blogoscoop

19 Dezember 2006

Moral ist angeboren?

Das bekannteste moralische Gedankenexperiment dürfte der "runaway trolley" sein: Eisenbahnwagen rast auf eine Weiche zu; wird die nicht umgestellt, überrollt er fünf Gleisarbeiter, stellt der Leser sie um, aber nur einen. Was tun?
Ich meine, Philippa Foot hätte das Experiment aufgebracht. In Spiegel online (und wohl auch in der Druckausgabe) berichtet Jörg Blech über empirische Forschung, die zu klären sucht, wie die meisten Menschen in diesem Fall entscheiden würden. Gefragt wurde aber auch nach einer Alternative:
Und was, wenn ein dicker Mann auf einer Brücke direkt über dem Bahndamm stünde? Sein schwerer Körper würde den heranrasenden Zug aufhalten, die fünf Gleisarbeiter wären gerettet. Wäre es richtig, den Mann zu schubsen?

Blech teilt auch das Ergebnis mit: die meisten Leute würden die Weiche umstellen, aber nur 15% würden den dicken Mann schubsen, obwohl doch unterm Strich die gleiche Bilanz stünde. 300.000 Leute aus unterschiedlichsten kulturellen und sozialen Kontexten haben ihre Antwort abgegeben; da scheint schon so etwas wie eine interkulturelle, genetische (?) Konstante hervorzuleuchten. Blechs ausführlicher Artikel verdankt sich dem Buch von Marc Hauser, Moral minds, 2006 erschienen, das auch schon der Südeutschen einen Artikel wert war.

12 Dezember 2006

Goodmans Rätsel

Grad blättere ich durch den Aufsatzband von Nelson Goodman Problems and Projects, erschienen 1972. Der endet mit einem "Puzzle", das nach eigenem Bekunden nicht nur Goodmans "first publication in logic and philosophy" war, sondern auch "by far the most popular and widely circulated of all my writings". Goodman schickte es an die Boston Post, 1931, wo es in der Ausgabe vom 8. Juni veröffentlicht wurde: da war er grad mal 25. Und es geht so:
All the men of a certain country are either nobles or hunters, and non one is both a noble and a hunter. The male inhabitants are so nearly alike, that it is difficult to tell them apart, but there is one difference: nobles never lie, and hunters never tell the truth.
Three of the men meet one day and Ahmed, the first, says something. He says either "I am a noble", or "I am a hunter." (We don't know yet which he said.)
Ali, the second man, heard what Ahmed said, and in reply to a query, answered, "Ahmed said, 'I am a hunter'". Then Ali went on to say, "Azab is a hunter".
Azab was the tird man. He said, "Ahmed is a noble".
Now the problem is, which is each? How do you know?

Goodman ergänzt, dass eine der ersten Reaktionen in der Bemerkung eines gewissen J. C. Furnas bestand, der im Esquire feststellte, die Verbindung von "noble" und "truth teller" würde auf die bourgeoise Gesinnung des Verfassers deuten. -- Wie steht's mit der Lösung?
Ich konnte im Web keine finden, und Goodman selbst gibt auch keine :-). Bleibt nur: selber denken. (So schwer isses nicht.)

05 Dezember 2006

Philosophie des Geistes, 1835

John Abercrombie (1780-1844) war ein "schottischer Arzt und Philosoph": sagt die deutsche Wikipedia, ein tiefergehender Eintrag fehlt bislang. In der englischen -- man ersetze einfach das "de" in der Browserzeile durch "en" -- erfährt man ein bisschen mehr, wenn auch nicht sehr schmeichelhaftes, über die philosophische Tätigkeit:
He also found time for philosophical speculations, and in 1830 he published his Inquiries concerning the Intellectual Powers of Man and the Investigation of Truth, which was followed in 1833 by a sequel, The Philosophy of the Moral Feelings. Both works showed little originality of thought; they achieved wide popularity at the time of their publication, but have long been superseded.

Das erstgenannte, die Inquiries, liegt mir gerade vor, in der 5. Auflage von 1835: wirklich ein Bestseller. Auf dem Titelblatt wird Abercrombie nicht nur "M.D. F.R.S.E." genannt --was ist das bloß? --, sondern auch "fellow of the Royal College of physicians of Edinburgh, &c. and first physician to his majesty in Scotland": ein erfolgreicher Arzt. Die Inquiries finde ich deswegen bemerkenswert, weil das Inhaltsverzeichnis bestätigt, was der Verfasser im Vorwort verspricht: das hier die philosophische Untersuchung des Geistes zielt auf "useful purpose" und "application". Während also die erkenntnistheoretischen und sonstigen philosophischen Theorien im Rahmen des vom Empirismus gewöhnten sein dürften und mit vielleicht "little originality" vorgetragen werden, scheint mir die Ausweitung auf Abercrombies Erfahrung als Mediziner und die Kombination mit damals bekannten medizinischen Theorien und Fakten über Bewusstsein, spektralen Illusionen, Delirium, Erinnerung, Traum, Schlafwandelei, und geistiger Behinderung alles andere als unoriginell. Außerdem ergänzt Abercrombie seine Reflexionen zu Ursache und Wirkung für seine Mitmediziner um Regeln zur Forschung!
Alles in allem taugt das Buch, denke ich, durch seine (originelle) Kombination von Spekulation und Empirie sehr gut als Überblick über den Kenntnisstand zum Thema 'Bewusstsein' in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

04 Dezember 2006

"Ich habe französische Literatur des 19. Jahrhunderts studiert"

Wer ist noch mal Édouard Cournault? Wikipedia kennt ihn nicht, Brockhaus auch nicht. Aber Google weist auf ein feines Webangebot: Philo 19 ist eine Webseite, die Informationen über französische Philosophen des 19. Jahrhunderts bereitstellt. Da kann man dann immerhin erfahren, dass Cournault 1819-1895 gelebt hat und ein Buch zur "experimentellen Psychologie" schrieb. In den bibliographischen Angaben finden sich sogar noch drei weitere Publikationen. -- Philo 19 ist Teil des größeren Angebotes textesrares.com, das auch ein paar philosophische Rara enthält: auf französisch.

03 Dezember 2006

Kinderphilosophie in Österreich

Dass mir jemand schreibt, um einen gebrochenen Link auf sein eigenes Webangebot mitzuteilen in einem Posting, dass schon über 1 Jahr alt ist ... Also: das Österreichische Institut für Kinder- und Jugendphilosophie hat nun eine etwas eingängigere URL als vorher, und zwar www.kinderphilosophie.at. Da findet man nicht nur Informationen über die jährlich ausgerichteten Kongresse, sondern auch über die Projekte und Veranstaltungen, bekommt bibliographische Hinweise und Links auf verwandte Institutionen hier und da. Da möchte sich für Lehrer und Eltern schon was eignen!

29 November 2006

Bergson Plagiator?

Gerade liegt ein Buch vor mir, dass mir eine Kuriosität zu sein scheint: Darin bemüht sich ein "Dr. Albert Kann" aufzuzeigen, dass er "geistige Priorität" besitzt, was gewisse Ideen angeht, die er in seinen Büchern 1907 (Die Naturgeschichte der Moral und die Physik des Denkens : der Idealismus eines Materialisten) und 1914 (Ein philosophisches Gedankengang) veröffentlicht hat, die er aber bei Bergson 1932 wieder zu lesen meint. Besagtes Buch heißt Henri Bergson und meine Ideen : eine exakte Untersuchung der geistigen Priorität, erschienen im Selbstverlag in Wien 1935. Kann erläutert bei der Gegenüberstellung, dass er die deutsche Übersetzung von Bergsons Les deux sources de la morale et de la religion abgewartet habe, die erst 1933 erschienen war. Ich bin kein Bergson-Kenner und kann nicht bei einem kurzen Blick beurteilen, ob die Gegenüberstellungen 'Ideen' im Sinne von Philosophemen Bergsons betreffen, oder ob sie sich vielleicht einfach als ähnlich erklären lassen. Kann schreibt auf S. 152, "daß Bergson meine Werke gelesen, wurde bereits erhärtet". Unmittelbar darauf folgt diese Gegenüberstellung:

Die Naturgeschichte der Moral, Seite 158:
Nehmen wir heute die 'geahnte Idee' des Dualismus als solche und tragen wir sie hinein in die Uranfänge der empfindlichen, vererbenden Zelle. .... Denken wir uns nun zwei kleinste Teilchen mit gegensätzlichen Eigeneschaften -- und der Beginn ist dadurch gelegt, zur krausesten, kompliziertesten, späteren Form.


Dem stellt Kann Bergsons Zitat aus Die beiden Quellen der Moral, S. 294 + 293 gegenüber:
In der allgemeinen Entwicklung des Lebens jedoch führen die so auf dem Wege der Zweiteilung geschaffenen Tenden meistens zu verschiedenen Spezies. ... Wir fügen hinzu, daß dieses Gesetz nichts Rätselhaftes hat.


Für mich ist da keine besondere Nähe zu erkennen; und bei weiteren Beispielen geht es mir ähnlich. Sicher, da ist von ähnlichen Dingen die Rede. Aber solche Ähnlichkeiten finden sich sicher zu weiteren Texten anderer Autoren.
Leider taucht der Name Kanns in keiner mir ad hoc prüfbaren Quelle auf. Kann da vielleicht ein Bergson-Kenner etwas zu sagen? Ist diese Kann-Geschichte ein bekannter, längst abgearbeiteter Möchtegern-Skandal? Oder wäre das einen genaueren Blick der Bergson-Forschung noch wert?

27 November 2006

Keine radikal falsche Übersetzung?

Ian Hacking kenne ich vor allem als Autor eines Reclam-Bändchens zur Philosophie der Naturwissenchaften. Jetzt ist beim Züricher Chronos-Verlag eine Aufsatzsammlung namens Historische Ontologie erschienen, welche Gelegenheitsarbeiten des inzwischen in Frankreich lehrenden Philosophen versammelt und von Joachim Schulte ins Deutsche gebracht wurde. Gleich ins Auge fiel mir der Aufsatz "Radikale Fehlübersetzung - hat es das je gegeben?" In dem Aufsatz untersucht Hacking drei gern angeführte Beispiele für eine radikale Fehlübersetzung, und zeigt, dass sie wohl 'Moderne Legenden' sind. Das gräbt Quines zwar apriorisch vorgetragener, aber gern mit diesen Beispielen wiedergegebener Theorie von der Unbestimmtheit der Übersetzung das Wasser ab.
Hacking gibt einleitend zu, dass er die erste Geschichte auch schon erzählt hat:
Bei Cooks Entdeckungsreise hätten seine Matrosen ein junges Känguruh gefangen. Weil sie nicht wussten, was das war, befragten sie die Eingeborenen, deren Antwort "Känguruh" sie als Namen des Tiers interpretierten. Viele Jahre später habe man entdeckt, dass "Känguruh" aber keineswegs ein Tiername sei, sondern bedeute "Was habt Ihr gesagt?"

Hacking zeigt, dass diese und zwei weitere solcher Geschichten schlicht falsch sind. Die Fakten, die gegen die Känguruh-Geschichte sprechen, sind zwei: erstens ist von Cooks Reise dokumentiert, welche Wörter sie bei den Eingeborenen eingesammelt haben, und die Art und Weise, wie sie eingesammelt wurden. Die verzeichneten Wörter wurden sorgfältig geprüft. Und zweitens landete Cook in einer Gegend, in der ein bestimmter Dialekt gesprochen wurde. Ein späteres Wörterbuch dieses Dialekts enthält ein Wort, das dort gan(g)urru wiedergegeben ist -- und das bekannte Tier bezeichnet. Hackings zweites Beispiel ist noch ein wenig ausführlicher und gilt einer Geschichte, die auch in einem Gespräch zwischen Putnam und Quine wiedergegeben wird: dass der französische Naturforscher Sonnerat, als er Madagaskar besuchte, auf seine Frage nach einem Lemur "Was ist das?" die Antwort "Da läuft er" ("Indri") erhalten habe, was er für den Namen des Tieres hielt und was von da an der Name des Tieres geblieben sei. Hacking zeigt, dass diese Geschichte ganz falsch ist: Das fragliche Tier war längst bekannt und bei den französischen Einwanderern der Gegend auch gezähmt; kaum vorstellbar, dass man den Namen nicht gekannt habe. Hacking kann ein Wort im fraglichen Dialekt identifizieren, das infrage kommt; wie beim Känguruh beruht die Unfähigkeit späterer Forscher, das Wort zu verifizieren, wohl auf einer schlechten Umschrift der jeweiligen Aussprache.

25 November 2006

Wittgenstein als Schüler

In der Reihe Retrospektiven in Sachen Bildung erschien gerade die Studie Nr. 64: Hans Dirnböck: Die schriftliche und zeichnerische Matura von Ludwig Wittgenstein in den Fächern Mathematik und Darstellende Geometrie. 40 Seiten widmet Dirnböck den schriftlichen Schularbeiten LWs in den Fächern. Ich zitiere aus seiner "Kurzfassung" am Anfang:
In den Jahren 1903 bis 1906 war Ludwig Wittgenstein in Linz Schüler an der K.k. Staatsoberrealschule. ... LW hatte Probleme, sich zu konzentrieren und er hatte nicht genug Zeit, um die Fragen im Detail zu lösen, eine weit verbreitete Erscheinung an allen Schulen zu allen Zeiten. So finden wir in Mathematik eine "3", eine mittelmässige Note. In Darstellender Geometrie hat LW eine "5" bekommen, die schlechteste Note; die Benotung war aber nicht gerecht. Es wird festgestellt, dass LW die volle Einsicht in die Theorien hatte -- wie wir es wissen und wie wir es in seinem weiteren Leben finden.
Das ist ja schön, dass Wittgenstein die volle Einsicht hatte, als er 15 war. Der verteidigende Tonfall erstaunt ein bisschen: und es scheint mir noch andere Möglichkeiten zur Erklärung schlechter Noten zu geben als dass LW nicht genug Zeit gehabt hätte. Er könnte ja auch aus dem Fenster gesehen und ein bisschen geträumt haben, zum Beispiel. Verträgt sich auch noch besser mit den, was wir "in seinem weiteren Leben finden", oder nicht?

Dirnböck macht noch eine Literaturangabe: Mathias Iven: Wittgensteins Matura, in: Wittgenstein-Jahrbuch 2001/2002, S. 207-244, bei Lang 2003 erschienen (ISBN 3-631-50654-6). Iven behandle auch Wittgensteins Leistungen und Beurteilungen in den Fächern Englisch, Französisch und Deutsch.

23 November 2006

Mensch gegen Maschine

Kramnik, Schachweltmeister, spielt mal wieder gegen eine Software-Hardware-Kombination: das Programm heißt Deep Fritz 10, die Hardware ist mehr als dreimal so schnell wie beim letzten Vergleich vor vier Jahren. Spiegel online kündigt das "vielleicht letzte Match" zwischen Mensch und Maschine an. Wird bald die Maschine intelligenter als der Mensch? SpOn formuliert vorsichtiger, dass der Mensch "von seinen Rechenknechten überholt" würde. Man kann aber auch sagen, dass die Maschine das tut, wofür sie programmiert ist, und zwar womöglich bald besser als irgendein Mensch -- diese Art von Überholung passiert ständig und ist nicht beunruhigend. Scheint so, dass spielerische Kreativität (= eine menschliche Eigenschaft) von Rechenkraft (= was Maschinelles) abgelöst wird. Beunruhigt das?
Mich nicht. Ich meine, dass das genau dem Charakter von Schach entspricht: ein prinzipiell berechenbares, nach genau definierten Regeln ablaufendes Geschehen.
Was ich lustig finde, ist die Vermenschlichung der Schachmaschine. SpOn formuliert, das Programm zeige sich "genervt" bei dieser oder jener Spielentwicklung. Meine Güte: woran haben die das gesehen? Wird sich Deep Fritz über seinen Sieg freuen oder über seine Niederlage ärgern?

21 November 2006

Philosophie des Geistes im Grundkurs

Es mag ein paar ältere Leute geben, die beim Stichwort "Philosophie des Geistes" an Hegel denken. Die meisten werden aber zu Recht vermuten, dass sich dahinter etwas über Bewusstsein, Identität, Person undsoweiter verbirgt. Wie groß das Gebiet dahinter ist, war bislang den des Englischen mächtigen Lesern sehr viel leichter zu erahnen gewesen; im Grunde gab es mit Bieris Analytische Philosophie des Geistes nur eine einführende deutschsprachige Textsammlung. Thomas Metzinger, der rührige Mainzer Experte auf diesem Gebiet, hat nun einen Grundkurs als einführende Textsammlung zusammengestellt, dessen erster Band (von dreien) bei mentis soeben erschienen ist. Neben der didaktischen Aufbereitung: der Einteilung in Modulen, den einführenden Bemerkungen, den Philosophenbildern, dem "Serviceteil" mit Lektüreempfehlungen in Schwierigkeitsgraden (!) ist sicher die Stärke der Konzeption, eben einen deutschsprachigen Überblick zu bieten. So treffen wir im ersten Band neben guten Bekannten, die längst auf deutsch vorliegen, wie Peter Bieris "Was macht Bewusstsein zu einem Rätsel?", Daniel Dennetts "Qualia eliminieren" oder Frank Jacksons "Epiphänomenale Qualia" auch ein paar Texte, denen ich bisher nicht auf deutsch begegnet bin, so z.B. Paul Churchlands "Die Wiederentdeckung des Lichts". Dass es gewisse Überschneidungen mit dem früheren Metzingerschen Sammelband Bewusstsein gibt, liegt auf der Hand, gilt doch dieser erste Band des Grundkurses dem "Phänomenalen Bewusstsein". Band zwei gilt dem Leib-Seele-Problem, Band drei der Intentionalität.
Metzingers Grundkurs bietet, wie ich finde, eine verdienstvolle Zusammenfassung: und vom Verlag zu einem ordentlichen Preis angeboten: unter 30,- € pro Band.

Haydn oder Auster?

You are a soul in heaven waiting to be allocated a life on Earth. It is late Friday afternoon, and you watch anxiously as the supply of available lives dwindles. When your turn comes, the angel in charge offers you a choice between two lives, that of the composer Joseph Haydn and that of an oyster. Besides composing some wonderful music and influencing the evolution of the symphony, Haydn will meet with success and honour in his own lieftime, be cheerful and popular, travel, and gain much enjoyment from field sports. The oyster's life is far less exciting. Though this is rather a sophisticated oyster, its life will consist only of mild sensual pleasure, rather like that experienced by humans when floating very drunk in a warm bath. When you request the life of Haydn, the angel sighs, "I'll never get rid of this oyster life. It's been hanging around for ages. Look, I'll offer you a special deal. Haydn will die at the age of seventy-seven. But I'll make the oyster life als long as you like."


Die Geschichte stammt von Roger Crisp, aus seinem Buch Mill on Utilitarianism, das 1997 erschien (S. 24). Er erzählt sie noch einmal in seinem neuen Buch Reasons and the good (Oxford : Clarendon, 2006, S. 112). Sie soll die Frage illustrieren, ob alles, was für ein Gutes Leben zählt, eine 'enjoyable experience' sei. Mill selbst schrieb in seinem Buch Utilitarianism, es sei besser, ein unzufriedener Sokrates zu sein als ein glückliches Schwein; zur Begründung unterschied er zwischen höheren und niederen 'pleasures'. Das wirft eine Schwierigkeit auf, weil nicht klar ist, worin sich höhere von niederen unterscheiden. Liegt der Unterschied in der Menge an pleasure, dann wäre das kein prinzipieller Unterschied und damit nicht einzusehen, warum ein glückliches Schwein weniger gut sein sollte als ein unglücklicher Sokrates. Liegt's in der Qualität, dann fragt sich, ob diese unterschiedliche Qualität nicht für sich, ohne die Menge des damit verbundenen Pleasure in Betracht zu ziehen, etwas Gutes sein könnte (womit der Utilitarimsus als Wertmonismus verwässert wäre). Crisp meint, Mill einen Ausweg aus dem Dilemma weisen zu können: indem er etwas genauer hinsieht, wie man pleasure bzw. enjoyment auszubuchstabieren hätte. Das befriedigt dann auch die Intuition, dass die sinnlichen Genüsse einer Auster mit den geistigen von Haydn nicht mithalten können.

Menschheit gentechnisch veredeln?

Wieder einmal ein Blick auf ein Privatsystem der Philosophie bzw. Weltanschauung -- das Internet ist ja eine wunderbare Plattform für jeden Gedanken, und jeder findet seine Leser, irgendwann. Das 'Private Institut für Androiden und Superzivilisationsforschung' von Günter Einbeck beschäftigt sich mit der Frage, wie die Menschheit sich weiterentwickeln soll. Dass der Verfasser mit Sorge auf die Gegenwart blickt, wundert nicht. Dass er als Lösung eine von SF-Schriftstellern inspirierte Vision einer technisch veredelten Menschheit sieht, schon eher. Aber ich will hier gar nicht auf die wunderliche Mischung eingehen, sondern nur die Frage stellen, die für Einbeck schon beantwortet zu sein scheint. Angenommen, durch Gentechnik ließe sich 'das Böse' in der Menschheit ausrotten, dürften wir das dann (auch gegen den Willen der gentechnisch zu 'Veredelnden')?
Antwort: Kann man das überhaupt? Ist 'das Böse' ein genetisches Problem? Würde man mit der Entfernung 'des Bösen' womöglich den Menschen den freien Willen nehmen?
Und wie stehen wir zu den Wünschen anderer? Es ist klar, dass Einbecks Weltanschauung da keine Schwierigkeiten hat: wer böse ist, hat eben kein Recht auf seine genetische Integrität, oder: er würde selbst die Veränderung wollen, wenn er dazu klug genug wäre. Aber wir argumentieren doch nicht so?

20 November 2006

Naturwissenschaften und Moralischer Blick

In seinem neuen Buch Science and virtue (London : Ashgate, 2006) geht Louis Caruana dem Zusammenhang nach, der zwischen einer naturwissenschaftlich forschenden Tätigkeit bzw. einer 'wissenschaftlichen Mentalität' und moralischem Verhalten besteht. Dabei interessiert er sich in der Hauptsache nicht für die Frage, inwiefern der Materialismus der Naturwissenschaften Empathie und Humanität abtötet -- das wäre ja eine Lieblingskritik an der zweiten Kultur --, sondern mehr für die Frage, wie wissenschaftliche Tätigkeit bestimmte Tugenden fördert, die zum 'guten Leben' beitragen. Ihm geht es sowohl um das gute Leben des Forschers selbst als auch um das 'gute Leben' oder Blühen der Menschheit.
Caruanas Essay hat durchaus eine normative Dimension: er wünscht die Verbindung von Wissen (als dem Ziel der Wissenschaften) und Weisheit. Erst in der Suche nach Weisheit würden die Tugenden wissenschaftlicher Mentalität verantwortungsvoll gebraucht. Deutlicher gesagt: sieht Caruana durchaus die Mängel in einer ausschließlich 'wissenschaftlichen' Mentalität -- nur konzentriert er sich auf deren Stärken.

Die Tugend der Eifersucht

Der Isländer Kristján Kristjánsson schreibt in seinem Buch Justifying Emotions : Pride and Jealousy (London : Routledge u.a., 2002, 2006 als Paperback) von der Rolle, die Gefühle in der Moral spielen. Wie der Titel schon vermuten lässt, geht es ihm darum, die Gefühle gegen die Ansicht zu verteidigen, sie würden nur das moralische Urteil vernebeln und seien darum hinderlich. Kristjánsson hält hingegen Gefühle für essentiell, und das scheint mir zu stimmen: erstens um der Rolle willen, die Gefühle in der Handlungsmotivation spielen, zweitens um des Anteils der Gefühle am Charakter willen. Kristjánsson versucht außerdem zu zeigen, dass eine gefühlsmäßige Reaktion oft eine rationale Reaktion ist, dass Gefühle also die Wahrnehmung bestimmter Erfahrungen unterstützen und damit die Grundlage für moralische Entscheidungen verbessern. Vor diesem Hintergrund sind die ausführlichen Kapitel über Eifersucht und Stolz zu lesen und das Unterkapitel über "Jealousy as a virtue" (S. 161ff.).

18 November 2006

Verwirrungsfortschritt

I shall discuss what is, for me at least, an extraordinarily difficult and puzzling topic [...] I have discussed this topic on other occasions when, I regret to say, I have been even more confused than I am now. But I find that other philosophers are confused, too. I think I have made some progress. And so I fell justified, therefore, in taking up the topic once again.

Roderick Chisholm leitet so seinen Aufsatz ein über 'Problems of Identity', der 1971 in dem Sammelband Identity and Individuation, hg. von Milton K. Munitz, erschien. Sympathische Einleitung! (Das Problem, das Chisholm meint, ist das der Persistenz: der Identität durch die Zeit.)

14 November 2006

Gedanken beim Heben des Fingers

Richard Powers' erwähnt in seinem neuem Roman Das Echo der Erinnerung (The Echo Maker), in dem es unter anderem um den Zusammenhang zwischen Geist und Materie, Bewusstsein und Gehirn geht, die Experimente von B. Libet: eine der Hauptfiguren, der Neuropsychologe Gerald Weber, ruft sich diese in Erinnerung:
Willensfreiheit: Libet trug diese Vorstellung 1983 zu Grabe, sogar für das so genannte normale Gehirn. Er bat Testpersonen, mit einer Uhr, mit deren Hilfe sich zeitliche Differenzen von wenigen Mikrosekunden festhalten ließen, den exakten Zeitpunkt anzugeben, zu dem sie beschlossen, einen Finger zu heben. Durch Elektroden überwachten sie gleichtzeitig, ob ein Bereichtschaftspotential im Gehirn auf die bevorstehende Muskeltätigkeit hinwies. Dieses letztere Signal setzte in der Regel eine Drittelsekunde vor der Entscheidung zur Bewegung des Fingers ein. Folglich ist das wollende Wir nicht das Wir, für das wir es halten. Unser freier Wille ist eine klassische Komödienfigur: der Botenjunge, der glaubt, er sei der Chef.

So in Powers' Worten (S. 450). Die Darstellung stimmt ungefähr, wie man der ausführlicheren (und sozusagen wissenschaftlichen) Zusammenfassung von Stefan Straßmaier in seiner online als pdf verfügbaren Diss Willensfreiheit - oder kausale Determination von Handlungen?, S. 57ff., entnehmen kann. Ich habe mich schon seit ich das erste Mal von Libets Experimenten gelesen habe gefragt, wie es als Beleg für das taugen kann, wofür es in Anspruch genommen wird: es beweist doch nur, dass das Phänomen früher da ist, als es wahrgenommen wird. Wenn man die Wahrnehmung der Entscheidung, den Finger zu heben, mit dieser Entscheidung gleichsetzt, dann begeht man, scheint mir, einen offensichtlichen Fehlschluss. Der liegt nahe, weil er schön in eins geht mit der Idee, dass eine Entscheidung etwas Bewusstes ist und damit auch zuerst im Bewusstsein stattfinden muss, bevor sie sich auf die Materie (das Heben des Fingers) auswirkt. Mit solcher Interpretation tun sich natürlich eine Menge Fragen darüber auf, wie das Bewusstsein es schafft, auf die Materie zu wirken. Wenn man hingegen annimmt, dass Bewusstsein die eine Seite von etwas ist, dessen andere Seite das Gehirn ist, dann führt es weiter, ein gemeinsames Auftreten von materieller Veränderung (Bereitschaftspotential im Gehirn) und Bewusstseinszustand (Entscheidung) anzunehmen. Und die Selbstwahrnehmung ist eben langsamer als die der Messfühler.

[Update 14.4.2008] In Nature Neuroscience (DOI 10.1038/nn.2112) zeigen soeben Wissenschaftler ihr Experiment über den Zusammenhang von Entscheidungsfindung und deren Wahrnehmung an. Demnach soll in einigen Fällen die Entscheidung bis zu 10 Sekunden im Hirn vorbereitet worden (und damit für die Forscher wahrnehmbar bzw. vorhersagbar) gewesen sein, bevor die Testperson ihre Entscheidung selbst kannte. Ganz schön eindrucksvoll: 10 Sekunden. Allerdings ging es um das Drücken zweier Knöpfe, und die Trefferquote der Vorhersage lag bei 60%. Das ist natürlich ein bisschen besser als geraten...

[Update 16.5.2008] Habe gerade das Buch Hirnforschung und Menschenbild : Beiträge zur interdisziplinären Verständigung (Fribourg : Academic Press, 2007), hg. von Adrian Holderegger u.a., vor mir. Darin auch ein Aufsatz von Martine Nida-Rümelin (S. 91-120) Zur philosophischen Interpretation der Libet-Experimente, in dem die weitverbreitete Standarddeutung, die Willensfreiheit wäre am Ende, einer kritischen Analyse unterzogen wird.

06 November 2006

Mogeln Amerikaner mehr als Japaner? Deutsche mehr als Briten?

Eine Studie im Global Virtue Ethics Review 5 (2004), 4, 5-31, lief mir gerade über den Weg, in der fünf Autoren von der Roger Williams University in Bristol / Rhode Island der Frage nachgehen, wie sich das Mogelverhalten von College-Studenten in den USA und Japan unterscheidet. Eines der ERgebnisse: " ... that the moral behavior of US students is below that of their Japanese counterparts". Wie funktioniert die Studie? Die Studenten wurden befragt, ob sie schon gemogelt hatten und ob sie mogeln würden. Das erstere dient der Herstellung einer "Mogelhistorie" für den einzelnen, die Rückschlüsse darauf zulassen soll, ob, wer früher mogelt, das später eher auch tut. Wenig überraschend: dem ist so. Und übrigens in Japan häufiger als in den USA. Wie dem auch sei, die Autoren meinen, dass die "Dunkelziffer" der echten Mogler sogar noch höher sein müsse, weil es ja den bekannten Effekt des (sozial) erwünschten Verhaltens in der Öffentlichkeit gebe, der Leute daran hindern könne, über ihr tatsächliches Mogelverhalten Auskunft zu geben. Dass dieses Verhalten auch umgekehrt wirken könne: dass Leute behaupten, sie hätten gemogelt, weil sie denken, dass die Umfrager das gern hören möchten, haben Richard A. Bernadi et. alii allerdings nicht bedacht, aber vielleicht ist das auch nur ein laienhafter Einwand.

In diesem Zusammenhang ist vielleicht noch der Blick auf eine Spiegel online-Geschichte von heute interessant. Im British Journal of Criminology 46, S. 1011, berichtet Christian Stöcker, sind die Ergebnisse einer größeren vergleichenden Studie zusammengefasst, die das moralische Verhalten von Deutschen, Engländern und Walisern untersucht. Die Wissenschaftler haben auch eine Erklärung für das zunehmende unmoralische Verhalten: die Wirtschaft ist schuld. Könnte sein. Das Recht ist schuld. Könnte auch sein. Einfaches Beispiel: Die Steuererklärung zu machen ist dermaßen kompliziert, dass die meisten Privatleute davon überfordert sind. Es ist leichter, den Staat zu betrügen, als die Möglichkeiten auszuschöpfen, die der Staat vorgesehen hat. Also trägt wohl eine komplizierte Steuererklärung dazu bei, dass Leute nicht mehr im Bus Platz machen, wenn eine Mutter mit Kinderwagen einsteigen will...

05 November 2006

Wer ist der Vater der Amerikanischen Philosophie?

Na?
John Locke natürlich. Meint Morton White, im ersten Kapitel seiner Anthologie Documents in the history of American philosophy, die 1972 bei Oxford UP erschienen war. Locke "probably exerted more influence on early America thought than any other single man". Aber dann geht es im 18. Jahrhundert mit Jonathan Edwards und James Wilson los, Prediger der eine, Politiker der andere. Für das 19. Jahrhundert hält sich White weiterhin an die Idee "that philosophy in America is not merely philosophy written by Americans", und bringt Auszüge aus dem Werk Coleridges, bevor man George Ripley, Ralph Waldo Emerson und Theodore Parker lesen kann. Bis auf Emerson sind mir vor allem die Namen der Briten vertraut... Erst wenn, nach Herbert Spencer (wieder ein bekannter Engländer), John Fiske, Chauncey Wright, J. B. Stallo, endlich die Pragmatiker Peirce und James sowie der Idealist Royce genannt werden, schließlich Santayana und Dewey, kommen die mir bekannten Namen. Amerikanische Philosophie: eine unbekannte Geschichte.

[Update 6.11.] Gerade gesehen, dass White auch noch ein eigenes Buch zur Amerikanischen Philosophie veröffentlicht hat: Science and sentiment in America : philosophical thought from Jonathan Edwards to John Dewey (OUP 1972), sozusagen der Kommentar zum Reader.

02 November 2006

Parapsychologie und Philosophie

William James starb 1910. Etwa 1925 erschien ein Buch, das er post mortem diktiert haben soll: Margaret Underhill, Your infinite possibilities (London: Rider and Co, ca. 1925). Angesichts der Tatsache, dass James sich auch mit Parapsychologie beschäftigte, eine gar nicht so unplausible Geschichte...
Wie stehen Philosophie und Parapsychologie zueinander? Jan Ludwig gab 1978 einen Band bei Prometheus heraus, der die einschlägigen Aufsätze versammelte. Interessant finde ich besonders solche Fragen wie Does the concept of precognition make sense?, der sich der Psychologe C. W. K. Mundle widmet, oder C.D. Broads The philosophical implications of foreknowledge. An dessen Ende findet sich ein interessantes Gedankenexperiment, das der Frage gilt, ob Voraussicht nur dann möglich ist, wenn die Welt komplett determiniert ist: was wohl ein beliebtes Gegenargument war. Ich zitiere:
I can infer from events in the less remote past that Julius Caesar decided in the more remote past to cross the Rubicon. No one imagines for a moment that this fact shows that Caesar's decision to cross the Rubicon was completely predetermined at any previous date. Suppose now that an augur at Rome had foreseen those later events from which we infer that Caesar had decided at an earlier date to cross the Rubicon. Obviously, he could have drawn presicesly the same conclusion about Caesar's then future dedicison as we draw about his now past decision. And, if the possibility of our making this inference from these data does not require Caear's decision to be completely predetemined, why should the possibility of the augur's making the same inference from the same data require this?

29 Oktober 2006

Höffe, Kant und das Urheberrecht

Der Tübinger Philosoph und Kantkenner Otfried Höffe gehört zu den Erstunterzeichnern eines Schreibens an die Bundesjustizministerin (hier als pdf), in der 500 Vertreter der Wissenschaft Protest einlegen gegen die geplante Änderung des Urheberrechts. In der FR hat er am 28. Oktober seinen Protest begründet. Dabei scheint ihn am meisten der geplante Paragraph 52b zu kratzen:
Vermutlich noch einschneidender ist das Vorhaben, den Eigentumsschutz bei der Terminalnutzung in Bibliotheken enden zu lassen: Öffentliche Bibliotheken, Museen und Archive sollen künftig jedes Werk aus ihren Beständen, selbst ein kostenlos überlassenes Pflichtstück, an beliebig vielen elektronischen Leseplätzen zugänglich machen. Es ist keine Panikmache der wissenschaftlichen Verlage, dass ein Gutteil von ihnen dadurch in ihrer Existenz bedroht wird. Mitbedroht sind Autoren und Buchhändler.

Harte Worte. Und Kant ist natürlich gewährsmann:
Bücher sind geistiges Eigentum, in erster Linie des Autors, danach, wegen der subsidiären Leistung, des Verlegers. Gegen dieses gestufte Eigentumsrecht verstößt schon bei Kant der Büchernachdruck. Weil er den rechtmäßigen Besitzern deren rechtmäßigen Vorteil entzieht, macht er sich eines klaren Rechtsbruchs schuldig. Er begeht Kant zufolge ein Verbrechen. Dabei bleibt es sich gleich, ob ein klassisches Druckwerk vorliegt, das man in die Hand nimmt, oder ein auf dem Bildschirm gelesener Text.

Also: Auch wenn der Staat die "Terminalnutzung" erlauben würde, wären die Nutzer Verbrecher? Aber im Ernst.
Ehrlich, liebe Leser, würden Sie auf die Anschaffung eines Brockhaus verzichten, weil sie die Artikel digital in der Bibliothek an einem speziellen Leseplatz lesen dürften? Nur um es klarzustellen: der Entwurf erlaubt weder das Ausdrucken noch das Abspeichern auf einem mitgebrachten Speichermedium. Und die Rede von "speziellen Leseplätzen" verstehe ich als Laie so, dass diese Leseplätze zu keinem anderen Zweck genutzt werden dürften. Ich habe daher große Zweifel, dass Höffes Thesen überhaupt stimmen. Die wichtigste ist natürlcih die folgende:
Es liegt auf der Hand, dass die Verbreitung durch die Bibliotheken mittels Bildschirmen die Verkäufe der entsprechenden Bücher und Zeitschriften erheblich einschränken wird.
Ja, liegt das auf der Hand? Ich bin Bibliothekar, also kann ich begründet einschätzen, wie sich das Kaufverhalten der Bibliotheken ändern wird. -- Man muss an dieser Stelle hinzufügen, dass der Gesetzesentwurf sprachlich offenlässt, ob das Werk im Bestand der Bibliothek sein muss, was der Börsenverein weidlich für seine Propaganda ausgenutzt hat. In der endgültigen Fassung wird das aber sicher wieder drinstehen, und Höffe scheint auch davon auszugehen, dass die Bibliotheken auf speziellen Leseplätzen digitale Versionen von Büchern anbieten würden, die sie bereits besitzen, für die sie also in der Regel bezahlt haben. Dann ergeben sich folgende Fragen:

1. Werden wissenschaftliche Bibliotheken weniger Fachbücher kaufen, weil sie diese digitalisieren und zum Lesen am Bildschirm anbieten dürfen? Ich glaube nicht: denn wissenschaftliche Bibliotheken kaufen in der Regel ohnehin bloß 1 oder 2 Exemplare. Für Lehrbuchsammlungen werden Mehrfachexemplare angeschafft, aber dafür wird immer noch Bedarf bestehen, weil ja an den Leseplätzen weder abgespeichert noch ausgedruckt werden darf. Wenn die Bibliotheksbenutzer ein Werk länger nutzen wollen, müssten sie es immer noch ausleihen.
2. Werden öffentliche Bibliotheken weniger Bücher kaufen, weil ...? Ich glaube nicht: denn deren Kunden wollen ja den neuen Harry Potter nicht am Bildschirm in der Bibliothek lesen.
3. Werden die Bibliotheksbenutzer Bücher nicht kaufen, weil sie diese für sie kostenlos in der Bibliothek lesen können? Ich glaube nicht: eher glaube ich, dass sie das Buch nicht kaufen, weil sie es dort ausleihen (und auch privat kopieren) können.

Also: Was soll an der Nutzung am Bildschirm für den Umsatz eines Buches schlimmer sein als das, was Bibliotheken bereits tun, nämlich Bücher verleihen? Ich möchte noch, auch als Bibliothekar, hinzufügen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass wir viele derartige Leseplätze einrichten. Allein für das Digitalisieren hätten wir weder Zeit noch Geld (da gibt es wichtigere Objekte!). Auch für die übrige Infrastruktur hätten wir kein Geld: Extraleseplätze. Netzwerkserver. Usf.

Höffe nimmt auch ein Lieblingsbeispiel der Verlage auf, das sogenannte "Pflichtstück", an das manche Bibliotheken kostenlos gelangen. Ja, tatsächlich ist es so, dass es ein nationales Gesetz und dann bundeslandspezifische Regelungen gibt. Tatsächlich muss jemand, der ein Buch publiziert (d.h. in der Regel der Verleger) 2 Exemplare kostenlos an die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt schicken, die dann ein Exemplar davon dann in der Zweigstelle Deutsche Bücherei in Leipzig aufstellt. Diese Bücher dürfen dort ohnehin nur im Lesesaal eingesehen werden -- was unterscheidet das von der 'Terminalnutzung', die ja auch im Lesesaal stattfände? In den Bundesländern ist es im allgemeinen so, dass die Staats- und Landesbibliotheken ebenfalls 2 Pflichtstücke erhalten, in Baden-Württemberg z.B. geht eins an die Badische Landesbibliothek, eins an die Württembergische Landesbibliothek, wobei dort das zweite von den Bibliotheken gekauft wird. In Bayern geht ein Exemplar an die Bayerische Staatsbibliothek, eines an eine regional zuständige Bibliothek. Diese Bibliotheken in den Bundesländern können die Bücher verleihen und tun dies auch. Inwiefern sollte hier die Möglichkeit, die Bücher digital an Terminals (und nur dort) zugänglich zu machen, den Umsatz der Verlage einschränken?
Die Verlage -- und nun auch Höffe und andere -- haben hier eine Menge Behauptungen aufgestellt, die einer empirischen Überprüfung nicht standhalten würden. Reine Propaganda, die Höffe mit Kant adelt. Die kundigeren Vertreter der Wissenschaft unterstützen das Urheberrechtsbündnis, dass die Bundesregierung an ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag erinnert, ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht zu schaffen. Dokumente über die verschiedenen Entwürfe und den Stand der Diskussion gibt es hier. Die Verlagspropaganda findet man nun gut zusammengefasst auf der Selbstdarstellungseite des Börsenvereins zum sogenannten 'Zweiten Korb' des Urheberrechts (audiatur bla bla et alterae partis).

25 Oktober 2006

Was ist Methodischer Kulturalismus?

Alles darüber im soeben ausgezeichneten Wikipedia-Artikel! Schnell lesen, bevor der verändert wird...

24 Oktober 2006

Philosophie-Suche mit Google ausprobiert



Das Philoskop ist ein Experiment mit einem neuen Dienst von Google. Benutzen Sie die Suchbox auf der rechten Seite oder klicken Sie auf das 'Logo'. Ich habe vor, nach und nach den Zielraum der Suche zu ergänzen. Wird wohl einige Zeit dauern, bis da gute 'Antworten' rauskommen, zumal ich mit einer Liste englischer Philosophie-Blogs angefangen habe...

22 Oktober 2006

Warum moralisch sein?

Ich habe gerade den Hinweis auf Marc D. Hausers Forschung gefunden. Der Psychologe aus Harvard beschäftigt sich u.a. mit der Frage, welchen empirischen Hintergrund altruistisches Verhalten hat -- bei nichtmenschlichen Spezies. Die Antwort auf seine Frage "Why be nice?" ist nicht überraschend: "Cooperation sometimes pays off". Oder anders ausgedrückt: Es gibt einen egoistischen Grund, altruistisch zu sein, jedenfalls für Tiere. Dabei stoßen Tiere, im Unterschied zu Menschen, auch schnell an Grenzen. Oder in Hausers Worten, aus seiner Zusammenfassung:
We argue, however, that most instances of animal cooperation can be attributed to either selfish or indirect benefits via mutualism and helping kin. We suggest that reciprocal altruism among unrelated indi-viduals is rare if not absent among animals, despite its ubiquity in humans. In cases where it occurs in the lab, it is unclear whether the patterns observed would generalize to more natural and less controlled situations. We propose that cognitive constraints on temporal discounting, numeri-cal discrimination, learning and memory, and other com-ponents limit the ability of many species to implement and maintain reciprocally altruistic strategies. If correct, then comparative research must illuminate which components are shared with other animals, which are unique to hu-mans, and why certain components evolved in our species and no other.

Den ganzen Aufsatz hier als pdf.

21 Oktober 2006

Ihre unsterbliche Seele

Haben Sie eine? Na, wenn, dann hab ich auch eine. Das gilt allerdings nicht für die Überzeugung, eine unsterbliche Seele zu haben: sind Sie überzeugt? Na, ich bin es noch lange nicht.
Das ändert auch Béla Weissmahrs (1929-2005) neues Buch Die Wirklichkeit des Geistes (Stuttgart : Kohlhammer, 2006) nicht. Weissmahr hat in München an der Hochschule für Philosophie gelehrt; das ist ja eine jesuitische Hochschule: man darf also wohl eine gewisse Voreingenommenheit beim Verfasser vermuten.

Weissmahrs Argument:
Es gibt ein 'reines' oder 'transzendentales Ich'. Das ist "jene Instanz, die niemals ein ausdrücklich erfassbares Objekt einer auf sie direkt gerichteten Erkenntnis werden kann, weil sie genau dasjenige ist, das selbst den Akt des Erkennens (und des sich Bestimmens) vollzieht". Außerdem kann das reine Ich von niemand anderem außer ihm selbst erkannt werden. Das ist also nichtempirisch, meint Weissmahr, und damit über die Empirie hinausgehend. Das 'reine Ich' besitzt damit einen 'absoluten Standpunkt'. Das alles lässt sich summieren zu der These, "dass die Seele [=der Part mit dem 'reinen Ich'] des Menschen eine in sich begründete Eigenständigkeit bzw. eine wesentliche Überlegenheit hinsichtlich des Physikalisch-Materiellen zukommt, woraus sich dann ihre todüberdauernde Existenz ergibt". (S. 171)

Diese Argumentation hat schon eine schräge innere Logik: Tod ist was empirisches, die Seele isses nicht, also kann sie nicht sterben. Nun kann man allerdings ganz analog argumentieren: Das Leben ist was empirisches, die Seele isses nicht, also kann sie nicht geboren werden. Hat es Ihre Seele, sprich: Ihr 'reines Ich' demnach schon immer gegeben, Sie aber nicht? Der Tod ist doch nur die eine Seite der Medaille! (Weissmahr sagt aber explizit, dass die Seele einen Anfang hat, S. 199)

Weissmahr geht aber noch einen Schritt weiter: er meint, es muss möglich sein, etwas über die Art und Weise der "postmortalen Existenz der menschlichen Person" zu sagen. Argument:
Könnte man nämlich über das Wie der Weiterexistenz der menschlichen Person nach dem Tode überhaupt nichts sagen, dann wäre auch dei Behauptung, "dass" der konrete Mensch selbst nach seinem Tode weiterlebt, eine vollkommen inhaltsleere Aussage.
Ähm, ja. Weissmahr ist ja schon tot, insofern hat er nun darüber Auskunft aus erster Hand. In seinem Buch meint er nur, dass dort "Räumlichkeit und Zeitlichkeit" " nicht so gegeben" seien, "wie wir sie jetzt erfahren". Und die Seele müsse "für sich gang gegenwärtig" sein.

Weissmahr hat am Schluss noch ein Wort für den Skeptiker. Bei der Frage, wie überzeugend seine Ausführungen seien, schreibt er:
Alles hängt davon ab, ob jemand fähig /bzw. willlens ist, die auf die unbedingte und damit auch geistige Dimension der Wirklichkeit hinweisenden Momente als solche wahrzunehmen und ihnen zuzustimmen. ... Um die dargelegten Gedankengänge mitvollziehen zu können, muss man das Zeugnis der Subjektivität und darin vor allem des moralischen Gewissens seiner ontologischen Bedeutung nach erfasst haben. Wenn das der Fall ist, dann dürften die dargelegten Gedankengänge als zustimmungswürdig erscheinen. Wo das aber nicht zutrifft, dort dürften die vorgelegten Überlegungen höchstens ein herablassend gütiges Kopfschütteln hervorbringen.

In der Tat.

16 Oktober 2006

Der Tollste

Der Autor von Wahrheit und Methode gilt heute international als der bedeutendste deutsche Philosoph in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, ja schon als Klassiker der Philosophie
behauptet Günter Figal eingangs seines neuen Buches Gegenständlichkeit (Tübingen : Mohr Siebeck, 2006). "Als Beleg", meint er, "mag in der wachsenden Forschungsliteratur der von Robert J. Dostal herausgegebene Cambridge Companion to Gadamer (2002) ebenso gelten wie der von L. E. Hahn herausgegebene Band The Philosophy of Hans-Georg Gadamer in der Library of Living Philosophers."
Gilt also die Beschäftigung der Übrigen mit einem als Beleg für seine Bedeutung? Die Zeitschrift Information Philosophie hat ja in jedem Erscheinen eine Hitliste deutscher Philosophen. Ich meine, da stände immer Habermas an erster Stelle (oder liegt das daran, dass Gadamer schon tot ist?) Kleiner Check im Netz (gern hätte ich noch die Zahl der Ehrendoktoren hinzugefügt, aber das ließ sich auf die schnelle nicht eruieren):



















GadamerHabermas
Google371.0001.230.000
Forschungsliteratur184356
Google Scholar43.600
160.000

PS Forschungsliteratur ist ermittelt durch Schlagworteingabe im elektronischen Katalog der SSG-Bibliothek für Philosophie, der UB Erlangen.

Descartes sux, Locke too, said Berkeley

"Exclusively electronic operation" für Nous und PPR

Blackwell Publishing ruft ein Moratorium aus für seine -- wichtigen -- Zeitschriften Nous und Philosophy and Phenomenological Research. Ab übermorgen, 18.10., will Blackwell 6 Monate lang keine Einreichungen von Aufsätzen mehr akzeptieren. Die Zeit braucht man offenbar, um auf "electronic operation" umzustellen. Was bedeutet das: die Zeitschriften gleich online? Das sicher auch, aber vor allem: dass Schreibende ihre Texte nurmehr bereits elektronisch einreichen dürfen, und nicht mehr in Papierform. Davon verspricht sich Blackwell
to reduce greatly the deplorable time lags that philosophy journals presently suffer, both in disposition of submissions and also in span from acceptance to publication
Mal sehen, ob das so klappt, oder ob man weiter zwei Jahre pro Aufsatz beim Publizieren zusehen kann.

10 Oktober 2006

Wer ist hinter Ihnen her?

Vor ein paar Jahren gab's einen Film mit Mel Gibson und Julia Roberts, Fletchers Visionen. Der Bösewicht wurde von Patrick 'Picard' Stewart gespielt, und es ging um einen entflohenen Profikiller, der sein Gedächtnis verloren hat und nun seine ihm eingebrannten üblen Erfahrungen und die fehlende Vergangenheit mit einem Haufen Verschwörungstheorien kompensiert, die er an die Leute zu bringen sucht. Ich hatte damals nach einem kurzen Verleser die Hoffnung, es werde ein postmoderner Thriller: Fletchers Versionen. In der Tat erzählt Fletcher ja, indem er Zeitungsmeldungen durch seine Brille neu interpretiert, auch einen Teil der täglichen Ereignisse neu.
Verschwörungstheorien lohnen kaum die Diskussion, da sie meist immun gegen Korrekturen sind, wenn sie nicht gerade auf nachprüfbar falschen Annahmen aufbauen. Trotzdem gibt es eine kleine philosophische Debatte darüber, und die hat David Coady in einem jüngst bei Ashgate (Aldershot, 2006) erschienenen Sammelband Conspiracy theories : the philosophical debate zusammengefasst. Hauptfokus ist, sozusagen, die Erkenntnistheorie der Verschwörung, oder die Frage, ob das Konzept 'Verschwörungstheorie' für sich schon fehlerhaft ist. Und vielleicht auch die Pragmatik, frei nach Wittgenstein: man kann sich nicht allein verschwören.

Blick auf die Webseite von Ashgate hat mir gerade gezeigt, dass es dort noch eine weitere Publikation zum Thema gibt: Conspiracy theories in early modern Europe, von 2004.

Mittelalterliche Skepsis

Dominik Perler, exzellenter Kenner der mittelalterlichen Philosophie, geht in seinem neuen Buch Zweifel und Gewissheit (Frankfurt am Main : Klostermann, 2006) den "skeptischen Debatten im Mittelalter" nach. Interessant der Aufbau seines Buches: systematisch, orientiert daran, woran gezweifelt wurde: so dass die Debatten als Folge von Argumenten in ihrer Entwicklung dargestellt werden können. Perler schreibt sehr lesbar, auch für diejenigen, die wie ich nicht so im Mittelalter zu Hause sind. Das buch wurde in der FAZ rezensiert, und der Verlag hat es sich nicht nehmen lassen, die Lobesworte von Pawlik auf seiner Homepage zu zitieren.

09 Oktober 2006

Wie Kant in Spanien gelesen wurde

verrät Kant en España: el neokantismo en el siglo XIX, hg. von José Luis Villacañas Berlanga. - Madrid : Verbum, 2006. Der Band enthält neben einer einleitenden, knapp 140 Seiten umfassenden Studie und einer kurzen Bibliographie vor allem Quellentexte, von Manuel de la Revilla, José del Perojo und Kuno Fischer.

Thomas Reid und die Identität

Fundstück: Das Gedankenexperiment vom konzeptuellen Zusammenhang von Körper und Geist in der Frage der Identität. Bis dato waren mir nur die Varianten von Bernard Williams und Sidney Shoemaker bekannt: rund 200 Jahre später!
In 1775 Thomas Reid, a leading light of Scottish philosophy, wrote to the distinguished judge Lord Kames: "I would be glad to know your Lordship's opinion whether when my brain has lost its original structure, and when some hundred years after the same materials are fabricated so curiously as to become an intelligent being, whether, I say, that being will be me; or, if, two or three such beings should be formed out of my brain; whether they will all be me, and consequently one and the same intelligent being".

Quelle: Thomas Reid to Lord Kames, 1775, in "Unpublished Letters of Thomas Reid to Lord Kames, 1762-1782", ed. Ian S. Ross, Texas Studies in Literature and Language 7 (1965), 17-65.
Quelle hier: Nicholas Humphrey: Seeing red : a study in consciousness. - Cambridge /MA : Belknap Press, 2006, S. 1.

08 Oktober 2006

Philosophie-Aufsätze schreiben

Die Ratgeberliteratur ist nicht ganz umfanglos: wie man Essays, Aufsätze, Dissertationen schreibt. Werke wie Umberto Ecos Über das Verfassen einer wissenschaftlichen Arbeit, die allen Fächern genügen wollen, müssen notgedrungen vor allem auf solche Dinge hinweisen, die allen gemeinsam sind. Falls es eine bestimmte Art der Argumentation, eine bestimmte fächerspezifische Methode der geistigen Versenkung gibt, über die man gern etwas wüsste, sollte man lieber zu philosophiebezogenen Ratgebern greifen.
Im angloamerikanischen Raum ist dabei die Ratgeberliteratur weiter fortgeschritten. Lewis Vaughn bietet in seinem Büchlein Writing Philosophy : a student's guide to writing philosophy essays (Oxford : Oxford UP, 2006) z.B. Kapitel über das Lesen philosophischer Texte -- als Voraussetzung des Schreibens --, über das Argumentieren und Bewerten von Argumenten, über logische Fehlschlüsse und wie man sie vermeidet, über das Plagiieren und warum man es nicht tun sollte, über Schreibstil, schließlich über die "Formatierung" des Geschriebenen, bevor man es abgibt. Das Buch ist aufgebaut als Begleitung einer entsprechenden Kurseinheit.
Manche Ratschläge dürften gewöhnungsbedürftig sein. So empfiehlt Vaugh, die Erste Person zu benutzen, sofern der 'isntructor' nichts anderes verlangt:
These are preferable to the more formal we ("we will show that ...") or extremely formal and stilted locutions such as "It is to be noted that ..." or "It is to be shown that ...") This advice correlates nicely with ... taking full responsibility for the claims you make.
Ich bin ganz seiner Meinung. Allerdings muss man auch das "ich" vorsichtig benutzen, um die Wichtigkeit des Eigenen nicht überzubewerten. Sätze wie "ich denke" taugen nicht als Einleitung in ein Argument -- in einer wissenschaftlichen Arbeit. Und "wie ich gezeigt habe" ist genauso hässlich wie "wie wir gesehen haben".

07 Oktober 2006

Systemtheorie und Phänomenologie

Wie verhalten sich die beiden zueinander? Oder Husserl zu Luhmann? Das muss eine interessante und drängende Frage sein: so sehr, dass Sven-Eric Knudsen seine soziologische Dissertation darüber geschrieben hat und Jaromir Brejdak u.a. einen Sammelband darüber herausgeben. Knudsens Buch heißt Luhmann und Husserl : Systemtheorie im Verhältnis zur Phänomenologie (Würzburg : Königshausen und Neumann, 2006) und handelt vom Verhältnis des Subjekts zur Gesellschaft, wie es sich in beiden Theorien darstellt: nämlich jeweils defizitär. Die eine hat bekanntermaßen ihre Stärke in der Beschreibung des Subjekts, die andere ... Knudsen ist gleich versucht, von "Bewusstseinssystemen" zu schreiben; der Leser muss also schon eine gewissen terminologische Bewegung mitmachen.
Brejdaks Band, im gleichen Jahr beim gleichen Verlag unter dem Titel Phänomenologie und Systemtheorie erschienen, geht es um die "Rahmenbedingungen eines Dialogs zwischen" den beiden Theorien, die doch schließlich, so der Klappentext, dasselbe wollen: die "Überwindung der Subjekt-Objekt-Dichotomie". Die werden anhand von einzelnen Themen wie 'Geschichte' oder 'Zeit' aufgerissen. Und Hans Reiner Sepp schreibt über "Luhmann liest Husserl", anhand von Luhmanns 1996er Wiener Vortrag über -- richtig -- Husserls Wiener Vortrag von 1935.

01 Oktober 2006

Johann Daniel Friedrich Rumpf 1833 über Intelligent Design

Der preußische Hofrath verfasste eine Argumentationslehre. Bei den Beispielen handelt er auch die Gottesbeweise ab. Den aus der Zweckmäßigkeit der Welt nennt er den "Physiko-theologischen Beweis" und schreibt dazu:
... so ist freilich nicht zu läugnen, daß eine Menge von Gegenständen in der Sinnenwelt von der Art sind, daß wir ihre Einrichtung nicht anders begreifen können, als wenn wir einen Zweck, einen Absicht aufsuchen, weshalb sie so eingerichtet sind. Es ist also die Zweckmäßigkeit für uns ein Erklärungsgrund, wenn wir mit den mechanischen Ursachen nicht ausreichen; allein aus dem Unstande, daß wir die Einrichtung gewisser Dinge nicht anders begreifen können, als wenn wir annehmen, daß sie nach einem bestimmten Zwecke hervorgebracht sind, folgt noch gar nicht, daß ein solches Ding wirklich einen vernünftigen Urheber habe. Es ist dies nichts als eine Hypothese, also kein Beweisgrund. Man würde ja sonst schließen, "was ich nicht erklären kann, ist so," und das wird doch wohl Niemand behaupten.
Ferner erschleicht der physiko-theologische Beweis die Annahme Eines Urhebers der Welt, denn er vergleicht die Natur als ein zweckmäßiges Ganzes mit einem menschlichen Kunstwerke, und nimmt analogisch an, weil das, was wir von der Welt kennen, zusammenstimmend ist, so wird Alles zusammenstimmend sein, ob wir gleich die Natur nur dem kleinsten Theile nach kennen, mithin durch einen gewaltigen Sprung im Schließen, aus der Zweckmäßgikeit des bekannten Theils auf die durchgängige Zweckmäßigkeit des unbekannten Theils einen Schluß machen. Dies ist hier um so mehr der Fall, da uns in der Welt Manches als unzweckmäßig, selbst als ein Übel erscheint; man müßte sich durchaus auch darauf einlassen, dieses anscheinend Zweckwidrige in der Welt zu erklären und die Gottheit zu rechtfertigen. Man würde sich aber nicht auf die Unmöglichkeit berufen dürfen, die Weisheit Gottes zu ergründen, denn sonst würde man einen Zirkel im Beweise machen. Man würde nämlich von der Zweckmäßigkeit der Sinnenwelt auf das Dasein eines allweisen Urhebers, und von diesem schließen, daß Alles, was in der Welt sich findet, -- auch das anscheinend Unzweckmäßige -- zweckmäßig sein müsse.
Aber gesetzt auch, die Welt sei von einem vernünftigen Wesen hervorgebracht, so können wir doch höchstens nur annehmen, dieses Wesen habe so viel Kraft und so viel Verstand gehabt, als dazu gehört, um diese Welt zu machen, nicht aber, daß es den höchsten Verstand, und die höchste Kraft besitze. Wir würden von der Welt höchstens nur auf einen mächtigen, weisen und gütigen Bildner oder Baumeister schließen können, der wie ein menschlicher Künstler einem gegebenen Stoff eine zweckmäßige Form ertheilte, keinesweges aber auf ein allerhöchstes Wesen.
Der physiko-theologische Beweis kann also nicht als strenger Beweis für das Dasein Gottes gelten.
Johann Daniel Friedrich Rumpf: Die Disputir- und Vortragskunst : eine praktische Anleitung zum logischen Beweisen und Widerlegen und zum folgerichtigen Gedankenvortrage; gemeinfasslich dargestellt und durch Beispiele anschaulich gemacht. - Berlin : Hayn, 1833, hier S. 153-154.

28 September 2006

Die Alligator-Geschichte

Patrick Baum berichtet in seinem Weblog Philosophus davon, wie die Figuren einer seltsamen Liebesgeschichte mit Alligatoren im Unterricht von Schülern der 12. Klasse beurteilt werden.

Dazu kommentiert Katja:
Ich glaube, das Beispiel zeigt ganz deutlich, dass die moralische Beurteilung eines anderen im Grunde unmöglich ist. Wobei es stimmt, dass wir auch in der Realität das immer wieder versuchen. Wäre es nicht eine Lösung, jeden nach den subjektiven Konsequenzen seiner Handlungen zu bewerten? Wenn Abigail z. B. das Erlebnis mit Sinbad als traumatischer als die Zurückweisung durch Gregory empfunden hat, dann ist er auch (aus ihrer Sicht) am stärksten zu verurteilen.
Weil man sich zum Kommentieren registrieren muss, ziehe ich es vor, hier darauf zu antworten:
Wirklich? In dieser Allgemeinheit? Die moralische Beurteilung eines anderen ist im Grunde unmöglich?
Was die Moral angeht, bin ich Davidsonianer, das heißt: ich glaube nicht, dass man selbst Moral haben kann, wenn man nicht auch das Verhalten anderer moralisch beurteilen kann. Wenn es also unmöglich ist, das Verhalten anderer moralisch zu beurteilen, dann ist es auch unmöglich, selbst moralisch zu sein!
Diese Folge halte ich für absurd. Aber dass das moralische Beurteilen von anderen schwierig ist und nicht immer richtig liegt, ist eine andere Sache.
Die Alligator-Geschichte war mir neu, und hier gilt, wie meist, eine Lektion von Richard Mervyn Hare: Wenn einem die Story komisch vorkommt, kann das ja daran liegen, dass sie zu wenig Details enthält. Zum Beispiel: Hat Ivan ein Boot? Könnte er Abigail so rüberfahren? Warum kann Abigail nicht warten, bis die Brücke wieder aufgebaut ist? Kennt Abigail Slug schon oder ist das eine neue Bekanntschaft? Was weiß Slug?
Usf.
Außerdem muss man sich darüber im klaren sein, dass man schnell mit unbewussten Interpretationen bei der Hand ist:
Die Geschichte behauptet, dass Abigail Gregory liebt, aber ist das eigene Konzept von Liebe verträglich mit der Bereitschaft, mit jemand anderem zu schlafen? Ist das nicht Prostitution und damit moralisch verwerflich? Ist umgekehrt Sindbad ein Erpresser (pfui), oder verkauft er nur Abigail etwas (ok)? Ist jemand, der jemand anderen auf der Grundlage von Hörensagen verprügelt, nicht ein bösartiger Schläger? Usf. Weil die Geschichte unterbestimmt ist, kann man dann natürlich auch trefflich drüber streiten, weil die Lücken unterschiedlich gefüllt werden.

27 September 2006

Im Ernstfall foltern? Rainer Trapp klärt, wie man mit Terroristen umgehen könnte

Dass zwischen Terroristen und ihren staatlichen Verfolgern ein Ungleichgewicht besteht in dem was sie dürfen bzw. sich herausnehmen, war hier schon Thema. Der Osnabrücker Philosoph hat sich jetzt des Themas angenommen in seinem Buch mit dem vielsagenden Titel Folter oder selbstverschuldete Rettungsbefragung? (Paderborn : mentis, 2006; der Link führt auch weiter zu einem Inhaltsverzeichnis als pdf). Ich muss zugeben, dass "Selbstverschuldete Rettungsbefragung" gleich viel netter klingt, weil es ja klarmacht, dass die Übeltäter selbst schuld sind, wenn sie gefoltert, äh, rettungsbefragt werden müssen. Trapps Buch ist jedenfalls ein gründlicher Beitrag zum Thema, der sich auch mit dem gern vertretenen moralischen Spagat von der moralischen Legitimation der Folter im Notfall unter Beibehaltung ihrer Rechtswidrigkeit auseinandersetzt. Trapp sucht zu zeigen, dass ein verantwortlicher Rechtsstaat die Anwendung von Gewalt gegenüber Tatverdächtigen vertreten darf, solange dies strengen Bedingungen genügt. Ob man seine Argumente dafür überzeugend findet, sollte man selbst prüfen. Dankenswert ist jedenfalls Trapps minutiöse Auflistung der bisher bekannten Argumente gegen die Folter in der Strafverfolgung -- und der Versuch ihrer Widerlegung. Denn ob man Gewaltanwendung nun für zu rechtfertigen hält oder nicht, kennen sollte man die Argumente schon.

W. V. O. Quine und seine 3 Vornamen


Ich habe mich häufiger gefragt, wie eigentlich Quines Name korrekterweise anzugeben ist. Das W. steht für "Willard", das wollen wir mal als geläufigen Vornamen durchgehen lassen. Aber V. und O. stehen bekanntermaßen für "Van" und "Orman". Sind das zwei weitere Vornamen? Oder ist "van Orman" auch ein Nachname, mit niederländischem "van" -Präfix eben? Dagegen scheint aber zu sprechen, dass häufig auf Buchtitelseiten von Quine sein Name "W. V. Quine" lautet. Das spricht doch für einen dritten Vornamen, der einfach weggelassen werden kann?

Auf die Idee, dass "Van" auch ein Vorname sein könnte, brachte mich "Van" Morrison. Aber kürzlich kam ich auf die Idee, dessen Namen in der Wikipedia nachzusehen: eigentlich heißt Van the Man "George Ivan", kann man sich also erklären, wie er selbst auf Van kommt. Das dürfte nicht als Beleg für einen Vornamen "Van" taugen.
Nun stieß ich in anderem Zusammenhang auf die Webseiten, die von Quines Sohn -- jaja, der heißt auch Quine, und zwar Douglas Boynton Quine, gepflegt werden. Douglas ist der Sohn von Willard ... Quine und Marjorie geb. Boynton, wie man einem Stammbaum auf der Seite entnehmen kann, und da sind dann auch Quines Vorfahren höchstselbst, nämlich Cloyd Quine und Harriet "Van Orman". Daraus folgt wohl, dass das "V. O." in Quines Namen einfach der Nachname seiner Mutter ist und als zusammenhängend betrachtet werden muss. Und, möglicherweise in deutscher Schreibung, vielleicht Willard van Orman Quine lauten würde. Andererseits ist das "Van Orman" wohl so etwas wie ein Patenname, das heißt: kein Nachname, sondern eher ein zweiter Vorname (diese Praxis gibt es im Deutschen nicht). Das würde erklären, warum er nur mit V. abgekürzt und großgeschrieben werden kann: so verstehe ich nämlich schließlich und endlich die Initialen W. V. Quine als W(illard) V(an Orman) Quine. Alles klar?

Analytische Dekonstruktion? Dekonstruktive Analyse?

Peter Bornedal ist bisher, bis auf ein paar Aufsätzen zu Nietzsche und seiner Diss Speech and System, nicht weiter aufgefallen. Nun legt er ein Buch vor, das sich den Beginnings of Theory zuwendet, Untertitel: Deconstruction broken logik in Grice, Habermas, and Stuart Mill (Lanham : University of America Press, 2006). Aus dem Klappentext:
Two of the essays discuss the works of Paul Grice and Jürgen Habermas and their theories on language and communication. In these essays, the author demonstrates that despite the attempts of Grice and Habermas to give ontological foundations for inherent communicative rationality, their endeavors are unsuccessful. The third essay discusses John Stuart Mill's utilitarianism and argues that Mill's attempts to decide what is in principle good remain futile and incomplete. Ultimately, Bornedal argues that we cannot give metaphysical reasons for rationality or the good life. We can only decide to pursue these ideals, but there is nothing beyond the decision that makes the pursuit necessary or inherent. According to this position, Deconstruction becomes a kind of Pragmatism; or, as the author states, by way of paradox, "Analytic Deconstruction gives Pragmatism a scientific foundation."
Bin mir nicht sicher, ob das nun sympathisch klingt oder nicht: Einerseits ist es schön, wenn Dekonstruktion mehr ist als ein lustig-lustvolles Spiel der rhetorischen Analyse, andererseits kommt dabei anscheinend nichts heraus, was die analysierten Philosophen nicht auch schon gewusst hätten. -- Trotzdem finde ich den Versuch, Dekonstruktion mit den Mitteln der analytischen Philosophie zu betreiben, interessant genug.

26 September 2006

20.000 Seiten eines eigenen Philosophie-Systems

Schon mal was von Hans Pochmann gehört oder gelesen? Das ist ein österreichischer (?) Diplom-Psychologe, der sich selbst auch Philosoph nennt, und nun ein "Pochmann-Lexikon" vorgelegt hat, im Selbstverlag. Untertitel: "Lexikon und System der wesentlichen Begriffe des philosophisch-wissenschaftlichen Gesamtwerks von Hans Pochmann - etwa 200 Bände mit etwa 20.000 Seiten". War es nicht Marx, der feststellte, dass Quantität irgendwann in Qualität umschlägt? Er muss sich geirrt haben; Pochmann liefert den Beweis.
Beim genannten Umfang ist man natürlich froh, wenn es eine Abkürzung gibt (und man die Absicht gehabt haben sollte, das Werk Pochmanns zu studieren). Das Lexikon ist nur 52 Seiten stark, also knappe 2,5 Promille des Gesamtwerks. Es herrscht ein etwas wirres Gliederungsprinzip: So erfolgen Querverweise auf Begriffe, geordnet ist das ganze aber nach Artikelnummern.

Kleines Beispiel für die Argumentation. Pochmann ist Anhänger des "Hylozoismus", der Weltanschauung, dass
nichtzellige Naturgebilde als substantielle, ganzheitliche, manches erlebende (psychische), lebende, Ziele anstrebende und erwirkende Wesen angesehen werden, die je eigenen Sinn haben.
Zu Anhängern dieser These zählt er auch Diderot, Bruno, Goethe, Nietzsche, Klages. Das Nietzsche-Zitat als Beleg zeigt aber, dass hier ein experimenteller Gedanke Nietzsches a) für dessen Meinung ausgegeben und b) leicht missverstanden worden ist.
Und gibt's Argumente? Ja, gleich 4:
1. Wenn alle kleinsten Teilchen "völlig leblos und sinnlos wären, könnte ihre noch so komplizierte Zusammensetzung kein lebend-erlebendes, eigenen Sinn habendes Lebewesen ergeben".
2. Die Entstehung des Lebens auf der Erde lässt sich "nur-physikalisch nicht erklären, hylozoistisch lebt bereits aller Stoff des Weltalls und auch die kleinsten Substanzteilchen vor Entstehung der Zellen".
3. "Es wäre völlig uneinsichtig, wie aus einem Gehirn als einem Haufen lebloser, sinnloser Atome psychische Leistungen hervorgehen könnten".
4. "Die Ordnungen der Galaxien wie der Atome und Kristalle blieben unerklärbar".

Ehrlich: alle 4 Argumente sind Mist, und außerdem sind 1 bis 3 dasselbe Argument: den Übergang vom Unbelebten zum Belebten kann Pochmann so nicht verstehen. Aber wie ein Lebewesen entstehen soll, wenn man haufenweise Teilchen mit eigenen Leben und Sinn zusammensetzt, ist mir auch schleierhaft.
Dass Pochmann für alles ein völlig eigenes System hat, braucht wohl nicht gesagt zu werden. Es ist der Mühe nicht wert, sich da reinzudenken, auch wenn man ein Freund von Systemen ist (was ich nicht bin). Immerhin: was für eine immense Arbeitsleistung, allein 20.000 Seiten zu verfassen!

Ich frage mich, warum mich die verqueren Gedanken anderer manchmal mehr interessieren als die geraden? Ich vermute, es ist eine Art Faszination am intellektuellen Varieté, das ja nicht nur Akrobatik und Zauberkunst ausstellt, sondern auch zur Besichtigung des Abnormen einlädt.

25 September 2006

Der Wiener Kreis neu dokumentiert

Bisher musste man, wollte man sich mit der Philosophie des Wiener Kreises beschäftigen, die Originale zur Hand nehmen -- oder ein schmales Suhrkamp-Bändchen von Otto Neurath, das aber auch die 'Gründungsurkunde' Wissenschaftliche Weltauffassung - Der Wiener Kreis (hier pdf) (1929) enthielt. (Oder, wenn ich mich recht erinnere, einen nicht mehr lieferbaren Sammelband, den Hubert Schleichert herausgegeben hatte.)
Jetzt legt der Meiner-Verlag eine etwas großzügigere Dokumentation vor, die außerdem mit gut 100 Seiten Einführung und Bibliographie versehen ist. Michael Stöltzner und Thomas Uebel haben sie herausgegeben, und leider will der Verlag 78,- Euro für den gut 700 Seiten starken leinengebundenen Band haben. Ansonsten ist es ein wunderbares Büchlein, das neben den berühmten Aufsätzen auch weniger bekanntes bietet -- und stets mit den Originalseitenangaben der Erstveröffentlichung. Ganze Debatten lassen sich so nachverfolgen. Die Herausgeber haben dankenswerterweise das eine oder andere kommentiert.

24 September 2006

Deutsche Philosophie nach 1945 aus französischer Perspektive

Gérard Raulet: La philosophie allemande depuis 1945 (Paris : Colin, 2006). Auf dem Cover sind Habermas (ach was!), ein gruseliges Bild von Gadamer, Jaspers, Heidegger, und Sloterdijk, schlank und jung. Drinnen findet man aber auch, und unter anderen: Marcuse, Frankfurter Schule, Honneth, Waldenfels, Bubner, Bloch, Bohrer, Tugendhat, Spaemann, Lübbe, Peter Bürger, Manfred Riedel, Hans Jonas, Schulz, Theunissen, Blumenberg, Henrich und Marquard. Das ist doch eine Mischung! Und wieder einmal der von mir geschätzte Blick von außen.

23 September 2006

Kitcher und Nordhofen über eine Ethik mit und ohne Gott

Philip Kitcher schrieb in der ZEIT Nr. 38 vom 14.9. über eine "Ethik ohne Gott". Neu war für mich sein Ansatz: Kitcher skizziert die (mögliche) Entstehungsgeschichte von Ethik und zeigt sie dabei als eine Funktion menschlicher Gesellschaft, die ihre Entstehung und Entwicklung überhaupt ermöglicht. Dies geschieht im Vergleich mit dem Verhalten von Schimpansen in ihren Gemeinschaften. Dort kann man empathisches, d.i. einfühlendes und damit altruistisches Verhalten beobachten, aber auch, wie es oft in Konflikt gerät mit den eigenen Wünschen.
Menschlich im eigentlichen Sinne wurden wir erst, als wir Wege fanden, sozial unverträgliches Verhalten zu verhindern und altruistische Fähigkeiten zu verstärken,
schreibt Kitcher. Diese Errungenschaft sei an die Verwendung von Sprache geknüpft; Regeln müssen formuliert und mit Verhalten verglichen werden. Die Regelsysteme sind dann einem Prozess der Entwicklung ausgesetzt, der wie eine Evolution beschrieben werden kann: sie müssen sich bewähren in unterschiedlichen Umwelten; manche Regeln werden aufgegeben, andere kommen hinzu. Der Blick auf die Geschichte der kodifizierten Moral zeigt, wie unterschiedliche Gesellschaften sich unterschiedlichen Regeln unterwarfen. Kitchers Schlussfolgerung:
Dieser Blick auf die historischen Wurzeln unserer ethischen Begriffe mag für die Zukunft hilfreich sein. In Debatten über ethische Fragen kann man sich nicht darauf beschränken, Dogmen konkurrierender Traditionen auszutauschen oder unauflösliche Meinungsverschiedenheiten einfach hinzunehmen.
Kitcher erblickt hier also eine Möglichkeit, mit den Meinungsverschiedenheiten umzugehen. Das Bewusstsein davon, wie die moralischen Regelsysteme gewachsen sind, und vor allem davon, dass sie Antworten auf frühere Fragen enthalten, die nicht unbedingt dazu taugen, zukünftige moralische Probleme anzugehen, schärft den Sinn für ihre Grenzen.

Abschließend geht Kitcher auf die "unauflöslichen Meinungsverschiedenheiten" ein, die im Konflikt mit denjenigen entstehen mögen, die sich nicht der Relativität und Gewachsenheit ihrer Moral bewusst sind, z.B. religiös orientierten Gesellschaften. Entweder gelingt es, diesen den historischen, relativierenden Blick zu schärfen, oder man ist auf das vorethische, allein empathische Verhalten der Schimpansen zurückgeworfen (überspitzt gesagt).

Der Titel "Ethik ohne Gott" ist von der ZEIT deutlich polemisch gewählt, denn die religiöse Begründung von Moral spielt in Kitchers Überlegungen nur eine kleine Rolle. Trotzdem gibt sie den Kern ab für die "Replik", die Eckhard Nordhofen eine Woche später an gleicher Stelle in der ZEIT (Nr. 39) veröffentlicht, Titel: "Vom Nutzen und Nachteil des Glaubens". Man muss Nordhofens Beitrag mehrmals lesen, um seinen Punkt mitzubekommen, weil er so sehr an Kitchers Überlegungen vorbeigeht. Nordhofen stellt im Grunde fest, dass das religiöse Fundament von Moral für gläubige Menschen von Vorteil ist, weil es ihnen hilft, sich an die Regeln zu halten; sie haben, sozusagen, einen guten Grund, moralisch zu handeln. Diese These ist, finde ich, weder besonders strittig noch besonders wichtig, denn sie trägt nicht dazu bei, zukünftige moralische Fragen zu lösen: weder kann man Leuten, die nicht religiös sind, mit dieser Überlegung dazu bringen, religiös zu werden, noch kann man damit die moralischen Konflikte mit Gruppen, die anders religiös sind als man selbst, wirkungsvoll angehen. Im Untertitel heißt es bei Nordhofen: "Werte sind mehr als Spielregeln. Doch wenn Menschen sie eigenmächtig für gottgewollt erklären, taugen sie nicht viel". Jaja, möchte man sagen. Na und?

Also: Lieber nur Kitchers Aufsatz lesen, das bringt mehr!

13 September 2006

Richtig erziehen mit Bild?

Die Bildzeitung, sah ich neulich im Vorübergehen auf der 1. Seite, startet eine neue Serie: "So erziehen Sie richtig". Und wen sucht sie als Experten aus? "Deutschlands strengsten Lehrer". Ich lasse mal die Zweifel beiseite, wie man feststellen könnte, wer am strengsten ist, und komme gleich zur beunruhigenden impliziten Prämisse:
Der beste Lehrer ist derjenige, der am strengsten ist.
Warum sollte das so sein? Und was bedeutet Strenge überhaupt? Sätze wie "Streng aber gerecht" zeigen jedenfalls, dass z.B. Gerechtigkeit nicht per se Bestandteil des Konzepts Strenge ist. Für mich steht "streng" vor allem für eine bestimmte Art des Reagierens. Wenn es eine positive Seite hat, ist "konsequent" sicher das bessere Wort dafür; es macht deutlich, dass es beim Erziehen nicht 'harter' = strenger Reaktionen bedürfte, sondern überhaupt erst einmal Regeln, über die das Kind Bescheid weiß, und Reaktionen, die sich dann aus dem Verhalten des Kindes gegenüber den Regeln folgerichtig (=konsequent) ergeben.
Davon abgesehen sagt der Begriff natürlich noch gar nichts über die Fähigkeit eines Lehrers aus, Inhalte zu vermitteln und für sie zu begeistern. Er reduziert stattdessen das Tun des Lehrers auf die Unterrichtsdisziplin. Wie kann das Vorbild für Eltern sein?
Antwort: Bild macht als Hauptproblem für Eltern die ungezogene Jugend aus und vermutet, Eltern wollten am liebsten Antworten auf die Frage, wie sie Disziplin in die Rasselbande kriegen. Welche Inhalte und Werte auf welche Weise Kindern vermittelt werden sollten, lässt das vermuten, beschäftigt die der Bildzeitung bekannten deutschen Eltern weniger. Auch nicht gerade beruhigend, finde ich...

11 September 2006

Französisch-amerikanischer Dialog

Vielleicht gab es das öfter, aber ich war bass erstaunt über den 1971 erschienenen Band Language and human nature : a french-american philosopher's dialogue, hg. von Paul Kurtz. Er enthält nämlich die Beiträge einer Tagung, die 1968 in New York stattfand, und wo man z.B. Chisholm und Lefebvre aufeinander antworten lesen kann. Arthur Danto trägt Gedanken über "complex events" vor, die von Gilbert Varet und Edouard Morot-Sir aufgenommen werden; Derrida fordert Richard Popkin, Marvin Farber, Peter Caws und Wesley Piersol zu Antworten heraus. Gesponsert wurde das Treffen sowohl von amerikanischer wie französischer Seite, und auf letzterer mischte auch Paul Ricoeur mit. Ein historisches Dokument! Nur zum Teil die philosophische Prominenz der Zeit, aber vielleicht erhöht dies noch den Rang des Dokuments...

Und das Vorwort verweist darauf, dass es vor zwanzig Jahren (also 1950) schon einmal ein Treffen gegeben habe, was in einem Buch Philosophic thought in France and the United States, herausgegeben von Marvin Farber, seinen Niederschlag gefunden habe. Die UB Erlangen besitzt das Buch (zwei Bände) auf französisch, Titel L' activité philosophique contemporaine en France et aux États-Unis. (Paris 1950)

Für Freunde der Physiognomik

bedarf es strenger Regeln: So beginnt Johann Caspar Lavater, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hoffte, die Kunst, den Charakter aus dem Aussehen herauszulesen, auf eine festere Grundlage zu stellen, mit dem Hinweis, man möge seine Regeln "als Weise" brauchen und nicht "wie es nur Unweisen möglich ist". Bin gerade über eine kleine Broschüre von 1802 gestolpert, die in Leipzig bei Friedrich Gotthold Jacobäer erschien und heißt J. C. Lavaters vermischte physiognomische Regeln : ein Manuscript für Freunde.
"An Freunde" richtet Lavater bereits auf dem Titelblatt den zitierten Rat. Schon eine lustige Denkfigur, mit wenig Aussicht auf Erfolg: Lieber Dummkopf, handle klug! Und der Schaden kann groß sein für diejenigen, die sich mit unvorteilhaftem Aussehen herumschlagen müssen und von ihren eifrig physiognomierenden Mitmenschen dann misstrauisch betrachtet werden. Vielleicht eine ähnliche Problematik wie heute die Gendiagnose... Keine Stellung mehr für Leute, deren Aussehen ihnen einen schlechten Charakter bescheinigt usf.
Kleines Beispiel gefällig aus dem Kapitel über Nasen? (S. 32f)
§40
Nasen ohn' allen auffallenden Character, ohne Nuances, ohne Beugung, ohne Undulation, ohne einige angebliche Bezeichnung, können zwar bey vernüftigen, guten, allenfalls auch edlen Characteren gefunden werden, nie bey großen und vorzüglichen.
§41
Nasen, an beyden Seiten mit vielen Einschnitten, die bey der geringsten Bewegung sichtbarer werden, und bey der völligsten Ruhe nicht ganz unsichtbar sind, sind ein Zeichen eines schwerfälligen, drückenden, oft hypochondrischen, oft boshaftschalkhaften Sinnes.
§42
Nasen die sich leicht und alle Augenblicke rümpfen, sind so wenig an ächtguten Menschen, als Nasen, die sich kaum rümpfen könnten, wenn sie auch wollten, an erzbösen Menschen zu finden sein werden. -- Wenn die Nasen, die sich nicht nur leicht rümpfen, sondern schon eingebrabne Rümpfe haben, an guten Menschen gefunden werden, so sind diese gutgesinnte Menschen -- Halbnarren.
"Das Wenigste davon ist für alle; es sind größtentheils Geheimregeln", schrieb Lavater, zeitlebens mit der Veröffentlichung solcher Geheimregeln beschäftigt und sicher auch seinen Erfolg genießend.
Georg Christoph Lichtenberg, der Göttinger Physiker, Astronom (ein Mondkrater ist nach ihm benannt), Hypochonder und Philosoph, bekanntermaßen ein bucklichter Zwerg, wandte sich scharf gegen die physiognomischen Ideen des Schweizer Zeitgenossen. Lichtenberg tat dies mal polemisch, mal satirisch; für letzteres das schönste Beispiel ist sein "Fragment von Schwänzen", wo er vorgibt, die Schattenrisse von Schweineschwänzen und Studentenzöpfen physiognomisch zu deuten (hier online!).

07 September 2006

Das dickste Buch des Jahres

Gute Chancen hat, meine ich, der von Günter Abel herausgegebene Kongressband Kreativität. Der Wälzer aus dem Meiner-Verlag hat 1292 gezählte Seiten plus XIV für das Inhaltsverzeichnis. Man findet darin ein paar alte Bekannte mit ihren Lieblingsthemen, so z.B. Gottfried Seebaß wieder einmal zu einem Thema aus dem Bereich Willensfreiheit und Determinismus ("Determinismus und normative Kontrolle", S. 691ff), oder Jean Grondin über Hermeneutik ("Gadamers ungewisses Erbe", S. 205ff). Ein paar englischsprachige Aufsätze sind dabei, darunter "Perceptual objectivity" von Tyler Burge. Und ein paar, die richtig echt was mit Kreativität zu tun haben, wie Henrik Walters "Kann die Neurowissenschaft Kreativität erklären?" (S. 595ff) oder die Beiträge des Kolloquiums über Kreativität im interkulturellen Vergleich. Auffällig, dass kein Beitrag, nach den Titeln zu urteilen, sich mit negativer Kreativität, z.B. sogenannter "moralischer Kreativität" befasst. Vielleicht geschah das in den Sektionsbeiträgen. Die sind gesondert in zwei Bänden mit zusammen 1900 Seiten erschienen, die auch vom Meiner-Verlag vertrieben werden. Man möchte Abel als Herausgeber bitten, diesen von ihm sogenannten "kompakten Beitrag der Philosophie zur Frage der Kreativität" doch einmal noch etwas kompakter auf, sagen wir, 5 Zeilen zusammenzufassen.

Der Preis von 128,- € macht das Werk zu einem echten Bibliotheksbuch, aber immerhin werden ja die vielleicht 100 Autoren ihr Belegexemplar schon haben, da ist ja ein Viertel (?) der Auflage bereits verteilt :-). Schade, dass der Verlag kein Inhaltsverzeichnis auf seinen Webseiten anbietet, auch der Uni-Verlag der TU Berlin tut's nicht.

05 September 2006

Erbauliches vom Goldenen Strand

Es gibt in Nürnberg einen Verlag, der heißt The Golden Shore. In dem erscheinen auch deutsche Übersetzungen von, ich zitiere den Klappentext, "lehrreich unterhaltsamen Erzählungen und Geschichte aus dem alten Indien, von Suchern, spirituellen Meistern und großen Gestalten der Menschheitsgeschichte", die Sri Chinmoy dem Leser als "Schatz zeitloser und universeller Weisheiten, die wie Blumen im Garten unserer Seele erblühen und ihren Duft von Frieden, Licht und Seligkeit verströmen", schenkt.
Sri Chinmoy, hatte ich den hier nicht schon mal? Das Buch jedenfalls, zufällig aufgeblättert, bietet mir die folgende Geschichte voller universeller Weisheit (ich fasse sie mit teils eigenen Worten zusammen):
Barbar ist der erste Kaiser der Mogulen, ein Mann voller Weisheit. Es war "häufig in Kämpfe verwickelt, um gegen seine Feinde zu bestehen", aber weil er so eine tolle Armee hatte, blieb er stets Sieger. Eines Tages "wollte Babar ein Land erobern", das von einem König namens Ibrahim Lodi regiert wurde. Sein Sohn ist dagegen: Deren Armee ist viel größer! Babar aber bleibt dabei: Wir haben besser geschulte Soldaten, wird schon klappen. Tatsächlich siegen die Babar-Soldaten, und die Besiegten freuen sich, weil Babar ein viel besserer Herrscher ist als der vorherige König. Sie schenken dem Sohn einen riesigen Diamanten. Dann wird aber der Sohn krank, todkrank. Ein Heiliger kommt zu Babar und sagt: Wenn Du ein großes Opfer bringst, dann wird dein Sohn gesund werden. Was soll ich opfern? fragt der König. Der Heilige schlägt vor, dass Babar den riesigen Diamanten verschenken möge. Der sei doch echt kostbar. Babar darauf: Der gehört meinem Sohn, das wäre drum kein Opfer: a) weil er gar nicht mir gehört, b) weil er klein ist im Vergleich zum Königreich, dass ich besitze. Aber das wäre sowieso alles nicht wertvoll, "allein mein Leben ist wirklich wertvoll". Er sei bereit, sein Leben zu geben. Er bittet zu Allah, und der entspricht dem Wunsch: Nach drei Tagen wird der Sohn gesund, und Babar liegt krank darnieder und stirbt. Letzter Satz der Geschichte: "Dies ist die Liebe, die ein menschlicher Vater für seinen Sohn empfinden kann".
Hhm. Eine "spirituelle Geschichte", voller Weisheit und so?
Mir missfällt daran die Logik des Austauschs: Allah, ich geb dir mein Leben, gib du mir das des Sohnes. (Das ist dann, recht betrachtet, auch kein Opfer, sondern eben ein Tausch, aber das nur am Rande.) Seltsamer Gott auch, der sich darauf einlässt. -- Mir missfällt auch, dass der kriegstreibende König hier als weise hingestellt wird: das ist schließlich alles, was man von ihm erfährt: Er war voller Weisheit. Eines Tages hatte er Lust, sein Nachbarland zu erorbern. -- Am meisten missfällt mir, dass hier der Tod das Maß der Liebe abgibt. Das scheint mir am normalen Leben vorbeizugehen und daher als Weisheit für den Alltag völlig untauglich!

Medientheorie der Aufklärung

Georg Stanitzek und Hartmut Winkler haben ein Kuriosum ausgegraben: die Fragmente über den Ideenumlauf des Auklärers Josias Ludwig Gosch, 1789 in Kopenhagen erschienen. Gosch ist so unbekannt, dass von ihm weder Wikipedia noch der aktuelle Brockhaus etwas wissen. Das Vorwort immerhin erläutert ihn als "schillernde Figur", und die nun im neu gesetzten Nachdruck vorliegenden Fragmente seien "in mehrerer Hinsicht von großem Interesse": als Quelle für das Medienverständnis der Aufklärung ebenso wie als ein neuentdeckter Klassiker mit durchaus modernen Ansätzen. Der Blick auf die Zirkulation der Ideen, für Gosch die Voraussetzung für ihre "ewige Dauer", ist in einer Zeit, die mehr den Ideen selbst zugewandt ist, jedenfalls etwas Originelles!

02 September 2006

Poggi über den jungen Heidegger

Was hat Heidegger eigentlich vor 1927, vor dem Erscheinen von Sein und Zeit, getrieben? Dass er von Jesuiten erzogen wurde, sich über Duns Scotus habilitierte und ein begnadeter Vortragender in Marburg war (Hannah Arendts Wort vom "Versteckten König" der Philosophen stammt ja aus den zwanziger Jahren), das weiß man so ungefähr. Nun gibt schon seit einiger Zeit die Gesamtausgabe im Klostermann-Verlag die Möglichkeit, die frühen Vorlesungen und damit die Entwicklung des Heideggerschen Denkens zu studieren. Für mich waren die Vorlesungen um 1922 ein Aha-Erlebnis, weil ich viel deutlicher sehen konnte, wieviel Heidegger bei Husserl gelernt hat. Sein und Zeit sieht ja mehr nach einer Absetzbewegung aus.
Jedenfalls erscheinen auch immer mehr Bücher mit dem "jungen Heidegger" im Titel. John van Buren schrieb schon 1995 über "The young Heidegger" (1912-1927), auch Jürgen Stolzenbergs Studie über den Neukantianismus' Natorps und Cohens im Vergleich mit dem frühen Heidegger, Ursprung und System, erschien in diesem Jahr. Nun legt Stefano Poggi La logica, la mistica, il nulla : una interpretatione del giovane Heidegger vor und schreitet dabei das Werk ab 1914, ab Heideggers Dissertation über Die Lehre vom Urteil im Psychologismus, bis 1922 ab. Ich bin kein Heidegger-Kenner: mich macht hier das Wort "Mystik" im Titel neugierig.

25 August 2006

Planetendefinitionen

Pluto ist kein Planet, na und.
Als Planet soll in Zukunft nur mehr gelten, was
  • die Sonne umläuft auf einer kreisähnlichen Bahn,
  • annähernd kugelförmig ist
  • und ein bisschen freien Raum um sich hat.
Pluto fällt da raus, wegen des 3. Kriteriums. Spiegel online titelt in dem oben verlinkten Artikel, Pluto sei "kein Planet mehr" -- aber ist er je einer gewesen? Denn offenbar entsprach er ja noch nie dieser Definition. Ich finde dieses "nicht mehr" erstaunlich, denn wir verwenden es normalerweise, wenn sich das besprochene selbst verändert: und nicht, wenn die Rede darüber sich ändert.

Natürlich hätten die Planeten auch so bleiben können, wie sie waren: Man hätte das Planetentum einfach extensional definieren müssen: Planet ist jedes Element der Menge {Merkur, Venus, Erde, Mars ..... Pluto}. Dafür wären natürlich auch keine zusätzlichen Planeten nötig gewesen. Aber die Naturwissenschaften haben etwas gegen derartige Definitionen, und warum das so ist, liegt ja auf der Hand. Geisteswissenschaftler tun sich da leichter. Z.B. kenne ich keine intensionale Definition von Literatur, die allen Texten gerecht wird, die ich für Literatur halte (wenn man diese Definition zugleich noch einigermaßen einfach haben möchte und nicht als unendliche Konjunktion von Eigenschaften).

16 August 2006

Ortega y Gasset und Madrid

Wer sich für José Ortega y Gasset interessiert, wird am mehrpfündigen Ausstellungskatalog El Madrid de Ortega nicht vorbeikommen. Die Ausstellung fand vom 23. Mai bis zum 23. Juni in Madrid statt. Der bilderreiche, sorgfältig zusammengestellte Band wurde von José Lasaga herausgegeben und kostet 50 €. Er bietet ein Kaleidoskop von Eindrücken aus dem Leben und Umfeld Ortegas -- die zugehörige Website zeigt einige Kostproben und ist ebenfalls schön gemacht.

Wer ist der Größte?

Gerade liegt der fünfte und letzte Band von John Shands Central Works of Philosophy vor mir, er ist 2006 bei Acumen erschienen und behandelt Quine and after. Die Sammlung enthält neue Essays über zentrale Werke und ist damit ein Mittelding aus Einführung und Nachschlagewerk, näher bei einer Einführung allerdings, weil man für "Quine and after" gerade mal auf 14 Werke kommt, die besprochen werden. Bei fünf Bänden und einer ähnlichen Quote umfasst das Gesamtwerk demnach rund 70 "zentrale Werke", naja. Der erste Band heißt "Ancient and medieval" und erledigt damit von den im Vorwort angekündigten 2.500 Jahren Philosophiegeschichte schon mal 4 Fünftel. Band 2 widmet sich dem 17. und 18. Jahrhundert, Band 3 dem 19., Band 4 heißt "Moore to Popper". Shand hat sich also nicht gescheut, zu kanonisieren, besonders, was das 20. Jahrhundert angeht. Man fragt sich, welche deutschen Philosophen vor seinen Augen Gnade gefunden haben. Im 5. Band: keiner. Wir haben Essays über Quine, Strawson, Rawls, Nozick, Dummett, Rorty, Davidson, Kripke, Putnam, Williams, Nagel, Lewis, Charles Taylor und McDowell. Dessen Mind and World ist von 1994 und damit das neueste aufgenommene Werk.
Wie steht es mit Band 4? Enthält Essays über "Moore, Russell, and Wittgenstein, as well as Carnap, Ayer, James, Husserl, Heidegger, Sartre, Merleau-Ponty, Ryle, and Popper".

Gegen diese Auswahl kann man sicher manche Einwände erheben... Jedem werden andere einfallen. Mir jedenfalls scheint Volpis Großes Werklexikon der Philosophie eine lohnendere Anschaffung!

15 August 2006

Apportieren

Der Kollege mspro hat mir ein Stöckchen zugeworfen, um zu testen, ob ich alle seine Einträge lese. Er will wissen, ob ich noch an was anderes denke als an Philosophie. Tue ich, ständig. Z.B. alle 30 Sekunden an... Aber doch nicht öffentlich!

WARUM BLOGGST DU?
Um mich selbst zu verwirklichen. Um ewig zu leben (sofern das Problem der Langzeitarchivierung gelöst wird und die DNB Blogs sammelt): Wer schreibt, der bleibt. Um Einfluss zu nehmen.

SEIT WANN BLOGGST DU?
Die Frage lässt sich durch einen Blick ins Archiv klären.

SELBSTPORTRÄT:
Wenn ich mein privates Ich öffentlich machen wollte, würde ich ein anderes Blog schreiben.

WARUM LESEN DEINE LESER DEIN BLOG?
Wenn sie es nicht wissen, wer dann?

WELCHES WAR DIE LETZTE SUCHMASCHINENANFRAGE, MIT DER JEMAND AUF DEINE SEITE KAM?
Ich komme langsam dahinter, was diese Fragen sollen: Werbung machen für noch mehr kleine modische Buttons ... ich hatte gehofft, was da ist, würde reichen!

WELCHER DEINER BLOGEINTRÄGE BEKAM ZU UNRECHT ZU WENIG AUFMERKSAMKEIT?
Über Giordano Bruno, die Urzelle, und große Denker: Schade, wenn eine Antwort ins Leere geht. Zumal, wenn die Besprochenen andernorts eifrig weiter ablästern.

DEIN AKTUELLES LIEBLINGSBLOG?
Ich lese zu wenige, um eines zu haben. Die, die ich lese, lese ich gern.

WELCHES BLOG HAST DU ZULETZT GELESEN?
Prägnanz.

WIEVIELE FEEDS HAST DU IM MOMENT ABONNIERT?
5. Was sagt das über mich?

AN WELCHE VIER BLOGS WIRFST DU DAS STÖCKCHEN WEITER UND WARUM?
Philosophie etc., weil ich mir wünsche, dass es weiterläuft.

Das sind nicht vier? Ist mir gar nicht aufgefallen.