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04 April 2007

Fremdheit, was ist das?

Bei der Gewerkschaft ein paar Straßen weiter hängt ein Plakat im Fenster mit der wesentlichen Botschaft "Jeder ist ein Fremder -- fast überall". Darüber stehen ein paar Sprüche, die mir vage bekannt vorkommen, beginnend mit "Dein Christus ein Jude / Dein Auto ein Japaner"... Das Haus der Geschichte hat eine Ausstellung zu "Jeder ist ein Fremder" gemacht, und den Ursprung der Sprüche zu ermitteln versucht: sie kamen bis 1993. Die Standardversion lautet wohl so:
Dein Christus ein Jude
dein Auto ein Japaner
deine Pizza italienisch
deine Demokratie griechisch
dein Kaffee brasilianisch
dein Urlaub türkisch
deine Zahlen arabisch
deine Schrift lateinisch.
Dein Nachbar: nur ein Ausländer?

Dies unter dem Motto "Jeder ist ein Fremder -- fast überall": was soll die Sprüchesammlung zeigen? Gelingt es ihr? Auf den ersten Blick scheint sie zu sagen, dass man keine 'eigene' Identität habe, die ohne 'Fremdes' auskommt. Das scheint sowohl für so etwas simples wie Konsumgüter zu gelten als auch für das Innere der Kultur: Verfassungsform, Schrift, Religion. Man sollte also das 'Fremde' der eigenen Kultur bewusst erkennen. Und wenn man das tut, kann man dem Fremden im Nachbarn nicht mehr mit der Geringschätzung begegnen, die aus der in diesem Zusammenhang achtlosen -- nämlich nicht auf dessen Individualität achtenden -- Bezeichung "Ausländer" spricht.
Das ist ja eine ganz ehrenwerte Botschaft. Nur scheint mir nicht zu stimmen, wie sie rübergebracht wird. Erstens sind die vordem aufgezählten Güter angeeignete. Unsere Demokratie ist eben keine 'griechische' Verfassungsform: keine fremde. Unsere Zahlen sind nicht in der Weise 'arabisch', wie arabische Schriftzeichen 'arabisch' sind. Vom Auto ganz zu schweigen (was ist denn das Japanische am japanischen Auto?). Wenn wir (d.h. in diesem Fall die abendländische Kultur) also fähig sind, uns etwas anzueignen und vertraut zu machen, das mal woanders enstanden ist: sollen wir so mit dem Fremden umgehen, welches der Nachbar darstellt? Aneignen? Seine Fremdheit quasi auflösen?
Das zweite, was ich weniger auffällig, aber nicht weniger bedenklich finde, ist das Konzept von Fremdheit, das aus "Dein Christus ein Jude" spricht. Eigentlich wird "Jude" heutzutage im Sinne der Religionszugehörigkeit verwendet, nicht im Sinne einer Ethnie oder eines Staates. Aber im Kontext der anderen Sprüche, die wesentlich andere Staaten meinen, und im Kontext der Pointe mit dem "Ausländer"-Nachbarn, kommt man wie selbstverständlich zu der Schlussfolgerung, wer Jude ist, ist Ausländer. Bin ich nicht mit einverstanden. Da scheint mir der Satz gerade ein besonders fragwürdiges Konzept von 'Fremdheit' performativ zu wiederholen, das er gerade aufzulösen helfen will.



8 Kommentare:

  1. Das sind sehr interessante Bemerkungen. Mich würde aber interessieren, seit wann "Jude" überwiegend im Sinne der Religionszugehörigkeit gebraucht wird? Und wie soll man dann die Leute nennen, die Juden sind ohne religiös zu sein? Mit anderen Worten: ich würde auch diesen Wortgebrauch hinterfragen, um zu sehen, was für Einstellung darüber eigentlich transportiert wird.

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  2. Na, ich würde sagen, seit die Nazis weg sind. Deren Konzeption von Judentum ist ja bekannt. Danach hat Deutschland eine halbwegs säkulare Verfassung bekommen, in der ich auch großgeworden bin: und nun dazu neige, Staat und Religion zu trennen. Das Judentum ist eine der drei monotheistischen Religonen. Kann man Jude sein und gleichzeitig Buddhist? Sicher so wenig, wie man Christ und Buddhist sein kann. Die eine Religion schließt eben die andere aus.
    Konzeptionell unterscheidet sich das Judentum sicher etwas vom Christentum, z.B. in der Vorstellung, dass man als Jude geboren wird (von einer jüdischen Mutter), während man zum Christen wird durch die Taufe. Das Christentum ist eben, historisch betrachtet, eine Konversionsreligion: hätte es nicht von Anfang an einen Modus der Konversion gegeben, wäre es gar nicht entstanden. (Ist ja auch die Pointe von "Dein Christus ein Jude".) Und die Alttestamentliche Konzeption vom Gottesvolk verbindet eben auch eine religiöse mit einer weltlichen Kategorie. Das ändert aber nichts daran, dass im modernen Staat nach westlichem Verständnis zu trennen ist.
    Verstehen wir "Jude" und "Christ" etwas lockerer als Bezeichnungen für Angehörige eines bestimmten Kulturkreises, dann kann man auch Christ sein, ohne religiös zu sein. Man denke nur an die vielen Leute, die ausschließlich Weihnachten in die Kirche gehen, aber trotzdem mit Lust "Stille Nacht, heilige Nacht" singen.

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  3. Aber diese Definition des Judentums (vergleichbar mit dem Christentum) berücksichtigt irgendwie nicht, dass es auf der Welt (beispielsweise in Osteuropa) sehr viele Menschen gibt, die sich als Juden nicht im religiösen, sondern im ethnischen Sinne verstehen. Für sie ist Jude zu sein, dasselbe wie für die anderen Deutscher oder Russe (und ein Deutscher kann ja sehr wohl auch zum Buddhismus konvertieren, ohne dass er sich von seiner Nationalität verabschieden muss).

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  4. Sie wollen damit sagen, dass ich hier ein dem Besprochenen fremdes Konzept von Fremdheit appliziere? --
    Mir ging es ja darum, wie der Spruch zu verstehen ist bzw. welches Konzept von Fremdheit hinter dem steckt.

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  5. Ich muss da widersprechen.

    Ich les grade "das kulturelle Gedaächtnis" von Assmann. Er geht dabei eigentlich einer soziologisch/antropologisch/philosophischen Frage nach, wie Kultur funktioniert, analysiert dabei aber auch sehr genau die altertümlichen Kulturen.
    U.a das Judentum. Dabei ist auffällig, dass das Judentum die erste Religion war, die von der Politik getrennt wurde. Und zwar weil sie sich geographisch autark machen musste (Exodus, Diaspora, etc). Woran es sich aber tatsächlich immer geklammert hat, ist der etnische Bezug.

    Ethnie und Religion sind historisch nicht zu trennen. Das religiöse Selbstverständnis der Juden ist es das auserwählte Volk zu sein. Mit Betonung auf Volk. Es gab deswegen auch sehr stenge Heiratsregeln etc.

    Das ist sicher heute alles nicht mehr so krass, aber im Grunde ist es noch komplizierter, weil jetzt ja auch ein Staat (als genuin politisches Gebilde) "jüdisch" ist oder sein will. Klar ist Israel ein säkularer Staat, aber trotzdem explizit einer für Juden, wobei "Jude" auch hier ganz klar etnisch gemeint ist.

    Kompliziert das alles.

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  6. Aber man kann zum Judentum konvertieren: was ganz logisch ist bei einer monotheistischen Religion.

    Mein Punkt oben ist, ob wir "Jude" heute ethnisch interpretieren (ich meine: nein), dass der Spruch aber dies gerade tut.

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  7. Man sollte hier den Zusammenhang zwischen Christus und Jude sehen! Hier wird der Jude ja nicht mit einem Sachgegenstand oder etwas zu Essen verglichen, sondern mit einer anderen Religionszugehörigkeit. Von daher ist er sehr wohl als Religion zu verstehen.
    Das Beispiel finde ich gar nicht schlecht, da es sehr schön aufzeigt wie Religionen die eigentlich viel gemeinsam haben/auf dem gleichen Grundstein basieren sich trotzdem so anfeinden!

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  8. Anonym27/4/08

    Das ist der Unterschied in Hitlers Ideologie:

    Im Mittelalter beispielsweise gab es den Antijudaismus, reine Einstellung gegen die Religion.
    Im NS-Reich dagegen gab es den Antisemitismus, der den Juden als Ganzes beschreibt, nichtnur der Religionszugehörigkeit wegen. Nein, ein Jude zu sein, das fing an bei dem fettigen, schwarzen Haar, über die Knollennase, bishin zu den Hühneraugenfüßen. Auch das Äußere, die Individualität wurde auf die Religion reduziert.

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