Zum ersten Teil.
Weitere skeptische Ansätze und Gegenargumente (zum Kontextualismus z.B. 1, S. 63-72) werden gestreift. Kenner der Materie mögen sich hier wie zuweilen bei der Ausführlichkeit der Argumentation langweilen, können aber dank des vorbildlichen Inhaltsverzeichnisses und des übersichtlichen Gedankenganges leicht Abschnitte überspringen und dort einsteigen, wo es ihnen wieder interessant erscheint.
III Die Ziele von Müllers Studie (2): Die offene Frage, wenn der Skeptizismus widerlegt istDer zweite Band ist aus meiner Sicht der eigentlich reizvolle Teil der Untersuchung. Hier geht es Müller um das Unbehagen, das Putnams Beweis zurücklässt, weil er wörtlich von einem Gehirn im Tank wiederholt werden könnte, ohne dass die Wahrheit der Konklusion gefährdet wäre (2, S. 6). Müller diagnostiziert dieses Unbehagen als ein metaphysisches: Es bleibt, obwohl er den Skeptizismus mit Putnam widerlegt hat (sofern der Externalismus wahr ist). Um Erkenntnistheorie kann es dabei nicht gehen: Das Wissen eines Gehirns im Tank von seiner Welt ist genauso sicher wie unseres, das liegt an der vollen Disquotionalität seiner wie unserer Sprache (1, S. 78ff.). (Ähnlich Douglas C. Long: The self-defeating character of skepticism. In: Philosophy and phenomenological research 52 (1992), S. 67-84; David Chalmers,
The Matrix as metaphysics (online, auch in: Christopher Grau (Hg.): Philosophers explore ‘The Matrix’. Cambridge: CUP 2005.) Das Gehirn im Tank hat einfach einen anderen metaphysischen Rahmen (2, S. 43).
Vielmehr geht es darum, ob bzw. wie wir über – mit Wittgenstein zu reden – ‘die Grenzen unserer Welt’ spekulieren können. Dafür bedient Müller sich eines einfachen Kunstgriffs. Statt „unsere“ Situation zu betrachten, analysiert er die eines Gehirns im Tank und dessen Versuche, seine Situation – die sich von uns aus, von außen, leicht fassen lässt – sprachlich zu beschreiben (2, S. 45 f.). Das metaphysische Unterfangen läuft also darauf hinaus, einem Gehirn im Tank die sprachlichen Mittel in die Hand zu geben, über seine eigene Situation etwas Weiterführendes zu sagen. Der Satz „Ich bin kein Gehirn im Tank“ erfüllt diese Forderung nicht, weil er gemäß der externalistischen Analyse trivialerweise wahr ist. Wie müsste ein weiterführender Satz lauten? Welche Ausdrucksmittel sind dafür nötig? Von außen können wir beurteilen, ob diese Mittel ihren Zweck erfüllen.
IV Was ist ‘Semantische Stabilität’?Der Kern des Müllerschen Instrumentariums besteht im Begriff der „Semantischen Stabilität“, der entfaltet wird anhand einer Ebenen-Analyse: Seien wir die erste Ebene, Gehirne in Tanks in unserer Welt die zweite. Kommen in deren simulierter Welt wiederum Gehirne in Tanks vor, ist dies eine dritte, undsofort. Semantisch stabil ist ein Begriff, der in jeder dieser Ebenen dieselbe Bedeutung hat. Nicht stabile Wörter sind solche, die übersetzt werden müssen. Beispiel: Im Tankdeutschen bezeichnet das Wort „Tiger“ die Repräsentation im Supercomputer; im Deutschen bezeichnet das Wort „Tiger“ die Tiger. „Tiger“ ist nicht semantisch stabil. Zur Kennzeichnung wird das tankdeutsche Wort „Tiger“ ins Deutsche mit „Bit-Tiger“ übersetzt. Man sieht auf den ersten Blick, dass Bezeichnungen für materielle Gegenstände wie „Tiger“ im Tankdeutschen allesamt nicht semantisch stabil sind (2, S. 134ff.). Ebenso leicht ist zu sehen, dass logische Operatoren im Tankdeutschen genauso funktionieren wie im deutschen; es ist also unnötig, zwischen „und“ und „bit-und“ zu unterscheiden (2, S. 78ff.). Damit aber das Projekt „Ausdruck des metaphysischen Zweifels“ Erfolg haben kann, müssen auch informative Wörter semantisch stabil gemacht werden. Als geeignete identifiziert Müller schließlich die eingeführte künstliche Vorsilbe „bit-“ und ihr Gegenstück „über-“ (2, S. 196ff.). „Bit-“ bezieht sich immer auf die nächsttiefere Ebene, abhängig vom Ort des Sprechers, und wirkt demnach wie ein indexikalischer Ausdruck. „Vielleicht gibt es Bit-Katzen“ bedeutet also: „Vielleicht gibt es Katzen-Simulationen (im Simulationsprogramm eines Gehirns im Tank).“ Das Gegenstück „Über-“ erlaubt den umgekehrten Weg: Ein Gehirn im Tank kann mit „Vielleicht gibt es Über-Katzen“ auf die Welt außerhalb seines Computers -- unsere Welt -- referieren und über die Existenz von Katzen darin spekulieren. Dass es keine Möglichkeit hat, je die Frage „Gibt es Über-Katzen?“ zu entscheiden, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls ist damit das Ziel von Müllers Gedankengang erreicht, namentlich, das sprachliche Instrumentarium für den metaphysischen Zweifel zu entwickeln.
V Schneller zum (anderen) Ziel – ist der Externalismus wahr?Nach der Lektüre der rund 200 Seiten, die Müller darauf verwendet, fragt man sich, ob das Ziel nicht auch schneller und weniger aufwendig hätte erreicht werden können. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dem so ist, weil mir Müller die Pointe des diagnostizierten metaphysischen Unbehagens zu verkennen scheint. Putnams Beweis zeigt nicht, dass wir keine Gehirne im Tank sind, sondern dass wir nicht darüber reden können – sofern der Externalismus wahr ist. Das Unbehagen rührt aus dem Missverhältnis zwischen dem anscheinend einwandfreien Beweis und der Tatsache, dass wir die Geschichte vom Gehirn im Tank gut genug verstehen, um zu wissen, was damit gemeint ist. Das trifft auch Müllers Untersuchung. Hätte Putnam recht, worum geht es dann in seinem Buch? Dass wir die Ausgangsfrage verstehen, zeigt, dass wir wissen, was ein Gehirn im Tank ist, und darüber reden können, ganz ohne „Bit-Gehirne“ und „Über-Katzen“. Entsprechend verstehen wir die Möglichkeit, ein Gehirn im Tank zu sein (ich habe dieses Argument ausführlicher dargestellt in: Joachim Eberhardt:
Gehirne in Tanks : warum die skeptische Frage offen bleibt. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 58 (2004), S. 559-571).
Warum ist das so? Es liegt daran, dass das Gedankenexperiment selbst bereits zwei Ebenen umfasst: die des Gehirns im Tank und die des Wissenschaftlers, der das Gehirn versorgt. Müllers Untersuchung der Möglichkeit, eine sprachliche Beziehung zwischen diesen beiden Ebenen herzustellen, beschränkt sich auf die Innenperspektive: auf die Sicht des Gehirns im Tank und auf die Sicht des Wissenschaftlers. Dafür braucht er die Vorsilben „Bit-“ und „Über-“. Aber wir blicken im Gedankenexperiment auf beide von außen. Unsere Sprache enthält das Instrumentarium schon, die Beziehung zwischen beiden zu beschreiben, und dabei kommt man ohne den Begriff der „semantischen Stabilität“ aus. Das einzige, was man benötigt, ist die Analogie. Müller streift Analogien kurz in seinen Überlegungen (2, S. 123 ff.), ohne zu bemerken, dass sie, gewissermaßen, eine Abkürzung zu seinem Ziel bieten. Müllers Umweg hat mit dem Externalismus zu tun. Er mag eine leistungsfähige Theorie der Bedeutung sein; aber er allein erklärt längst nicht alle Typen von Sprachverwendung. Zum Beispiel sind Metaphern und Analogien ebenfalls Möglichkeiten, über die Welt zu reden und sich auf sie zu beziehen. Darum liegt ein Fehler in Putnams Beweis (in der Fassung von Wright in der Verbesserung von Müller) darin, sich mit dem Externalismus zu begnügen. Deutlich ist das an der vereinfachenden Gegenüberstellung von Externalismus auf der einen, „magischer“ Theorie des Bezeichnens auf der anderen Seite (1, S. 109 u.ö.). Sieht man die Sache so, gibt es keine vernünftige Alternative zum Externalismus. Aber man sollte sie nicht so sehen. Hier hätte ich gern ebenfalls Müllers klares Denken und seine geduldig-gründliche Argumentation am Werk erlebt.
VI FazitDas Gedankenexperiment vom Gehirn im Tank scheint vom Skeptizismus zu handeln. In Wirklichkeit handelt es von unserer metaphysischen Situation, meint Müller und lenkt damit unsere Aufmerksamkeit auf einen insbesondere in der analytischen Philosophie lange vernachlässigten Bereich (diese Metaphysik hat einen deutlich weiteren Umfang als P. F. Strawsons Projekt einer „deskriptiven Metaphysik“). Auch wenn mir seine Schlussfolgerung unvollständig zu sein scheint, ist das ein Gewinn.