blogoscoop
Posts mit dem Label Gedankenexperiment werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Gedankenexperiment werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

06 Juli 2009

A well known room in the land of counterexample

Mit diesem Seidel-Zitat als Motto beginnt Martin Dresler sein Buch über "das Gedankenexperiment des 'Chinesischen Zimmers'" (Untertitel): Künstliche Intelligenz, Bewusstsein und Sprache (Würzburg, Königshausen & Neumann, 2009). Dresler kommt zu dem Schluss, dass "das Argument als bankrott zu betrachten ist" (S. 128), was dem "weitgehenden Konsens" von Kognitionswissenschaftlern und KI-Forschern entspreche. Ob man von einem kognitiven System sagen könne, es "verstehe" etwas, sei weniger eine faktische Frage als eine der Entscheidung. Entsprechend taugt das Gedankenexperiment auch nicht als Beweis dafür, dass KI prinzipiell kein Bewusstsein haben könne.

Nachdem ich neulich wieder mal Neal Stephensons Baroque Cycle gelesen habe, erinnert mich das Chinesische Zimmer an eine Episode im 3. Band, The system of the world. Hier gerät der Schwarze Dappa in ein Gespräch mit einem englischen Adligen, der der festen Überzeugung ist, Schwarze seien Tiere, hätten daher keine Seele, kein Bewusstsein etc, seien stattdessen Descartsche Reiz-Reaktions-Maschinen. Stephenson macht aus dem Dialog ein komisches Kabinettstück über die Erkennbarkeit von Bewusstsein, das sich hier allen Beteiligten in der Verständlichkeit der Äußerungen Dappas zeigt -- außer dem Adligen. Wiederholt wundert sich dieser über die "Ähnlichkeit", welche Dappas Äußerungen zu denen eines bewussten Wesens haben. Diese Ähnlichkeit ist für ihn umso wunderbarer, als Schwarze ja eben kein Bewusstsein haben können. Für Dappa ist das Gespräch ausweglos, da nichts, was er sagt, den anderen von dieser Überzeugung abbringt.

25 Juni 2009

Springers neues Suchspielzeug

Unter www.springerexemplar.com kann man das Auftauchen von Einzelwörtern in den Texten des Verlags untersuchen. Da Springer a) ziemlich groß und b) in der digitalen Präsentation seiner Texte ziemlich weit ist, kommt da schon eine erkleckliche Menge an Texten zusammen. Für den Ausdruck "thought experiment" findet das Suchspielzeug über 500 Treffer, die dann aufgelistet werden -- und mit weiteren Drill-Down-Möglichkeiten dargestellt. Diese Darstellung finde ich sehr übersichtlich; es sind z.B. folgende Ergebnisse zu sehen:




Die Zeitleiste gefällt mir am besten. Sie zeigt deutlich, dass das Forschungsgebiet erst in den letzten Jahren Konjunktur hat. Der Bereich "Journals" ist nicht so aussagekräftig -- da eben nur Springer-Zeug enthalten, und da auch nicht klar ist, wie weit überhaupt der digitale Content zurückreicht. Die "Erkenntnis" z.B. ist mit ihrer Vorgängerzeitschrift "Annalen der Philosophie" seit Anbeginn, d.h. seit 1920 bei Springerlink digital verfügbar.

25 März 2009

Des Teufels Angebot

Edward J Gracely hat in Analysis 48 (1988) 3, 113 (Link via JSTOR) ein nettes gedankliches Experiment der Entscheidungstheorie vorgestellt, über das ich gerade bei dem Blick in Tobias Klauks Dissertation über Gedankenexperimente gestolpert bin (meine Wiedergabe):
Frau C kommt in die Hölle. Der Teufel bietet ihr ein Spiel an, doch noch in den Himmel zu kommen. Sie muss nur mitspielen. Wenn Sie gewinnt, kommt sie in den Himmel; wenn sie verliert, bleibt sie in der Hölle für alle Ewigkeit. Am ersten Tag sei die Chance zu gewinnen 1/2. Am nächsten 2/3. Am folgenden 3/4. Usf. Also: Jeder Tag, der vergeht, erhöht ihre Chance zu gewinnen. Trotzdem ist es bestimmt nicht sinnvoll, ewig zu warten. Das perfide an dem Szenario: Da der Nutzen unendlich groß ist (Eintritt in den Himmel auf ewig), ist auch der Nutzen der Verbesserung der Chancen unendlich groß. Demgegenüber sind die Kosten für die Verbesserung der Chancen endlich, nämlich jeweils bloß ein Tag in der Hölle.

Gracely endet mit einer Frage: Was soll Frau C tun? Mir scheint, dass dies, ein bisschen schräg betrachtet, eine entscheidungstheoretische Variante einer Sorites-Paradoxie ist. Welchen Wert der Gewinnwahrscheinlichkeit würden wir als "so gut wie sicher" akzeptieren? Die Frage, was Frau C tun soll, würde ich also beantworten mit der willkürlichen Wahl einer Grenze, die genausogut bei 0,99 wie bei 0,999 liegen könnte.

08 Februar 2009

21 September 2008

Das Zwei-Götter-Argument

Müssen Meinungen propositionalen Gehalt haben? David Lewis versucht dies mit dem folgenden Beispiel zu widerlegen:
Stellen wir uns zwei Götter vor. Sie bewohnen eine bestimmte mögliche Welt, und sie wissen genau, welche Welt das ist. Daher wissen sie jede Proposition, die wahr ist in dieser Welt. In dem Sinne, dass Wissen eine propositionale Einstellung ist, sind sie allwissend. Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass sie in einem bestimmten Punkt unwissend sind: keiner von beiden weiß, welcher Gott er ist. Sie sind nicht exakt gleich. Einer lebt auf dem höchsten Berg und wirft mit Manna, der andere lebt auf dem kältesten Berg und schmeißt mit Blitzen. Keiner von beiden weiß, ob er auf dem kältesten oder dem höchsten Berg lebt und ob er mit Manna oder mit Blitzen wirft.
(D. Lewis, Attitudes De Dicto and De Se. Philosophical Review 87, 513-545).

Inwiefern ist das ein Argument dafür, dass es Meinungen ohne propositionalen Gehalt gibt? Der Gedanke verläuft ungefähr so: Die Götter wissen jede Proposition. Sie könnten aber noch mehr wissen, nämlich wer sie sind, bzw. ob sie auf dem höchsten Berg leben. Über diesen Sachverhalt haben sie vielleicht eine Meinung. Diese kann dann keinen propositionalen Gehalt haben, weil alle Propositionen ja gewusst werden.
Wirkt auf mich zirkulär...
Mehr darüber in Neil Feit: Belief about the Self : a defense of the property theory of content. Oxford : Oxford University Press, 2008. Das Szenario und eine Diskussion darin S. 34ff.

10 Februar 2008

Gedankenexperimente-Lexikon überarbeitet

Die URL für die Startseite ist dieselbe wie bisher: http://www.jg-eberhardt.de/philo_exp/index.html
Neu ist, dass das Layout angepasst wurde, die Navigation verbessert und einige neue Inhalte eingefügt. Vor habe ich noch:
- Ergänzung um weitere Experimente
- Originaltext der Quellen, sofern urheberrechtsfrei,
- gründlichere Anmerkungen,
- Einarbeiten der Bibliographie (die in ihrer kumulierten Form mir nicht sehr sinnvoll erschien und daher von der Homepage wieder verschwunden ist).

Ich würde mich freuen, die eine oder andere Rückmeldung hier zu lesen. Oder Vorschläge für weitere Einträge.

04 Februar 2008

Gedankenexperimente, haufenweise

Mireille Staschok hat bei Logos (Berlin, 2007) ein knapp 100 Seiten starkes Bändchen rausgebracht, dass Abstrakt, Exakt, Obskur : philosophische Gedankenexperimente und Kunst heißt. Und gerade habe ich gesehen, dass es zu der Kunst dazu auch eine Webseite gibt.
Das Buch enthält 20 Gedankenexperimente als Szenario, dann einen kurzen Kommentar mit der Einordnung des philosophischen Problems, und ein paar Titeln aus der Literatur, die in die vom Gedankenexperiment behandelte Thematik einführen. Außerdem gibt es zu jedem Experiment eine künstlerische Umsetzung, der meist ganz witzig geraten ist, etwa wenn Nagels Fledermaus mit Batman illustriert wird. Die Einleitung stammt von Sören Häggquist und Daniel Cohnitz, zwei ausgewiesenen Kennern der Materie.

In Amazon-Rezensionen habe ich gelesen, dass man hier 20 "der bekanntesten" Gedankenexperimente finde; ich würde eher sagen, dass mit Haydn oder Auster und Goldmans Buch des Lebens auch ein paar weniger bekannte Szenarien augenommen wurden. Beim
Höhlengleichnis, das hier den Anfang macht, bin ich mir nicht sicher, ob es sich überhaupt um ein Gedankenexperiment handelt. Na, was solls. Ein nettes Büchlein; lange nicht so umfangreich wie Tittles Sammlung, dafür aber witziger (wegen der Kunst).

22 Januar 2008

Neues über Gedankenexperimente

Das Croatian Journal of Philosophy hat zwei Nummern des Jahres dem Thema Gedankenexperimente gewidmet; offenbar gab's ein Symposium. Als Hauptredner hatte man James Robert Brown gebeten, dessen Antwort auf die anderen Vorträge ebenfalls verfügbar ist. Netterweise sind alle Beiträge online als pdf. Schade allerdings, dass mit Brown ein (finde ich) Vertreter einer einigermaßen beschränkten Theorie des Gedankenexperiments antrat, dessen Platonismus auch die anderen Referenten nicht überzeugte.
Brown hat auch einen Aufsatz zum 2007er Band der Philosophical Perspectives beigesteuert über "Counter thought experiments": naja. Der Band der PP hat die Philosophie des Geistes zum Thema. Ich fand darin den Aufsatz von Ned Block über Wittgenstein and Qualia interssanter (hier als pdf von Blocks Homepage), da er mich mit ein paar neuen Facetten des inverted spectrum-Gedankenexperiments bekannt machte. Wusste z.B. gar nicht, dass Wittgenstein darüber nachdachte.

28 August 2007

Gedankenexperimente, haufenweise

Hab mein kleines Lexikon, das auf meiner Festplatte still weiterwuchs, wieder auf die Homepage geschaufelt: hier.

17 August 2007

Ethische Beispiele

Esther Ramharter, österreichische Mathematikerin und Philosophin, hat ein Buch über den Gebrauch von Beispielen in der Ethik geschrieben: Zum Beispiel Mord : wie EthikerInnen mit Beispielen überzeugen (Baden (Österreich) : Orpheus, 2005). Ramharters Theoriedurchgang beginnt mit Aristoteles und ist über Hume und Kant schnell bei Wittgenstein angelangt: mäßige Aufmerksamkeit gilt anderen Verfassern wie z. B. Martha Nussbaum. Ramharter verwendet den Begriff Beispiel manchmal deckungsgleich mit "Gedankenexperiment", manchmal nicht: denn ein Gegenbeispiel kann natürlich auch ein faktisches sein für eine Theorie. Ihre Beobachtungen lassen sich daher auch nur manchmal auf Gedankenexperimente anwenden, und mich hätte natürlich der unterschiedliche epistemische Status dieser beiden Kategorien (faktisch / fiktiv) interessiert.

01 März 2007

"Experimentelle Philosophie"

... ist ein netter Ausdruck, und hier wird erklärt, was er bedeutet:

Experimental philosophy is the name for a recent movement whose participants use the methods of experimental psychology to probe the way people make judgments that bear on debates in philosophy. Although the movement has a name, it includes a variety of projects driven by different interests, assumptions, and goals. Just in the past few years philosophers have carried out experimental work in areas as diverse as epistemology, action theory, free will and moral responsibility, the philosophy of language, ethics, the philosophy of law, and the philosophy of science. Given that "experimental philosophy" is perhaps best viewed as a family resemblance term, the boundaries are admittedly vague.

But the following two questions nevertheless help shed light on what it means to be an experimental philosopher: First, do you run controlled and systematic studies and use the resultant data to shed light on philosophical problems? Second, do you sometimes address the tension that exists between what philosophers say about intuition and human cognition, on the one hand, and what researchers are discovering about these things, on the other hand?


Zitiert nach dem programmatischen Blog Experimental philosophy, von Thomas Nadelhoffer und anderen. Für mich liegt die Frage nahe: Wie verändert eine solche Anbindung ans Empirische die Methode des Gedankenexperiments? Funktioniert das nun besser oder schlechter: als Appell an die Intuition vieler, nicht des einzelnen?

22 Januar 2007

Chisholm erfindet Szenarien

Let us assume that you are about to undergo an operation and that you still have a decision to make. The utilities involved are, first, financial -- you wish to avoid any needless expense -- and, secondly, the avoidance of pain, the avoidance, however, just of your pain, for pain that is other than yours, let us assume, is of no concern whatever to youl The doctor proposes two operationg procedures -- one a very expensive procedure in which you will be subjected to total anaesthesia and no pain will be felt at all, and the other of a rather different sort. The socond operation will be very inexpensive indeed; there will be no anaesthesia at all and therefore there will be excruciating pain. but the doctor will give you two drugs: first, a drug just before the operation which will induce complete amnesia, so that while you are on the table you will have no memory whatever of your present life; and, secondly, just after the agony is over, a drug that will make you completely forget everything that happened on the table. The question is: Given the utilities involved, namely the avoidance of needless expense and the avoidance of pain that you will feel, other pains not mattering, is it reasonable for you to opt for the less expensive operation?

Fragt Roderick Chisholm in einem Aufsatz Identity through time (S. 163-182, hier S. 178, in: Language, belief, and metaphysics, ed. by Howard E. Kiefer and Milton K. Munitz, Albany : State University of New York Press, 1970). Chisholm präsentiert das Gedankenexperiment, dass er Peirce zuschreibt (Collected Papers V (1935), 355), als Frage nach der Identität durch die Zeit: man könnte ja so tun, als sei die Zeit zwischen den beiden Amnesien die einer anderen Person. Könnte man: würde man aber nicht, wie Strawson in seinem Kommentar dazu anmerkt.
Chisholm präsentiert noch eine zweite Geschichte (S. 179):
Suppose you know that your body, like that of an amoeba, would one day undergo fission and that you would go off, so to speak, in two different directions. Suppose you also know, somehow, that the one who went off to the right would experience a life of great happiness and value. If I am right in saying that one's question "Will that person be I?" or "Will I be he?" always has a definite answer, then, I think, we may draw these conclusions: There is no possibility whatever that you would be both the person on the right and the person on the left. Moreover, there is a possibility that you would be one or the other of those two persons. And finally, you could be one of those persons and yet have no memory at all of your present existence. it follows that it would be reasonable of you, if you are concerned with your future pleasures and pains, to hope that you will be the one on the right and not the one on the left -- also that it would be reasonable of you, given such self-concern, to have this hope even if you know that the one on the right would have no memory of your present existence. Indeed it would be reasonable of you to have it even if you know that the one on the left thought he remembered the facts of your present existence.

Was zeigt das? Strawson: "to conclude from this that there is such a thing as strict criterionless personal identity through time wold simply be an enormous non sequitur."

10 Januar 2007

Habe ich schon hingewiesen auf

mein kleines Gedankenexperiment-Lexikon? Es ist noch nicht besonders weit gediehen, aber ich hab's trotzdem schon mal online gestellt: auch um die Exportfunktion von lexiCan zu testen, womit ich es erzeugt habe. Sieht ganz ordentlich aus, finde ich: fehlt nur die Möglichkeit, die eigenen Navigationselemente anzubringen.

21 November 2006

Haydn oder Auster?

You are a soul in heaven waiting to be allocated a life on Earth. It is late Friday afternoon, and you watch anxiously as the supply of available lives dwindles. When your turn comes, the angel in charge offers you a choice between two lives, that of the composer Joseph Haydn and that of an oyster. Besides composing some wonderful music and influencing the evolution of the symphony, Haydn will meet with success and honour in his own lieftime, be cheerful and popular, travel, and gain much enjoyment from field sports. The oyster's life is far less exciting. Though this is rather a sophisticated oyster, its life will consist only of mild sensual pleasure, rather like that experienced by humans when floating very drunk in a warm bath. When you request the life of Haydn, the angel sighs, "I'll never get rid of this oyster life. It's been hanging around for ages. Look, I'll offer you a special deal. Haydn will die at the age of seventy-seven. But I'll make the oyster life als long as you like."


Die Geschichte stammt von Roger Crisp, aus seinem Buch Mill on Utilitarianism, das 1997 erschien (S. 24). Er erzählt sie noch einmal in seinem neuen Buch Reasons and the good (Oxford : Clarendon, 2006, S. 112). Sie soll die Frage illustrieren, ob alles, was für ein Gutes Leben zählt, eine 'enjoyable experience' sei. Mill selbst schrieb in seinem Buch Utilitarianism, es sei besser, ein unzufriedener Sokrates zu sein als ein glückliches Schwein; zur Begründung unterschied er zwischen höheren und niederen 'pleasures'. Das wirft eine Schwierigkeit auf, weil nicht klar ist, worin sich höhere von niederen unterscheiden. Liegt der Unterschied in der Menge an pleasure, dann wäre das kein prinzipieller Unterschied und damit nicht einzusehen, warum ein glückliches Schwein weniger gut sein sollte als ein unglücklicher Sokrates. Liegt's in der Qualität, dann fragt sich, ob diese unterschiedliche Qualität nicht für sich, ohne die Menge des damit verbundenen Pleasure in Betracht zu ziehen, etwas Gutes sein könnte (womit der Utilitarimsus als Wertmonismus verwässert wäre). Crisp meint, Mill einen Ausweg aus dem Dilemma weisen zu können: indem er etwas genauer hinsieht, wie man pleasure bzw. enjoyment auszubuchstabieren hätte. Das befriedigt dann auch die Intuition, dass die sinnlichen Genüsse einer Auster mit den geistigen von Haydn nicht mithalten können.

02 November 2006

Parapsychologie und Philosophie

William James starb 1910. Etwa 1925 erschien ein Buch, das er post mortem diktiert haben soll: Margaret Underhill, Your infinite possibilities (London: Rider and Co, ca. 1925). Angesichts der Tatsache, dass James sich auch mit Parapsychologie beschäftigte, eine gar nicht so unplausible Geschichte...
Wie stehen Philosophie und Parapsychologie zueinander? Jan Ludwig gab 1978 einen Band bei Prometheus heraus, der die einschlägigen Aufsätze versammelte. Interessant finde ich besonders solche Fragen wie Does the concept of precognition make sense?, der sich der Psychologe C. W. K. Mundle widmet, oder C.D. Broads The philosophical implications of foreknowledge. An dessen Ende findet sich ein interessantes Gedankenexperiment, das der Frage gilt, ob Voraussicht nur dann möglich ist, wenn die Welt komplett determiniert ist: was wohl ein beliebtes Gegenargument war. Ich zitiere:
I can infer from events in the less remote past that Julius Caesar decided in the more remote past to cross the Rubicon. No one imagines for a moment that this fact shows that Caesar's decision to cross the Rubicon was completely predetermined at any previous date. Suppose now that an augur at Rome had foreseen those later events from which we infer that Caesar had decided at an earlier date to cross the Rubicon. Obviously, he could have drawn presicesly the same conclusion about Caesar's then future dedicison as we draw about his now past decision. And, if the possibility of our making this inference from these data does not require Caear's decision to be completely predetemined, why should the possibility of the augur's making the same inference from the same data require this?

09 Oktober 2006

Thomas Reid und die Identität

Fundstück: Das Gedankenexperiment vom konzeptuellen Zusammenhang von Körper und Geist in der Frage der Identität. Bis dato waren mir nur die Varianten von Bernard Williams und Sidney Shoemaker bekannt: rund 200 Jahre später!
In 1775 Thomas Reid, a leading light of Scottish philosophy, wrote to the distinguished judge Lord Kames: "I would be glad to know your Lordship's opinion whether when my brain has lost its original structure, and when some hundred years after the same materials are fabricated so curiously as to become an intelligent being, whether, I say, that being will be me; or, if, two or three such beings should be formed out of my brain; whether they will all be me, and consequently one and the same intelligent being".

Quelle: Thomas Reid to Lord Kames, 1775, in "Unpublished Letters of Thomas Reid to Lord Kames, 1762-1782", ed. Ian S. Ross, Texas Studies in Literature and Language 7 (1965), 17-65.
Quelle hier: Nicholas Humphrey: Seeing red : a study in consciousness. - Cambridge /MA : Belknap Press, 2006, S. 1.

08 Mai 2006

Molyneux' Problem

John Locke gibt das folgende Gedankenexperiment wieder: zum erstenmal in der zweiten Auflage seines Essay concerning human understanding (London, 1694):
Suppose a man born blind, and now adult, and taught by his touch to distinguish between a cube and a sphere of the same metal, and nighly of the same bigness, so as to tell, when he felt one and t'other, which is the cube, which the sphere. Suppose then the cube and sphere placed on a table, and the blind man to be made to see; queare, wheter by his sight, before he touched them, he could now distinguish and tell which is the globe, which the cube?

Die Antwort:
Not. For tho' he has obtained the experience of how a globe, how a cube affects his touch; yet he has not yet attained the experience, that what affects his touch so or so, must affect his sight so or so; or that a protuberant angle in cube, that pressed his hand unequally, shall appear to his eye as it does in the cube.

Problem und Antwort stammen von William Molyneux, dem Gründer der Dublin Philosophical society. Schon damals haben kluge Leute eingewandt, dass eine Kugel dem Blinden den Eindruck von "Gleichheit von allen Seiten" vermitteln könnte -- ein Eindruck, der sich durch Tasten wie durch Sehen, möglicherweise, erkennen ließe.
Das Gedankenexperiment habe ich im 5. Kapitel von David Bermans neuem Buch Berkeley and Irish philosophy gefunden, das seine Aufsätze von 1968-1996 sammelt (London, New York : Continuum, 2005). Berman skizziert die Rezeptionsgeschichte des Gedankenexperiments ein bisschen weiter, auch hin zu Berkeley. Der meinte, dass der sehend gemachte Blinde vermutlich nicht einmal verstehen würde, was man von ihm wollte, also mit der Frage nichts anfangen könnte. Demgegenüber war Hutcheson der Ansicht, dass Sicht und Gefühl die 'gleiche Idee' betreffen und daher durchaus die Ähnlichkeit zwischen Seheindruck und Tasteindruck erkennen lassen. Wie Leibniz war Hutcheson nämlich besorgt, dass die These, der Sehend gewordene könne die beiden Körper nicht unterscheiden, bedeuten würde, er wäre unfähig, Geometrie zu lernen. Das galt beiden als unannehmbar. Warum die Geometrie hier ins Spiel kommt? Für Leibniz wie für Hutcheson war die Grundlage, dass Eindrücke verschiedener Sinne die gleiche Idee betreffen können.
Berman entfaltet schön, wie das alles zusammenhängt. Manche Gedankenexperimente können nicht empirisch nachvollzogen werden -- hier wäre ich doch zu neugierig, ob Berkeley oder Hutcheson recht haben. Ich neige zu der Ansicht, dass der Sehend gewordene das Sehen und die Interpretation von Eindrücken erst lernen müsste. Das heißt, er müsste wohl erst einmal erkennen lernen (in der Hutchesonschen Terminologie), dass genau dieser Seheindruck wirklich mit der Idee der Regelmäßigkeit verknüpft ist.

07 Mai 2006

Philosophische Gedankenexperimente, wie Nicholas Rescher sie sieht

Philosophische Gedankenexperimente sind eines meiner Lieblingsthemen. Die Faszination rührt ursprünglich von der schieren Phantastik und Absurdität mancher, denen ich im Laufe der Zeit begegnet bin, vor allem im Gebiet der Ethik. Das ‘Glücksmonster’ ist so ein Beispiel: erfunden, um gegen den Utilitarismus zu argumentieren.

Denken wir uns ein Wesen, dass Glück (wie auch immer definiert) sehr viel intensiver empfindet als alle anderen. Dann ist es nach dem Utilitarismus möglich, dass eine ganze Gesellschaft daraufhin zu arbeiten hätte, dass dieses Wesen seinen Glückslevel hält, weil so die Glücks-Gesamtsumme am größten ist. Aber das kommt uns ungerecht vor. Also ist der Utilitarismus falsch. (Stimmts?)

Gegen dieses Glücksmonster lässt sich natürlich ebenfalls argumentieren. Aber darum soll’s hier nicht gehen, sondern um Gedankenexperimente als solche. Es gibt inzwischen einen Haufen Literatur zum Thema, Bücher ebenso wie Aufsätze, und das ist längst unübersichtlich geworden. eine bloße Auflistung der Literatur hilft auch nicht viel weiter.
Mich interessieren eigentlich zwei Dinge:
1. Die begriffliche Seite: Was ist ein Gedankenexperiment, was macht es aus?
2. Die Vielfalt: Welche ‘klassischen’ Gedankenexperimente gibt es?
1. und 2. hängen natürlich miteinander zusammen. Denn die begriffliche Reflexion (1.) sollte möglichst nicht gedankliche Experimente ausschließen, die schon auf der Liste stehen (2.). Auf der anderen Seite sind sicher nicht alle Szenen, die in der Literatur als Gedankenexperiment genannt werden, tatsächlich welche.

Kürzlich habe ich in Nicholas Reschers What If? gelesen, der neuesten Publikation zum Thema.

Rescher, Nicholas: What if? : thought experimentation in philosophy. New Brunswick, London : Transaction Publishers, 2005.

Nicholas Rescher ist ein Vielschreiber. Man sieht das auch in diesem Buch über Gedankenexperimente in der Philosophie: gleich im Vorwort verweist er auf zig eigene Publikationen, in denen er sich dem Thema oder einem Aspekt davon schon einmal gewidmet habe. Außerdem sieht der Text aus, als sei er nicht noch einmal Korrektur gelesen worden: die Gedankenfolge wirkt manchmal etwas willkürlich und unsystematisch; es gibt einen Haufen Druck- und Schreibfehler, die zum Teil groteske Züge annehmen. Dass Rescher Roy A. Sorensen – der mit James Robert Brown Gedankenexperimente zuerst zum Thema eines eigenen Buches gemacht hat (von Brown stammt auch der Artikel thought experiment in der Stanford Encyclopedia of philosophy) – zuweilen Sorenson schreibt, ist so einer; dass er einmal auf eine Veröffentlichung von Kripke mit der Jahreszahl „19xy“ verweist ein anderer. Letzteres zeigt, dass er Kripke aus dem Gedächtnis anführt; etwas oberflächlich. Aber die Stärke des Buches liegt nicht in der sorgfältigen Bearbeitung von Forschungsliteratur; das sieht man auch daran, dass er Tamar Szabo Gendlers Buch von 2000 nicht zur Kenntnis genommen hat – die bis dahin systematischste begrifflich arbeitende Studie zum Thema.


RESCHERS THESEN

Die wichtigsten Thesen des 1. Kapitels: Gedankenexperimente sind Formen strukturierten hypothetischen Überlegens.

Ein Gedankenexperiment enthält (S. 7-8)

1. eine Annahme,
2. einen informierenden Kontext (aus Überzeugungen), in den die Annahme eingeführt wird,
3. eine Schlussfolgerung,
4. die große Frage, die das Gedankenexperiment bzw. die Schlussfolgerung beantworten soll,
5. die Argumentation für die Antwort auf die große Frage aus dem ERgebnis des Gedankenexperiments.

Entsprechend, meint Rescher, läuft ein Gedankenexperiment in 5 Phasen ab: Annehmen, Kontext spezifizieren, Schlussfolgerung ziehen, Lektion lernen, einfügen.

Diese Gliederung scheint mir recht überzeugend auf den ersten Blick. Reschers wichtigste Folgerung: ein Gedankenexperiment ist kein echtes Experiment (das wird in der Literatur immer wieder diskutiert). Denn ein echtes Experiment beobachtet Ereignisse, ein Gedankenexperiment besteht hingegen nicht aus Beobachtung: man sieht sich nicht beim gedanklichen Anordnen der Prämissen zu. Sondern es besteht aus Schlussfolgern und Reflektieren. Entsprechend kann ein echtes Experiment neues Wissen erzeugen, ein Gedankenexperiment aber nicht (S. 12).

WEITERE UNTERSCHEIDUNGEN
Über das Annehmen: Rescher unterscheidet „suppositional reasoning“ und „counterfactual reasoning“. Suppositional reasoning ist solches, wo die Annahme, die das Gedankenexperiment beginnt, eine ist, von der wir nicht wissen, ob sie richtig oder falsch ist, die aber unseren übrigen Überzeugungen (dem Kontext) nicht widerspricht. Rescher spricht auch von „agnostic thought experiments“ oder davon, dass sie „belief supplemental“ seien. Counterfactual reasoning geht von einer Annahme aus, die sich im Widerspruch zu unseren Überzeugungen befindet, entsprechend ist es „belief conflicting“. Bsp.: ‘Nehmen wir an, der Mond wäre aus grünem Käse.’
Über den Kontext: Ohne Kontext und ohne ergänzenden Rahmen von Überzeugungen („the background of relevant information“, S. 11) haben Gedankenexperimente keine Bedeutung. Wie bedeutsam der Kontext ist, macht Rescher daran deutlich, was passiert, wenn die Schlussfolgerung (das 3. Element oben) allein aus der Annahme (1. Element) folgt. Bsp. ‘Angenommen, es sind 50 Leute im Raum. Dann sind jedenfalls mehr als 40 Leute da.’ Das ist total wahr und total uninteressant. – Rescher ist hier etwas unscharf; die „relevanten Informationen“ umfassen sowohl Überzeugungen, die nur das experimentierende Subjekt haben kann, als auch geteilte Überzeugungen. Sein Beispiel: ‘Wenn Johnny härter gearbeitet hätte’ ist die Annahme. Der Experimentator denkt, dass Johnny durchaus ein fähiger Mensch ist und kommt zur Schlussfolgerung: ‘dann hätte er das Examen geschafft.’ Mit einer anderen Überzeugung wie ‘Johnny ist unfähig’ würde seine Schlussfolgerung aber lauten: ‘selbst dann hätte er das Examen nicht geschafft’. (Reschers Bemerkung zur wissenserhaltenden Natur von Gedankenexperimenten hat auch mit dem Kontext zu tun – es kann sein, dass Gedankenexperimente helfen, stille Annahmen des Kontextes hervorzuheben und damit diskutabel zu machen.) Rescher vertritt also: Nihil informatio ex nihilo. :-) Entsprechend kann man ein Gedankenexperiment auch nicht wirklich „durchführen“, sondern nur durchdenken. Die Beziehung zwischen Annahme und Schlussfolgerung ist schließlich eine logische. Und weil diese eine logische ist, hängt das Ergebnis auch nicht vom Experimentator ab; Rescher will darum das gedankliche Experimentieren nicht als Introspektion verstanden wissen (S. 18). Es diene auch nicht dazu, unsere Intuitionen (z.B. in entlegenen Fällen) abzufragen (S. 19). Da wird Rescher sogar fordernd: „something which it ought not to be“.


Rescher bemerkt noch, dass es ein paar weitere Gliederungsmöglichkeiten für Gedankenexperimente gibt: a) inhaltlich (Philosophie, Wirtschaft, Naturwissenschaft etc.); b) nach der Art, wie man zur Schlussfolgerung kommt (deduktiv, probabilistisch ...), c) nach dem Zweck: zur Unterstützung einer These, zur Widerlegung (als reductio ad absurdum).
Rescher schließt mit einigen Überlegungen darüber, wie Gedankenexperimente fehlschlagen können; die wichtigste Fehlerquelle ist natürlich, dass der Kontext nicht genug spezifiziert ist.

Fazit: Obwohl unübersichtlich vorgetragen, deutlich strukturierter gedacht als Sorensens Buch, wie ich das im Gedächtnis habe. Muss wohl dort mal wieder reinlesen.

07 Februar 2006

Foltern um zu retten? Der argumentative Gebrauch von Gedankenexperimenten

Wie überzeugend sind Gedankenexperimente in der Ethik? Aus mehr oder weniger aktuellem Anlass schrieb Michael Kinsley in Slate Mitte Dezember eine durchdachte Auseinandersetzung mit Charles Krauthammers Wiederbelebung des "Folter einen, rette viele"-Gedankenexperiments (gefunden via Patrick Baums Weblog Philosophus). Die moralische Frage ist hier im Zusammenhang eines möglichen US-Gesetzes zu sehen, es geht also eigentlich darum, ob ein Gesetz Folter verbieten oder erlauben oder mit welchen Restriktionen erlauben sollte. Kinsleys Schlussgedanke begegnet auch in der Auseinandersetzung mit ethischen Gedankenexperimenten, nämlich: Spezielle Fälle sind kein guter Ratgeber beim Test unser moralischen Intuitionen, und sie zeigen nicht, dass das jeweilge moralische System fehlerhaft ist, wenn es damit nicht klarkommt. Kinsley im O-Ton:

There is yet another law-school bromide: "Hard cases make bad law." It means that divining a general policy from statistical oddballs is a mistake. Better to have a policy that works generally and just live with a troublesome result in the oddball case. And we do this in many situations. For example, criminals go free every day because of trial rules and civil liberties designed to protect the innocent. We live with it.

Of course a million deaths is hard to shrug off as a price worth paying for the principle that we don't torture people. But college dorm what-ifs like this one share a flaw: They posit certainty (about what you know and what will happen if you do this or that). And uncertainty is not only much more common in real life: It is the generally unspoken assumption behind civil liberties, rules of criminal procedure, and much else that conservatives find sentimental and irritating.

Sure, if we could know the present and predict the future with certainty, we could torture only people who deserve it. Not just that: We could go door-to-door killing people before they kill others. We could lock up innocent people who would otherwise be involved in fatal traffic accidents. Civil libertarians like to believe that criminals get their Miranda warnings and dissidents enjoy freedom of speech because human rights are universal. But if we knew for sure that a newspaper column by Charles Krauthammer would lead—even by a chain of events he never intended and bore no responsibility for—to World War II, wouldn't we be nuts not to censor it? Universal human rights would make no sense in a world where everything was known and certain.

This is not to say that Krauthammer's killer hypothetical could never happen. It is to say that morality does not require us to build a general policy on torture around a situation that is not merely unlikely in real life, but different in kind from the situations we are likely to face in real life. What we would do or should do if this situation actually arose is an interesting question for bull sessions in the dorm, but not a pressing issue for the nation.

06 Dezember 2005

Olaf Müller über das Gehirn im Tank -- eine Rezension (2. Teil)

Zum ersten Teil.

Weitere skeptische Ansätze und Gegenargumente (zum Kontextualismus z.B. 1, S. 63-72) werden gestreift. Kenner der Materie mögen sich hier wie zuweilen bei der Ausführlichkeit der Argumentation langweilen, können aber dank des vorbildlichen Inhaltsverzeichnisses und des übersichtlichen Gedankenganges leicht Abschnitte überspringen und dort einsteigen, wo es ihnen wieder interessant erscheint.

III Die Ziele von Müllers Studie (2): Die offene Frage, wenn der Skeptizismus widerlegt ist


Der zweite Band ist aus meiner Sicht der eigentlich reizvolle Teil der Untersuchung. Hier geht es Müller um das Unbehagen, das Putnams Beweis zurücklässt, weil er wörtlich von einem Gehirn im Tank wiederholt werden könnte, ohne dass die Wahrheit der Konklusion gefährdet wäre (2, S. 6). Müller diagnostiziert dieses Unbehagen als ein metaphysisches: Es bleibt, obwohl er den Skeptizismus mit Putnam widerlegt hat (sofern der Externalismus wahr ist). Um Erkenntnistheorie kann es dabei nicht gehen: Das Wissen eines Gehirns im Tank von seiner Welt ist genauso sicher wie unseres, das liegt an der vollen Disquotionalität seiner wie unserer Sprache (1, S. 78ff.). (Ähnlich Douglas C. Long: The self-defeating character of skepticism. In: Philosophy and phenomenological research 52 (1992), S. 67-84; David Chalmers, The Matrix as metaphysics (online, auch in: Christopher Grau (Hg.): Philosophers explore ‘The Matrix’. Cambridge: CUP 2005.) Das Gehirn im Tank hat einfach einen anderen metaphysischen Rahmen (2, S. 43).
Vielmehr geht es darum, ob bzw. wie wir über – mit Wittgenstein zu reden – ‘die Grenzen unserer Welt’ spekulieren können. Dafür bedient Müller sich eines einfachen Kunstgriffs. Statt „unsere“ Situation zu betrachten, analysiert er die eines Gehirns im Tank und dessen Versuche, seine Situation – die sich von uns aus, von außen, leicht fassen lässt – sprachlich zu beschreiben (2, S. 45 f.). Das metaphysische Unterfangen läuft also darauf hinaus, einem Gehirn im Tank die sprachlichen Mittel in die Hand zu geben, über seine eigene Situation etwas Weiterführendes zu sagen. Der Satz „Ich bin kein Gehirn im Tank“ erfüllt diese Forderung nicht, weil er gemäß der externalistischen Analyse trivialerweise wahr ist. Wie müsste ein weiterführender Satz lauten? Welche Ausdrucksmittel sind dafür nötig? Von außen können wir beurteilen, ob diese Mittel ihren Zweck erfüllen.

IV Was ist ‘Semantische Stabilität’?

Der Kern des Müllerschen Instrumentariums besteht im Begriff der „Semantischen Stabilität“, der entfaltet wird anhand einer Ebenen-Analyse: Seien wir die erste Ebene, Gehirne in Tanks in unserer Welt die zweite. Kommen in deren simulierter Welt wiederum Gehirne in Tanks vor, ist dies eine dritte, undsofort. Semantisch stabil ist ein Begriff, der in jeder dieser Ebenen dieselbe Bedeutung hat. Nicht stabile Wörter sind solche, die übersetzt werden müssen. Beispiel: Im Tankdeutschen bezeichnet das Wort „Tiger“ die Repräsentation im Supercomputer; im Deutschen bezeichnet das Wort „Tiger“ die Tiger. „Tiger“ ist nicht semantisch stabil. Zur Kennzeichnung wird das tankdeutsche Wort „Tiger“ ins Deutsche mit „Bit-Tiger“ übersetzt. Man sieht auf den ersten Blick, dass Bezeichnungen für materielle Gegenstände wie „Tiger“ im Tankdeutschen allesamt nicht semantisch stabil sind (2, S. 134ff.). Ebenso leicht ist zu sehen, dass logische Operatoren im Tankdeutschen genauso funktionieren wie im deutschen; es ist also unnötig, zwischen „und“ und „bit-und“ zu unterscheiden (2, S. 78ff.). Damit aber das Projekt „Ausdruck des metaphysischen Zweifels“ Erfolg haben kann, müssen auch informative Wörter semantisch stabil gemacht werden. Als geeignete identifiziert Müller schließlich die eingeführte künstliche Vorsilbe „bit-“ und ihr Gegenstück „über-“ (2, S. 196ff.). „Bit-“ bezieht sich immer auf die nächsttiefere Ebene, abhängig vom Ort des Sprechers, und wirkt demnach wie ein indexikalischer Ausdruck. „Vielleicht gibt es Bit-Katzen“ bedeutet also: „Vielleicht gibt es Katzen-Simulationen (im Simulationsprogramm eines Gehirns im Tank).“ Das Gegenstück „Über-“ erlaubt den umgekehrten Weg: Ein Gehirn im Tank kann mit „Vielleicht gibt es Über-Katzen“ auf die Welt außerhalb seines Computers -- unsere Welt -- referieren und über die Existenz von Katzen darin spekulieren. Dass es keine Möglichkeit hat, je die Frage „Gibt es Über-Katzen?“ zu entscheiden, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls ist damit das Ziel von Müllers Gedankengang erreicht, namentlich, das sprachliche Instrumentarium für den metaphysischen Zweifel zu entwickeln.

V Schneller zum (anderen) Ziel – ist der Externalismus wahr?

Nach der Lektüre der rund 200 Seiten, die Müller darauf verwendet, fragt man sich, ob das Ziel nicht auch schneller und weniger aufwendig hätte erreicht werden können. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dem so ist, weil mir Müller die Pointe des diagnostizierten metaphysischen Unbehagens zu verkennen scheint. Putnams Beweis zeigt nicht, dass wir keine Gehirne im Tank sind, sondern dass wir nicht darüber reden können – sofern der Externalismus wahr ist. Das Unbehagen rührt aus dem Missverhältnis zwischen dem anscheinend einwandfreien Beweis und der Tatsache, dass wir die Geschichte vom Gehirn im Tank gut genug verstehen, um zu wissen, was damit gemeint ist. Das trifft auch Müllers Untersuchung. Hätte Putnam recht, worum geht es dann in seinem Buch? Dass wir die Ausgangsfrage verstehen, zeigt, dass wir wissen, was ein Gehirn im Tank ist, und darüber reden können, ganz ohne „Bit-Gehirne“ und „Über-Katzen“. Entsprechend verstehen wir die Möglichkeit, ein Gehirn im Tank zu sein (ich habe dieses Argument ausführlicher dargestellt in: Joachim Eberhardt: Gehirne in Tanks : warum die skeptische Frage offen bleibt. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 58 (2004), S. 559-571).
Warum ist das so? Es liegt daran, dass das Gedankenexperiment selbst bereits zwei Ebenen umfasst: die des Gehirns im Tank und die des Wissenschaftlers, der das Gehirn versorgt. Müllers Untersuchung der Möglichkeit, eine sprachliche Beziehung zwischen diesen beiden Ebenen herzustellen, beschränkt sich auf die Innenperspektive: auf die Sicht des Gehirns im Tank und auf die Sicht des Wissenschaftlers. Dafür braucht er die Vorsilben „Bit-“ und „Über-“. Aber wir blicken im Gedankenexperiment auf beide von außen. Unsere Sprache enthält das Instrumentarium schon, die Beziehung zwischen beiden zu beschreiben, und dabei kommt man ohne den Begriff der „semantischen Stabilität“ aus. Das einzige, was man benötigt, ist die Analogie. Müller streift Analogien kurz in seinen Überlegungen (2, S. 123 ff.), ohne zu bemerken, dass sie, gewissermaßen, eine Abkürzung zu seinem Ziel bieten. Müllers Umweg hat mit dem Externalismus zu tun. Er mag eine leistungsfähige Theorie der Bedeutung sein; aber er allein erklärt längst nicht alle Typen von Sprachverwendung. Zum Beispiel sind Metaphern und Analogien ebenfalls Möglichkeiten, über die Welt zu reden und sich auf sie zu beziehen. Darum liegt ein Fehler in Putnams Beweis (in der Fassung von Wright in der Verbesserung von Müller) darin, sich mit dem Externalismus zu begnügen. Deutlich ist das an der vereinfachenden Gegenüberstellung von Externalismus auf der einen, „magischer“ Theorie des Bezeichnens auf der anderen Seite (1, S. 109 u.ö.). Sieht man die Sache so, gibt es keine vernünftige Alternative zum Externalismus. Aber man sollte sie nicht so sehen. Hier hätte ich gern ebenfalls Müllers klares Denken und seine geduldig-gründliche Argumentation am Werk erlebt.

VI Fazit

Das Gedankenexperiment vom Gehirn im Tank scheint vom Skeptizismus zu handeln. In Wirklichkeit handelt es von unserer metaphysischen Situation, meint Müller und lenkt damit unsere Aufmerksamkeit auf einen insbesondere in der analytischen Philosophie lange vernachlässigten Bereich (diese Metaphysik hat einen deutlich weiteren Umfang als P. F. Strawsons Projekt einer „deskriptiven Metaphysik“). Auch wenn mir seine Schlussfolgerung unvollständig zu sein scheint, ist das ein Gewinn.