Richard Powers' erwähnt in seinem neuem Roman
Das Echo der Erinnerung (
The Echo Maker), in dem es unter anderem um den Zusammenhang zwischen Geist und Materie, Bewusstsein und Gehirn geht, die
Experimente von B. Libet: eine der Hauptfiguren, der Neuropsychologe Gerald Weber, ruft sich diese in Erinnerung:
Willensfreiheit: Libet trug diese Vorstellung 1983 zu Grabe, sogar für das so genannte normale Gehirn. Er bat Testpersonen, mit einer Uhr, mit deren Hilfe sich zeitliche Differenzen von wenigen Mikrosekunden festhalten ließen, den exakten Zeitpunkt anzugeben, zu dem sie beschlossen, einen Finger zu heben. Durch Elektroden überwachten sie gleichtzeitig, ob ein Bereichtschaftspotential im Gehirn auf die bevorstehende Muskeltätigkeit hinwies. Dieses letztere Signal setzte in der Regel eine Drittelsekunde vor der Entscheidung zur Bewegung des Fingers ein. Folglich ist das wollende Wir nicht das Wir, für das wir es halten. Unser freier Wille ist eine klassische Komödienfigur: der Botenjunge, der glaubt, er sei der Chef.
So in Powers' Worten (S. 450). Die Darstellung stimmt ungefähr, wie man der ausführlicheren (und sozusagen wissenschaftlichen) Zusammenfassung von Stefan Straßmaier in seiner online als pdf verfügbaren Diss
Willensfreiheit - oder kausale Determination von Handlungen?, S. 57ff., entnehmen kann. Ich habe mich schon seit ich das erste Mal von Libets Experimenten gelesen habe gefragt, wie es als Beleg für das taugen kann, wofür es in Anspruch genommen wird: es beweist doch nur, dass das Phänomen früher da ist, als es wahrgenommen wird. Wenn man die Wahrnehmung der Entscheidung, den Finger zu heben, mit dieser Entscheidung gleichsetzt, dann begeht man, scheint mir, einen offensichtlichen Fehlschluss. Der liegt nahe, weil er schön in eins geht mit der Idee, dass eine Entscheidung etwas Bewusstes ist und damit auch zuerst im Bewusstsein stattfinden muss, bevor sie sich auf die Materie (das Heben des Fingers) auswirkt. Mit solcher Interpretation tun sich natürlich eine Menge Fragen darüber auf, wie das Bewusstsein es schafft, auf die Materie zu wirken. Wenn man hingegen annimmt, dass Bewusstsein die eine Seite von etwas ist, dessen andere Seite das Gehirn ist, dann führt es weiter, ein gemeinsames Auftreten von materieller Veränderung (Bereitschaftspotential im Gehirn) und Bewusstseinszustand (Entscheidung) anzunehmen. Und die Selbstwahrnehmung ist eben langsamer als die der Messfühler.
[Update 14.4.2008] In Nature Neuroscience (
DOI 10.1038/nn.2112) zeigen soeben Wissenschaftler ihr Experiment über den Zusammenhang von Entscheidungsfindung und deren Wahrnehmung an. Demnach soll in einigen Fällen die Entscheidung bis zu 10 Sekunden im Hirn vorbereitet worden (und damit für die Forscher wahrnehmbar bzw. vorhersagbar) gewesen sein, bevor die Testperson ihre Entscheidung selbst kannte. Ganz schön eindrucksvoll: 10 Sekunden. Allerdings ging es um das Drücken zweier Knöpfe, und die Trefferquote der Vorhersage lag bei 60%. Das ist natürlich ein bisschen besser als geraten...
[Update 16.5.2008] Habe gerade das Buch
Hirnforschung und Menschenbild : Beiträge zur interdisziplinären Verständigung (Fribourg : Academic Press, 2007), hg. von Adrian Holderegger u.a., vor mir. Darin auch ein Aufsatz von Martine Nida-Rümelin (S. 91-120)
Zur philosophischen Interpretation der Libet-Experimente, in dem die weitverbreitete Standarddeutung, die Willensfreiheit wäre am Ende, einer kritischen Analyse unterzogen wird.