Als ich noch ein junger Student in Göttingen war, war das Seminar dort schon damals mehr der analytischen Philosophie verschrieben. Eines Tages wurde gegen Studiengebühren gestreikt, und die philosophische Basisgruppe veranstaltete einen Aktionstag. Wie das im Zusammenhang mit dem Streikziel stand, weiß ich nicht mehr, jedenfalls konnte man nur ins Gebäude nach Ablegen eines Tests. Eine der Testfragen war: "Nenne drei weibliche Philosophen". Lange vor meiner Bekanntschaft mit Kristeva, Irigaray, Cixous, Butler verfiel ich auf das Nächstliegende: die Dozentinnen des Seminars: Monika Betzler, Bettina Schöne-Seifert. Die zählten nicht, wurde mir bedeutet. Das wirft die Frage auf: Was macht eine Philosophin aus? Mir fielen aber noch ein paar weitere ein, nämlich Elizabeth Anscombe und Hilary Putnam. Letztere erkannte ich nur als solche vom Vornamen. Heute finde ich es komisch, dass ich diesen Irrtum eine ganze Weile behielt, weil von der Basisgruppe offenbar niemand Putnam kannte. Später kam er dann mal zu einem Vortrag nach Göttingen, und sein Geschlecht ließ sich nicht mehr leugnen.
Anscombe hingegen ist so eindeutig wie Philippa Foot, auch wenn ich Mühe hätte, an deren Philosophie ihre Weiblichkeit festzumachen. Aber das ist vielleicht eine der überzogenen Forderungen feministischer Philosophie vom Schlage Irigarays, auf die man nicht allzu viel geben sollte. Von Anscombe ist gerade eine Essaysammlung erschienen, eine Art Best of: Human life, action and ethics (Exeter : Imprint Academic, 2005), das Material zusammenstellt, welches noch nicht in den drei 1981 erschienenen Essaybänden enthalten war.
Anscombe ist eine interessante Philosophin, nicht nur in historischer Perspektive, etwa weil sie Schülerin Wittgensteins und dann Mitherausgeberin seiner Schriften war. Sie hat in ihren moralphilosophischen Schriften einen wunderbar praktischen Sinn für's Wesentliche, und darum ist z.B. der kleine Vortrag für die BBC von 1957 Does Oxford moral philosophy corrupt the youth? ein Schmuckstück der Sammlung, das eingangs mit der Feststellung überrascht, gerade die moralische Ernsthaftigkeit einer Position tendiere dazu, die moralischen Überzeugungen eines andern zu untergraben. Trotzdem konnte Anscombe gar nicht anders, als die Frage zu verneinen.
Anscombe hat nicht nur die wesentlichen Veränderungen in der Moralphilosophie der 60er und 70er Jahre (rund um Rawls Theorie der Gerechtigkeit) miterlebt, sondern auch mit eigenen Beiträgen begleitet. Berühmt ist ihre Kritik des Konsequentialismus im Essay Modern moral philosophy, der sich ebenfalls im Band findet. Weitere Themen der Zusammenstellung, übrigens von ihrer Tochter Mary Geach mitherausgegeben, sind die Philosophie der Handlung und Fragen der praktischen Ethik.
19 Juni 2006
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