Heinz und Goran Gretic haben bei Königshausen und Neumann die Frucht zweier Tagungen an der Uni Siegen herausgegeben, die sich dem Thema Philosophie und Nationalsozialismus widmeten: als Sammelband Philosophie und Zeitgeist im Nationalsozialismus, Würzburg 2006 (hier Inhaltsverzeichnis). Ich finde besonders den ersten der drei Teile, "zeitgeschichtliche Resonanzen" interessant; dort geht z.B. Olivier Agard auf die "Resonanz" der deutschen Philosophie der Zeit in Frankreich ein, und Ilse Korotin beleuchtet, wie der Sicherheitsdienst des Reichsführer SS deutsche und österreichische Philosophen beobachtete. Ein bisschen zu fehlen scheint mir die Perspektive des Übergangs von der Weimarer in die NS-Zeit und die Institutionengeschichte, etwa im Wandel von Zeitschriften, z.B. des Logos, die bis 1933 Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur im Untertitel hieß und für die es auch Pläne für internationale Parallelausgaben gab. Darin schrieb, wer Rang und Namen hatte. Flugs wurde sie 1933 umbenannt zur Zeitschrift für Deutsche Kulturphilosophie. Was sich in der Namensänderung zeigt, ließe sich ja sicherlich auch ausführlicher in den Beiträgen festmachen.

06 Februar 2007

Wie studiert man Philosophie um 1900? (2)

Neulich habe ich einen Blick auf Apels "Anleitung zum Studium der Philosophie" von 1911 geworfen: finde sie interessant, weil Apel nicht bloß von Inhalten schreibt, sondern auch von den formalen Bedingungen eines solchen Studiums: Studiengebühren, Lehrangebot, praktische Tipps. Apel geht nach einigen Seiten zur Philosophiegeschichte und den wichtigsten zeitgenössischen Veröffentlichungen (auch diese Listen könnten interessant sein) auf das Thema Promotion ein. Als erstes stellt er den Lesern die Frage, ob es wohl überhaupt ratsam sei, einen Dr. phil zu erwerben.
Gewiß ist an und für sich, wie die Dinge liegen, der manchmal nicht eben allzu ruhmvoll errungene Titel eines Dr. pohil. keine Bürgschaft besonderer Gelehrsamkeit und Tühtigkeit. (S. 127)

Apel rät davon ab, sofern man nicht besondere Liebe zur wissenschaftlichen Arbeit verspüre, wenn man nicht in den Bibliotheks- oder Archivdienst wolle: das Staatsexamen sei doch hinreichend. Er sieht "erhebliche Unkosten die mit der Drucklegung der Arbeit sich wohl so um 500 Mark herum und mehr bewegen" (S. 128). Wieviel waren 500 Mark 1911 wert?
Apel begrüßt, dass es keine Promotion "in absentia" mehr gibt. Er zitiert die Promotionsordnung der Uni Berlin: "Von der Dissertation ist zu verlangen, daß sie wissenschaftlich beachtenswert ist und die Fähigkeit des Kandidaten dartut, selbständig wissenschaftlich zu arbeiten." Man muss dort vor der Promotion 3 Jahre studiert haben: dafür kriegt man heutzutage einen Bachelor. -- Die Namen für die Noten, die dort zitiert werden, sind mir neu, es gibt "1. genügend (idoneum), 2. gut (laudabile), 3. sehr gut (valde laudabile) oder 4. ausgezeichnet (eximium)". (Für das Gesamtergebnis werden die mir vertrauten Noten verwendet.) Apel notiert, dass dann zwischen 124 (Tübingen) und 300 (Kiel) Druckexemplare eingereicht werden müssten; und in Berlin muss man insgesamt 355 Mark Gebühren zahlen!
Apel erwartet, dass man an einer solchen Arbeit 1-2 Jahre schreibt, die einen Umfang von mindestens "2 Druckbögen" haben muss; gehen wir davon aus, dass dies dem heutigen Papierformat entspricht, dann also mindestens 32 Seiten.
Früher konnte man offenbar auch an manchen Unis "ohne jedes Reifezeugnis" eine Promotion ablegen; die Betroffenen sind "Immaturi", und sie müssen nur "eine als hervorragende Leistung anzusehende Dissertation einreichen (S. 136), die Uni Greifswald verlangte außerdem, dass Immaturi mindestens 3 Semester in Greifswald studiert haben. Wie haben sie das gemacht, wenn sie für die Zulassung zum Studium ein Reifezeugnis brauchten?
Apel weist noch auf ein paar weitere Schriftchen hin, die er als Ratgeber sah, die heutzutage von historischem Interesse sein könnten. So kann man 50 vorgeschlagene Examensfragen der Zeit in einem Schriftchen eines Von Brockdorf namens "Das Studium der Philosophie mit Berücksichtigung der seminarischen Vorbildung" sehen, darunter "Warum lässt Schopenhauer den Monarchen sagen: Wir, von zwei Übeln das kleinere?" "Wie dachte der Philosoph von Sanssouci über die Behandlung des Geschichtsunterrichts?" "Man gebe eine kurz Übersicht über das Wichtigste der modernen Schulhygiene". Apel gibt die Fragen wieder und hält sie für "etwas zu grotesk", da "für den Doktoranden so gut wie fürdie Professoren unbeantwortbar". (S. 139-140). Das Buch Die Philosophie in der Staatsprüfung von einem gewissen Vaihinger (der mit dem als-ob?) enthält 340 Themen für eine schriftliche Prüfung, die Apel auch fürs Mündliche geeignet sieht.
Apel über Studiendauer: Das Staatsexamen konnte man in Preußen nach mindestens 6 Semestern, in den süddeutschen Staaten nach mindestens 8 Semestern ablegen, doch auch diese "werden in den meisten Fällen nicht zulangen". So weit weg von der heutigen Regelstudienzeit ist es also nicht. Das Staatsexamen sei die unangenehmste aller Prüfungen, und man möge dem Studierenden unbedingt den Prüfer seiner Wahl gönnen, da doch in diesem Fache "die persönlichen Meinungen und Richtungen ... eine gar zu große, oft entscheidende Rolle" spielen. (S. 143) Ungünstig wirke sich auch die "Uferlosigkeit der Anforderungen, wie sie die gesetzliche Prüfungsvorschriften zeigen", aus.
Den Überblick rundet Apel mit einem Kommentar zu den Prüfungsordnungen der Länder für Staatsexamen -- Philosophie musste offenbar häufig als Nebenfach belegt werden, vor allem von zukünftigen Lehrer -- und die "philosophische Propädeutik". Sein Buch wird auch für die Dozierenden eine interessante Lektüre gewesen sein, weil es ihm nicht nur darum geht, das Studium den angehenden Studierenden durchsichtig zu machen, sondern auch Vorschläge, wie die Uni selbst das Studium besser gestalten kann, wo Standardisierung zu empfehlen ist und wo nicht etc.

Das Buch erlebte eine zweite Auflage, die im gleichen Verlag 1919 erschien. Interessanterweise ist diese in Fraktur gedruckt, die erste in Antiqua. Ansonsten scheinen mir auf den ersten Blick keine großen Anpassungen vorgenommen worden zu sein: als habe der Krieg keine Spuren hinterlassen.

Freges Kleine Schriften im VDM-Verlag

Der Verlag Dr. Müller oder kurz VDM wirft seit einiger Zeit philosophische Werke auf den Buchmarkt, die man sich vielleicht schon mal in Neuausgaben gewünscht hat. Jüngst aufgefallen sind mir Freges Kleine Schriften und Erkenntnis und Irrtum von Ernst Mach. Was man den hier verlinkten Amazon-Buchdaten aber nicht entnehmen kann, ist, dass es sich in der Frege-Ausgabe um eine schlechte Kopie der OLMS-Ausgabe von 1967 (oder der zweiten Auflage von 1990?) handelt! Schlecht ist die Kopie, weil die Kopierstreifen noch deutlich zu sehen sind, und weil VDM, aus urheberrechtlichen Gründen, die VII Seiten Vorwort des Herausgebers der OLMS-Ausgabe weggelassen hat. Die OLMS-Ausgabe ist noch im Handel und kostet 74,- €: das ist fadengeheftet und in Leinen gebunden. Die VDM-Ausgabe ist Paperback und geleimt.

Ich weiß nicht, wie es sich bei dem Mach-Buch verhält. Das kostet bei VDM 68,- €. Es gibt aber eine gute Neuausgabe mit Seitenkonkordanz im Parerga-Verlag: für 22,80 €. Kommt Ihnen das VDM-Angebot nicht auch etwas überteuert vor?

[Nachtrag 5.3.07]
[Nachtrag 26.3.07] Im obigen Nachtrag stand was, das der VDM-Verlag als "geschäftsschädigend" betrachtet hat. Zwar hat es der Verlag nicht fertig gebracht, mir dies selbst mitzuteilen (das wäre ja über die Kommentarfunktion ganz leicht gewesen), aber ich entferne es freiwillig, denn dies ist ja nur ein kleines Philosophie-Blog, das keine wirtschaftlichen Absichten hat: schon gar nicht die, jemandes Geschäfte zu schädigen. Hier liegt mir eine Reflexion nahe, was denn "Schaden" überhaupt ist; aber die Philosophie schweigt besser, denn wie jeder weiß, sprechen, Juristen eine andere Sprache, die über die philosophische Reflexion gar nicht erreicht wird.

Was ist Aufklärung nicht?

Jaja, im Jahr der Geisteswissenschaften liegt die Antwort nur ein Buch weit entfernt, bei Kant. Wer die Frage allerdings im Internet stellt, könnte auf die Idee kommen, unter der Adresse www.whatisenlightenment.de fündig zu werden, die Webpräsenz eines gleichnamigen Magazins (man wird durchgeleitet auf die Abkürzung www.wie.de). Hier wird Enlightenment aber mit "Erleuchtung" übersetzt, und alle Ingredienzien fragwürdiger Publikumsanmache sind gegeben, von der buntesten Aufmachung über Gratisangebote bis zur Nennung von Autoren mit Titel oder schmückenden Beiwörtern. Der Gründer des Magazins ist demnach ein "spiritueller Lehrer" und "anerkannter Autor". Woran bemisst sich die Anerkennung? Am Beifall der Anhänger natürlich. Die Webseite informiert: Andrew Cohen
gilt weithin als richtungsweisende Stimme auf dem Gebiet der evolutionären Spiritualität

Naja, man wäre ja schön blöd, wenn man in die Richtung, die man selbst erfunden hat, nicht auch weisen würde... Cohen also gründete 1992

das Magazin What is Enlightenment? und bahnt den Weg für einen innovativen spirituellen Journalismus, der an die klassischen Dialoge eines Sokrates erinnert. Seither bringt Cohen führende Denker der Gegenwart auf den Seiten von WIE zusammen und ruft sie zu einer höheren, wirklich zeitgemäßen Synthese der geistigen Wahrheiten des Ostens und der empirischen Erkenntnisse des Westens auf. Durch das Magazin wie auch durch seine Schriften erschafft Cohen einen neuen Kontext, in dem Erleuchtung als evolutionäre Aufgabe des Menschen gesehen wird.

Das Adjektiv "führend" verdient sich jeder, der Jünger hat, die er führt. Da kann auch der notorische Ken Wilber nicht weit sein, und tatsächlich: es wird sogar ein gemeinsames Buch angepriesen.

Wenn ich darüber nachdenke, warum mir das Magazin und die Webseite als Etikettenschwindel vorkommen, dann fällt mir auf, das Aufklärung in Kants Sinne eine Hilfe zur Selbsthilfe ist, eine Anleitung. Erleuchtung ist hingegen ein Schlag auf den Kopf, der von Außen kommt und einen grundlegend verändert. Wer aufgeklärt wird, bleibt er selbst, wer erleuchtet wird, ist womöglich nicht wiederzuerkennen.


PS
Ich selbst bin übrigens ein führender Philosoph, da ich Gespräche führe.

05 Februar 2007

Vom Glauben an die Evolutionstheorie

Bei Mspro habe ich den amüsierten Hinweis auf das Axonas-Blog von Julio Lambing gesehen. Lambing hatte, wie man leicht nachverfolgen kann, im November einen Vertreter des Intelligent Design-Glaubens um einen Gastbeitrag gebeten, um damit gleichzeitig Toleranz zu demonstrieren, empört über Ulrich Kutscheras (Vizeoberster Biologe in D) Äußerung, es sei "inakzeptabel, die Evolution als Faktum infrage zu stellen", und darüber, dass, wie er meint, ID-Vertreter "öffentlich nicht geduldet würden".
Tja, vielleicht wäre der Grundgedanke richtig und lobenswert, wenn sich hier in der Tat zwei Glaubenssysteme gegenüberstünden, und wenn es stimmte, dass ID sich nicht öffentlich äußern darf. Lambing tut so, als sei das der Fall, und das erstaunt schon angesichts seiner Hinweise auf deren Plattform Wort und Wissen. Andere wurden in den Kommentaren bei ihm genannt.
Lambing meint, die Reaktion der Verbandsbiologen sei symptomatisch dafür, dass die Evolutionstheorie von ihnen ebenfalls wie eine Glaubenssache vorgetragen werde (und Abweichler mit inquisitorischem Eifer verfolgt würden). Er nimmt dies parodistisch auf in seinem Glaubensbekenntnis des Evolutionsbiologen. Dass dies sein eigenes 'Glaubensbekenntnis' ist, dass er also für Toleranz und Pluralismus plädiert und einem Vertreter der anderen Seite Platz zur öffentlichen Darstellung einräumt, obwohl er selbst auf der Seite der Wissenschaft steht, das wäre bewundernswert: wenn da nicht ein paar Fragen offen blieben.
Erstens mal scheint mir der Gedanke befragenswert, ob Pluralismus und Toleranz jedenfalls richtig sind. Unsere Gesellschaftsordnung gründet darauf, dass sie es nicht sind: Extreme z.B. müssen vermieden werden. Links- und Rechtsradikalismus sind verboten. Nun ist es geschenkt, dass ID im Augenblick weit davon entfernt ist, im politischen Sinne radikal zu sein, und wer gedanklich von ID zum Gottesstaat fortschreitet, macht noch zu große Schritte. Aber dass man Unbehagen gegenüber ID spürt, das verstehe ich sehr gut, und halte es für berechtigt. ID trägt im Kern auch politische Ziele in sich.
Zweitens ist es vielleicht richtig beobachtet, dass die Rhetorik der Evolutionsbiologen in ihrer Apodiktik ihrerseits religiöse Züge trägt, oder dass die Meinungsäußerungen derjenigen, die nicht im wissenschaftlichen Diskurs drin sind, sich gut als "ich glaube an die Evolutionsbiologie" wiedergeben lassen und damit diese Position auch nicht stärker scheint als die andere. Lambing selbst will dies für sich mit dem Hinweis, er sei kein Biologe, in Anspruch nehmen: nach dem Motto: beurteilen kann ich meine eigene Position auch nicht. Aber das ist falsch. Denn in der Debatte zwischen ID und Evolutionstheorie gibt es von letzterer zwei Typen von Argumenten: solche, die die Evolutionstheorie stützen und solche, die die argumentativen Schwächen von ID aufzeigen. Selbst wenn man für sich in Anspruch nimmt, die ersteren nicht liefern zu können, kann man sich sehr wohl über die zweiten äußern.

04 Februar 2007

Wer hat den längsten?

Philosophie.de führt ja darüber Buch, welche(r) lebende Philosoph / Philosophin in Googles Index am häufigsten zitiert wird. Die Top Twenty! Auch ich hab ja schon mal Habermas und Gadamer nebeneinandergestellt.
Auf der umfangreichen Seite ditext von Andrew Chrucky findet man aber noch mehr: die Top 100 der in der Gegenwart einflussreichsten westlichen Philosoph(inn)en! Leider sagt Chrucky nicht, wie er auf die Zahlen kommt; es handelt sich um seine eigene "statistische Analyse". Dafür ist die Statistik bunt, und die Zahlen erfüllen Erwartungen. Netterweise ist die Wirkungsmacht auf einem Zeitstrahl dargestellt, so dass sich Veränderungen gut nachvollziehen lassen. Der erste noch lebende Philosoph ist, wenn ich recht gesehen habe, Habermas: auf Platz 42.

01 Februar 2007

Wie hat sich die Ethik entwickelt?

Oder genauer: Wie wurden Menschen zu moralischen Wesen? Die eine Theorie nennt Frans de Waal (Zoologe und Verhaltenswissenschaftler) die "Veneer Theory", die "Zahnkronen-Theorie": Moralität ist eigentlich ein Unfall der Evolution, die den egoistischen Kern des Mensch-Tiers nur übertüncht. Er sieht im Darwin-Zeitgenossen Huxley den ersten Vertreter dieser These, die er mit "from amoral animal to moral human" zusammenfasst. Das Attraktive an solch einem Gedanken ist, dass das spezifisch Menschliche eben nichts mit den niederen Sphären (oder gar den Genen: Dawkins) zu tun hat.
Dagegen vertritt de Waal eine darwinistische These: Moral hat sich mit allem übrigen entwickelt, der Mensch wurde "from social to moral animal". De Waal hat beides in einer Tabelle gegenübergestellt; in der Zeile "Empirical evidence" steht für die Huxley-These schlicht "none".
Nachzulesen in Primates and philosophers : how morality evolved (Princeton : Princeton UP, 2006). es handelt sich um de Waals Tanner lectures, und im gleichen Band sind auch die Kommentare einiger Hörer, z.B. von Peter Singer und Philip Kitcher; letzteren hatte ich hier ja schon mit einer ähnlichen Position vorgestellt.

Logos und Psyche

Haben Logik und Psychologie was miteinander zu tun? Die traditionelle Einschätzung ist wohl: die Psychologie erklärt, was Menschen daran hindert, sich logisch und rational zu verhalten. Robert Hanna hat mit Rationality and Logic (Cambridge / MA : MIT Press, 2006) gerade ein Buch veröffentlicht, welches das Gegenteil vertritt. Dabei versucht er auch zu klären, was Logik ist: nicht ihrem Inhalt nach, sondern ihrer Natur nach, als Form und Ausdruck einer menschlichen Tätigkeit. Hanna meint auch, dass (menschliche) Rationalität nur eine Form haben kann, was mich ein bisschen an Freges Gedankenexperiment mit den logischen Aliens erinnert...