Posts mit dem Label Empirie werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Empirie werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
16 September 2008
Beabsichtigte Nebeneffekte
Bin über das Buch Experimental philosophy, hg. von Joshua Knobe und Shaun Nichols (Oxford : Oxford University Press) auf einen interessanten Aufsatz gestoßen. Auf die Webseite zur experimentellen Philosophie hatte ich hier schon hingewiesen.
Joshua Knobe veröffentlichte 2003 in Analysis 63, 190-193 einen Aufsatz (hier als pdf online) mit dem Titel Intentional action and side-effects in ordinary language. Darin beschäftigte er sich nicht mit der Frage, wie er den wohl Nebeneffekte von Handlungen beurteilen würde, sondern, mit den Methoden der experimentellen Psychologie, wie andere darauf reagieren. Er präsentierte seinen Probanden jeweils eines der beiden Szenarien:
A) ein Geschäftsmann entscheidet sich für eine bestimmte Handlung. Er weiß, dass diese Handlung zwei Folgen hat. 1. er wird ganz viel Geld verdienen, 2. die Handlung wird der Umwelt schaden. Doch während 1. ihm wichtig ist, ist 2. ihm egal.
B) ein Geschäftsmann entscheidet sich für eine bestimmte Handlung. Er weiß, dass diese Handlung zwei Folgen hat. 1. er wird ganz viel Geld verdienen, 2. die Handlung wird die Umweltbedingungen verbessern. Doch während 1. ihm wichtig ist, ist 2. ihm egal.
Die Probanden sollten entscheiden, ob der Nebeneffekt "2." jeweils absichtlich herbeigeführt worden war. Dabei zeigte sich für die Mehrheit der Antworten eine Asymmetrie: In Szenario A wurde überwiegend der Nebeneffekt des Schadens als absichtlich beurteilt, in Szenario B der Nebeneffekt des Nutzens überwiegend nicht. Woran liegts?
Die offensichtliche Antwort ist, dass schlechte (Neben-)Folgen stärker in Betracht gezogen werden als gute. Das scheint mir ohnehin auf der Hand zu liegen, weil wir auch ein asymmetrisches moralisches Vokabular haben. Man kann nämlich über schlechte Folgen sagen, dass man sie "in Kauf genommen" hat, während es bei guten keinen entsprechenden Ausdruck gibt. Vorausgesehene schlechte Folgen führen immer dazu, dass bei der Handlungsbegründung ein "obwohl" stehen muss: "Ich wollte dies, obwohl ..." Bei guten Folgen ist das gleichgültig, weil überhaupt kein moralisches Urteil der Handlung gefragt ist.
Joshua Knobe veröffentlichte 2003 in Analysis 63, 190-193 einen Aufsatz (hier als pdf online) mit dem Titel Intentional action and side-effects in ordinary language. Darin beschäftigte er sich nicht mit der Frage, wie er den wohl Nebeneffekte von Handlungen beurteilen würde, sondern, mit den Methoden der experimentellen Psychologie, wie andere darauf reagieren. Er präsentierte seinen Probanden jeweils eines der beiden Szenarien:
A) ein Geschäftsmann entscheidet sich für eine bestimmte Handlung. Er weiß, dass diese Handlung zwei Folgen hat. 1. er wird ganz viel Geld verdienen, 2. die Handlung wird der Umwelt schaden. Doch während 1. ihm wichtig ist, ist 2. ihm egal.
B) ein Geschäftsmann entscheidet sich für eine bestimmte Handlung. Er weiß, dass diese Handlung zwei Folgen hat. 1. er wird ganz viel Geld verdienen, 2. die Handlung wird die Umweltbedingungen verbessern. Doch während 1. ihm wichtig ist, ist 2. ihm egal.
Die Probanden sollten entscheiden, ob der Nebeneffekt "2." jeweils absichtlich herbeigeführt worden war. Dabei zeigte sich für die Mehrheit der Antworten eine Asymmetrie: In Szenario A wurde überwiegend der Nebeneffekt des Schadens als absichtlich beurteilt, in Szenario B der Nebeneffekt des Nutzens überwiegend nicht. Woran liegts?
Die offensichtliche Antwort ist, dass schlechte (Neben-)Folgen stärker in Betracht gezogen werden als gute. Das scheint mir ohnehin auf der Hand zu liegen, weil wir auch ein asymmetrisches moralisches Vokabular haben. Man kann nämlich über schlechte Folgen sagen, dass man sie "in Kauf genommen" hat, während es bei guten keinen entsprechenden Ausdruck gibt. Vorausgesehene schlechte Folgen führen immer dazu, dass bei der Handlungsbegründung ein "obwohl" stehen muss: "Ich wollte dies, obwohl ..." Bei guten Folgen ist das gleichgültig, weil überhaupt kein moralisches Urteil der Handlung gefragt ist.
Tags:
Empirie,
Experiment,
Psychologie
01 März 2007
"Experimentelle Philosophie"
... ist ein netter Ausdruck, und hier wird erklärt, was er bedeutet:
Zitiert nach dem programmatischen Blog Experimental philosophy, von Thomas Nadelhoffer und anderen. Für mich liegt die Frage nahe: Wie verändert eine solche Anbindung ans Empirische die Methode des Gedankenexperiments? Funktioniert das nun besser oder schlechter: als Appell an die Intuition vieler, nicht des einzelnen?
Experimental philosophy is the name for a recent movement whose participants use the methods of experimental psychology to probe the way people make judgments that bear on debates in philosophy. Although the movement has a name, it includes a variety of projects driven by different interests, assumptions, and goals. Just in the past few years philosophers have carried out experimental work in areas as diverse as epistemology, action theory, free will and moral responsibility, the philosophy of language, ethics, the philosophy of law, and the philosophy of science. Given that "experimental philosophy" is perhaps best viewed as a family resemblance term, the boundaries are admittedly vague.
But the following two questions nevertheless help shed light on what it means to be an experimental philosopher: First, do you run controlled and systematic studies and use the resultant data to shed light on philosophical problems? Second, do you sometimes address the tension that exists between what philosophers say about intuition and human cognition, on the one hand, and what researchers are discovering about these things, on the other hand?
Zitiert nach dem programmatischen Blog Experimental philosophy, von Thomas Nadelhoffer und anderen. Für mich liegt die Frage nahe: Wie verändert eine solche Anbindung ans Empirische die Methode des Gedankenexperiments? Funktioniert das nun besser oder schlechter: als Appell an die Intuition vieler, nicht des einzelnen?
Tags:
Empirie,
Gedankenexperiment
04 Februar 2007
Wer hat den längsten?
Philosophie.de führt ja darüber Buch, welche(r) lebende Philosoph / Philosophin in Googles Index am häufigsten zitiert wird. Die Top Twenty! Auch ich hab ja schon mal Habermas und Gadamer nebeneinandergestellt.
Auf der umfangreichen Seite ditext von Andrew Chrucky findet man aber noch mehr: die Top 100 der in der Gegenwart einflussreichsten westlichen Philosoph(inn)en! Leider sagt Chrucky nicht, wie er auf die Zahlen kommt; es handelt sich um seine eigene "statistische Analyse". Dafür ist die Statistik bunt, und die Zahlen erfüllen Erwartungen. Netterweise ist die Wirkungsmacht auf einem Zeitstrahl dargestellt, so dass sich Veränderungen gut nachvollziehen lassen. Der erste noch lebende Philosoph ist, wenn ich recht gesehen habe, Habermas: auf Platz 42.
Auf der umfangreichen Seite ditext von Andrew Chrucky findet man aber noch mehr: die Top 100 der in der Gegenwart einflussreichsten westlichen Philosoph(inn)en! Leider sagt Chrucky nicht, wie er auf die Zahlen kommt; es handelt sich um seine eigene "statistische Analyse". Dafür ist die Statistik bunt, und die Zahlen erfüllen Erwartungen. Netterweise ist die Wirkungsmacht auf einem Zeitstrahl dargestellt, so dass sich Veränderungen gut nachvollziehen lassen. Der erste noch lebende Philosoph ist, wenn ich recht gesehen habe, Habermas: auf Platz 42.
14 Januar 2007
Wo bleiben die Philosophiestudierenden ab, wenn sie fertig sind?
... und in Berlin an der HU studiert haben, möchte man hinzufügen. In der aktuellen Ausgabe der Information Philosophie (Dez. 06) wird eine "Verbleibestudie" (pdf) von Katrin Bialek und Holger Sederström zusammengefasst. Sie haben 77 Absolventen befragt, die zwischen 1995 und 2005 ihr Studium am Institut für Philosophie der HU "erfolgreich" beendet haben. "Erfolgreich" heißt hier konkret: kein Lehramtsstudium, sondern 1. Hauptfach. (Dies soll vermutlich keine Aussage über den Erfolg sein, sondern hat wohl mit den Berufsaussichten etc. zu tun -- andererseits hat mir seinerzeit die Studienberatung nahegelegt, ein Lehramtsstudium zu absolvieren, um mit einem staatlichen statt einem universitären Abschluss ausgerüstet ins Leben zu gehen.)
Von den 154 Absolventen konnten 77 ermittelt werden: 50%. Alle Aussagen der Studie gelten also nur der Hälfte der Absolventen.
Die Studienverfasser interessiert vor allem die Zukunftstauglichkeit der Absolventen bzw. deren Bewertung des Studiums. Deswegen melden sie auch als Erfolg, dass von den Befragten 88,3 % wieder Philosophie studieren würden, und von denen die meisten auch wieder an der HU. Das ist doch schön für die Berliner.
Interessant der Blick auf die "erworbenen Kompetenzen" und die "Defizite des Studiums". Man könnte sagen, dass beide Fragen auf dasselbe zielen: welche Kompetenzen hat das Studium erbracht, und welche hätte man außerdem gebraucht? Gebracht hat es, neben einer gewissen Vertrautheit mit den Techniken wissenschaftlichen Arbeitens, den logischen und analytischen Blick, sagen die Absolventen (immerhin 10% hätten sich das ausführlicher und systematischer gewünscht). Vermisst haben sie (1/4 der Befragten) -- beinahe folgerichtig -- eine systematische inhaltliche Hinführung zur Philosophie. Das scheint überall so zu sein: und wird womöglich besser durch die Einführung von BA und MA.
Die Studie hat nur die befragt, deren Adressen sich ermitteln ließen. Gibt es eigentlich einen Zusammenhang zwischen der Ermittelbarkeit der Adresse bzw. der Möglichkeit der Kontaktaufnahme und dem beruflichen Erfolg? Ich denke: Ja.
Von den 154 Absolventen konnten 77 ermittelt werden: 50%. Alle Aussagen der Studie gelten also nur der Hälfte der Absolventen.
Die Studienverfasser interessiert vor allem die Zukunftstauglichkeit der Absolventen bzw. deren Bewertung des Studiums. Deswegen melden sie auch als Erfolg, dass von den Befragten 88,3 % wieder Philosophie studieren würden, und von denen die meisten auch wieder an der HU. Das ist doch schön für die Berliner.
Interessant der Blick auf die "erworbenen Kompetenzen" und die "Defizite des Studiums". Man könnte sagen, dass beide Fragen auf dasselbe zielen: welche Kompetenzen hat das Studium erbracht, und welche hätte man außerdem gebraucht? Gebracht hat es, neben einer gewissen Vertrautheit mit den Techniken wissenschaftlichen Arbeitens, den logischen und analytischen Blick, sagen die Absolventen (immerhin 10% hätten sich das ausführlicher und systematischer gewünscht). Vermisst haben sie (1/4 der Befragten) -- beinahe folgerichtig -- eine systematische inhaltliche Hinführung zur Philosophie. Das scheint überall so zu sein: und wird womöglich besser durch die Einführung von BA und MA.
Die Studie hat nur die befragt, deren Adressen sich ermitteln ließen. Gibt es eigentlich einen Zusammenhang zwischen der Ermittelbarkeit der Adresse bzw. der Möglichkeit der Kontaktaufnahme und dem beruflichen Erfolg? Ich denke: Ja.
19 Dezember 2006
Moral ist angeboren?
Das bekannteste moralische Gedankenexperiment dürfte der "runaway trolley" sein: Eisenbahnwagen rast auf eine Weiche zu; wird die nicht umgestellt, überrollt er fünf Gleisarbeiter, stellt der Leser sie um, aber nur einen. Was tun?
Ich meine, Philippa Foot hätte das Experiment aufgebracht. In Spiegel online (und wohl auch in der Druckausgabe) berichtet Jörg Blech über empirische Forschung, die zu klären sucht, wie die meisten Menschen in diesem Fall entscheiden würden. Gefragt wurde aber auch nach einer Alternative:
Blech teilt auch das Ergebnis mit: die meisten Leute würden die Weiche umstellen, aber nur 15% würden den dicken Mann schubsen, obwohl doch unterm Strich die gleiche Bilanz stünde. 300.000 Leute aus unterschiedlichsten kulturellen und sozialen Kontexten haben ihre Antwort abgegeben; da scheint schon so etwas wie eine interkulturelle, genetische (?) Konstante hervorzuleuchten. Blechs ausführlicher Artikel verdankt sich dem Buch von Marc Hauser, Moral minds, 2006 erschienen, das auch schon der Südeutschen einen Artikel wert war.
Ich meine, Philippa Foot hätte das Experiment aufgebracht. In Spiegel online (und wohl auch in der Druckausgabe) berichtet Jörg Blech über empirische Forschung, die zu klären sucht, wie die meisten Menschen in diesem Fall entscheiden würden. Gefragt wurde aber auch nach einer Alternative:
Und was, wenn ein dicker Mann auf einer Brücke direkt über dem Bahndamm stünde? Sein schwerer Körper würde den heranrasenden Zug aufhalten, die fünf Gleisarbeiter wären gerettet. Wäre es richtig, den Mann zu schubsen?
Blech teilt auch das Ergebnis mit: die meisten Leute würden die Weiche umstellen, aber nur 15% würden den dicken Mann schubsen, obwohl doch unterm Strich die gleiche Bilanz stünde. 300.000 Leute aus unterschiedlichsten kulturellen und sozialen Kontexten haben ihre Antwort abgegeben; da scheint schon so etwas wie eine interkulturelle, genetische (?) Konstante hervorzuleuchten. Blechs ausführlicher Artikel verdankt sich dem Buch von Marc Hauser, Moral minds, 2006 erschienen, das auch schon der Südeutschen einen Artikel wert war.
14 November 2006
Gedanken beim Heben des Fingers
Richard Powers' erwähnt in seinem neuem Roman Das Echo der Erinnerung (The Echo Maker), in dem es unter anderem um den Zusammenhang zwischen Geist und Materie, Bewusstsein und Gehirn geht, die Experimente von B. Libet: eine der Hauptfiguren, der Neuropsychologe Gerald Weber, ruft sich diese in Erinnerung:
So in Powers' Worten (S. 450). Die Darstellung stimmt ungefähr, wie man der ausführlicheren (und sozusagen wissenschaftlichen) Zusammenfassung von Stefan Straßmaier in seiner online als pdf verfügbaren Diss Willensfreiheit - oder kausale Determination von Handlungen?, S. 57ff., entnehmen kann. Ich habe mich schon seit ich das erste Mal von Libets Experimenten gelesen habe gefragt, wie es als Beleg für das taugen kann, wofür es in Anspruch genommen wird: es beweist doch nur, dass das Phänomen früher da ist, als es wahrgenommen wird. Wenn man die Wahrnehmung der Entscheidung, den Finger zu heben, mit dieser Entscheidung gleichsetzt, dann begeht man, scheint mir, einen offensichtlichen Fehlschluss. Der liegt nahe, weil er schön in eins geht mit der Idee, dass eine Entscheidung etwas Bewusstes ist und damit auch zuerst im Bewusstsein stattfinden muss, bevor sie sich auf die Materie (das Heben des Fingers) auswirkt. Mit solcher Interpretation tun sich natürlich eine Menge Fragen darüber auf, wie das Bewusstsein es schafft, auf die Materie zu wirken. Wenn man hingegen annimmt, dass Bewusstsein die eine Seite von etwas ist, dessen andere Seite das Gehirn ist, dann führt es weiter, ein gemeinsames Auftreten von materieller Veränderung (Bereitschaftspotential im Gehirn) und Bewusstseinszustand (Entscheidung) anzunehmen. Und die Selbstwahrnehmung ist eben langsamer als die der Messfühler.
[Update 14.4.2008] In Nature Neuroscience (DOI 10.1038/nn.2112) zeigen soeben Wissenschaftler ihr Experiment über den Zusammenhang von Entscheidungsfindung und deren Wahrnehmung an. Demnach soll in einigen Fällen die Entscheidung bis zu 10 Sekunden im Hirn vorbereitet worden (und damit für die Forscher wahrnehmbar bzw. vorhersagbar) gewesen sein, bevor die Testperson ihre Entscheidung selbst kannte. Ganz schön eindrucksvoll: 10 Sekunden. Allerdings ging es um das Drücken zweier Knöpfe, und die Trefferquote der Vorhersage lag bei 60%. Das ist natürlich ein bisschen besser als geraten...
[Update 16.5.2008] Habe gerade das Buch Hirnforschung und Menschenbild : Beiträge zur interdisziplinären Verständigung (Fribourg : Academic Press, 2007), hg. von Adrian Holderegger u.a., vor mir. Darin auch ein Aufsatz von Martine Nida-Rümelin (S. 91-120) Zur philosophischen Interpretation der Libet-Experimente, in dem die weitverbreitete Standarddeutung, die Willensfreiheit wäre am Ende, einer kritischen Analyse unterzogen wird.
Willensfreiheit: Libet trug diese Vorstellung 1983 zu Grabe, sogar für das so genannte normale Gehirn. Er bat Testpersonen, mit einer Uhr, mit deren Hilfe sich zeitliche Differenzen von wenigen Mikrosekunden festhalten ließen, den exakten Zeitpunkt anzugeben, zu dem sie beschlossen, einen Finger zu heben. Durch Elektroden überwachten sie gleichtzeitig, ob ein Bereichtschaftspotential im Gehirn auf die bevorstehende Muskeltätigkeit hinwies. Dieses letztere Signal setzte in der Regel eine Drittelsekunde vor der Entscheidung zur Bewegung des Fingers ein. Folglich ist das wollende Wir nicht das Wir, für das wir es halten. Unser freier Wille ist eine klassische Komödienfigur: der Botenjunge, der glaubt, er sei der Chef.
So in Powers' Worten (S. 450). Die Darstellung stimmt ungefähr, wie man der ausführlicheren (und sozusagen wissenschaftlichen) Zusammenfassung von Stefan Straßmaier in seiner online als pdf verfügbaren Diss Willensfreiheit - oder kausale Determination von Handlungen?, S. 57ff., entnehmen kann. Ich habe mich schon seit ich das erste Mal von Libets Experimenten gelesen habe gefragt, wie es als Beleg für das taugen kann, wofür es in Anspruch genommen wird: es beweist doch nur, dass das Phänomen früher da ist, als es wahrgenommen wird. Wenn man die Wahrnehmung der Entscheidung, den Finger zu heben, mit dieser Entscheidung gleichsetzt, dann begeht man, scheint mir, einen offensichtlichen Fehlschluss. Der liegt nahe, weil er schön in eins geht mit der Idee, dass eine Entscheidung etwas Bewusstes ist und damit auch zuerst im Bewusstsein stattfinden muss, bevor sie sich auf die Materie (das Heben des Fingers) auswirkt. Mit solcher Interpretation tun sich natürlich eine Menge Fragen darüber auf, wie das Bewusstsein es schafft, auf die Materie zu wirken. Wenn man hingegen annimmt, dass Bewusstsein die eine Seite von etwas ist, dessen andere Seite das Gehirn ist, dann führt es weiter, ein gemeinsames Auftreten von materieller Veränderung (Bereitschaftspotential im Gehirn) und Bewusstseinszustand (Entscheidung) anzunehmen. Und die Selbstwahrnehmung ist eben langsamer als die der Messfühler.
[Update 14.4.2008] In Nature Neuroscience (DOI 10.1038/nn.2112) zeigen soeben Wissenschaftler ihr Experiment über den Zusammenhang von Entscheidungsfindung und deren Wahrnehmung an. Demnach soll in einigen Fällen die Entscheidung bis zu 10 Sekunden im Hirn vorbereitet worden (und damit für die Forscher wahrnehmbar bzw. vorhersagbar) gewesen sein, bevor die Testperson ihre Entscheidung selbst kannte. Ganz schön eindrucksvoll: 10 Sekunden. Allerdings ging es um das Drücken zweier Knöpfe, und die Trefferquote der Vorhersage lag bei 60%. Das ist natürlich ein bisschen besser als geraten...
[Update 16.5.2008] Habe gerade das Buch Hirnforschung und Menschenbild : Beiträge zur interdisziplinären Verständigung (Fribourg : Academic Press, 2007), hg. von Adrian Holderegger u.a., vor mir. Darin auch ein Aufsatz von Martine Nida-Rümelin (S. 91-120) Zur philosophischen Interpretation der Libet-Experimente, in dem die weitverbreitete Standarddeutung, die Willensfreiheit wäre am Ende, einer kritischen Analyse unterzogen wird.
Tags:
Empirie,
Willensfreiheit
06 November 2006
Mogeln Amerikaner mehr als Japaner? Deutsche mehr als Briten?
Eine Studie im Global Virtue Ethics Review 5 (2004), 4, 5-31, lief mir gerade über den Weg, in der fünf Autoren von der Roger Williams University in Bristol / Rhode Island der Frage nachgehen, wie sich das Mogelverhalten von College-Studenten in den USA und Japan unterscheidet. Eines der ERgebnisse: " ... that the moral behavior of US students is below that of their Japanese counterparts". Wie funktioniert die Studie? Die Studenten wurden befragt, ob sie schon gemogelt hatten und ob sie mogeln würden. Das erstere dient der Herstellung einer "Mogelhistorie" für den einzelnen, die Rückschlüsse darauf zulassen soll, ob, wer früher mogelt, das später eher auch tut. Wenig überraschend: dem ist so. Und übrigens in Japan häufiger als in den USA. Wie dem auch sei, die Autoren meinen, dass die "Dunkelziffer" der echten Mogler sogar noch höher sein müsse, weil es ja den bekannten Effekt des (sozial) erwünschten Verhaltens in der Öffentlichkeit gebe, der Leute daran hindern könne, über ihr tatsächliches Mogelverhalten Auskunft zu geben. Dass dieses Verhalten auch umgekehrt wirken könne: dass Leute behaupten, sie hätten gemogelt, weil sie denken, dass die Umfrager das gern hören möchten, haben Richard A. Bernadi et. alii allerdings nicht bedacht, aber vielleicht ist das auch nur ein laienhafter Einwand.
In diesem Zusammenhang ist vielleicht noch der Blick auf eine Spiegel online-Geschichte von heute interessant. Im British Journal of Criminology 46, S. 1011, berichtet Christian Stöcker, sind die Ergebnisse einer größeren vergleichenden Studie zusammengefasst, die das moralische Verhalten von Deutschen, Engländern und Walisern untersucht. Die Wissenschaftler haben auch eine Erklärung für das zunehmende unmoralische Verhalten: die Wirtschaft ist schuld. Könnte sein. Das Recht ist schuld. Könnte auch sein. Einfaches Beispiel: Die Steuererklärung zu machen ist dermaßen kompliziert, dass die meisten Privatleute davon überfordert sind. Es ist leichter, den Staat zu betrügen, als die Möglichkeiten auszuschöpfen, die der Staat vorgesehen hat. Also trägt wohl eine komplizierte Steuererklärung dazu bei, dass Leute nicht mehr im Bus Platz machen, wenn eine Mutter mit Kinderwagen einsteigen will...
In diesem Zusammenhang ist vielleicht noch der Blick auf eine Spiegel online-Geschichte von heute interessant. Im British Journal of Criminology 46, S. 1011, berichtet Christian Stöcker, sind die Ergebnisse einer größeren vergleichenden Studie zusammengefasst, die das moralische Verhalten von Deutschen, Engländern und Walisern untersucht. Die Wissenschaftler haben auch eine Erklärung für das zunehmende unmoralische Verhalten: die Wirtschaft ist schuld. Könnte sein. Das Recht ist schuld. Könnte auch sein. Einfaches Beispiel: Die Steuererklärung zu machen ist dermaßen kompliziert, dass die meisten Privatleute davon überfordert sind. Es ist leichter, den Staat zu betrügen, als die Möglichkeiten auszuschöpfen, die der Staat vorgesehen hat. Also trägt wohl eine komplizierte Steuererklärung dazu bei, dass Leute nicht mehr im Bus Platz machen, wenn eine Mutter mit Kinderwagen einsteigen will...
22 Oktober 2006
Warum moralisch sein?
Ich habe gerade den Hinweis auf Marc D. Hausers Forschung gefunden. Der Psychologe aus Harvard beschäftigt sich u.a. mit der Frage, welchen empirischen Hintergrund altruistisches Verhalten hat -- bei nichtmenschlichen Spezies. Die Antwort auf seine Frage "Why be nice?" ist nicht überraschend: "Cooperation sometimes pays off". Oder anders ausgedrückt: Es gibt einen egoistischen Grund, altruistisch zu sein, jedenfalls für Tiere. Dabei stoßen Tiere, im Unterschied zu Menschen, auch schnell an Grenzen. Oder in Hausers Worten, aus seiner Zusammenfassung:
Den ganzen Aufsatz hier als pdf.
We argue, however, that most instances of animal cooperation can be attributed to either selfish or indirect benefits via mutualism and helping kin. We suggest that reciprocal altruism among unrelated indi-viduals is rare if not absent among animals, despite its ubiquity in humans. In cases where it occurs in the lab, it is unclear whether the patterns observed would generalize to more natural and less controlled situations. We propose that cognitive constraints on temporal discounting, numeri-cal discrimination, learning and memory, and other com-ponents limit the ability of many species to implement and maintain reciprocally altruistic strategies. If correct, then comparative research must illuminate which components are shared with other animals, which are unique to hu-mans, and why certain components evolved in our species and no other.
Den ganzen Aufsatz hier als pdf.
26 Februar 2006
Wie altruistisch ist die Welt?
Zumindest für US-Amerikaner gibts jetzt eine empirische Studie (pdf). Tom W. Smith von der Universität in Chicago stellt die Ergebnisse vor.
The survey found wide support for altruistic love on a number of items, and also noted that there was a significant connection between altruistic behavior and romantic love. Additionally, the report noted that religion plays a role in promoting altruism. Some of the other findings of the study included the observations that women have a greater feeling of empathy than men and that financial status had very little to do with feelings of altruism or empathy.So fasst der Scout Report dieser Woche das Ergebnis zusammen. Es fragt sich noch, wie der Zusammenhang zwischen dem "Gefühl" des Altruismus und der altruistischen Handlung ist. Obs da auch einen Zusammenhang gibt mit der Religion, oder mit dem eigenen Einkommen?
Tags:
Altruismus,
Empirie,
Ethik
12 Oktober 2005
Empirische Grundlagen für das Leib-Seele-Problem
Juleon M. Schins, Assistant Professor in Delft, University of Technology, hat sich tatsächlich hingesetzt und darüber nachgedacht, welche empirischen Beweise es für die "nichtmaterielle" Natur des Bewusstseins gibt (Empirical evidence for the non-material nature of consciousness. -- Lampeter u.a. : Edwin Mellen Press, 2004). Lässt sich die alte Frage also empirisch lösen?
Wenn ein Naturwissenschaftler sich dazu äußert, kann man sich immerhin eher sicher sein, dass keine groben Fehler im physiologischen Teil der Argumentation sind. Man lese die paar Seiten über Dennetts Consciousness explained!
Wenn ein Naturwissenschaftler sich dazu äußert, kann man sich immerhin eher sicher sein, dass keine groben Fehler im physiologischen Teil der Argumentation sind. Man lese die paar Seiten über Dennetts Consciousness explained!
Tags:
Bewusstsein,
Empirie,
Leib-Seele-Problem
Abonnieren
Posts (Atom)