In meiner Diss habe ich einige Mühe darauf verwandt zu klären, wie man sicher sein kann, dass ein Autor einen anderen zitiert, oder genauer: wann ein Bachmann-Forscher berechtigt ist zu sagen, dass Bachmann diesen oder jenen anderen Autor zitiert habe. Das ist eine interessante Frage immer dann, wenn die Forschung offenkundig Einflüsse / Zitate / Anspielungen auf die Autoren entdeckt, die den Forschern selbst wichtig sind. Mein Ergebnis jedenfalls: Es hängt a) vom realen Kontext ab (z.B. kann Bachmann den angeblich zitierten Text überhaupt gekannt haben?) und b) vom Kontext des angeblichen Zitats und dessen Eigenschaften im Text. Ein gutes Beispiel habe ich in meinem Bachmann-Nietzsche-Aufsatz dargestellt, wo die Kommentatoren meinten, Bachmann habe einen obskuren Nietzsche-Text zitiert, während eine Kleist-Formulierung, die Bachmann zudem nachweislich gekannt hat, viel ähnlicher ist und viel besser passt.
Der Gedanke scheint trotzdem der Forschung im allgemeinen eher unangenehm zu sein, bremst ja auch die Entdeckerfreude etwas, wenn es nicht genügt, einfach eine Ähnlichkeit zwischen zwei Texten wahrzunehmen, sondern wenn auch noch etwas weitergehende Erläuterung verlangt wird. Aber das passiert auch im "richtigen Leben", wenn man die Bloggerwelt so nennen darf. Da hat der Schriftsteller Peter Glaser, der für die Stuttgarter Zeitung bloggt, in seinem Blog mitgeteilt, dass er dem FAZ-Journalisten Marco Dettweiler einen Brief geschrieben hat. Weil der nämlich in einem seiner Artikel den Satz schrieb "Die Welt ist eine Google", und zwar am 6.8.08 in der FAZ. Glaser hatte den Satz selbst auch formuliert, und zwar viel früher, nämlich am 13.5.2005, in einem Artikel in der Stuttgarter Zeitung, und danach noch einmal in einem Artikel in der Stuttgarter Zeitung von 2006. Also, schreibt Glaser, möge Dettweiler beim nächsten Mal angeben, dass der Satz eben von ihm, Glaser, sei. Dettweiler reagierte beleidigt und verwies darauf, dass der Satz nicht allzu fernliegend sei; und er sei selbst darauf gekommen. Glaser meinte daraufhin zeigen zu müssen, dass seine Erfindung aber die früheste nachweisbare sei.
Ich stelle das hier so ausführlich da, weil das ein Musterbeispiel ist, wie in der Intertextualitätsforschung manchmal argumentiert wird. Glaser steht für den eifrigen Forscher, der etwas wiedererkennt und zum Schluss kommt: das spätere der beiden Auftreten muss zitiert sein! Dettweiler sagt hingegen, der Satz sei, mit meiner Terminologie zu reden, nicht prägnant und nicht originell genug, um so eine eindeutige Einflusslinie zu zeichnen.
Das spannende ist, dass dies der Autor selbst tut, der doch ohnehin am besten weiß, ob er zitiert hat oder nicht! Aber offenkundig geht es ihm auch darum, den Verdacht zu zerstreuen, dass er vielleicht lügt, weil er ja andernfalls sich schuldig gemacht hätte, seine Quelle nicht anzugeben. Während Dettweiler in dem Disput auf ein paar tausend Google-Treffer für den Satz hinwies als Beleg dafür, dass er nicht originell sei, gelang es ein paar findigen Lesern von Glasers Blog, im Web Veröffentlichungen des Satzes zu finden, die älter sind als Glasers eigene erste Veröffentlichung; das ist alles in seinen Kommentaren nachzulesen. Was zeigt diese Auskunft über die Fakten? Sie zeigt -- bloß --, a) dass der Satz nicht originell ist, b) dass Glaser nach der Logik seiner ursprünglichen Forderung nun auf andere Quellen verweisen müsste, statt sich selbst als Urheber zu sehen. Sie zeigt hingegen nicht, dass Dettweiler die Formulierung nicht von Glaser hat. Aber da können wir ihm vielleicht einfach glauben.
Glasers Argumentation "Ich habe den Satz aber zuerst gesagt!" scheint mir ohnehin fragwürdig. Er will die "Credits" der geitigen Urheberschaft immer noch bekommen, auch wenn ihm gleichgültig zu sein scheint, ob Dettweiler tatsächlich zitiert hat. D.h. die Frage verlagert sich vom tatsächlichen Zitat als Beziehung zwischen zwei Texten bzw. Autoren zu so etwas wie einem Geistesblitz-Patentstreit: "Völlig egal, ob Du meinen Text kennst, du nimmst meine geistige Schöpfung in Anspruch!" Aber "in Anspruch nehmen" besteht eben nicht darin, dass man zu einem gleichen Ergebnis kommt, zumal, wenn das Ergebnis einigermaßen banal ist.
19 August 2008
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