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29 Oktober 2006

Höffe, Kant und das Urheberrecht

Der Tübinger Philosoph und Kantkenner Otfried Höffe gehört zu den Erstunterzeichnern eines Schreibens an die Bundesjustizministerin (hier als pdf), in der 500 Vertreter der Wissenschaft Protest einlegen gegen die geplante Änderung des Urheberrechts. In der FR hat er am 28. Oktober seinen Protest begründet. Dabei scheint ihn am meisten der geplante Paragraph 52b zu kratzen:
Vermutlich noch einschneidender ist das Vorhaben, den Eigentumsschutz bei der Terminalnutzung in Bibliotheken enden zu lassen: Öffentliche Bibliotheken, Museen und Archive sollen künftig jedes Werk aus ihren Beständen, selbst ein kostenlos überlassenes Pflichtstück, an beliebig vielen elektronischen Leseplätzen zugänglich machen. Es ist keine Panikmache der wissenschaftlichen Verlage, dass ein Gutteil von ihnen dadurch in ihrer Existenz bedroht wird. Mitbedroht sind Autoren und Buchhändler.

Harte Worte. Und Kant ist natürlich gewährsmann:
Bücher sind geistiges Eigentum, in erster Linie des Autors, danach, wegen der subsidiären Leistung, des Verlegers. Gegen dieses gestufte Eigentumsrecht verstößt schon bei Kant der Büchernachdruck. Weil er den rechtmäßigen Besitzern deren rechtmäßigen Vorteil entzieht, macht er sich eines klaren Rechtsbruchs schuldig. Er begeht Kant zufolge ein Verbrechen. Dabei bleibt es sich gleich, ob ein klassisches Druckwerk vorliegt, das man in die Hand nimmt, oder ein auf dem Bildschirm gelesener Text.

Also: Auch wenn der Staat die "Terminalnutzung" erlauben würde, wären die Nutzer Verbrecher? Aber im Ernst.
Ehrlich, liebe Leser, würden Sie auf die Anschaffung eines Brockhaus verzichten, weil sie die Artikel digital in der Bibliothek an einem speziellen Leseplatz lesen dürften? Nur um es klarzustellen: der Entwurf erlaubt weder das Ausdrucken noch das Abspeichern auf einem mitgebrachten Speichermedium. Und die Rede von "speziellen Leseplätzen" verstehe ich als Laie so, dass diese Leseplätze zu keinem anderen Zweck genutzt werden dürften. Ich habe daher große Zweifel, dass Höffes Thesen überhaupt stimmen. Die wichtigste ist natürlcih die folgende:
Es liegt auf der Hand, dass die Verbreitung durch die Bibliotheken mittels Bildschirmen die Verkäufe der entsprechenden Bücher und Zeitschriften erheblich einschränken wird.
Ja, liegt das auf der Hand? Ich bin Bibliothekar, also kann ich begründet einschätzen, wie sich das Kaufverhalten der Bibliotheken ändern wird. -- Man muss an dieser Stelle hinzufügen, dass der Gesetzesentwurf sprachlich offenlässt, ob das Werk im Bestand der Bibliothek sein muss, was der Börsenverein weidlich für seine Propaganda ausgenutzt hat. In der endgültigen Fassung wird das aber sicher wieder drinstehen, und Höffe scheint auch davon auszugehen, dass die Bibliotheken auf speziellen Leseplätzen digitale Versionen von Büchern anbieten würden, die sie bereits besitzen, für die sie also in der Regel bezahlt haben. Dann ergeben sich folgende Fragen:

1. Werden wissenschaftliche Bibliotheken weniger Fachbücher kaufen, weil sie diese digitalisieren und zum Lesen am Bildschirm anbieten dürfen? Ich glaube nicht: denn wissenschaftliche Bibliotheken kaufen in der Regel ohnehin bloß 1 oder 2 Exemplare. Für Lehrbuchsammlungen werden Mehrfachexemplare angeschafft, aber dafür wird immer noch Bedarf bestehen, weil ja an den Leseplätzen weder abgespeichert noch ausgedruckt werden darf. Wenn die Bibliotheksbenutzer ein Werk länger nutzen wollen, müssten sie es immer noch ausleihen.
2. Werden öffentliche Bibliotheken weniger Bücher kaufen, weil ...? Ich glaube nicht: denn deren Kunden wollen ja den neuen Harry Potter nicht am Bildschirm in der Bibliothek lesen.
3. Werden die Bibliotheksbenutzer Bücher nicht kaufen, weil sie diese für sie kostenlos in der Bibliothek lesen können? Ich glaube nicht: eher glaube ich, dass sie das Buch nicht kaufen, weil sie es dort ausleihen (und auch privat kopieren) können.

Also: Was soll an der Nutzung am Bildschirm für den Umsatz eines Buches schlimmer sein als das, was Bibliotheken bereits tun, nämlich Bücher verleihen? Ich möchte noch, auch als Bibliothekar, hinzufügen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass wir viele derartige Leseplätze einrichten. Allein für das Digitalisieren hätten wir weder Zeit noch Geld (da gibt es wichtigere Objekte!). Auch für die übrige Infrastruktur hätten wir kein Geld: Extraleseplätze. Netzwerkserver. Usf.

Höffe nimmt auch ein Lieblingsbeispiel der Verlage auf, das sogenannte "Pflichtstück", an das manche Bibliotheken kostenlos gelangen. Ja, tatsächlich ist es so, dass es ein nationales Gesetz und dann bundeslandspezifische Regelungen gibt. Tatsächlich muss jemand, der ein Buch publiziert (d.h. in der Regel der Verleger) 2 Exemplare kostenlos an die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt schicken, die dann ein Exemplar davon dann in der Zweigstelle Deutsche Bücherei in Leipzig aufstellt. Diese Bücher dürfen dort ohnehin nur im Lesesaal eingesehen werden -- was unterscheidet das von der 'Terminalnutzung', die ja auch im Lesesaal stattfände? In den Bundesländern ist es im allgemeinen so, dass die Staats- und Landesbibliotheken ebenfalls 2 Pflichtstücke erhalten, in Baden-Württemberg z.B. geht eins an die Badische Landesbibliothek, eins an die Württembergische Landesbibliothek, wobei dort das zweite von den Bibliotheken gekauft wird. In Bayern geht ein Exemplar an die Bayerische Staatsbibliothek, eines an eine regional zuständige Bibliothek. Diese Bibliotheken in den Bundesländern können die Bücher verleihen und tun dies auch. Inwiefern sollte hier die Möglichkeit, die Bücher digital an Terminals (und nur dort) zugänglich zu machen, den Umsatz der Verlage einschränken?
Die Verlage -- und nun auch Höffe und andere -- haben hier eine Menge Behauptungen aufgestellt, die einer empirischen Überprüfung nicht standhalten würden. Reine Propaganda, die Höffe mit Kant adelt. Die kundigeren Vertreter der Wissenschaft unterstützen das Urheberrechtsbündnis, dass die Bundesregierung an ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag erinnert, ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht zu schaffen. Dokumente über die verschiedenen Entwürfe und den Stand der Diskussion gibt es hier. Die Verlagspropaganda findet man nun gut zusammengefasst auf der Selbstdarstellungseite des Börsenvereins zum sogenannten 'Zweiten Korb' des Urheberrechts (audiatur bla bla et alterae partis).

25 Oktober 2006

Was ist Methodischer Kulturalismus?

Alles darüber im soeben ausgezeichneten Wikipedia-Artikel! Schnell lesen, bevor der verändert wird...

24 Oktober 2006

Philosophie-Suche mit Google ausprobiert



Das Philoskop ist ein Experiment mit einem neuen Dienst von Google. Benutzen Sie die Suchbox auf der rechten Seite oder klicken Sie auf das 'Logo'. Ich habe vor, nach und nach den Zielraum der Suche zu ergänzen. Wird wohl einige Zeit dauern, bis da gute 'Antworten' rauskommen, zumal ich mit einer Liste englischer Philosophie-Blogs angefangen habe...

22 Oktober 2006

Warum moralisch sein?

Ich habe gerade den Hinweis auf Marc D. Hausers Forschung gefunden. Der Psychologe aus Harvard beschäftigt sich u.a. mit der Frage, welchen empirischen Hintergrund altruistisches Verhalten hat -- bei nichtmenschlichen Spezies. Die Antwort auf seine Frage "Why be nice?" ist nicht überraschend: "Cooperation sometimes pays off". Oder anders ausgedrückt: Es gibt einen egoistischen Grund, altruistisch zu sein, jedenfalls für Tiere. Dabei stoßen Tiere, im Unterschied zu Menschen, auch schnell an Grenzen. Oder in Hausers Worten, aus seiner Zusammenfassung:
We argue, however, that most instances of animal cooperation can be attributed to either selfish or indirect benefits via mutualism and helping kin. We suggest that reciprocal altruism among unrelated indi-viduals is rare if not absent among animals, despite its ubiquity in humans. In cases where it occurs in the lab, it is unclear whether the patterns observed would generalize to more natural and less controlled situations. We propose that cognitive constraints on temporal discounting, numeri-cal discrimination, learning and memory, and other com-ponents limit the ability of many species to implement and maintain reciprocally altruistic strategies. If correct, then comparative research must illuminate which components are shared with other animals, which are unique to hu-mans, and why certain components evolved in our species and no other.

Den ganzen Aufsatz hier als pdf.

21 Oktober 2006

Ihre unsterbliche Seele

Haben Sie eine? Na, wenn, dann hab ich auch eine. Das gilt allerdings nicht für die Überzeugung, eine unsterbliche Seele zu haben: sind Sie überzeugt? Na, ich bin es noch lange nicht.
Das ändert auch Béla Weissmahrs (1929-2005) neues Buch Die Wirklichkeit des Geistes (Stuttgart : Kohlhammer, 2006) nicht. Weissmahr hat in München an der Hochschule für Philosophie gelehrt; das ist ja eine jesuitische Hochschule: man darf also wohl eine gewisse Voreingenommenheit beim Verfasser vermuten.

Weissmahrs Argument:
Es gibt ein 'reines' oder 'transzendentales Ich'. Das ist "jene Instanz, die niemals ein ausdrücklich erfassbares Objekt einer auf sie direkt gerichteten Erkenntnis werden kann, weil sie genau dasjenige ist, das selbst den Akt des Erkennens (und des sich Bestimmens) vollzieht". Außerdem kann das reine Ich von niemand anderem außer ihm selbst erkannt werden. Das ist also nichtempirisch, meint Weissmahr, und damit über die Empirie hinausgehend. Das 'reine Ich' besitzt damit einen 'absoluten Standpunkt'. Das alles lässt sich summieren zu der These, "dass die Seele [=der Part mit dem 'reinen Ich'] des Menschen eine in sich begründete Eigenständigkeit bzw. eine wesentliche Überlegenheit hinsichtlich des Physikalisch-Materiellen zukommt, woraus sich dann ihre todüberdauernde Existenz ergibt". (S. 171)

Diese Argumentation hat schon eine schräge innere Logik: Tod ist was empirisches, die Seele isses nicht, also kann sie nicht sterben. Nun kann man allerdings ganz analog argumentieren: Das Leben ist was empirisches, die Seele isses nicht, also kann sie nicht geboren werden. Hat es Ihre Seele, sprich: Ihr 'reines Ich' demnach schon immer gegeben, Sie aber nicht? Der Tod ist doch nur die eine Seite der Medaille! (Weissmahr sagt aber explizit, dass die Seele einen Anfang hat, S. 199)

Weissmahr geht aber noch einen Schritt weiter: er meint, es muss möglich sein, etwas über die Art und Weise der "postmortalen Existenz der menschlichen Person" zu sagen. Argument:
Könnte man nämlich über das Wie der Weiterexistenz der menschlichen Person nach dem Tode überhaupt nichts sagen, dann wäre auch dei Behauptung, "dass" der konrete Mensch selbst nach seinem Tode weiterlebt, eine vollkommen inhaltsleere Aussage.
Ähm, ja. Weissmahr ist ja schon tot, insofern hat er nun darüber Auskunft aus erster Hand. In seinem Buch meint er nur, dass dort "Räumlichkeit und Zeitlichkeit" " nicht so gegeben" seien, "wie wir sie jetzt erfahren". Und die Seele müsse "für sich gang gegenwärtig" sein.

Weissmahr hat am Schluss noch ein Wort für den Skeptiker. Bei der Frage, wie überzeugend seine Ausführungen seien, schreibt er:
Alles hängt davon ab, ob jemand fähig /bzw. willlens ist, die auf die unbedingte und damit auch geistige Dimension der Wirklichkeit hinweisenden Momente als solche wahrzunehmen und ihnen zuzustimmen. ... Um die dargelegten Gedankengänge mitvollziehen zu können, muss man das Zeugnis der Subjektivität und darin vor allem des moralischen Gewissens seiner ontologischen Bedeutung nach erfasst haben. Wenn das der Fall ist, dann dürften die dargelegten Gedankengänge als zustimmungswürdig erscheinen. Wo das aber nicht zutrifft, dort dürften die vorgelegten Überlegungen höchstens ein herablassend gütiges Kopfschütteln hervorbringen.

In der Tat.

16 Oktober 2006

Der Tollste

Der Autor von Wahrheit und Methode gilt heute international als der bedeutendste deutsche Philosoph in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, ja schon als Klassiker der Philosophie
behauptet Günter Figal eingangs seines neuen Buches Gegenständlichkeit (Tübingen : Mohr Siebeck, 2006). "Als Beleg", meint er, "mag in der wachsenden Forschungsliteratur der von Robert J. Dostal herausgegebene Cambridge Companion to Gadamer (2002) ebenso gelten wie der von L. E. Hahn herausgegebene Band The Philosophy of Hans-Georg Gadamer in der Library of Living Philosophers."
Gilt also die Beschäftigung der Übrigen mit einem als Beleg für seine Bedeutung? Die Zeitschrift Information Philosophie hat ja in jedem Erscheinen eine Hitliste deutscher Philosophen. Ich meine, da stände immer Habermas an erster Stelle (oder liegt das daran, dass Gadamer schon tot ist?) Kleiner Check im Netz (gern hätte ich noch die Zahl der Ehrendoktoren hinzugefügt, aber das ließ sich auf die schnelle nicht eruieren):



















GadamerHabermas
Google371.0001.230.000
Forschungsliteratur184356
Google Scholar43.600
160.000

PS Forschungsliteratur ist ermittelt durch Schlagworteingabe im elektronischen Katalog der SSG-Bibliothek für Philosophie, der UB Erlangen.

Descartes sux, Locke too, said Berkeley

"Exclusively electronic operation" für Nous und PPR

Blackwell Publishing ruft ein Moratorium aus für seine -- wichtigen -- Zeitschriften Nous und Philosophy and Phenomenological Research. Ab übermorgen, 18.10., will Blackwell 6 Monate lang keine Einreichungen von Aufsätzen mehr akzeptieren. Die Zeit braucht man offenbar, um auf "electronic operation" umzustellen. Was bedeutet das: die Zeitschriften gleich online? Das sicher auch, aber vor allem: dass Schreibende ihre Texte nurmehr bereits elektronisch einreichen dürfen, und nicht mehr in Papierform. Davon verspricht sich Blackwell
to reduce greatly the deplorable time lags that philosophy journals presently suffer, both in disposition of submissions and also in span from acceptance to publication
Mal sehen, ob das so klappt, oder ob man weiter zwei Jahre pro Aufsatz beim Publizieren zusehen kann.

10 Oktober 2006

Wer ist hinter Ihnen her?

Vor ein paar Jahren gab's einen Film mit Mel Gibson und Julia Roberts, Fletchers Visionen. Der Bösewicht wurde von Patrick 'Picard' Stewart gespielt, und es ging um einen entflohenen Profikiller, der sein Gedächtnis verloren hat und nun seine ihm eingebrannten üblen Erfahrungen und die fehlende Vergangenheit mit einem Haufen Verschwörungstheorien kompensiert, die er an die Leute zu bringen sucht. Ich hatte damals nach einem kurzen Verleser die Hoffnung, es werde ein postmoderner Thriller: Fletchers Versionen. In der Tat erzählt Fletcher ja, indem er Zeitungsmeldungen durch seine Brille neu interpretiert, auch einen Teil der täglichen Ereignisse neu.
Verschwörungstheorien lohnen kaum die Diskussion, da sie meist immun gegen Korrekturen sind, wenn sie nicht gerade auf nachprüfbar falschen Annahmen aufbauen. Trotzdem gibt es eine kleine philosophische Debatte darüber, und die hat David Coady in einem jüngst bei Ashgate (Aldershot, 2006) erschienenen Sammelband Conspiracy theories : the philosophical debate zusammengefasst. Hauptfokus ist, sozusagen, die Erkenntnistheorie der Verschwörung, oder die Frage, ob das Konzept 'Verschwörungstheorie' für sich schon fehlerhaft ist. Und vielleicht auch die Pragmatik, frei nach Wittgenstein: man kann sich nicht allein verschwören.

Blick auf die Webseite von Ashgate hat mir gerade gezeigt, dass es dort noch eine weitere Publikation zum Thema gibt: Conspiracy theories in early modern Europe, von 2004.

Mittelalterliche Skepsis

Dominik Perler, exzellenter Kenner der mittelalterlichen Philosophie, geht in seinem neuen Buch Zweifel und Gewissheit (Frankfurt am Main : Klostermann, 2006) den "skeptischen Debatten im Mittelalter" nach. Interessant der Aufbau seines Buches: systematisch, orientiert daran, woran gezweifelt wurde: so dass die Debatten als Folge von Argumenten in ihrer Entwicklung dargestellt werden können. Perler schreibt sehr lesbar, auch für diejenigen, die wie ich nicht so im Mittelalter zu Hause sind. Das buch wurde in der FAZ rezensiert, und der Verlag hat es sich nicht nehmen lassen, die Lobesworte von Pawlik auf seiner Homepage zu zitieren.

09 Oktober 2006

Wie Kant in Spanien gelesen wurde

verrät Kant en España: el neokantismo en el siglo XIX, hg. von José Luis Villacañas Berlanga. - Madrid : Verbum, 2006. Der Band enthält neben einer einleitenden, knapp 140 Seiten umfassenden Studie und einer kurzen Bibliographie vor allem Quellentexte, von Manuel de la Revilla, José del Perojo und Kuno Fischer.

Thomas Reid und die Identität

Fundstück: Das Gedankenexperiment vom konzeptuellen Zusammenhang von Körper und Geist in der Frage der Identität. Bis dato waren mir nur die Varianten von Bernard Williams und Sidney Shoemaker bekannt: rund 200 Jahre später!
In 1775 Thomas Reid, a leading light of Scottish philosophy, wrote to the distinguished judge Lord Kames: "I would be glad to know your Lordship's opinion whether when my brain has lost its original structure, and when some hundred years after the same materials are fabricated so curiously as to become an intelligent being, whether, I say, that being will be me; or, if, two or three such beings should be formed out of my brain; whether they will all be me, and consequently one and the same intelligent being".

Quelle: Thomas Reid to Lord Kames, 1775, in "Unpublished Letters of Thomas Reid to Lord Kames, 1762-1782", ed. Ian S. Ross, Texas Studies in Literature and Language 7 (1965), 17-65.
Quelle hier: Nicholas Humphrey: Seeing red : a study in consciousness. - Cambridge /MA : Belknap Press, 2006, S. 1.

08 Oktober 2006

Philosophie-Aufsätze schreiben

Die Ratgeberliteratur ist nicht ganz umfanglos: wie man Essays, Aufsätze, Dissertationen schreibt. Werke wie Umberto Ecos Über das Verfassen einer wissenschaftlichen Arbeit, die allen Fächern genügen wollen, müssen notgedrungen vor allem auf solche Dinge hinweisen, die allen gemeinsam sind. Falls es eine bestimmte Art der Argumentation, eine bestimmte fächerspezifische Methode der geistigen Versenkung gibt, über die man gern etwas wüsste, sollte man lieber zu philosophiebezogenen Ratgebern greifen.
Im angloamerikanischen Raum ist dabei die Ratgeberliteratur weiter fortgeschritten. Lewis Vaughn bietet in seinem Büchlein Writing Philosophy : a student's guide to writing philosophy essays (Oxford : Oxford UP, 2006) z.B. Kapitel über das Lesen philosophischer Texte -- als Voraussetzung des Schreibens --, über das Argumentieren und Bewerten von Argumenten, über logische Fehlschlüsse und wie man sie vermeidet, über das Plagiieren und warum man es nicht tun sollte, über Schreibstil, schließlich über die "Formatierung" des Geschriebenen, bevor man es abgibt. Das Buch ist aufgebaut als Begleitung einer entsprechenden Kurseinheit.
Manche Ratschläge dürften gewöhnungsbedürftig sein. So empfiehlt Vaugh, die Erste Person zu benutzen, sofern der 'isntructor' nichts anderes verlangt:
These are preferable to the more formal we ("we will show that ...") or extremely formal and stilted locutions such as "It is to be noted that ..." or "It is to be shown that ...") This advice correlates nicely with ... taking full responsibility for the claims you make.
Ich bin ganz seiner Meinung. Allerdings muss man auch das "ich" vorsichtig benutzen, um die Wichtigkeit des Eigenen nicht überzubewerten. Sätze wie "ich denke" taugen nicht als Einleitung in ein Argument -- in einer wissenschaftlichen Arbeit. Und "wie ich gezeigt habe" ist genauso hässlich wie "wie wir gesehen haben".

07 Oktober 2006

Systemtheorie und Phänomenologie

Wie verhalten sich die beiden zueinander? Oder Husserl zu Luhmann? Das muss eine interessante und drängende Frage sein: so sehr, dass Sven-Eric Knudsen seine soziologische Dissertation darüber geschrieben hat und Jaromir Brejdak u.a. einen Sammelband darüber herausgeben. Knudsens Buch heißt Luhmann und Husserl : Systemtheorie im Verhältnis zur Phänomenologie (Würzburg : Königshausen und Neumann, 2006) und handelt vom Verhältnis des Subjekts zur Gesellschaft, wie es sich in beiden Theorien darstellt: nämlich jeweils defizitär. Die eine hat bekanntermaßen ihre Stärke in der Beschreibung des Subjekts, die andere ... Knudsen ist gleich versucht, von "Bewusstseinssystemen" zu schreiben; der Leser muss also schon eine gewissen terminologische Bewegung mitmachen.
Brejdaks Band, im gleichen Jahr beim gleichen Verlag unter dem Titel Phänomenologie und Systemtheorie erschienen, geht es um die "Rahmenbedingungen eines Dialogs zwischen" den beiden Theorien, die doch schließlich, so der Klappentext, dasselbe wollen: die "Überwindung der Subjekt-Objekt-Dichotomie". Die werden anhand von einzelnen Themen wie 'Geschichte' oder 'Zeit' aufgerissen. Und Hans Reiner Sepp schreibt über "Luhmann liest Husserl", anhand von Luhmanns 1996er Wiener Vortrag über -- richtig -- Husserls Wiener Vortrag von 1935.

01 Oktober 2006

Johann Daniel Friedrich Rumpf 1833 über Intelligent Design

Der preußische Hofrath verfasste eine Argumentationslehre. Bei den Beispielen handelt er auch die Gottesbeweise ab. Den aus der Zweckmäßigkeit der Welt nennt er den "Physiko-theologischen Beweis" und schreibt dazu:
... so ist freilich nicht zu läugnen, daß eine Menge von Gegenständen in der Sinnenwelt von der Art sind, daß wir ihre Einrichtung nicht anders begreifen können, als wenn wir einen Zweck, einen Absicht aufsuchen, weshalb sie so eingerichtet sind. Es ist also die Zweckmäßigkeit für uns ein Erklärungsgrund, wenn wir mit den mechanischen Ursachen nicht ausreichen; allein aus dem Unstande, daß wir die Einrichtung gewisser Dinge nicht anders begreifen können, als wenn wir annehmen, daß sie nach einem bestimmten Zwecke hervorgebracht sind, folgt noch gar nicht, daß ein solches Ding wirklich einen vernünftigen Urheber habe. Es ist dies nichts als eine Hypothese, also kein Beweisgrund. Man würde ja sonst schließen, "was ich nicht erklären kann, ist so," und das wird doch wohl Niemand behaupten.
Ferner erschleicht der physiko-theologische Beweis die Annahme Eines Urhebers der Welt, denn er vergleicht die Natur als ein zweckmäßiges Ganzes mit einem menschlichen Kunstwerke, und nimmt analogisch an, weil das, was wir von der Welt kennen, zusammenstimmend ist, so wird Alles zusammenstimmend sein, ob wir gleich die Natur nur dem kleinsten Theile nach kennen, mithin durch einen gewaltigen Sprung im Schließen, aus der Zweckmäßgikeit des bekannten Theils auf die durchgängige Zweckmäßigkeit des unbekannten Theils einen Schluß machen. Dies ist hier um so mehr der Fall, da uns in der Welt Manches als unzweckmäßig, selbst als ein Übel erscheint; man müßte sich durchaus auch darauf einlassen, dieses anscheinend Zweckwidrige in der Welt zu erklären und die Gottheit zu rechtfertigen. Man würde sich aber nicht auf die Unmöglichkeit berufen dürfen, die Weisheit Gottes zu ergründen, denn sonst würde man einen Zirkel im Beweise machen. Man würde nämlich von der Zweckmäßigkeit der Sinnenwelt auf das Dasein eines allweisen Urhebers, und von diesem schließen, daß Alles, was in der Welt sich findet, -- auch das anscheinend Unzweckmäßige -- zweckmäßig sein müsse.
Aber gesetzt auch, die Welt sei von einem vernünftigen Wesen hervorgebracht, so können wir doch höchstens nur annehmen, dieses Wesen habe so viel Kraft und so viel Verstand gehabt, als dazu gehört, um diese Welt zu machen, nicht aber, daß es den höchsten Verstand, und die höchste Kraft besitze. Wir würden von der Welt höchstens nur auf einen mächtigen, weisen und gütigen Bildner oder Baumeister schließen können, der wie ein menschlicher Künstler einem gegebenen Stoff eine zweckmäßige Form ertheilte, keinesweges aber auf ein allerhöchstes Wesen.
Der physiko-theologische Beweis kann also nicht als strenger Beweis für das Dasein Gottes gelten.
Johann Daniel Friedrich Rumpf: Die Disputir- und Vortragskunst : eine praktische Anleitung zum logischen Beweisen und Widerlegen und zum folgerichtigen Gedankenvortrage; gemeinfasslich dargestellt und durch Beispiele anschaulich gemacht. - Berlin : Hayn, 1833, hier S. 153-154.