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06 Februar 2007

Wie studiert man Philosophie um 1900? (2)

Neulich habe ich einen Blick auf Apels "Anleitung zum Studium der Philosophie" von 1911 geworfen: finde sie interessant, weil Apel nicht bloß von Inhalten schreibt, sondern auch von den formalen Bedingungen eines solchen Studiums: Studiengebühren, Lehrangebot, praktische Tipps. Apel geht nach einigen Seiten zur Philosophiegeschichte und den wichtigsten zeitgenössischen Veröffentlichungen (auch diese Listen könnten interessant sein) auf das Thema Promotion ein. Als erstes stellt er den Lesern die Frage, ob es wohl überhaupt ratsam sei, einen Dr. phil zu erwerben.
Gewiß ist an und für sich, wie die Dinge liegen, der manchmal nicht eben allzu ruhmvoll errungene Titel eines Dr. pohil. keine Bürgschaft besonderer Gelehrsamkeit und Tühtigkeit. (S. 127)

Apel rät davon ab, sofern man nicht besondere Liebe zur wissenschaftlichen Arbeit verspüre, wenn man nicht in den Bibliotheks- oder Archivdienst wolle: das Staatsexamen sei doch hinreichend. Er sieht "erhebliche Unkosten die mit der Drucklegung der Arbeit sich wohl so um 500 Mark herum und mehr bewegen" (S. 128). Wieviel waren 500 Mark 1911 wert?
Apel begrüßt, dass es keine Promotion "in absentia" mehr gibt. Er zitiert die Promotionsordnung der Uni Berlin: "Von der Dissertation ist zu verlangen, daß sie wissenschaftlich beachtenswert ist und die Fähigkeit des Kandidaten dartut, selbständig wissenschaftlich zu arbeiten." Man muss dort vor der Promotion 3 Jahre studiert haben: dafür kriegt man heutzutage einen Bachelor. -- Die Namen für die Noten, die dort zitiert werden, sind mir neu, es gibt "1. genügend (idoneum), 2. gut (laudabile), 3. sehr gut (valde laudabile) oder 4. ausgezeichnet (eximium)". (Für das Gesamtergebnis werden die mir vertrauten Noten verwendet.) Apel notiert, dass dann zwischen 124 (Tübingen) und 300 (Kiel) Druckexemplare eingereicht werden müssten; und in Berlin muss man insgesamt 355 Mark Gebühren zahlen!
Apel erwartet, dass man an einer solchen Arbeit 1-2 Jahre schreibt, die einen Umfang von mindestens "2 Druckbögen" haben muss; gehen wir davon aus, dass dies dem heutigen Papierformat entspricht, dann also mindestens 32 Seiten.
Früher konnte man offenbar auch an manchen Unis "ohne jedes Reifezeugnis" eine Promotion ablegen; die Betroffenen sind "Immaturi", und sie müssen nur "eine als hervorragende Leistung anzusehende Dissertation einreichen (S. 136), die Uni Greifswald verlangte außerdem, dass Immaturi mindestens 3 Semester in Greifswald studiert haben. Wie haben sie das gemacht, wenn sie für die Zulassung zum Studium ein Reifezeugnis brauchten?
Apel weist noch auf ein paar weitere Schriftchen hin, die er als Ratgeber sah, die heutzutage von historischem Interesse sein könnten. So kann man 50 vorgeschlagene Examensfragen der Zeit in einem Schriftchen eines Von Brockdorf namens "Das Studium der Philosophie mit Berücksichtigung der seminarischen Vorbildung" sehen, darunter "Warum lässt Schopenhauer den Monarchen sagen: Wir, von zwei Übeln das kleinere?" "Wie dachte der Philosoph von Sanssouci über die Behandlung des Geschichtsunterrichts?" "Man gebe eine kurz Übersicht über das Wichtigste der modernen Schulhygiene". Apel gibt die Fragen wieder und hält sie für "etwas zu grotesk", da "für den Doktoranden so gut wie fürdie Professoren unbeantwortbar". (S. 139-140). Das Buch Die Philosophie in der Staatsprüfung von einem gewissen Vaihinger (der mit dem als-ob?) enthält 340 Themen für eine schriftliche Prüfung, die Apel auch fürs Mündliche geeignet sieht.
Apel über Studiendauer: Das Staatsexamen konnte man in Preußen nach mindestens 6 Semestern, in den süddeutschen Staaten nach mindestens 8 Semestern ablegen, doch auch diese "werden in den meisten Fällen nicht zulangen". So weit weg von der heutigen Regelstudienzeit ist es also nicht. Das Staatsexamen sei die unangenehmste aller Prüfungen, und man möge dem Studierenden unbedingt den Prüfer seiner Wahl gönnen, da doch in diesem Fache "die persönlichen Meinungen und Richtungen ... eine gar zu große, oft entscheidende Rolle" spielen. (S. 143) Ungünstig wirke sich auch die "Uferlosigkeit der Anforderungen, wie sie die gesetzliche Prüfungsvorschriften zeigen", aus.
Den Überblick rundet Apel mit einem Kommentar zu den Prüfungsordnungen der Länder für Staatsexamen -- Philosophie musste offenbar häufig als Nebenfach belegt werden, vor allem von zukünftigen Lehrer -- und die "philosophische Propädeutik". Sein Buch wird auch für die Dozierenden eine interessante Lektüre gewesen sein, weil es ihm nicht nur darum geht, das Studium den angehenden Studierenden durchsichtig zu machen, sondern auch Vorschläge, wie die Uni selbst das Studium besser gestalten kann, wo Standardisierung zu empfehlen ist und wo nicht etc.

Das Buch erlebte eine zweite Auflage, die im gleichen Verlag 1919 erschien. Interessanterweise ist diese in Fraktur gedruckt, die erste in Antiqua. Ansonsten scheinen mir auf den ersten Blick keine großen Anpassungen vorgenommen worden zu sein: als habe der Krieg keine Spuren hinterlassen.

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