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25 Februar 2006

Tagging, Schlagworte und anderes

Entschuldigung, mspro, dass ich Ihr Posting in TIEF nicht mehr wiedergefunden hab, der mich auf Clay Shirkys Ontology is overrated brachte. Shirky vertritt dort die These, dass für die Ordnung im Web das Tagging der klassischen sachlichen Erschließung durch Schlagwörter (kontrolliertes Vokabular) und Klassifikation (hierarchischer Zugang) überlegen sei. Yahoos Directory ist ein Beispiel für einen solchen klassifikatorischen Zugang. Shirky bemängelt, dass man dort den Eindruck habe, die Yahoo-Leute wüssten immer besser, wo eine bestimmte Sache hingehört, also in welchen Zusammenhang. Und dass die Klassifikationsentscheidungen in vielen Systemen fragwürdig seien, etwa wenn in Dewey die Christliche Religion 8 von 9 der oberen Kategorien bekommt, die übrigen quetschen sich in "other religions". Gegenüber den kontrollierten Vokabularen von Schlagwörtern und Thesauri meint er, dass semantische Unterschiede verwischt würden. "Film", "Cinema": wenn unterschiedliche Leute diese Begriffe verwenden würden, dann würden sie auch damit etwas unterschiedliches meinen.
Aus bibliothekarischer Perspektive hat Shirky zum Teil recht. Die Kritik an den Klassifikationen ist richtig, und das wird ja auch bei denjenigen, die sie benutzen, selbst so gesehen. Und es stimmt, dass die Dewey Decimal Classification entwickelt wurde, um Bücher im Regal aufzustellen. Eine Klassifikation für Medien im Web bräuchte darauf ja keine Rücksicht zu nehmen. Was die Überlegenheit des Tagging vor dem Verschlagworten angeht, so kann man das natürlich nur ernsthaft vertreten, wenn auch bei den jeweils individuellen Tagging-Varianten die Treffermenge noch so gr0ß ist, dass damit ein Nutzer weiterkommt. Tags begegnet man ja in zwei Varianten. Auf einer individuellen Webseite, mit den individuellen Tags des Seitenbesitzers, hat man keine Mühe, aus der Liste der Tags auch deren Bedeutung abzuleiten. Die ergibt sich einfach aus ihrer Nachbarschaft. In Kontexten wie den allgemeinen Seiten von del.icio.us, wo man nur die Tags sieht und durch Anklicken eine Liste der Seiten bekommt, auf denen sie verwendet werden, scheint mir das eine ziemlich nutzlose Sache zu sein. Da wünsche ich mir ein kontrolliertes Vokabular (und die Verwendungsregeln), weil es eine größere Genauigkeit ermöglicht. Ich halte es zwar für möglich, dass bei verwandten Begriffen die Wahl des einen oder anderen als Tag etwas über die Präferenzen des Taggenden aussagt; aber wahrscheinlicher hat es andere Gründe, kann z.B. daran liegen, dass die sprachlichen Fertigkeiten des Nutzers beschränkt sind (etwa weil er englisch taggt, um mehr Publikum zu erreichen, aber eine andere Muttersprache hat). Tagging ist eine Art der Erschließung, die besser ist als gar keine. Sie kann die Suche per -Maschine ergänzen, indem sie Begriffe hervorhebt, die auf der fraglichen Seite vorkommen, oder neue ins Spiel bringt. Sie eignet sich vor allem da, wo es nicht so sehr auf die Qualität der getaggten Links ankommt, oder wo die individuelle Verwendung von Tags nachvollziebar ist.

1 Kommentar:

  1. Hm, ja da sprechen sie einen guten Punkt an. Ich habe mir – jetzt mal unabhängig von der tatsächlichen Usability -folgende Gedanken gemacht:
    Wenn ich Dinge in Kategorien einordne, dann ist das sicherlich erstmal dem Denken sehr ähnlich, zumindest dem Denken, wie wir denken, dass wir denken. (Ich will diesen Diskurs hier aber nicht weiter ausbreiten)
    Unabhänging davon, sollte man sich aber Fragen, was man mit Tagging und Kategorisierungen eigentlich bezweckt. Oberflächlich betrachtet will man Informationen ordnen. Ordnen tut man am besten, indem man sich an vorhandene Kategorien und Muster hält, die eben jeder kennt, so dass man hier eine Struktur nachbilden kann, die jeder vermeintlich intuitiv beherrscht. Man versucht also die Informationen, die man hat in die bekannten Schubladen einzusortieren und so das nachzubilden was man kennt. Das ist vielleicht auch bis zu einem bestimmten Punkt recht praktisch und praktikabel. Man wird indes aber immer wieder auf Informationen stoßen, bei denen das nicht so richtig geht. Im Grunde, bei genauerer Betrachtung, funktioniert das nie, wenn man mal streng sein will, denn es gibt sicher kein Wort, das nicht mehrfach konnotiert ist und vielerlei Bezüge und „Bedeutungen“ hat.
    Ich denke deshalb, man sollte sich von den vorhandenen Strukturen lösen und ein freies Schema wählen. Ja, ich denke man sollte darauf keine Rücksicht nehmen, was wie wo gedacht, kategorisiert und eingeordnet wird, sondern völlig frei einfach die Dinge verschlagworten, am besten aus dem Bauch heraus. Denn, und das ist das schöne am Web und den neuen „social softwares“, ich kann nichts falsch machen. Denn die masse an Usern wird meinen Fehler korrigieren. Der Fehler wird kein Fehler sondern eine Ausnahme sein, eine Ausnahme wie alle anderen Tags eine Ausnahme sein werden, was uns schließlich zu einer Hegelschen Logik führt, die aber sicher nicht die „Wahrheit“ über einen Sachverhalt zum Vorschein bringen wird, dafür aber einen Diskurs und den in allen seinen Facetten.
    Ergo: Anstatt zu versuchen die Sprache (oder die Sprachen) die wir bereits haben „abzubilden“ sollten wir versuchen eine Sprache zu schaffen, eine andere, eine neue Sprache, die selber in ständiger Bewegung ist, die sich erneuert und auch alle Grenzen überschreitet, die auch die kulturellen Barrieren überwindet (niemals vollständig natürlich). Eben eine Sprache, wie es sie schon tausendmal gibt, nur eben transparenter, achivierter und volltextdurchsuchbar. Diese Sprache ist dann vielleicht chaotisch, ab und zu ungenau, missverständlich (wie eben jede andere Sprache auch), aber dafür umso mächtiger. Und ich glaube fest daran, dass wenn entsprechend viele Leute sich daran beteiligen (es gibt keine Sprache ohne Sprecher) dann wird diese Sprache mehr sein als nur eine Ansammlung von Links in einer Tagcloud. (ich denke neue Userinterfaces werden da nötig sein in dieser Sprache zu interagieren Hier ein gutes Beispiel, wie es gehen könnte: Auf der Grundlage der ansich unhierarchischen Tags von Flickr wird eine Hierarchie generiert, also eine dynamische Hierarchie, die sich je nach Blickpunkt verwandelt: http://www.forestandthetrees.com/findr/findr.html)

    Ich denke, mit dem Tagging sind wir da auf dem besten Wege, und es sollte das große Fressen für alle Linguisten und Sprachphilosophen sein, bei diesem Prozess zuzuschauen.

    (Ich hoffe meine Ausführungen wirken nicht allzu esoterisch)

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