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28 November 2008

Das American Biographical Institute und sein Angebot

Bisher kannte ich das nur aus dem Foucaultschen Pendel von Eco. Da arbeitet der Erzähler bekanntlich in einem Verlag, der schöne Bücher macht, und muss zwischendurch feststellen, dass der Verleger eifrig ein weiteres Geschäftsfeld beackert. Dort werden nämlich eitle Möchtegernautoren dazu gebracht, für die Veröffentlichung ihrer Bücher zu bezahlen, dann wird ihre Eitelkeit gestreichelt mit einem Eintrag im Verlagseigenen "Berühmte Autoren", das die wirklich bekannten Autoren in ein paar Zeilen abhandelt, aber die zahlenden Goldesel des Verlags spaltenlang bauchpinselt.
Solche Bauchpinselei gibt es wirklich. Das sogenannte "American Biographical Institute" schreibt:

"
Dear Dr. XY:
you have been nominated to appear in Great Minds of the 21st Century, a major reference directory including just 1,000 of the world's top thinkers and intellctuals. For 41 years the American Biographical Institute has researched and compiled over 200 separate publications devoted to provide accurate and factual information on compelling, interesting and accomplished men and women throughout the world. Many reference institutions,businesses, governments, universities and libraries consider Great Minds fo the 21st Century the finest volume dedicated to intelligence and its achievements forged.
To compile a volume of this significance, the Institute relies on established research techniques. The ABI is constantly engaged with research centers thoughout the world as well as its own global network of research advisors sitting on an international board. ..."


Wo liegt das Geschäft? Ah, hier:
"Inclusion in a volume as prestigious s Great Minds of the 21st Century is quite an accolade,and to celebrate the occasion we offer several mementoes, including keepsake copies of the colume at pre-publication rates to those included only. A Medal of unequaled quality and molded only for Great Minds of the 21st Century honorees is of special significance, as is the Proclamation Plaque designed to indicate your unique selection for this volume. ... I urge you to complete the questionnaire enclosed and return it to us by December 13, 2008, as entries in this book are limited ... I congratulate you on your nomination for this monumental reference work, whis has never seen a likeness. I look forward to receiving your biography.

Sincerely, J. M. Evans

PS To assist in our research, you will find a nomination form on the reverse of this letter. You may recommend colleagues, family, friends or any individual you feel deserves inclusion in one of our biographical directories."


Da werden wohl nur Leute antworten, deren Eitelkeit höher ist als ihre Intelligenz, insbesondere, wenn sie einen Blick auf die Preise geworfen haben. Die Vorausgabe zum Vorpublikationsrabatt kostet knapp 400 US-Dollar, die Medaille knapp 600 US-Dollar und die "Proclamation Plaque" zum an die Wand-Hängen knapp 300 Dollar. Alles drei zusammen kann man übrigens für knapp 1100 Dollar bekommen.
"Please Note: All award orders must be pre-paid as thea are individually crafted."
Als Bibliothekar interessiert mich, ob diese Aussage mit den "many institutes ... consider" stimmt, ob das Werk oder seine Vorausgaben wirklich so eine weite Verbreitung hat. Da es sich ja schon um die 4. Ausgabe handelt für das 21. Jahrhundert, müsste sich ja eine der ersten drei nachweisen lassen. Oh, tatsächlich. Worldcat zeigt immerhin 14 Bibliotheken in den USA für eine der drei Vorausgaben. Das sind ja echt viele. Und in Deutschland auch in jedem Verbund ein Exemplar.

Wikipedia hat auch ein paar Infos zum Institut. U.a. eine kleine Liste mit Namen von Leuten, deren Biographien sich da finden. Siehe auch die englische Ausgabe und den Artikel zum Who-is-who-scam.

[Update 22.1.09]
Jetzt fand sich auch ein Brief des International Biographical Centre (IBC) aus Cambridge, England. Die geben ein Buch "2000 outstanding intellectuals of the 21st century 2009/2010" heraus, so dass man vermuten darf, es würden sich jedes Jahr oder alle 2 Jahre 2000 Leute finden, die eitel genug sind, dafür zu blechen. Immerhin:
"Inclusion is based on merit alone and there is no obligation to purchase a copy of [the book]." Trotzdem wird man noch dazu eingeladen "to take your place within its pages". "Entry into the biographical reference books is by invitation only and cannot be 'bought'." IBC, informiert die Einladung, ist ein Imprint von "Melrose books"; der Verlag sei gerade dabei, "one of Britain's leading independent publishers of an eclectic range of titles ..." zu werden. Heißt das, sie sind ein führender Verlag, oder heißt das, sie sind führend darin, ihre Titel zu veröffentlichen?

Man kann hier das Buch kaufen für 255 $ (die Preise werden auch in Pfund angegeben, aber mich interessiert, was teurer ist, IBC oder die andern), das "Diplom" für 255 $ und eine Medaille für ebenfalls 255 $ (Versandkosten jeweils 16 $). Oder zwei von drei Dingen für 495 $ oder alles drei für 695 $. Und wieder die Möglichkeit, Kollegen und Freunde vorzuschlagen.

Fazit: Das American biographical institute ist deutlich teurer. Oder: Es ist teuer, ein "Great mind" als ein "Outstanding intellectual" zu sein.

25 November 2008

Logik im Alltag: Heute: Die Argumentation der Werbetreibenden Industrie

Gerade bei heise gesehen, und Wert, in der Mittagspause gebloggt zu werden: Die Wirtschaftsverbände sind gegen eine Datenschutzreform, die ein paar Änderungen vorsieht beim Umgang mit Werbung. Z.B. soll, so der Vorschlag, bei der Weitergabe von Adressdaten "zur Nutzung durch Drittfirmen" das ausdrückliche Einverständnis der Betroffenen nötig sein. Und es soll nicht mehr erlaubt sein, dass ein Unternehmen die Bereitstellung einer Leistung sich von einem Verbraucher zusammen mit der Weitergabe seiner Daten genehmigen lässt.
Heise fasst auch zusammen, was die Verbände dagegen haben. Erstens seien Arbeitsplätze in Gefahr. Zweitens würden Verbrauchern "pauschal Informationen über maßgeschneiderte Angebote vorenthalten". Drittens würde ohnehin die illegale Nutzung von Kundendaten weitergehen. Viertens sei der Wert der Werbung von der "überwiegenden Mehrheit der Bürger" seit langem akzeptiert. Bitkom fasst das so zusammen: die vorgeschlagenen Maßnahmen seien weder erforderlich noch angemessen und somit unverhältnismäßig.

Hhm. Eine seltsame Verbindung von Gedankengängen! Die Grundidee der Argumentation der Wirtschaftsverbände ist, dass die Neuregelung die bisherige Praxis behindert, dass also mit der Neuregelung weniger geworben würde als bisher, die Leute aber Werbung bekommen wollen. Dann leuchtet es ein, dass die Verbände auf die Idee kommen, dass die folgenden Thesen als Argumente gegen die Neuregelung funktionieren.
1. Arbeitsplätze sind in Gefahr. -- Wodurch denn? Ich sehe da zwei Möglichkeiten, nämlich a), dass die Arbeitsplätze der Unternehmen in Gefahr sind, die ihre Produkte so nicht mehr bewerben dürften, weil sie dann keine oder weniger verkaufen. b), dass die Arbeitsplätze der werbetreibenden Unternehmen in Gefahr sind, weil sie dann keine Werbung mehr verkaufen. Beides scheint mir nicht sehr wahrscheinlich, weil ja Unternehmen auch noch andere Möglichkeiten der Werbung haben, mit denen sie a) Verbraucher erreichen und b) Werbeunternehmen beauftragen können.
2. Verbrauchern würden Informationen vorenthalten. -- In diesem Sinne von "vorenthalten" gibt es eine Menge Informationen, die mir vorenthalten werden! Hier wirkt die Prämisse, Verbraucher würden die Information wollen bzw. sie würden sie wollen wollen, wenn sie wüssten, dass es sie gäbe. Stimmt das? Außerdem ist es lustig, wenn für das, was einen an Werbung erreicht, das Wort "Information" benutzt wird. Das ist ja nur in der engen Definition richtig, die allein das physische Stück als Textträger oder den Telefonanruf oder sonstwas betrachtet. Betrachtet man den Verbraucher als Informationsmanager, der ordnen und bewerten muss, was ihn jeden Moment an Information erreicht, dann ist Werbung in der Regel das Gegenteil von Information, weil sie um Aufmerksamkeit buhlt, die man besser den wichtigen Dingen widmete.
3. Illegale Nutzung geht weiter. -- Tolles Argument: Weil die illegale Nutzung ohnehin weitergeht, soll die jetzige legale Praxis nicht beschränkt werden, heißt ja wohl: die Werbung, die den Verbraucher erreicht, beruht ohnehin großenteils auf dem illegalen Adressenhandel. Denn nur so wird ja zum Argument, dass da was weitergeht! Hier übersehen die Verbände nämlich, dass ich als Verbraucher gar nicht erkennen kann, ob die mich erreichende Werbung auf illegalem oder legalem Adresshandel beruht. Würde durch eine Gesetzänderung eine Einschränkung darin erreicht, wieviel Werbung mich erreicht, dann wäre das toll, finde ich. Nun könnten die Verbände argumentieren, dass es gemein wäre, wenn mich dann nur noch die illegale Werbung erreichen würde: dann würden ja die ehrenhaft handelnden Unternehmen benachteiligt. Ja, stimmt schon: so wie Käufer gegenüber Dieben "benachteiligt" werden, weil sie einen Preis bezahlen müssen. Aber trotzdem würde niemand auf den Gedanken kommen zu sagen: Geklaut wird immer, also brauchen ab heute alle nix mehr zu bezahlen.
(Es ist selbstverständlich, dass man mit einer Gesetzesänderung keine Wirkung auf das illegale Verhalten erzielt (es sei denn, dass man das Illegale durch die Änderung legal werden lässt).)
4. Werbung ist akzeptiert. -- Haha. Es mag Leute geben, die auf Direktmarketing in irgendeiner Weise positiv reagieren. Aber wie man in jedem Lehrbuch zum Direktmarketing nachlesen kann, sind die Antwortquoten sehr sehr gering. Und das kann ja wohl nur bedeuten, dass das "maßgeschneiderte" Angebot den Verbrauchern in der Regel am ... vorbei geht. Werbung ist in etwa so akzeptiert wie Regenwetter: Leute tragen einen Schirm, um so wenig wie möglich davon abzukriegen.

Das wäre doch das Tolle am "Opt-in": dass Verbraucher die Möglichkeit bekommen, explizit zu sagen, dass Sie Werbung bekommen wollen. Das Wirtschaftsverbände gerade dies fürchten, wiewohl es Ihnen ermöglichen würde, die Adressen von Leuten zu handeln, die offen sind für Werbung, zeigt doch nur, dass sie nicht an ihr eigenes Gerede "Werbung ist akzeptiert" glauben, sondern damit rechnen, dass dann niemand mehr sich für Direktwerbung interessiert.

24 November 2008

Vicente Requeno y Vives

Ich bin immer wieder überrascht, was herauskommt, wenn man nach Personen recherchiert, wobei hier "recherchieren" das vornehme Wort ist für "Googeln". Auf meinem Tisch liegt ein Buch Escritos Filosóficos von einem Vicente Requeno y Vives. Wer ist das? Als Bibliothekar hat man ja die Möglichkeit, rasch in der PND nachzusehen, ob bei der Ansetzung schon was bekannt war. Aber der Satz ist als Namen-Satz gekennzeichnet, ohne Lebensdaten, auch wenn er einen Haufen verknüpfte Werke enthält. Außerdem eine Ansetzungsform, nämlich ohne "y Vives". Die Googelei bringt als ersten Treffer eine Rezension in der Allgemeinen Literaturzeitung von 1787 über ein Werk von Requeno. Toll aufbereitetes Digitalisat! Und dort kann man sich zu dem weiterklicken, was den Kollegen in Jena bekannt ist über Requeno: dass es sich um einen männlichen Jesuiten handele, der von 1743-1811 gelebt hat. Das stimmt übrigens auch mit dem überein, was meine Vorlage weiß, die überdies Geburtsort (Calatorao) und Sterbeort (Tivoli) angibt. Das Interessante: blättert man ein paar Google-Treffer weiter runter, findet man einen Treffera aus Google Books, nämlich Carl Ferdinand Beckers Systematisch-chronologische Darstellung der musikalischen Literatur von der frühesten bis auf die neueste Zeit, Leipzig 1836. Dort gibt es einen Eintrag zu einem Requeno:



Seltsamerweise sind da die Lebensdaten anders: geboren in Granada 1730, gestorben 1799 in Venedig. Ist das vielleicht eine andere Person? Aber auch dieser Requeno ist von Spanien nach Italien gekommen. -- Vielleicht helfen einem die Werke weiter: etwas über die Musik der Griechen und Römer: das ist genau das Werk, was in der ALZ im oben angeführten Eintrag rezensiert wurde. Löst also das Problem nicht: Gibt es zwei Requenos, die Jesuiten waren, oder ist einer der Einträge (Becker vs. Bibliothekare) falsch?

Nach nochmaligem Blick in meine Vorlage sehe ich, dass dort eine recht ausführliche Biographie von Requeno enthalten ist. Requeno ist übrigens "jesuita expulso". Und seine Interessen galten eben auch der antiken Musik. Also liegt wohl der Becker falsch mit seinen Lebensdaten: wo hat er die her?

21 November 2008

Philosophische Rezensionen im Netz

Mir ist gerade aufgefallen, über die Homepage von Sven Walter, dass es mit Metapsychology eine Webseite gibt, die auch philosophische Rezensionen enthält -- man kann über "Select Topic" in der Navigationsleiste die Anzeige auf das Philosophische beschränken. Wo gibt's noch online-Rezensionen zur Philosophie?
Kritikon, natürlich, aber wir haben ja gerade erst angefangen.
Notre Dame Philosophical Review.
Sonst noch?

14 November 2008

Laughlins "Betrug"

Rezension zu Robert B. Laughlin: Das Verbrechen der Vernunft : Betrug an der Wissensgesellschaft. - Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2008.
Die Rezension erschien in Buch und Bibliothek 60 (2008) 11/12, S. 830-831.

Robert B. Laughlins Streitschrift Das Verbrechen der Vernunft : Betrug an der Wissensgesellschaft verspricht interessante Lektüre für Bibliothekare: „Mitten drin“ sind wir schon in „Orwells Welt“ (S. 13), die Freiheit der Forschung schon aufgegeben. Und Laughlin müsste es wissen: der Physik-Nobelpreisträger von 1998 forscht und lehrt selbst an der Stanford University. Zum Glück hält das Buch nicht, was der Autor verspricht.

Ein wichtiges Thema packt Laughlin da an: Wir sind auf dem falschen Weg. Staat und Unternehmen schränken ein, was gewusst und geforscht werden darf, und Forscher und Bürger nehmen es hin, ohne dafür etwas zu bekommen. Daher leiht man der Warnung gern seine Aufmerksamkeit, auch um zu erfahren, was wohl dagegen zu tun wäre. Doch diese Hoffnung wird enttäuscht. Laughlin hat wenig positive Botschaften, und verliert sich in Anekdoten und Kleinigkeiten. Sein Gedankengang wirkt oft assoziativ und eher anekdotisch als argumentierend, d.h. das Vorgetragene baut nicht recht aufeinander auf. Schnell ist er mit Worten wie „Orwell“ bei der Hand, formuliert ansonsten aber recht sorglos und ungenau.(FN 1) Dafür, dass das Buch zuerst auf Deutsch erschien, nimmt der Inhalt ohnehin wenig Rücksicht auf die deutsche bzw. europäische Situation. Dabei gäbe es hier einiges anders zu bewerten; wir haben ja mit Artikel 5 GG ein Grundrecht auf Informationsfreiheit.

Doch im einzelnen: In zehn lose miteinander verbundenen Kapiteln geht Laughlin der Frage nach, in welcher Form und aus welchem Grund der ‘freie Zugang zum Wissen’ in der Gegenwart eingeschränkt ist. Im ersten Kapitel verknüpft Laughlin seine Ausgangsthese mit dem (unbegründeten) „Grundrecht des Menschen [...], Fragen zu stellen und nach Erkenntnis zu streben“ (S. 10) und nennt drei gesellschaftliche Motive für die Einschränkung dieses Grundrechts: 1. die staatliche Sicherheit (Beispiele Nukleartechnik / Biowaffen), 2. die ökonomischen Interessen von Unternehmen (Beispiel Patentwesen), 3. die Moral (Beispiel Klonen). Dies sind die Hauptanwendungsfälle für das ganze Buch, deren Reflexion Laughlin allerdings durch fragwürdige Parallelisierungen vernebelt.
Im zweiten Kapitel geht es z.B. darum, was Wissen „gefährlich“ macht und warum man sich entscheiden könnte, den Zugang dazu einzuschränken. Das ganze Kapitel krankt jedoch daran, dass Laughlin nicht unterscheidet zwischen gefährlichen Dingen (oder Handlungen) und dem Wissen davon. So schreibt er, dass das ‘Wissen um den Gebrauch von Fleischermessern’ zu tragischen Unfällen und sogar zu Mord führen könne und das Wissen um den Gebrauch von Streichhölzern „immer wieder schwere Verbrennungen oder sogar Brandstiftung zur Folge hat“ (S. 14) – dabei liegt auf der Hand, dass 1. Wissen ohne Besitz und Gebrauch des betreffenden Gegenstandes zu gar nichts führt und 2. in der Regel das Wissen um den richtigen Gebrauch eines Gegenstandes seine Handhabung sicherer macht. Folglich eignen sich diese Analogien nicht zur Illustration seiner Thesen, die damit seltsam unbegründet erscheinen.
Zwei weitere Beispiele: Laughlin unterscheidet nicht zwischen „Wissen“ und „Information“ (im informationstheoretischen Sinne) und bringt daher das Spiel ‘Stille Post’ als Beispiel, wie Wissen in der Kommunikation „verfällt“ (S. 31/32). Er setzt das Verbot des Gebrauchs und der Verbreitung von Technologien zur Umgehung des Kopierschutzes bei Musik- und Filmdateien gleich mit der ‘Kriminalisierung des für das Kopieren nötigen Wissens’ (S. 23), denn nur so taugt dies als weiterer Beleg dafür, wie wirtschaftliche Interessen erzwingen, dass der Zugang zu Wissen beschränkt wird.
Ärgerlich ist, dass Laughlin derlei Ungenauigkeiten auch dort in Kauf nimmt, wo er als Experte auftritt, nämlich im Bereich der Naturwissenschaften. Im interessantesten Kapitel seines Buches geißelt Laughlin – zu Recht – die Auswüchse des amerikanischen Patentrechts. Dabei macht er sich darüber lustig, dass der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten kürzlich entschieden habe, dass „chemische Prozesse im menschlichen Körper keine Naturgesetze seien“; dies folge nämlich daraus, dass Naturgesetze nicht patentiert werden können, Gensequenzen aber für patentfähig erklärt wurden (S. 55). Gensequenzen sind aber – wie kann man etwas anderes denken? – weder Naturgesetze noch chemische Prozesse!
Dabei ist das Anliegen insbesondere des Kapitels zum Patentrecht durchaus wichtig und bedenkenswert. Dass Patente auf Gene und Gensequenzen erteilt werden können, verhindert Forschung an diesen Genen, weil dafür Lizenzgebühren an die Patentinhaber gezahlt werden müssten oder weil Forscher sonst teure juristische Auseinandersetzungen befürchten müssen. Patente können derzeit in den USA offenbar auch auf Dinge und Verfahren erteilt werden, die nur ‘entdeckt’ (statt erfunden) worden sind, und sogar auf solche, die schon längst von anderen genutzt werden, wodurch deren Nutzung plötzlich lizenzpflichtig wird. Das Patentwesen in dieser amerikanischen Form ist also in der Tat ein Betrug an der Wissensgesellschaft, und Laughlin schlägt auch, wenngleich nicht ernst gemeint, eine Lösung vor: Patente „auf die Natur“ dürften gar nicht gewährt werden, denn das „ist offensichtlich unmoralisch“ (S. 65). „Und dasselbe gilt für Patente auf die Vernunft“, das heißt: Verfahren und Techniken, die auf der Hand liegen, dürften keinen Schutz genießen; das Urteil darüber, was als auf der Hand liegend gelten kann, müsste einer Jury aus Experten zustehen. Hier sieht Laughlin eine Aufgabe für den Gesetzgeber.
Auch die Frage, wie die Sicherheitsinteressen eines Staates oder der Staatengemeinschaft mit der Freiheit der Forschung vereinbar sind (6. Kapitel), ist wichtig. Laughlins Haltung dazu ist allerdings unentschlossen. Einerseits hält er nichts von der Strategie des Verbots, weil diese auch wichtige Forschung behindere, und erzählt ein paar einschüchternde Anekdoten von unschuldigen Wissenschaftlern, die aus öffentlichen Quellen Informationen zusammengestellt haben, die dann plötzlich als geheim eingestuft wurden, so dass die Wissenschaftler vor Gericht gestellt wurden. Andererseits hält er Sicherheitsinteressen für legitim. Einen Ausgleich sieht er nicht, sondern geht lieber zum nächsten Thema über, indem er Nukleartechnik und Virenforschung als Präzedenzfälle für den staatlichen behindernden Umgang mit Wissen ansieht. Denselben, erprobten, Umgang wähle der Staat nun beim Thema Klonen.
Die beiden Klon-Kapitel zeigen besonders deutlich, woran es dem ganzen Buch fehlt. Erstens übersieht Laughlin die moralische Dimension der Debatte um das Klonen und bringt stattdessen stets ökonomische Erklärungen. Und zweitens bringt er immer wieder abschweifende Analogien zwischen dem Klonen von Zellen und dem Kopieren von Computerprogrammen ein. So meint er nebenbei zeigen zu müssen, dass die Computerprogramme heutzutage so schlecht seien, weil sie „geklont“ würden, statt einem darwinistischen Ausleseprozess mit Mutationen zu unterliegen. Das ist sicher für sich eine diskussionswürdige These, die im Zusammenhang des „Betruges an der Wissensgesellschaft“ aber vom Thema ablenkt. Ähnliches gilt übrigens für das Kapitel über Spam (9.), in dem Laughlin darüber schreibt, wie ein Zuviel an Informationen das Wichtige zum Verschwinden bringt. Neil Postman brachte das vor Jahren schon besser auf den Nenner „wir informieren uns zu Tode“, und ohnehin hat das nichts mit Laughlins Thema zu tun.
Die Lektüre des Buches ist also, das muss man leider zusammenfassend feststellen, nur zum Teil erhellend. Laughlin gelingt es selten, das Wichtige vom Unwichtigen zu scheiden, um es in einer klaren gedanklichen Gliederung zu präsentieren. Bleibt also positiv hervorzuheben, dass Laughlin sich eines wichtigen Themas angenommen hat, wenngleich er damit eher zum eigenen Denken als zum Nach-Denken anregt.

FN1: Hier mag auch die Übersetzung an einem Teil der Missverständlichkeiten schuld sein. Das Buch ist zwar im April 2008 zuerst auf Deutsch erschienen, die englischsprachige Ausgabe erschien erst Mitte September und scheint etwas ausführlicher zu sein mit ca. 220 Seiten. Trotzdem handelt es sich um eine Übersetzung (von Michael Bischoff). Für mich liegt z.B. der Verdacht nahe, dass die Formulierung, die „Gesetze kollektiver Organisation“ seien „per definitionem abstrus“ (S. 38/39), sich dem englischen Wort „obscure“ verdankt; in der Tat geht es eher um ihre Verborgenheit im Fluss der beobachtbaren Phänomene. – Verkürzte, selbstwidersprüchlich wirkende Formulierungen wie: „Das Schicksal des Würfels ist bekannt, sobald er die Hand des Spielers verlassen hat, nur kennen wir das Schicksal nicht“ (S. 30), dürften allerdings allein auf das Konto Laughlins gehen.

05 November 2008

Wer ist Gerhard Kahl-Furthmann?

Der Name taucht auf im Inhaltsverzeichnis des 4. Bandes der Zeitschrift für philosophische Forschung als Autor eines Artikels Descartes' Betonung seiner Unabhängigkeit von der Tradition und Leibnizens Kritik, S. 377; außerdem steht dort eine Rezension verzeichnet (S. 302ff.). Wie es damals in der ZfphF üblich ist, wird auch ein Herkunftsort des Autors angegeben: Bayreuth.
Was hat dieser Kahl-Furthmann sonst so veröffentlicht? Wenn ich Google glaube: nix. Der Doppelname scheint mir aber eher selten, und es gibt eine einigermaßen prominente Namensträgerin, die, welch Zufall, ebenfalls aus Bayreuth stammt und Philosophin ist! Nämlich Gertrud Kahl-Furthmann. Diese Autorin hat selbst einige Beiträge in der ZfphF veröffentlicht, außerdem einiges an Büchern.
These: Den Gerhard gibt es nicht. Die Autorin schrieb an die Redaktion per Hand, und ihr Vorname wurde nicht richtig gelesen. (Wie könnte man das wohl klären?)

www.Kritikon.de ist online!

Kritikon ist online, und zwar schon seit dem 1.11. Da ich daran selbst beteiligt bin (allerdings nicht inhaltlich), hätte ich da auch schon früher darauf hinweisen sollen, aber die Veröffentlichungsgeschwindigkeit hat ja noch nicht ein Tempo erreicht, welches die paar Tage Differenz als echte Verspätung erscheinen lässt. Also: Jetzt gibts endlich auch philosophische Rezensionen à la H-Soz-u-Kult oder Sehepunkte. Die Redaktion liegt in Leipzig, herausgegeben und qualitätsgeprüft wird das ganze von Pirmin Stekeler-Weithofer, der vermutlich ohnehin in Arbeit ertrinkt, und seinen Leipziger Kollegen Nikos Psarros und Thomas Kater sowie den von ihnen bestellten Gutachtern. Geld kommt von der DFG. Die UB Erlangen-Nürnberg hostet Kritikon, da es zusammen mit der Virtuellen Fachbibliothek Philosophie Sophikon konzipiert worden ist.

Toll finde ich, wenn ich hier uns mal selbst loben darf, dass die Artikel unter einer deutschen CC-BY-NC-SA 3.0-Lizenz veröffentlicht werden. Das erlaubt es Interessierten z.B., die Rezensionen anreichernd in einen Katalog einzubringen. Und die parallele Veröffentlichung als pdf-Version bietet bequemen Download und offline-Lektüre.

04 November 2008

Neues zur Philosophie des Traums

Gleich zwei Bücher sind hier zu vermelden. Christoph Türcke hat eine Philosophie des Traums bei Beck vorgelegt; Petra Gehring über Traum und Wirklichkeit bei Campus nachgedacht. Rezensionsnotizen bei Perlentaucher zum ersten und zum zweiten. Denen entnehme ich, dass derselbe Rezensent, Oliver Pfohlmann, Türckes Buch am gleichen Tag für die ZEIT und die NZZ rezensiert hat? Oder irren die sich bei Perlentaucher?

03 November 2008

Leibniz' Diss De casibus perplexis in jure (1. Teil)

Wenn man kein Leibniz-Experte ist: wie kommt man dann mit diesen zwei Fragen zurecht:
1. Existiert eigentlich eine deutsche Übersetzung für Leibniz' Dissertation De casibus perplexis in jure ?
2. Und gibt es Forschungsliteratur dazu?

Für beide Fragen kann man ja vielleicht einschlägige Bibliographien heranziehen. Für Leibniz gibt es eine Bibliographie der Forschungsliteratur, die bis 1990 in gedruckter Form und für die Zeit danach in Datenbankform erschienen ist bzw. erscheint, bearbeitet vom Leibniz-Archiv in Hannover. (Man findet sie, indem man im elektronischen Katalog der UB Erlangen-Nürnberg die Kombination der Schlagworte "Leibniz, Gottfried Wilhelm" und "Bibliographie" sucht.)

Die gedruckte ist in zwei Bänden erschienen, deren erster in der zweiten Auflage ich durchgesehen habe:

  • Leibniz-Bibliographie : die Literatur über Leibniz bis 1980 / begründet von Kurt Müller. - 2. erw. Aufl. - Frankfurt am Main : Klostermann, 1984.
  • 2. Band: Leibniz-Bibliographie : Band 2. Die Literatur über Leibniz bis 1981-1990 / begründet von Kurt Müller. - Frankfurt am Main : Klostermann, 1996.
  • www.leibniz-bibliographie.de

Dazu gleich mehr. Die Datenbank taugt auch zur Suche nach Textausgaben von Leibniz: aber leider nicht über den gesamten Zeitraum, d.h. nicht seit Leibniz' Leben bis heute. -- Über die gleiche Schlagwort-Suche im Erlanger Katalog wie oben würde man auch die von Emile Ravier gefertigte "Bibliographie des oeuvres de Leibniz" finden, welche 1937 erschien und 1966 nachgedruckt wurde: eine Bibliographie der Primärliteratur. Dass diese a) überarbeitungsbedürftig und b) auf dem Stand von 1937 ist, heißt also, dass man ihrer Auskunft, sie kenne keine deutschen oder überhaupt Übersetzungen von De casibus ... nicht unbedingt trauen kann. Immerhin kann man ihr entnehmen, in welchem Band der Leibniz-Gesamtausgabe der lateinische Text selbst enthalten ist.

Verrät die Datenbank mehr? Hier muss man zugeben, dass die Suchsystematik und ihre Darbietung etwas eigen ist. Ruft man die Startseite auf, kann man der linken Navigationsleiste entnehmen, dass es eine Systematik gibt, die ein Leser der gedruckten Bibliographie auch schon kennt. Da diese allerdings keine Primärliteratur von Leibniz enthält, ist die Systematik der Datenbank entsprechend ungegliedert. Im Bild kann man mit dem Klick auf die "2" der Systematik die Forschungsliteratur weiter aufblättern, landet aber bei der Primärliteratur direkt bei den 466 Treffern.



Deren Anzeige ist übrigens alles andere als geglückt: warum da kein automatischer Zeilenumbruch für den Browser (Firefox und IE ausprobiert) stattfindet, bleibt wohl ein Geheimnis der Hannoverschen Kollegen.
Für die Suche nach "De casibus" kann man nun die Systematik zur Einschränkung nutzen, d.h. man gibt in die Zeile G der Suchmaske "1" ein und in die Titelstichwortzeile z.B. "casibus". Leider geht aus der Datenbankbeschreibung, soweit ich sehen konnte, nicht hervor, ob die Datenbank Übersetzungen auch unter dem Titel des übersetzten Werks verzeichnet, oder ob man bereits die Formulierung der Übersetzung kennen muss. Das ist nämlich bei den Casibus perplexis nicht ganz einfach. Eine mögliche Übersetzung lautet "Über verwirrende Fälle" oder "Über verzwickte Fälle". Es geht nämlich wohl um Rechtsfälle, bei denen schon die Exposition einen Widerspruch enthält. -- Jedenfalls will auch die Datenbank keine Übersetzung kennen, wenn wir davon ausgehen, dass man mit dem Einheitssachtitel suchen kann. Schade.

WYSIWYG bei Blogger

Was ist das hier?



Das ist der Mist, den Blogger in den HTML-Code schreibt, wenn man aus einer Word-Datei etwas herauskopiert, um es in den Blogger-Editor reinzukopieren. Der Text, den ich herauskopiert habe, in der vorletzten Zeile. Wozu das? Warum kein "Ohne Formatierung reinkopieren"-Button?