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01 Dezember 2005

Olaf Müller über das Gehirn im Tank -- eine Rezension (1. Teil)

Olaf Müller: Wirklichkeit ohne Illusionen. Paderborn: Mentis 2003.
Band 1: Hilary Putnam und der Abschied vom Skeptizismus oder Warum die Welt keine Computersimulation sein kann. 240 S. Kart. EUR (D) 36,-.
ISBN 3-89785-280-1.

Band 2: Metaphysik und semantische Stabilität oder Was es heisst, nach höheren Wirklichkeiten zu fragen. 278 S.. Kart. EUR (D) 36,-.
ISBN 3-89785-281-0.

I Gedankenexperimente sind attraktiv

Gedankenexperimente haben Konjunktur in der Philosophie. Das ist abzulesen an einer ganzen Reihe von Veröffentlichungen in jüngerer Zeit.
Auch in den Vorlesungsverzeichnissen ist das Thema, wie eine Google-Recherche leicht zeigt, vermehrt präsent. Möglicherweise liegt das daran, dass sich Gedankenexperimente für die Propädeutik, die Einführung in das philosophische Denken, gut eignen.
Eines der prominentesten Gedankenexperimente in diesem Sinne ist das vom ‘Gehirn im Tank’. Es wurde erfunden, um den Skeptizismus in ein modernes Gewand zu kleiden, ist aber erst nachgerade prominent geworden durch Hilary Putnams Versuch der Widerlegung (Hilary Putnam: Reason, truth and history. Cambridge: CUP, 1981, Kap. 1).
Putnams Argument beruhte auf der Entdeckung, dass der semantische oder Content-Externalismus, den er zuerst mit dem Twin-Earth-Gedankenexperiment in The meaning of meaning (1975) vortrug, erkenntnistheoretische Konsequenzen hat. Die Argumentation ist nicht ganz einfach, zumal Putnam seinen Kerngedanken etwas versteckte, und hat zu einer wahren Literaturflut – zustimmend wie ablehnend – geführt. Olaf L. Müller gelingt es im ersten Teil seiner zweiteiligen Habilitationsschrift Wirklichkeit ohne Illusionen, hier Klarheit zu schaffen, indem er das Argument rekonstruiert und seine Lücken abdichtet. Im zweiten Teil unternimmt er es, dem metaphysischen Unbehagen auf den Grund zu gehen, das Putnams Beweis zurücklässt.

II Die Ziele von Müllers Studie (1): Putnams Beweis wird wasserdicht

Müller hat in Göttingen und Los Angeles Philosophie und Mathematik studiert und dann unter anderem in Göttingen, Harvard und München unterrichtet; seit 2003 lehrt er Wissenschaftstheorie an der Humboldt-Universität in Berlin. Bereits in seiner Dissertation hatte er sich mit dem Skeptizismus beschäftigt, und zwar in der Gestalt von Quines semantischer Formulierung (Olaf Müller: Synonymie und Analytizität : zwei sinnvolle Begriffe. Paderborn: Schöningh 1998).
Sein Interesse am Gehirn im Tank und Putnams Gegenargument geht auf eine persönliche Begegnung beim 1. Göttinger philosophischen Kolloquium 1994 zurück. Auf zwei Ziele arbeitet Müller hin:
1. Der erkenntnistheoretische Skeptizismus lässt sich nicht halten.
2. Das Unbehagen, das zurückbleibt, wenn der Skeptizismus widerlegt ist, ist ein metaphysisches Unbehagen, welches die Philosophie ernst nehmen und dem sie zum Ausdruck verhelfen muss.
Im Groben sind diesen beiden Zielen die beiden Bände der Untersuchung gewidmet. Doch im einzelnen: Im ersten Band beschäftigt sich Müller vor allem mit Putnams Gegenargument gegen den Skeptizismus (in der Fassung von Crispin Wright, 1,75). Bekanntermaßen läuft die Argumentation etwa so:
A. In meiner Sprache bezeichnet das Wort „Tiger“ die Tiger.
B. In der Sprache eines Gehirns im Tank bezeichnet das Wort „Tiger“ nicht die Tiger.
C. Also unterscheidet sich meine Sprache von der eines Gehirns im Tank.
D. Also bin ich kein Gehirn im Tank.
Müllers Aufmerksamkeit gilt zwei Lücken dieses Beweises.
1. Der Beweis beruht darauf, dass sich „meine“ Sprache von der eines Gehirns im Tank unterscheidet. Die externalistische Begründung dafür: die Sprachen unterscheiden sich, weil das gleiche Wort sich auf Unterschiedliches bezieht. Doch das allein, ist einzuwenden, ist kein hinreichendes Unterscheidungsmerkmal; es gilt ja z.B. für indexikalische Ausdrücke auch (1, S. 147). Immerhin: der Beweis braucht den Rekurs auf verschiedene Sprachen gar nicht – die Unterscheidung z.B. der Äußerungskontexte genügt. Befindet man sich nicht im gleichen Kontext wie ein Gehirn im Tank, wenn man „Tiger“ sagt (egal was man damit sagt), dann ist man auch kein Gehirn im Tank (1, S. 158).
2. Der Beweis setzt in den Prämissen A und B voraus, dass es Tiger gibt. Statt Tiger verwende man das Wort „Gehirn“ und beginne mit der Fallunterscheidung: Entweder gibt es Gehirne oder nicht. Falls es Gehirne gibt, gilt der Beweis, falls es keine gibt, kann man auch kein Gehirn im Tank sein (1, S. 181). Damit ist Putnams Beweis „wasserdicht“, sofern der Externalismus wahr ist – eine für Müller nicht allzugroße Hypothek. Sein Plädoyer für den Externalismus als Theorie der Bedeutung führt zugleich in dessen Konsequenzen ein (Hilary Putnam, Tyler Burge u.a., 1, S. 106ff.)

Exkurs: Der semantische Externalismus ist eine Theorie, die durch Gedankenexperimente bekannt geworden ist – neben Hilary Putnams Twin Earth (s.o.) vor allem durch Tyler Burges Arthritis-Gedankenexperiment in Individualism and the mental (1979). Vgl. dazu Mark Rowland: Externalism : putting mind and world back together again. Chesham: Acumen 2003, S. 97-122. — Müllers Einführung ist auf die Kernelemente beschränkt; er streift nur am Rande den Zusammenhang von Erster Person und Externalismus (2, S. 5 f.), vgl. dazu die gesammelten Aufsätze in: Susana Nuccetelli (Hg.): New essays on semantic externalism and self-knowledge. Cambridge, Mass.: MIT Press 2003. Ende Exkurs.

Weiter zu Teil 2.

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