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22 Januar 2007

Wie studiert man Philosophie um 1900? (1)

Indem man große Worte macht. Das könnte man jedenfalls glauben bei der Lektüre der "Anleitung zum Studium und zum Selbststudium der Philosophie" (Untertitel) von "Dr. Max Apel", die Stuttgart 1911 erschien. Apel leitet ein:
Was die Sonne für die irdische Welt das bedeutet die Philosophie für den Geist des Menschen. Die Philosophie strahlt ihr helles Licht aus in die weiten Gefilde menschlichen Denkens, Fühlens, Wollens, sie belebt undbeseelt Menschentum und Menschenschicksal und umsäumt auch noch die dunklen drohenden Rätsel des Daseins mit hoffnungsfreudigem Schimmer. Und wenn auch bisweilen ihr Glanz eine Zeitlang von Gleichgültigkeit und Stumpfheit umwölkt wurde, immer wieder brach er doch sieghaft durch alle Widerstände. (S. 1)

Das Nette an diesem Büchlein ist, dass es auch ganz praktisch über das Philosophiestudieren handelt. Allerdings verbirgt sich die praktische Anleitung hinter weiteren Sprachschleiern. Bevor Apel daran geht, Ratschläge zum Studieren an der Uni zu geben, verliert er erst einmal ein paar Sätze über das Gefühl der Freiheit:
Freilich wird der Gedanken an die praktische Seite des Studiums dem rechten Studenten noch fern liegen. Zuerst beherrscht ihn ein großes Gefühl der Freiheit. Wie der Schmetterling aus dunkler enger Puppe in die bunte Welt hinein flattert, so der junge Student der seligen ersten Semester in die freie Luft der Universität. (S. 4)

Apel findet, man bräuchte keine Sprachkenntnisse: "man kann in alle Tiefen der Forschung eindringen, ohne das Griechische, Lateinische oder fremde neuere Sprachen erlenrt zu haben". Das kann ja nur bedeuten, dass es keine nennenswerte Forschung außerhalb der deutschen Sprache gibt -- und dass man die Philosophiegeschichte gut in Übersetzung studieren kann. Woher der Wind weht, zeigt die Feststellung, man benötige aber unbedingt Kenntnisse "auf dem mathematisch -naturwissenschaftlichen Gebiete". Apel empfiehlt für den Studienbeginn -- sofern man die Wahl hat -- eine kleinere Universität, weil dort das Zahlenverhältnis Dozent zu Student besser sei und man sich leichter Übersicht über das Lehrangebot verschaffen könne. Als Entscheidungshilfe gibt er auch gleich eine Übersicht nach den Angaben des Deutschen Universitätskalenders, der man z.B. entnehmen kann, dass im Sommersemester 1910 in Berlin 7902 Studenten immatrikuliert waren, vor München mit 6890. Es gab insgesamt 21 Unis, an denen 3474 Dozenten 54.393 Studierende unterrichteten. Studiengebühren gab es: als "Honorarbeiträge", für die man im Durchschnitt für eine Wochenstunde 4 bis 5 Mark ansetzen musste, "sodass also eine vierstündige Vorlesung sich im Semester auf 16 bis 20 Mark stellt" (S. 9). (Stundung für solche Gebühren für unbemittelte Studierende gab es offenbar.) Die Kosten für den Lebensunterhalt gibt Apel nach W. Lexis (Die deutschen Universitäten, 1903) mit 1200 bis 1500 Mark an, "wobei aber zu beachten ist, dass 5 Monate vom Jahre Ferien sind, die größenteils in der Heimat verlebt werden können" (S. 10). Stipendien gibt es, und Preisaufgaben, durch deren Lösung man vielleicht zu Geld kommt.
Der Anfänger sollte übrigens keine Zeitschriften lesen: "da die Spezialabhandlungen zumeist schon viel voraussetzen" (S. 12). Unter die 14 "wichtigsten deutschen philosophischen Zeitschriften" rechnet Apel neben bekannten Titeln wie Kantstudien oder dem Philosophischen Jahrbuch der Görres-Gesellschaft auch die Psychologische Arbeiten, die Zeitschrift für pädagogische Psychologie, Pathologie und Hygiene, das Archiv für die gesamte Psychologie.
Das Büchlein ist eine prima Quelle: seitenlang wird thematisch und nach Orten gegliedert aufgezählt, was im WS 1908/09 wo gelehrt worden ist! Apel hat seine Tabelle auch ausgezählt und stellt fest, dass Kant mit weitem Abstand der Philosoph ist, dem die meisten Veranstaltungen gelten: 54 mal wird über ihn gehandelt; der zweite ist Hume mit 15 Veranstaltungen; Hegel bekommt gerade mal 2.

Wird fortgesetzt...

2 Kommentare:

  1. Anonym23/1/07

    Eigentlich gar nicht so unaktuell. Ich kann mich erinnern, dass auf der alten Website unseer Uni ein Philosophieprofessor ebenfalls die Aussage gemacht hat, dass man fundierte Kenntnisse in mindestens einer Wissenschaft (und damit wahren Naturwissenschaft oder Mathematik gemeint) haben sollte, um Philosophie zu betreiben.

    Tatsächlich Haben hier auch viele Philosophieprofessoren eine solche studiert.

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  2. Anonym23/1/07

    Man sollte die Vorschau benutzen...
    +r und vor allem -h

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