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22 April 2007

"Vorhölle abgeschafft": Religiöse Erkenntnistheorie und Wettbewerbsvorteile

via nerone

Der Papst habe "die Vorhölle abgeschafft" -- melden haufenweise Medien (hier ORF). Gemeint ist der limbus, das ist der Teil des Jenseits, in den die Kinder kommen, die ungetauft versterben, jedenfalls wenn sie noch keine Sünde begangen haben (ansonstenl können Sie ja in die Hölle). Sie konnten nicht direkt in den Himmel kommen, weil's ja die Erbsünde gab, haben sich mittelalterliche Theologen gedacht. Benedikt XVI lässt nun offiziell bekanntgeben, dass a) die Existenz eines solchen Limbus ohnehin nie Bestandteil der geltenden Lehre war und es sich nur um eine theologische "Hypothese" gehandelt habe, b) Jesus die Kinder liebe und sie darum nicht in der "Vorhölle" landen würden.

Das bedeutet natürlich nicht, dass es mal eine Vorhölle gab, die aber jetzt plötzlich leer wurde (was eigentlich "abschaffen" meint), sondern dass es nie eine gegeben hat. Woher der Sinneswandel in der offiziellen Haltung? Gibt es nun neue Erkenntnisse? Nein, die gibt es nicht. In schöner Offenheit wird die Konkurrenz der katholischen Kirche z.B. zum Islam angegeben: dort landen die toten Kindlein nämlich direkt im Paradies. Für Entwicklungsländer mit hoher Säuglingssterblichkeit erhöht also die katholische Kirche ihre Attraktivität... Als zweiten Grund nennt die Pressemeldung eben den Status des Satzes als Hypothese:
Laut der britischen Tageszeitung "Times" soll Papst Benedikt noch vor seiner Wahl zum Kirchenoberhaupt gesagt haben: "Ich persönlich würde es [die Limbus-Lehre] aufgeben, da es immer nur eine Hypothese war." (Quelle: Times)


Was ist eine Hypothese? Die gängige Bedeutung es handle sich um einen Satz, der beobachtbare Phänomene erklärt , gilt ja hier ohnehin nicht. Aber die Bedeutung, es handle sich um einen Satz, bei dem nichts dagegen spricht, dass man ihn aufgibt, ist mir doch neu. Ich frage mich, was aus dem Phänomen geworden ist, um dessentwillen die Limbuslehre mal formuliert worden ist: Ist die Erbsünde nun keine Sünde mehr, d.h. der Mensch nicht von Geburt an sündig und darum der Weg frei in den Himmel? Das scheint mir die naheliegende logische Voraussetzung, welche eine "Abschaffung" der Vorhölle erst ermöglicht. Wäre ein Schritt der katholischen Kirche dahin, wo die meisten katholischen Gläubigen eh schon sind.

12 April 2007

Vergnügen mit schlechtem Gewissen

Wer gern beim Boxen zuschaut, aber Boxen eigentlich ablehnt, weil's dem Hirn schadet und weil's lächerlich ist, Vergnügen daran zu haben, zuzusehen, wie Erwachsene sich kloppen, der wird vermutlich ein schlechtes Gewissen haben beim Zusehen. Das Guardian Magazin befragte Anfang Februar einige Intellektuelle nach ihren "guilty pleasures". Dabei sind auch einige wohlbekannte Philosophen und Kulturtheoretiker: Grayling sieht gern beim Boxen zu, Scruton findet Elvis unwiderstehlich, Zizek spielt gerne PC-Kriegsspiele, Bernard-Hénry Levy liest gern SAS-Spionageromane und Martha Nussbaum ist Baseballfan. Ihre Begründung dafür, warum sie ein schlechtes Gewissen hat, finde ich besonders schön:
Marcus Aurelius said that the first lesson in ethical impartiality was to learn not to be a sports fan, and I have not learned that lesson, nor do I want to learn it. Pondering that apparent contradiction helps me think better about how we can build a world where we support the urgent needs of people everywhere, while still having something improbably wonderful to love.


Ebenfalls antworteten: Giddens, Showalter, Bhabha und andere mehr.

Via Talking philosophy.

11 April 2007

Das Leben als Übel

David Benatar verteidigt in seinem Buch Better never to have been : the harm of coming into existence (Oxford : Clarendon, 2006) die These, es sei stets besser, nicht gelebt zu haben. Entsprechend ist es auch besser, keine Kinder ins Leben zu bringen. Für alle die, die der Meinung sind, dass ihr eigenes Leben jedenfalls nicht so schlecht sei, hat er eine schlagende Antwort: Sie irren sich einfach darin, und die Selbstbeurteilung der eigenen Lebensqualität ist sowieso nicht verlässlich.
Klingt ganz nach einem Philosophiebuch für Deprimierte. Benatar trägt dies alles aber sorgfältig argumentierend vor, und ist sich natürlich im Klaren darüber, dass er mit empörten Widerspruch zu rechnen haben wird. Übrigens stellt er auch die Frage, wie es dann mit dem Selbstmord zu halten sei: und stellt fest, dass seine These über die Schlechtigkeit des Lebens nicht impliziert, dass das Leben fortzuführen schlechter sei als es zu beenden. Dafür braucht man andere Gründe.
In allem: schon um sich darüber klar zu werden, an welcher Stelle man ihm widersprechen möchte, ist Benatars Buch eine spannende Lektüre!

10 April 2007

Ästhetik, die vernachlässigte Disziplin

Welche großen Arbeiten sind da in den letzten jahren erschienen? Gibt es irgendwelche wichtigen Neuentwürfe?
Mir kommt Ästhetik immer ein bisschen toter vor als der Rest der Philosophie: kein Vergleich mit der Vitalität der Diskurse in der Ethik oder in der Erkenntnistheorie. Und wenn man der Meinung ist, dass gerade die Ethik sich gut zum Vergleich heranziehen lässt, hat sie doch auch mit Werten zu tun und damit eine gewisse Verwandtschaft, so findet man, dass auch im Feld der praktischen Wertreflexion, in Bio- und Medizinethik, Forschungsethik, Wirtschaftsethik etc. erheblich mehr passiert als in der 'praktischen Ästhetik'.
Langer Rede kurzer Sinn: umso willkommener ist das nicht gerade dünne, nicht gerade billige Buch von Henning Tegtmeyer Formbezug und Weltbezug : die Deutungsoffenheit der Kunst (Paderborn : mentis, 2006). Es ist wieder mal der Blick aufs große Ganze: historisch beschlagen, systematisch durchdacht. Tegtmeyer versucht, nicht nur die traditionellen Kern-Künste einzubeziehen, sondern entwickelt einen offenen Kunstbegriff: offen auch für zukünftige Entwicklungen (denn wir können nicht wissen, was uns übermorgen als Kunst erscheinen wird). Und er kann dabei so schreiben, dass man sich bei der Lektüre nicht langweilt.

Abtreibung und Vaterland

Es gibt vieles, was ich nicht mag. Zu den besonders unbeliebten Dingen zählen die Werbeanrufe in der Mittagszeit und die Werbebriefe, die nicht als solche zu erkennen sind. Neulich kam einer, den Robert Spaemann als Absender zeichnete. Richtig: das ist dieser etwas konservative Philosoph, der bis 1992 in München gelehrt hat und der noch 2001 den Karl Jaspers Preis der Stadt Heidelberg erhielt (Wikipedia). Spaemann also unterschreibt einen Brief der „BIRKE Schwangerschaftskonfliktberatung e.V.“; vielleicht hat er ihn gar selbst formuliert. Das wäre allerdings ein Armutszeugnis ob der argumentativen Löcher in dem Machwerk. Schon über den Betreff könnte man länger sinnieren: „Schutzengel gesucht – bitte retten Sie das Leben unschuldiger Kinder“. Ist das Leben „unschuldiger Kinder“ mehr wert als das „schuldiger“?

In dem Brief geht’s um Geld, natürlich. BIRKE möchte meines, auf dass ich teilhabe an ihren guten Werken. Diese Werke sind, im Unterschied zum Namen des Vereins, aber keine echte Schwangerschaftsberatung nach § 218, die „ergebnisoffen“ geführt werden muss. Darum kann BIRKE auch nicht den gesetzlich vorgeschriebenen Beratungsschein vergeben, denn eine Frau braucht, wenn sie abtreiben lassen möchte. Oder in Spaemanns Worten:
Der außerordentliche Erfolg der BIRKE beruht darauf, daß diese hochprofessionell betriebene Schwangerschaftsberatung im Konfliktfall die Abtreibung als Alternative überhaupt nicht ins Auge fasst.

Was das für die Frauen heißen kann, die sich zu BIRKE verirren, hat Barbara Ritter im linken Periodikum Der rechte Rand schon 1994 beschrieben (Quelle).

SPAEMANNS ARGUMENTATION
Aber zurück zum Anfang des Briefes. Die Argumentation läuft ungefähr so: Warum gibt es in Deutschland so wenige Kinder? (Wir erinnern uns: der demografische Wandel führt zur Vergreisung der Republik.) Na: weil so viele abgetrieben werden:
Ehrlich und richtig wäre zu fragen: Warum überleben in unserem Land nur so wenige Kinder die Schwangerschaft? Kinder gibt es nämlich genug. [...] Während alle über die demographische Krise diskutieren, werden jedes Jahr mitten unter uns hunderttausende Kinder noch im Mutterleibe getötet.

Die Politiker leugneten diesen Zusammenhang: das sei ein „schrecklicher Mangel an Ehrlichkeit“! Wie ehrlich ist Spaemann mit seinen Behauptungen? Wenn man sich mal fragt, welche Zahlen eigentlich hinter seinen Behauptungen stehen, findet man folgendes in frei verfügbaren Quellen. 2005 wurden etwa 120.000 Abtreibungen vorgenommen (Quelle: Wikipedia: Daten beruhen auf denen des Statistischen Bundesamtes). Im gleichen Jahr wurden 686.000 Kinder in Deutschland geboren (Quelle: FAZ.net): auf rund 6 geborene Kinder kommt also eine Abtreibung. (Das ist deutlich mehr, als ich gedacht hätte. Aber das rechtfertigt beileibe nicht die Formulierung, warum „nur so wenige Kinder die Schwangerschaft überlebten“. „Wenige“ klingt für mich so, als wenn mehr Kinder in der Schwangerschaft stürben als geboren werden.)
Würden 120.000 nicht vorgenommene Abtreibungen reichen, um die demografische Lücke zu füllen?
Die Geburtenrate ist seit Jahren um die 1,4, müsste, damit die Bevölkerungszahl konstant bleibt, aber bei 2,1 liegen. Wenn 686.000 Geburten einer Geburtenrate von 1,4 entsprechen, dann entsprechen 980.000 Geburten einer Geburtenrate von 2,1. Fehlen also rund 300.000 Geburten, nicht 120.000. Vielleicht hat ja Spaemann daran gedacht, den Rest durch Zuwanderung auszugleichen. Doch setzt sich der demografische Wandel (hier Informationen zur prognostizierten Bevölkerungsentwicklung des statistischen Bundesamtes) fort, wird die Zahl der Sterbefälle immer deutlicher die der Geburten übersteigen: a) weil immer mehr Menschen alt werden, b) weil immer weniger Frauen im mutterschaftsfähigen Alter sind. Spaemanns Rechnung wird darum in immer größerem Maße falsch sein.

MORALPHILOSOPHISCHER BLICK AUF DIE ARGUMENTE
Moralphilosophisch betrachtet ist mir die Argumentation in mehrerlei Hinsicht äußerst unsympathisch.
1. missfällt mir die Indienstnahme der Ungeborenen für das „Vaterland“ (Spaemann). Der demografische Wandel mag ein gesellschaftliches Problem sein, aber er liegt für mich in einer völlig anderen Kategorie als Leben und Tod von Individuen. Ganz sicher würdigt es diese herab, wenn sie geboren würden um den demografischen Wandel aufzuhalten.
2. Spaemann schreibt suggestiv stets von „Kindern“. Damit setzt er das Menschenbild der Katholischen Kirche voraus: die Menschwerdung ab der Empfängnis. Über dieses wird zu Recht gestritten.
3. BIRKE nimmt den betroffenen Frauen die Entscheidung aus der Hand. Die Annahme, schon zu wissen, was für andere das richtige ist, ist mir ebenfalls unsympathisch. Sie beruht hier natürlich darauf, dass das Ziel, die Ungeborenen zu „retten“ alles andere in den Schatten stellt. Das übersieht aber bewusst, dass ein geborenes Kind sicher besser lebt, wenn es ein erwünschtes ist. Und die Behauptung, BIRKE würde Frauen davor bewahren „ihr eigenes Leben für immer zu schädigen, durch die Last, die es bedeutet, ein ungeborenes Kind getötet zu haben“, fragt nicht danach, welche Last dadurch entstehen kann, ein ungewolltes Kind bekommen (und dann mit ihm leben) zu müssen.

Dafür also soll ich Geld geben. Dafür kann Spaemann auch mir etwas versprechen:
Wenn der eine oder andere dieser jungen Menschen [denen BIRKE mit meinem Geld geholfen hätte] eines Tages den Geber allen Lebens [=Gott] entdecken und ihm für sein Leben danken wird, dann wird dieser Geber den empfangenen Dank mit denen teilen, die ihm bei der Rettung dieses Lebens behilflich waren.

Auch das ist mir unsympathisch: dass sich die gute Tat gleich auszahlt. Und schließlich: die Bereitschaft, mit der Spaemann einen Zusammenhang zwischen Abtreibung und Vaterland herstellt, ist vermutlich dieselbe, die ihn dazu veranlasst hat, der Jungen Freiheit ein Interview zu geben, übrigens eines, das auch auf den Webseiten der BIRKE zu lesen ist. Die Junge Freiheit ist ein Blatt, das, wie Wikipedia geschickt formuliert, „einzelne Politologen ... als Sprachrohr der sogenannten Neuen Rechten [bezeichnen], das eine Scharnierfunktion zwischen demokratischem Konservativismus und extremer Rechte einnehme“.

09 April 2007

"Alles ist relativ" ist falsch, aber ...

"alles was wahr ist, ist nur relativ wahr" ist es vielleicht nicht. Der erste Satz ist falsch, weil er absolut formuliert ist und sich damit selbst widerspricht: und dieses Argument stellt das beliebteste gegen den Relativismus dar, natürlich auch gegen den moralischen. Von daher hatte der Relativismus in der Analytischen Philosophie nie gute Karten. Dass nun Steven D. Hales in seinem Buch Relativism and the foundations of philosophy (Cambridge / MA : MIT, 2006) unternimmt, eine Version des Relativismus zu verteidigen, die zumindest schon einmal nicht selbstwiderlegend ist, wirkt daher erfrischend auf mich. Seine Formulierung des Relativistischen Prinzips ist jedenfalls nicht selbstwiderlegend!

Phänomenologische Kausalität

Eine weitere Intuition der Phänomenologie zu Beginn besteht darin, dass das Erscheinen wesentlicher als das Sein ist: nur weil eine Sache erscheint, ist sie auch in der Lage zu sein.
So steht's auf Lebensphaenomenologie.at, in einem Aufsatz von Michel Henry. Ich muss zugeben, dass ich dies nicht verstehe. Entweder hat die Phänomenologie nur die Erscheinungen, die alles sind vom Sein: dann ist das eine nicht wesentlicher als das andere. Oder, wenn ein Weg vom "Sein" zu den Erscheinungen führt, geht er andersrum. Oder wie muss ich das "weil" verstehen? (Aber vielleicht ist das ja auch einfach schlecht übersetzt?)

04 April 2007

Fremdheit, was ist das?

Bei der Gewerkschaft ein paar Straßen weiter hängt ein Plakat im Fenster mit der wesentlichen Botschaft "Jeder ist ein Fremder -- fast überall". Darüber stehen ein paar Sprüche, die mir vage bekannt vorkommen, beginnend mit "Dein Christus ein Jude / Dein Auto ein Japaner"... Das Haus der Geschichte hat eine Ausstellung zu "Jeder ist ein Fremder" gemacht, und den Ursprung der Sprüche zu ermitteln versucht: sie kamen bis 1993. Die Standardversion lautet wohl so:
Dein Christus ein Jude
dein Auto ein Japaner
deine Pizza italienisch
deine Demokratie griechisch
dein Kaffee brasilianisch
dein Urlaub türkisch
deine Zahlen arabisch
deine Schrift lateinisch.
Dein Nachbar: nur ein Ausländer?

Dies unter dem Motto "Jeder ist ein Fremder -- fast überall": was soll die Sprüchesammlung zeigen? Gelingt es ihr? Auf den ersten Blick scheint sie zu sagen, dass man keine 'eigene' Identität habe, die ohne 'Fremdes' auskommt. Das scheint sowohl für so etwas simples wie Konsumgüter zu gelten als auch für das Innere der Kultur: Verfassungsform, Schrift, Religion. Man sollte also das 'Fremde' der eigenen Kultur bewusst erkennen. Und wenn man das tut, kann man dem Fremden im Nachbarn nicht mehr mit der Geringschätzung begegnen, die aus der in diesem Zusammenhang achtlosen -- nämlich nicht auf dessen Individualität achtenden -- Bezeichung "Ausländer" spricht.
Das ist ja eine ganz ehrenwerte Botschaft. Nur scheint mir nicht zu stimmen, wie sie rübergebracht wird. Erstens sind die vordem aufgezählten Güter angeeignete. Unsere Demokratie ist eben keine 'griechische' Verfassungsform: keine fremde. Unsere Zahlen sind nicht in der Weise 'arabisch', wie arabische Schriftzeichen 'arabisch' sind. Vom Auto ganz zu schweigen (was ist denn das Japanische am japanischen Auto?). Wenn wir (d.h. in diesem Fall die abendländische Kultur) also fähig sind, uns etwas anzueignen und vertraut zu machen, das mal woanders enstanden ist: sollen wir so mit dem Fremden umgehen, welches der Nachbar darstellt? Aneignen? Seine Fremdheit quasi auflösen?
Das zweite, was ich weniger auffällig, aber nicht weniger bedenklich finde, ist das Konzept von Fremdheit, das aus "Dein Christus ein Jude" spricht. Eigentlich wird "Jude" heutzutage im Sinne der Religionszugehörigkeit verwendet, nicht im Sinne einer Ethnie oder eines Staates. Aber im Kontext der anderen Sprüche, die wesentlich andere Staaten meinen, und im Kontext der Pointe mit dem "Ausländer"-Nachbarn, kommt man wie selbstverständlich zu der Schlussfolgerung, wer Jude ist, ist Ausländer. Bin ich nicht mit einverstanden. Da scheint mir der Satz gerade ein besonders fragwürdiges Konzept von 'Fremdheit' performativ zu wiederholen, das er gerade aufzulösen helfen will.



03 April 2007

Philosophische Literatur finden

Bücher über Philosophie gibt's viele, Bücher über Philosophiebücher eher wenig. Bei uns ist leicht der sehr brauchbare Band von Norbert Retlich, Literatur für das Philosophiestudium (Stuttgart : Metzler, 1998) zu bekommen: deutlich veraltet, was die Datenbanken angeht, und das Internet kommt gar nicht vor. Aber ansonsten brauchbar: falls jemand noch den altmodischen Weg zu einem philosophischen Thema wählt, den der umfassenden Literaturrecherche.
Ebenfalls erwähnenswert ist der von Theodor Ebert kommentierte Erlanger Literaturführer Philosophie, der zwar in Erlangen im Selbstverlag erschien (die letzte Ausgabe ist von 2002, glaube ich), zu dem es aber Ableger gibt, z.B. in Bielefeld.
Wer's da noch gründlicher mag, sollte zu Hans E. Bynagle: Philosophy : a guide to the reference literature, 3. Aufl. 2006, greifen: eine sehr aktuelle, kommentierte und thematisch organisierte Auflistung der einschlägigen Literatur: inklusive Datenbanken und Internetressourcen. Außerdem gibt's einen ausführlichen 'Subject Index' als Abkürzung. Man sollte mal reingesehen haben, um zu wissen, was es überhaupt so gibt, bevor man wieder in sein Kämmerchen zurückkehrt und vor sich hin philosophiert.

Philosopher's Magazine bloggt

Julian Baggini und Jeremy Stangroom, die Herausgeber des Philosopher's Magazine, bloggen nun auch: unterhaltsam wie TPM, aber ein bisschen onanistisch noch: immer die gleichen Kommentatoren. Sage ich mal als Leser, nicht als Schreiber :-).

01 April 2007

VDMs Nachdrucke (2)

Habe wieder herzlich über den VDM, den Verlag Dr. Müller, gelacht. Neulich hatte ich im Vorauseilenden Gehorsam eine "geschäftsschädigende" Äußerung vom Netz genommen, die eine Information enthielt, die ich nicht hätte haben dürfen, meinte VDM. Aber es kann ja nicht in diesem Sinne geschäftsschädigend sein, wenn ich hier ein paar frei verfügbare Information zusammentrage. So gibt es bei VDM einen Band von Moritz Schlick Gesammelte Aufsätze 1926-1936 (Saarbrücken 2006). Man geht nicht fehl in der Annahme, wenn man hier vermutet, dass 2006 die Werke Schlicks urheberrechtsfrei geworden sind, so dass VDM diese verwenden darf. Das stimmt auch, denn bekanntermaßen gewährt das Urheberrecht in D Schutz vor Verwertung bis 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers. Und Schlick wurde bekanntermaßen 1936 in Wien erschossen.
VDM hat auch hier eine mehr schlechte als rechte Kopie vorgelegt, mit deutlich erkennbaren Kopierstreifen am Rand, und sie haben sich nicht mal die Mühe gemacht, sich etwas zum Nachdrucken zu besorgen, was frei von Markierungen früherer Leser ist. Wenn man die Kataloge bemüht, findet man, dass die VDM-Ausgabe ein Reprint der Ausgabe Wien : Gerold, 1938 ist -- haben jedenfalls die Kollegen der Deutschen Nationalbibliothek ermittelt. Ich persönlich halte das für ein Unding, dass VDM nicht angibt, a) dass es sich überhaupt um einen Reprint handelt, b) welche Ausgabe nachgedruckt wurde.

Seltsam, dass gerade ein solcher Reprint mit so massivem Hinweis auf das Urheberrecht versehen ist. So heißt es im Buch:
Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. [...] Copyright 2006 VDM Verlag Dr. Müller e.K. und Lizenzgeber

Na, lieber Herr Dr. Müller, wer sind denn die Lizenzgeber? Vielleicht der Olms-Verlag, der dasselbe Werk, dieselbe Ausgabe schon 1969 im Reprint anbot? Der übrigens erheblich sorgfältiger gearbeitet war: und außerdem in Leinen gebunden.

Aristoteles' Medientheorie

Frank Haase, PD an der Uni Stuttgart (wofür?) hat ein Buch über die Aristotelische Philosophie der Medien geschrieben (München : kopaed. 2006). Hatte Aristoteles schon eine Medientheorie? Naja, jedenfalls Medien gab's schon damals: also ist ja denkbar, dass sich in seinen Schriften was findet, was auch bei verantwortlicher Interpretation zu einer Medientheorie gerundet werden kann. Bin also nicht von vornherein gegen einen solchen Anachronismus. Aber wie steht's mit diesem Klappentext?
Dass das abendländisch-metaphysische Denken ein genuin mediales ist, benennt den theoretischen Standpunkt, von welchem aus die Aristotelischen Schriften betrachtet werden. Die Anfänge medialen Denkens liegen bei Hesiod und Platon. Ihrem Denken liegt eine mediale Struktur zugrunde, die im Aristotelischen Philosophieren ihre Universalisierung und Ontologisierung erfährt. Dies hat zur Folge, dass auch der Medienbegriff erweitert wird. Medien sind dann nicht mehr nur Zahl, Maß, Laut, Schrift und Denken – Medien sind dann auch verantwortlich für sämtliche Hervorbringungen der ganzen Natur. In diesem Sinne begreift Aristoteles den Kosmos als Medienverbund, der der medialen Struktur gehorcht.

Tja: da habe ich meine Schwierigkeiten mit. Wenn irgendwie alles medial ist, welchen Wert hat dann der "Medien"-Begriff überhaupt? Und was bedeutet es, wie der Klappentext ebenfalls mitteilt, dass wenn der Kosmos in dieser Weise "medial" gedacht ist, Gott nur "a-medial und als radikale Andersheit von Medien und Medialität" gedacht werden kann (laut Haase)? Oje.
(Und auch die "Medien" vor der Erweiterung ihres Begriffs, "Zahl", "Maß", "Laut" etc. finde ich nicht sonderlich einleuchtend bestimmt.)