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21 November 2005

Worüber man sich in Spanien aufregt: Ist Gott ein kulturelles Phänomen?

Der spanische Philosoph José Antonio Marina (hier ein spanisches Interview mit Bild), einer der bekannteren, hat einen Beststeller geschrieben, Das Gottesgutachten (hier Inhaltsverzeichnis). Jetzt kann man auf deutsch nachlesen, was die "spanischsprachigen Länder", wie es in der Verlagsinformation heißt, daran aufregt und dem Buch mindestens die fünfte Auflage eingebracht hat. Im Vorwort zur fünften Auflage, das der deutschen Übersetzung beigegeben ist, erläutert Marina, was seine Kritiker aufgeregt hat -- natürlich haben sie ihn alle missverstanden. Es sind vier Punkte:
1. Er schreibt "von außerhalb des religiösen Phänomens", wie ein "Außerirdischer". Dieses auch in den Kritiken zitierte Wort ist für Philosophen leichter zu verstehen mit Marinas Verweis auf seinen "Meister" Husserl: dass man alle Glaubensüberzeugungen "in Parenthese" zu setzen habe.
2. Marina trennt zwischen religiöser oder übernatürlicher Erfahrung und natürlicher Erfahrung. Diese beiden Bereiche hätten unterschiedliche Modi der Verifikation (oder unterschiedliche Wahrheitsbegriffe). Mit andern Worten: die Schwierigkeit besteht darin, die Brücke zu schlagen. Denn manche Aussagen können "aufgrund ihres besonderen Charakters" das "Stadium der privaten Verifikation nicht verlassen". Raten Sie mal, wo hinein die Religion gehört...
3. Religion ist ein kulturelles Phänomen, Gott ein "kulturelles Objekt". Wer in Spanien geboren wird, wird höchstwahrscheinlich Katholik, in Saudi-Arabien ebenso höchstwahrscheinlich Moslem. Die Kultur verleiht den religiösen Erfahrungen ihre Bedeutung, so Marina.
4. "Die Religionen müssten sich universalen ethischen Kriterien unterwerfen", die Ethik sei ein "muttermörderischer Abkömmling" der Religion.

Dass diese Thesen bei uns für solche Aufregung sorgen, glaube ich eigentlich nicht. Was die letzte angeht, so habe ich das doch in einem Aufsatz aus den fünfziger oder sechziger Jahren schon irgendwo gelesen, Philippa Foot? Elizabeth Anscombe? Ist jedenfalls die logische Folge aus Eutyphrons Dilemma.

1 Kommentar:

  1. "Dass diese Thesen bei uns für solche Aufregung sorgen, glaube ich eigentlich nicht. "
    Da gebe ich ihnen Recht. Aber die Frage steht im Raum: warum denn eigentlich nicht?
    Dazu wäre Punkt 3 zu ergänzen: Wer in Deutschland aufwächst hat zumindest gute Chancen Atheist zu werden.

    Anscheinend ist nicht nur Gott, sondern auch Nicht-Gott ein kulturelles Phänomen. ;-)

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