blogoscoop

14 April 2008

Die andern und ich

Peter Rühmkorfs Verlag nannte eines seiner Bücher "Walther von der Vogelweide, Klopstock und ich". Rühmkorf selbst sah als Titel vor: Walther von der Vogelweide, Klopstock und "ich". Ja, das letztere klingt nicht so spannend, das erstere ist aber Etikettenschwindel: der gleiche wie oben in der Überschrift. In dem Buch Identität und Alterität (Berlin : Kulturverlag Kadmos, 2007) geht es Nicolas Dobra darum, wie man für sich die andern entwirft, geht es um die Verschiedenheit der Menschen und wie der einzelne diese für sich konstruiert. Das ist gar nicht so einfach, denn man hat ja, um sich die fremden Psychen auszumalen, nur die eigene als Urbild. Wie können sie also überhaupt zu anderen werden?

1 Kommentar:

  1. Anonym18/2/09

    Hallo,

    Im Historischen Wörterbuch der Philosophie von Ritter und Gründer liest man unter dem Stichwort Identität, Ich-Identität:

    [...]
    "Für E. Goffman ist die Situation von "Stigmatisierten" Ausgangspunkt und zugleich Illustrationspotential [...]. Als "stigmatisiert" bezeichnet er ganz allgemein Menschen, die außerstande sind, typisierten Erwartungen zu entsprechen: z. B. Zuchthäusler, Homosexuelle, Blinde, Krüppel usw. In Interaktionen mit "Normalen" empfiehlt es sich für den "Stigmatisierten", Normalität zu fingieren. Diese Schein-Normalität ("phantom-normalcy") macht einerseits Interaktionen noch möglich, andererseits enttäuschungsfest für den Fall des Mißlingens.
    Solche Grenzfälle von Id.-Behauptungen sind für Goffman aufschlußreich für eine Technologie der Bewältigung bedrohter Id. überhaupt. Seine an krassen sozialen Ausnahmesituationen gemachten Beobachtungen hält er für voll applikabel auf die Situation des "normalen", sich selbst darstellenden Individuums, insofern "stigmatisiert" auch jeder "Normale" unter dem Aspekt ist, daß es ihm kaum je gelingt, allen normierten und stereotypisierten Erwartungen voll zu genügen. Ebenso wie der manifest "Stigmatisierte" bildet auch der "Normale" eine "phantom-normalcy" aus. - Da aber zugleich die Gesellschaft den Individuen ansinnt, einmalig und unverwechselbar zu sein, bilden sie parallel dazu auch immer eine "phantom-uniqueness".

    Wenn alle denken, sie müssen normal sein, dann bilden sie eine Identität aus, die sich von anderen abgrenzen soll, gleichzeitig aber auch den Erwartungen der anderen, wie die anderen zu sein, genügen muss.
    Wenn die anderen bestimmen, was eine Identität ist und was normal ist, was eine normale Identität ist, aber gleichzeitig jeder Einzelne sich diesem Druck ständig gegenüber sieht (er ist mitunter gleichzeitig sowohl Beurteilender als auch Beurteilter), dann scheint das durch diesen Zugang konstatierte Bewußtsein von der eigenen Identität doch wie eine große Seifenblase.

    AntwortenLöschen