Rezension zu Robert B. Laughlin: Das Verbrechen der Vernunft : Betrug an der Wissensgesellschaft. - Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2008.
Die Rezension erschien in Buch und Bibliothek 60 (2008) 11/12, S. 830-831.
Robert B. Laughlins Streitschrift Das Verbrechen der Vernunft : Betrug an der Wissensgesellschaft verspricht interessante Lektüre für Bibliothekare: „Mitten drin“ sind wir schon in „Orwells Welt“ (S. 13), die Freiheit der Forschung schon aufgegeben. Und Laughlin müsste es wissen: der Physik-Nobelpreisträger von 1998 forscht und lehrt selbst an der Stanford University. Zum Glück hält das Buch nicht, was der Autor verspricht.
Ein wichtiges Thema packt Laughlin da an: Wir sind auf dem falschen Weg. Staat und Unternehmen schränken ein, was gewusst und geforscht werden darf, und Forscher und Bürger nehmen es hin, ohne dafür etwas zu bekommen. Daher leiht man der Warnung gern seine Aufmerksamkeit, auch um zu erfahren, was wohl dagegen zu tun wäre. Doch diese Hoffnung wird enttäuscht. Laughlin hat wenig positive Botschaften, und verliert sich in Anekdoten und Kleinigkeiten. Sein Gedankengang wirkt oft assoziativ und eher anekdotisch als argumentierend, d.h. das Vorgetragene baut nicht recht aufeinander auf. Schnell ist er mit Worten wie „Orwell“ bei der Hand, formuliert ansonsten aber recht sorglos und ungenau.(FN 1) Dafür, dass das Buch zuerst auf Deutsch erschien, nimmt der Inhalt ohnehin wenig Rücksicht auf die deutsche bzw. europäische Situation. Dabei gäbe es hier einiges anders zu bewerten; wir haben ja mit Artikel 5 GG ein Grundrecht auf Informationsfreiheit.
Doch im einzelnen: In zehn lose miteinander verbundenen Kapiteln geht Laughlin der Frage nach, in welcher Form und aus welchem Grund der ‘freie Zugang zum Wissen’ in der Gegenwart eingeschränkt ist. Im ersten Kapitel verknüpft Laughlin seine Ausgangsthese mit dem (unbegründeten) „Grundrecht des Menschen [...], Fragen zu stellen und nach Erkenntnis zu streben“ (S. 10) und nennt drei gesellschaftliche Motive für die Einschränkung dieses Grundrechts: 1. die staatliche Sicherheit (Beispiele Nukleartechnik / Biowaffen), 2. die ökonomischen Interessen von Unternehmen (Beispiel Patentwesen), 3. die Moral (Beispiel Klonen). Dies sind die Hauptanwendungsfälle für das ganze Buch, deren Reflexion Laughlin allerdings durch fragwürdige Parallelisierungen vernebelt.
Im zweiten Kapitel geht es z.B. darum, was Wissen „gefährlich“ macht und warum man sich entscheiden könnte, den Zugang dazu einzuschränken. Das ganze Kapitel krankt jedoch daran, dass Laughlin nicht unterscheidet zwischen gefährlichen Dingen (oder Handlungen) und dem Wissen davon. So schreibt er, dass das ‘Wissen um den Gebrauch von Fleischermessern’ zu tragischen Unfällen und sogar zu Mord führen könne und das Wissen um den Gebrauch von Streichhölzern „immer wieder schwere Verbrennungen oder sogar Brandstiftung zur Folge hat“ (S. 14) – dabei liegt auf der Hand, dass 1. Wissen ohne Besitz und Gebrauch des betreffenden Gegenstandes zu gar nichts führt und 2. in der Regel das Wissen um den richtigen Gebrauch eines Gegenstandes seine Handhabung sicherer macht. Folglich eignen sich diese Analogien nicht zur Illustration seiner Thesen, die damit seltsam unbegründet erscheinen.
Zwei weitere Beispiele: Laughlin unterscheidet nicht zwischen „Wissen“ und „Information“ (im informationstheoretischen Sinne) und bringt daher das Spiel ‘Stille Post’ als Beispiel, wie Wissen in der Kommunikation „verfällt“ (S. 31/32). Er setzt das Verbot des Gebrauchs und der Verbreitung von Technologien zur Umgehung des Kopierschutzes bei Musik- und Filmdateien gleich mit der ‘Kriminalisierung des für das Kopieren nötigen Wissens’ (S. 23), denn nur so taugt dies als weiterer Beleg dafür, wie wirtschaftliche Interessen erzwingen, dass der Zugang zu Wissen beschränkt wird.
Ärgerlich ist, dass Laughlin derlei Ungenauigkeiten auch dort in Kauf nimmt, wo er als Experte auftritt, nämlich im Bereich der Naturwissenschaften. Im interessantesten Kapitel seines Buches geißelt Laughlin – zu Recht – die Auswüchse des amerikanischen Patentrechts. Dabei macht er sich darüber lustig, dass der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten kürzlich entschieden habe, dass „chemische Prozesse im menschlichen Körper keine Naturgesetze seien“; dies folge nämlich daraus, dass Naturgesetze nicht patentiert werden können, Gensequenzen aber für patentfähig erklärt wurden (S. 55). Gensequenzen sind aber – wie kann man etwas anderes denken? – weder Naturgesetze noch chemische Prozesse!
Dabei ist das Anliegen insbesondere des Kapitels zum Patentrecht durchaus wichtig und bedenkenswert. Dass Patente auf Gene und Gensequenzen erteilt werden können, verhindert Forschung an diesen Genen, weil dafür Lizenzgebühren an die Patentinhaber gezahlt werden müssten oder weil Forscher sonst teure juristische Auseinandersetzungen befürchten müssen. Patente können derzeit in den USA offenbar auch auf Dinge und Verfahren erteilt werden, die nur ‘entdeckt’ (statt erfunden) worden sind, und sogar auf solche, die schon längst von anderen genutzt werden, wodurch deren Nutzung plötzlich lizenzpflichtig wird. Das Patentwesen in dieser amerikanischen Form ist also in der Tat ein Betrug an der Wissensgesellschaft, und Laughlin schlägt auch, wenngleich nicht ernst gemeint, eine Lösung vor: Patente „auf die Natur“ dürften gar nicht gewährt werden, denn das „ist offensichtlich unmoralisch“ (S. 65). „Und dasselbe gilt für Patente auf die Vernunft“, das heißt: Verfahren und Techniken, die auf der Hand liegen, dürften keinen Schutz genießen; das Urteil darüber, was als auf der Hand liegend gelten kann, müsste einer Jury aus Experten zustehen. Hier sieht Laughlin eine Aufgabe für den Gesetzgeber.
Auch die Frage, wie die Sicherheitsinteressen eines Staates oder der Staatengemeinschaft mit der Freiheit der Forschung vereinbar sind (6. Kapitel), ist wichtig. Laughlins Haltung dazu ist allerdings unentschlossen. Einerseits hält er nichts von der Strategie des Verbots, weil diese auch wichtige Forschung behindere, und erzählt ein paar einschüchternde Anekdoten von unschuldigen Wissenschaftlern, die aus öffentlichen Quellen Informationen zusammengestellt haben, die dann plötzlich als geheim eingestuft wurden, so dass die Wissenschaftler vor Gericht gestellt wurden. Andererseits hält er Sicherheitsinteressen für legitim. Einen Ausgleich sieht er nicht, sondern geht lieber zum nächsten Thema über, indem er Nukleartechnik und Virenforschung als Präzedenzfälle für den staatlichen behindernden Umgang mit Wissen ansieht. Denselben, erprobten, Umgang wähle der Staat nun beim Thema Klonen.
Die beiden Klon-Kapitel zeigen besonders deutlich, woran es dem ganzen Buch fehlt. Erstens übersieht Laughlin die moralische Dimension der Debatte um das Klonen und bringt stattdessen stets ökonomische Erklärungen. Und zweitens bringt er immer wieder abschweifende Analogien zwischen dem Klonen von Zellen und dem Kopieren von Computerprogrammen ein. So meint er nebenbei zeigen zu müssen, dass die Computerprogramme heutzutage so schlecht seien, weil sie „geklont“ würden, statt einem darwinistischen Ausleseprozess mit Mutationen zu unterliegen. Das ist sicher für sich eine diskussionswürdige These, die im Zusammenhang des „Betruges an der Wissensgesellschaft“ aber vom Thema ablenkt. Ähnliches gilt übrigens für das Kapitel über Spam (9.), in dem Laughlin darüber schreibt, wie ein Zuviel an Informationen das Wichtige zum Verschwinden bringt. Neil Postman brachte das vor Jahren schon besser auf den Nenner „wir informieren uns zu Tode“, und ohnehin hat das nichts mit Laughlins Thema zu tun.
Die Lektüre des Buches ist also, das muss man leider zusammenfassend feststellen, nur zum Teil erhellend. Laughlin gelingt es selten, das Wichtige vom Unwichtigen zu scheiden, um es in einer klaren gedanklichen Gliederung zu präsentieren. Bleibt also positiv hervorzuheben, dass Laughlin sich eines wichtigen Themas angenommen hat, wenngleich er damit eher zum eigenen Denken als zum Nach-Denken anregt.
FN1: Hier mag auch die Übersetzung an einem Teil der Missverständlichkeiten schuld sein. Das Buch ist zwar im April 2008 zuerst auf Deutsch erschienen, die englischsprachige Ausgabe erschien erst Mitte September und scheint etwas ausführlicher zu sein mit ca. 220 Seiten. Trotzdem handelt es sich um eine Übersetzung (von Michael Bischoff). Für mich liegt z.B. der Verdacht nahe, dass die Formulierung, die „Gesetze kollektiver Organisation“ seien „per definitionem abstrus“ (S. 38/39), sich dem englischen Wort „obscure“ verdankt; in der Tat geht es eher um ihre Verborgenheit im Fluss der beobachtbaren Phänomene. – Verkürzte, selbstwidersprüchlich wirkende Formulierungen wie: „Das Schicksal des Würfels ist bekannt, sobald er die Hand des Spielers verlassen hat, nur kennen wir das Schicksal nicht“ (S. 30), dürften allerdings allein auf das Konto Laughlins gehen.
14 November 2008
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