blogoscoop

03 März 2006

Ist Philosophie Wissenschaft?

Dazu äußerten sich der Konstanzer Philosoph Wolfgang Spohn und sein Berliner Kollege Holm Tetens (FU) auf dem 5. internationalen Kongress der Gesellschaft für Analytische Philosophie in Bielefled, 2003. Aber erst jetzt sind die Kongressakten erschienen (hg. von Christian Nimtz und Ansgar Beckermann, Paderborn: mentis, 2005). Spohns Überlegungen, die zum "ja" tendieren, sind auch als preprint (pdf) im Web; Tetens' leider nicht. Aber da seine drei Thesen in knackiger Kürze formuliert sind (S. 98) gebe ich sie hier wieder:
1. Die Philosophie zeichnet sich durch eine hochkontroverse Pluralität aus, es gibt in ihr kein verbindliches kanonisches Lehrbuchwissen.
2. Es gibt in der Philosophie streng genommen keine Arbeitsteilung, niemand kann für andere philosophieren.
3. Der professionelle akademische Philosoph ist in erster Linie und vor allem ein Lehrer für das Philosophieren.
Stimmt das? Tja, ich denke auch, dass sich die Philosophie durch "hochkontroverse Pluralität" auszeichnet, aber das heißt nicht, dass es nicht verbindliches Lehrbuchwissen gäbe -- nämlich aus der Geschichte der Philosophie. Ich denke, wer nicht ein bisschen was über Platon und Aristoteles, Descartes, Kant und Nietzsche weiß bzw. wer deren Texte nicht ein bisschen gelesen hat, kann nicht ernsthaft mitreden. Vorbildung ist schon eine Bedingung für's Geschäft. Die Kenntnis anderer philosophischer Texte ist dann eher schulenabhängig, und in die großen Alten aus dem Mittelalter und der Neuzeit vertiefen sich wohl in erster Linie die Philosophiehistoriker. Dass Philosophiegeschichte eine Wissenschaft sei, kann man wohlgemut behaupten, schließlich unterliegt sie den gleichen Standards von Wissenschaftlichkeit wie die historisch-philologische Forschung sonst auch.
Warum gibt es in der Philosophie keine Arbeitsteilung? Ich denke, das stimmt auch nicht. Richtig ist, natürlich, dass die Konzentration auf die großen und weniger großen genialen Gestalten der Philosophiegeschichte und Gegenwart zu einem stark an Persönlichkeiten gebundenen Blick auf die Philosophie führt. Und wenn Persönlichkeit das Philosophieren ausmacht, dann kann wirklich niemand "für den anderen" philosophieren. Aber Philosophiegeschichte lässt sich auch als (Erkenntnisfortschritt und) Diskursgeschichte schreiben, oder als Entwicklung von Positionen, und in dieser Sicht ist die Person des Philosophen unerheblich. Tetens' Genieposition hat eine positive und eine negative Seite für all diejenigen, die philosophieren: die positive ist, dass die Beschäftigung mit dem Kleinklein der Alltagsprobleme (Lösen von Gettier-Beispielen auf dem Weg zum Wissensbegriff etwa) keine notwenige Bedingung für den großen philosophischen Wurf ist. Die negative ist die, dass der große philosophische Wurf von großen Philosophen kommt -- und wer möchte schon von sich sagen, dass er einer ist?
Professionelle Philosophen sind Lehrer fürs Philosophieren? Dann bräuchten sie ja keine Bücher und Aufsätze mehr zu schreiben. Ich denke, dass Philosophen zum Erkenntnisfortschritt in ihren Interessensgebieten beitragen wollen. Und Philosophieren ist. Erkenntnisfortschritt suchen. Wenn der nur individuell ist, ist das zu wenig.

1 Kommentar:

  1. Eine schwierige Frage. Um diese Frage beantworten zu können müsste man sicher erstmal wissen was Philosophie ist und nicht zuletzt auch wissen, was Wissenschaft ist. Man kann sich hier sicherlich verschiedenster Definitionen bedienen und man müsste sich für solch einen Diskurs vielleicht erstmal auf eine der Definitionen verständigen, dass heißt einigen, damit man überhaupt sicherstellen kann, dass man über das gleiche redet. Diese Konvention wäre die Ausgangsbasis für solch einen Diskurs und solange es diese nicht gibt, ist es unmöglich davon zu sprechen ob Philosophie diesseits oder jenseits dieser oder jener Grenze ist.
    Man muss dennoch zugestehen, dass es diese Ausgangsbasis gibt, jedenfalls bis zu einem bestimmten Punkt. Sie hatten das angesprochen, es gibt einen gewissen Kanon, bei dem, so kann man vielleicht vermuten oder glauben, alle oder die meisten Leute einverstanden wären, dies als Philosophie benennen zu können. Dennoch ist sicherlich der philosophische Diskurs dermaßen heterogen, dass so etwas wie die Einheit der Philosophie - sagen wir - unscharf wirkt.
    Wie soll man also Philosophie definieren, oder: ab wann kann man sagen, dass man philosophiert?
    Ihr Hinweis auf die Philosophiegeschichte ist da sehr erkenntnisreich, denn wenn man sie sich anschaut, dann war Philosophie - und da werden sie mir zustimmen - seit jeher immer anders definiert. Die Definition hat sich immer verändert. Das kann man feststellen, aber ist es ein Fortschritt? Sicher, die Philosophie ist fortgeschritten, immer weiter in die Welt oder das Unbekannte hinaus und sicher hat sie die Definition ihrer selbst dabei immer mit sich gerissen.
    Aber gut, nehmen wir an, dass es eine gewisse Grenze der Philosophie gibt, dass es einen gewissen Kanon der Philosophie gibt und dass es somit einen gewissen Begriff der Philosophie gibt. Dann kann man von einer Art Gesetz der Philosophie sprechen. Nun könnte man meinen, philosophieren heißt, sich innerhalb dieses Gesetzes zu bewegen und innerhalb der Grenzen der Philosophie zu operieren.
    Das eigenartige ist, dass - egal wie auch immer in der Geschichte der Philosophie ihre jeweiligen Definitionen und Grenzen gesteckt waren - es immer die Nichtphilosophen waren, die wir heute als die Philosophen par Exellance ansehen.
    Ausnahmslos alle Philosophen, die Sie oben aufgezählt haben, haben zu ihrer Zeit die Grenzen der Philosophie überschritten, haben das Gesetz übertreten, die Konvention missachtet und haben sich somit außerhalb der Philosophie bewegt (was ihnen zu ihrer Zeit auch andauernd vorgeworfen wurde).
    Will man aus der Gesichte der Philosophie lernen, so muss man zwangsläufig festhalten: Philosophieren heißt also immer Nichtphilosophieren. Und dieser Aporie kann man sich nur dann verweigern, wenn man der Ansicht ist, dass die Philosophie im Hier und Jetzt angekommen ist. Dass die jetzige Philosophie DIE Philosophie ist. Die EINE Philosophie, die jetzt IST und immer SEIN wird. Das kann man wirklich nicht behaupten und so ist es fast unmöglich von der Philosophie zu sprechen, ja, man muss vielleicht eingestehen, dass es die Philosophie gar nicht gibt, jetzt jedenfalls noch nicht gibt, sondern dass die Philosophie per se erst im Kommen ist und dass sie immer die Philosophie der unbestimmten Zukunft sein wird.
    Wie kann man unter diesen Umständen noch von sich sagen, dass man philosophiert? Wie kann man sich sicher sein? Ist Philosophie und ist Nichtphilosophie überhaupt entscheidbar? Man kann über diese Fragen sicherlich philosophieren und das heißt man kann sie sicherlich entscheiden. Aber man kann sie eben nur für sich entscheiden und zwar nur, indem man über die Philosophie und ihre Grenzen hinausgeht. Indem man die Philosophie quasi erfindet. Ich jedenfalls, habe mich entschieden, dass ich das, was ich hier tue, „philosophieren“ nennen werde, egal ob es dieser oder jener Definition von Philosophie entspricht.

    AntwortenLöschen