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24 April 2006

Vom Verstehen der Anderen

Eva Schmidt hatte in ihrem Blog Philosophie etc. danach gefragt, welche Philosophen am schlechtesten schreiben. Top Five! -- Natürlich nennt man in einem solchen Zusammenhang nicht die Autoren, die einem am Herzen liegen, und so ist es wohl kein Wunder, dass dann die Frage kontinental vs. analytisch dort aufbrach.
Frau Schmidt hat in diesem Streit Argumente vermisst -- das wundert nicht, denn häufig hält jeder der Einäugigen den andern für blind. Worin unterscheiden sich die Kontinentalen von den Analytikern? Keine neue Frage. Keine neuen Antworten:
In der Sprache, sicher. Aber auch in den Inhalten. Dafür zwei Beispiele. Zuvor muss man sich klar machen, dass genauso wie die Analytiker die Kontinentalen keine homogene Gruppe sind; sie sind eher noch heterogener als die anderen. Von analytischer Perspektive aus müsste es sonst seltsam erscheinen, dass Adorno Heidegger eines "Jargons der Eigentlichkeit" beschuldigen konnte, wo doch seine eigene Sprache alles andere als jargonfrei ist.
Aber zum Unterschied der Inhalte, zu meinen zwei Beispielen: Qualia und Metapherntheorie.
In der Theorie des Bewusstseins bei den Analytikern spielen die Qualia eine gewisse Rolle: Gibt es sie? Und sind sie vollständig reduzierbar auf physikalische Sachverhalte oder nicht? Oder taugen sie gar als Gegenargument gegen den Physikalismus (wie Frank Jacksons berühmtes Mary-Gedankenexperiment vorschlägt)? Qualia sind übrigens, das an dieser Stelle für die Nichtanalytiker, "phänomenale" mentale Inhalte -- die Zustände im Geist, die enthalten, wie es sich anfühlt, diese oder jene Erfahrung zu machen. Das Lieblingsbeispiel dafür sind Farben: Wissen, wie es ist, eine Farbe zu sehen, ist nicht dasselbe, wie die physikalischen Eigenschaften einer Farbe zu kennen (etwa: Wellenlänge des Lichts).
Die Analytiker beschäftigen sich also damit, ob es Qualia gibt, welche es gibt, und was das bedeutet, wenn es welche gibt.
Die kontinentale Philosophie, z.B. der Phänomenologen, bezweifelt nicht, dass es Qualia gibt; der Begriff macht dort keinen rechten Sinn. Es geht eher darum, welche Bewusstseinsinhalte wir haben und wie die sich zu uns als erkennenden Subjekten und zur Welt verhalten. Phänomenologen analysieren (u.a.), wie es sich anfühlt, diese oder jene Erfahrung zu machen. Heideggers Analytik des Daseins ist der Versuch, das Menschliche von Innen heraus zu bestimmen, die Grundlagen des Erlebens überhaupt zu beschreiben. Dabei geht er deutlich weiter als Kant, der ja nur von den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt handelte; Heidegger möchte wissen, was das menschliche Leben und Erkennen bedingt und beschränkt. Dabei kommen dann auch die berühmte "Angst" oder das "Verlieren ans Man" zur Sprache; das sind eben Versuche, konkret Züge des menschlichen Lebens zu beschreiben.

Das zweite Beispiel: Metapherntheorie. Die klassische Theorie der Metapher stammt aus der (antiken) Rhetorik. Sie scheint der Vorstellung zu gehorchen, dass sich alles, was sich sagen lässt, klar sagen lässt. :-) Der Redner überlegt sich, was er sagen will (Inhalt), dann überlegt er sich, wie er das wirkungsvoll rüberbringt. Dabei ersetzt er Teile seiner klaren aber schmucklosen Rede durch rhetorische Figuren: die sagen prinzipiell dasselbe, aber in anderer Form, oder Bühlersch gedacht: sie haben die gleiche Darstellungsfunktion, aber mehr Appell etc.
Dass diese Theorie nicht ganz hinreicht, ist vielleicht keine Überraschung. Die kontinentale Philosophie -- in Gestalt einiger ihrer postphänomenologischen Vertreter -- hat vorgeschlagen, alles Sprechen als metaphorisch zu verstehen, weil jedes sprachliche Zeichen sich als Substitution eines anderen Zeichens verstehen lässt. Sprachliche Zeichen kommen nie bei den Dingen an. Wie das gemeint ist, sieht man z.B. in einem Wörterbuch, wo die Bedeutung eines Worts mit weiteren Worten erklärt wird, und deren Bedeutung, macht man sich die Mühe, nachzuschlagen, natürlich ebenfalls mit weiteren Worten. Das gilt umso mehr für von vornherein übertragende Redeweisen wie die Metapher. Die Sprache gerät ins Schwimmen., zumal man nicht beschränken kann, auf welche Zeichen ein Zeichen verweist, da dieser Verweis ebensosehr konventionell wie willkürlich geschieht. Während in der klassischen Rhetorik die Vorstellung herrscht, dass, was eine Metapher bedeutet, komplett der Kontrolle des Rhetors unterliegt, kommt diese Theorie zum umgekehrten Schluss. Die These vom "Tod des Autors" hat da ihre Wurzeln (und ist natürlich eine Metapher).
Was sagt die analytische Theorie zur Metapher? Verschiedenes -- aber ich nehme das andere Extrembeispiel, nämlich Donald Davidsons What metaphors mean. Davidson meint, dass eine Metapher nichts anderes bedeutet, sondern einfach sich selbst. Sie ist keine Substitution. (Im Hintergrund muss man dies wohl mit Davidsons Sprachtheorie zusammendenken.)

Unterschiedlicher könnten die Standpunkte kaum sein. Ist vielleicht auch klar geworden, warum, plakativ gesprochen, Kontinentalphilosophen keine Angst vor Naturwissenschaften haben müssen. Wie es sich anfühlt, ein Mensch zu sein, darüber können Naturwissenschaften nichts sagen: das ist nicht reduzierbar auf physikalische Gehalte. Und überhaupt sieht eine Wissenschaft, deren Vorstellung vom Sprachgebrauch so simpel ist wie die Physik (eine Theorie ist ein Modell der Wirklichkeit), den komplexen Funktionszusammenhang der Sprache nicht. Auf der anderen Seite müssen solche Philosophen allerdings Angst haben vor den Betriebswirten, die die Lehre an der Uni auf Effizienz trimmen...

4 Kommentare:

  1. Danke für die Nachfrage, Eva.
    Ich denke, dass der Begriff 'Qualia' für Phänomenologen keinen rechten Sinn macht, weil das überhaupt alles ist, was sie betrachten. Die Erlebnisqualität eines Erlebnisses lässt sich nicht von dessen Inhalt trennen. Man kann nicht das Erlebnis davon unterscheiden, wie es sich anfühlt. Die Qualitäten sind Teil der (grünen) Brille (Kleist, nachdem er Kant gelesen hatte), durch die alles wahrgenommen wird. -- Betrachtet man das anders, stellt sich in der Tat die Frage, ob Qualia (als etwas eigenes) existieren. Wenn es "irgendwie ist" bzw., was ich bevorzuge, sich irgendwie anfühlt, in einem Zustand zu sein, dann liegt es nahe, davon zu sprechen, dass das Irgendwie anfühlen ein eigener Bewusstseinsinhalt ist, der vom andern verursacht ist. Diese Frage stellt sich einem Phänomenologen nicht. (Als Urbild des Phänomenologen habe ich hier das vor Augen, was ich von Husserl gelesen habe.)

    Klarer?

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  2. So langsam kommt mir auch so vor, als schieden sich die Geister in A un C Philosophie schon bei Kant. Die klare und unhinterfragte Trennung von Beobachtung und Welt, die ich hier und da in den Fragen und Thesen bei der A -Philosophie herauslese, kommt mir doch sehr oft vorkopernikanisch vor.

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  3. Nein Eva. Ich bin kein Solipsist. Aber es gibt immer ein "Wie" der Beobachtung, welches das, was du "Gehalt" nennst, jedenfalls maßgeblich mitbestimmt. Das ist - verkürzt - das was bei Kant die "kopernikanische Wendung" meint.
    Dieses "Wie" der Beobachtung ist, wie JGE ja so schön ausführte, auch der Ansatz von Husserl Phänomenologie. "Phänomenologie" übrigens deshalb, weil es eben nicht einfach nur von der Welt als solche ausgeht, sondern von "Erscheinungen", also "Phänomenen". Es ist ein grundsätzliches Mißtrauen gegenüber der Wahrnehmung. Husserl will durch die sog. phänomenologische Reduktion zum eigentlichen Gehalt der Welt vorstoßen, also indem er die Bedingungen der Beobachtung bei der Beobachtung selbst mitberücksichtigt. So hab ich ihn jedenfalls verstanden.

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  4. Anonym20/7/08

    "Von analytischer Perspektive aus müsste es sonst seltsam erscheinen, dass Adorno Heidegger eines "Jargons der Eigentlichkeit" beschuldigen konnte, wo doch seine eigene Sprache alles andere als jargonfrei ist."

    Ich glaube nicht, dass Adornos Vorwurf an Heidegger hier auf ihn zurückfällt. Natürlich spricht Adorno selber "Jargon" im Sinne einer Fachsprache, deren zentrale Begriffe er selber definiert hat. Die Kritik an Heidegger aber zielt gerade in die andere Richtung. Die des Jargons beschuldigten sprechen die Sprache der echten Erfahrung, der direkten unvermittelten Anschauung und sind damit das Gegenteil derer, die auf metaphernreiche, wortgewaltige Sprache verzichten, sondern sich zur Trockenheit und Unanschaulichkeit ihres Vokabulars bekennen. Der Jargon der Eigentlichkeit verzichtet ganz bewusst auf Fachbegriffe, stattdessen wählt er Begriffe aus der Alltagssprache und strahlt sie so grell an, dass sie dadurch eine höhere, gediegen-philosophische Bedeutung gewinnen. "Haus der Begegnung" etc.

    Im übrigen empfehle ich jedem den Text wärmstens, der Adorno für unlustig hält. Besonders in der gesprochenen Version wird der zu Tode Parodierte selber zum Parodisten und zwar in einer kaustischen Bösartigkeit, dass ihm seine Opfer fast Leid tun!

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