via Ben Kadens Artikel im IBI-Weblog .
Der Philosoph Volker Gerhardt hat in der FAZ und einen Tag später bei FAZ online einen Text zum Thema Open Access veröffentlicht: "Die Folgen des Publizierzwangs". Er scheint dagegen zu sein. Warum eigentlich?
Gerhardt ist, das muss man neidlos anerkennen, mit den Wassern der Rhetorik gewaschen. Gleich anfangs entwirft er eine Vision des Open Access, die schon negativ gefärbt ist, bevor er überhaupt ein Wort zu ihrer Gestalt verloren hat. Die Idee "Open Access" habe "bezwingenden Charme", schreibt Gerhardt, und zwar besonders, wenn sie "von Organisationen stammt, die schon Unmögliches wie den Bologna-Prozess, die Exzellenz-Initiative, die Evaluationsexzesse und den Interdisziplinaritätsfuror zuwege gebracht haben".
Evaluationsexzess -- das ist negativ gefärbt.
Interdisziplinaritätsfuror -- das ist negativ gefärbt.
Wir können ja mal raten, ob Gerhardt Exzellenz-Initiative und Bologna-Prozess gut findet. Vielleicht mag Gerhardt die Exzellenz-Initiative nicht, weil es der Humboldt-Uni, an der er lehrt, nicht gelang, als exzellente Uni erkannt zu werden.
Hinter dieser negativen Färbung kann man schon beinahe nicht mehr lesen, worum es geht: "Was immer mit Steuergeldern unterstützt wird, soll im Ergebnis für jeden Steuerzahler kostenlos im Netz zu lesen sein." Ja, schön wär's! Und schwupps, hat Gerhardt dies in die Nähe des Sozialismus gerückt: "Die Idee ist berückend, nichtnur für jene, die schon immer der Meinung waren, dass die Wissenschaft der wichtigste Bundesgenosse auf dem Weg in den Sozialismus ist". Ist offensichtlich, dass Gerhardt sein "nicht nur" lediglich als Entschuldigung dafür nutzt, "Sozialismus" mit Open Access in einem Atemzug zu nennen. An der Humboldt-Uni kennt man sich ja ohnehin aus mit der wissenschaftlichen Unterstützung des Sozialismus, oder?
Erstaunlicherweise hat Gerhardt "nicht den geringsten Einwand gegen die Idee eines offenen Zugangs zu allen wissenschaftlichen Informationen". Ja dann! Was treibt ihn denn dann eigentlich um? Antwort: "Dass die Wissenschaft - und die Öffentlichkeit selber - dabei Schaden nimmt".
These: Wissenschaft und Öffentlichkeit nehmen durch Open Access Schaden.
Steile These. Für diese hat Gerhardt ein einziges Argument, nämlich: der "Imperativ des Open Access" verlange nach der Forschung die unverzügliche Publikation, "wenn es zu keinem Vergehen an der Gemeinnützigkeit der Wissenschaft kommen soll". Open Access ist demnach eine Forderung, die die Forschung dem Zwang der Geschwindigkeit und des "Publish or perish" unterwirft.
Daraus ergeben sich dann für Gerhardt notwendig weitere negative Folgen; er sieht eine Reihe von "Sinkstufen" zum gänzlichen Verfall der Wissenschaft.
Schon hier möchte man innehalten und fragen: Wie kommt Gerhardt darauf, dass Open Access bedeutet, Forschungsergebnisse müssten unverzüglich publiziert werden? Dies ist eine so seltsame Verzerrung, dass ich sie noch nirgendwo anders gelesen habe. "Open Access" ist keine Bewegung, die Einfluss darauf haben möchte, was veröffentlicht wird, sondern nur darauf, wie das geschieht. Und selbst wenn Gerhardt nicht die Open-Access-Bewegung als solche meint, sondern viel enger im Reuß-/Jochumschen Sinne befürchtet, nicht nur die Forschungsförderinstitutionen, sondern auch die Hochschulträger würden ihren Angestellten ein Open-Access-Mandat ins Stammbuch schreiben -- selbst wenn Gerhardt also ein Open-Access-Mandat für Hochschullehrer meinen sollte, folgt aus solchem ja nicht, dass diese damit Dinge publizieren müssten, die sie noch nicht für publikationswürdig halten!
Nebenbemerkung: Ein bisschen zynisch finde ich außerdem die implizite These, die Jungforscher müssten ja jetzt schon alles sofort veröffentlichen, aber mit der Open-Acess-Forderung würde dies "auf alle ausgeweitet". Was soll denn daran so schlimm sein, wenn die älteren Wissenschaftler(innen) denselben Forderungen unterliegen wie die jüngeren? Anders ausgedrückt: Wenn Gerhardt "Publish or perish" -- was immer er darunter versteht -- für unzumutbar hält, sollte er dann nicht darum kämpfen, dass auch die jungen Wissenschaftler davon befreit werden? Statt bloß zu klagen, das dürfe nicht "für alle" die Norm werden?
Zurück zum Hauptgedanken. Das ist ja eine bekannte Taktik der Open-Access-Gegner, dass sie der Bewegung deutlich stärkere Forderungen unterstellen, als sie vertritt, um dann anklagend den Finger zu heben: "seht Ihr, das ist unzumutbar!"
Natürlich verlangen Forschungsförderinstitutionen, wenn sie Geld ausgeben, dass die geförderten Projekte sich in Publikationen niederschlagen. Das ist aber keine neue Unzumutbarkeit, sondern war schon vorher und akzeptierterweise so (daher die vielen Aufsatzbände mit den Ergebnissen von Sonderforschungsbereichen und von geförderten Kongressen). Dazu Gerhardt "[Die Wissenschaft] leidet schon lange genug unter der Verwechslung von Quantität mit Qualität, mit der das Rating an die Stelle der Urteilskraft tritt". Das übersetzte ich in: Es wird schon jetzt zu viel publiziert, und mit Open Access wird das nur schlimmer. Die Antwort darauf ist: Ob mit Open Access weniger oder mehr publiziert wird als ohne, ist eine offene Frage. Ob weniger oder mehr oder gleich viel: es ist besser zugänglich. Dass man nicht einfach den Open-Access-Gedanken für wissenschaftspolitische Schwierigkeiten verantwortlich machen kann, zeigt ja Gerhardts "lange genug". Gemeint ist: schon vor Open Access.
Stil und Erkenntniswege
Auch Gerhardts Überlegungen zur "Bedeutung des Stils" und zur "Vielfalt der Erkenntniswege" haben nicht mehr mit Open Access zu tun als mit anderen Veröffentlichungswegen auch. Gerhardts Zerrbild ist: "jeder ist sein eigener Lektor". Das möchte er nicht. Aber dass a) eine Open-Access-Publikation einen Prozess der Begutachtung durchlaufen haben kann, ist genauso wahr wie dass b) eine gedruckte Publikation keinen Prozess der Begutachtung durchlaufen zu haben braucht. Wenn man sich fragt, was für eine Vorstellung von Open Access hinter Gerhardts Polemik steht, dann wird spätestens an dieser Stelle im Text die Antwort deutlich: Gerhardt denkt an die Selbstveröffentlichung auf der Homepage: da gibt es keinen Lektor, und da gilt auch, dass man einen Text "im Netz abgelagert" hat. Dass eine solche Veröffentlichung nicht gleichbedeutend mit "Rezeption" ist, ist klar. Aber dass bei Open-Access-Veröffentlichungen auf erprobten Kanälen durchaus höhere Zitationsraten erzielt werden als bei der reinen Print und Closed-Access-Veröffentlichung, lässt Gerhardt hier außen vor. Vermutlich weiß er es nicht. Wird daran liegen, dass es in Deutschland in der Philosophie keine konkurrenzfähige Open-Access-Zeitschrift gibt.
Open Access, Peer review und Querköpfe
Inwieweit Open Access die "Vielfalt individueller Arbeitsweisen" bedroht, bleibt Gerhardts Geheimnis. Inwiefern ein produktiver Querkopf davon profitiert, dass er durch die Mühlen der paradigmaverhafteten Peer review muss, ebenfalls. ("Peer review" kommt als Begriff bei Gerhardt nicht vor, aber ich führe das hier an als Mechanismus der Qualitätssicherung, der bei der Selbstveröffentlichung auf der Homepage nicht zum Zuge kommt.) Denn es ist ein Gemeinplatz der Wissenschaftstheorie ebenso wie der Peer-review-Forschung: Peer reviewing tendiert konservativ dazu, Beiträge höher zu bewerten, die im Konsens oder im lediglich wohldefinierten kurzen Abstand zum Mainstream liegen. Habe ich erst kürlich wieder irgendwo gelesen. Interessant auch die Feststellung, dass ein vollständig digitaler Workflow bei der Veröffentlichung von Zeitschriften dazu beiträgt, die Qualität des Peer Review zu erhöhen (siehe Nature (http://www.nature.com/nature/peerreview/debate/nature04996.html)). Nicht, dass ein vollständiger digitaler Workflow notwenig Bestandteil von Open Access wäre. Aber da die Gegner ja gerne Internet und Open Access in einen Topf werfen, möchte ich hier das auch mal tun... :-)
These: Die Wissenschaft wird "entliterarisiert"; die Schriftkultur ruiniert.
Das liegt daran, dass die Wissenschaftler bei Open Access ihre Texte selbst publizieren wollen und den Verlagen, so sie ihre Texte ihnen überlassen, keine Rechte mehr zugestehen wollen, meint Gerhardt. Also werden die Verlage nichts mehr bearbeiten wollen, weil sie keine Profite mehr damit machen können, also wird dies verfallen: wird es keine großen Editionen mehr geben, nur noch die "dilettantische Textbearbeitung durch die Editoren". Was im Netz steht, "kommt ohne kundige Bearbeitung durch professionelle Lektoren und Produzenten auf den Schirm".
Die Folge. Die Wissenschaftler müssten selbst tun, was die Verlage getan haben. "Die Etats der Wissenschaft [werden] mit Sicherheit nicht ausreichen, um alles das zu finanzieren, was derzeit noch die Verlage bieten". Hhm, seltsam. Von welchem Geld machen Wissenschaftsverlage eigentlich ihre Gewinne?
Natürlich wird das Lektorieren und Edieren teurer, wenn statt eines beim Verlag angestellten Lektors, der, sagen wir, wie ein wissenschaftlicher Angestellter bezahlt wird, ein Prof das selbst macht, der eben wie ein Prof bezahlt wird. Aber warum sollte das so sein? Für's Korrekturlesen setzen Profs ohnehin gern Assistenten und Hilfskräfte ein. Vor allem letztere sind deutlich billiger als ein wissenschaftlicher Angestellter. Wie es um die "Produzenten" steht, ist auch noch so eine Frage.
Welche Texte brauchen denn großartige Produktion? Natürlich, das Lieblingsbeispiel der Open-Access-Gegner, die großen kritischen Texteditionen. Die führt auch Gerhardt an: die "Akademie-Ausgaben der Werke von Leibniz, Kant oder Nietzsche, von Mozart, Brahms oder Schönberg". Beispielhafte Prüfung_
Die Kant-Ausgabe wird doch nicht vom Verlag bezahlt! (siehe http://web.uni-marburg.de/kant//webseitn/gt_home1.htm)
Die Leibniz-Ausgabe wird doch nicht vom Verlag bezahlt!
<http://www.leibniz-edition.de/Geschichte/>
Die Mozart-Ausgabe wird doch nicht vom Verlag bezahlt!
<http://www.adwmainz.de/index.php?id=134>
Die namhaften Akademie-Ausgaben werden eben von den Akademien und vom Staat finanziert. Die Leistung der "Layouter und Produzenten", wo sie notwendig ist, könnte bei einer Open-Access-Publikation doch weiter beauftragt und bezahlt werden. Wieso soll die verschwinden, wenn man Open Access und im Web publiziert? Wieso soll Open Access gleichbedeutend sein mit "unprofessionell"?
These: Was nur OA, das heißt: nur im Internet publiziert wird, ist von Datenverlust mehr bedroht als was in Buchform vorhanden ist.
Jaja. Schließlich ändern sich die Datenformate so schnell, dass einem schwindlig wird, oder nicht?
Es scheint keinem der Open-Access-Gegner auffallen zu wollen, dass sich der Wechsel der Datenformate und -Systeme in den letzten 10 Jahren deutlich verlangsamt hat. Es scheint Ihnen auch nicht in den Kopf zu wollen, dass das Internet in diesem Fall, nämlich als betriebssystemunabhängige Plattform, der große Gleichmacher auch der Datenformate ist. Denn Kompatibilität ist Trumpf. Da wird es nicht mehr vorkommen, dass ein Text im obskuren "cwk"-Format veröffentlicht wird.
Schließlich:
Die Gegner werfen immer Internet und Open Access in einen Topf. Wie schön wäre es, hätten wir überhaupt eine Internet-Version der kritischen Kant-, Leibniz-, Nietzsche-Ausgaben. (Für Kant gibt es das zum Teil.) Das würde doch der Forschung neue Möglichkeiten eröffnen! Und wäre dies Open Access, wäre das natürlich noch schöner. Was Mozart, Brahms und Schönberg angeht, bin ich derselben Meinung -- auch wenn die Instrumente zur Analyse elektronischer Notenausgaben meiner Kenntnis nach noch nicht so weit entwickelt sind wie die zur Analyse von Textausgaben. Aber toll wäre's trotzdem.
11 Juni 2009
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Ein fast kommentarloses Danke für diesen schönen Beitrag zur Wissenschafts(un)kultur. Ach, würden doch nur die Anstrengungen, die so mancher momentan in die Wehrhaftigkeit gegen eine sinnvolle Innovation (ja, innovativ nicht einfach neu) investiert, auf eine aufgeklärte, erfolgsorientierte Auseinandersetzung umgelenkt!
AntwortenLöschenEine messerscharfe Analyse. Bravo!
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