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30 August 2005

Wie man für seinen Glauben wirbt

Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage ist vielen durch zwei Dinge bekannt: In schwarze Anzüge gekleidete junge Leute, immer zu zweit unterwegs, sprechen einen auf der Straße an und wollen sich über ihren Glauben unterhalten -- Bluesbrothers ohne Sonnenbrillen: "Wir sind ihm Auftrag des Herrn unterwegs." Das zweite, was man über die Mormonen zu wissen glaubt, ist , dass sie die Polygamie, oder genauer: die "Vielweiberei" erlauben (denn dass Frauen mehrere Männer haben dürften, trifft nicht zu).
Heute bekam ich ein Faltblatt von zwei Mormonen in die Hand gedrückt, dass "Lebensweise und Wertvorstellungen" vorstellt. Auf der Titelseite ist ein glückliches junges Pärchen mit zwei lachenden Kindern zu sehen unter der Wortfolge "Leben Glauben Glücklich sein". Ich finde die Broschüre interessant, weil man an ihr sieht, wie eine Glaubensgemeinschaft für ihren Glauben wirbt.
Tatsächlich wird die Frage, "wozu Kirche überhaupt gut sein soll", auf der Rückseite direkt beantwortet. Kirche bringt "nach den Erfahrungen vieler Bekehrter" -- die Werbung würde das Testimonial nennen -- "mehr Sicherheit" und "mehr Lebensfreude". Das ist nun auch philosophisch interessant, geht es doch um das gute Leben. Sehen wir uns die Argumente im einzelnen an.

Argument 1: Mehr Lebensfreude
Mehr Lebensfreude gibt es durch a) Gesundheit und längeres Leben, b) eine glücklichere Partnerschaft, c) mehr Verständnis und Liebe zwischen Eltern und Kindern.
a) Man ist gesünder, wenn man glaubt? Eine amerikanische Studie, veröffentlicht im Fachblatt Lancet (1999, 353: 664-667) meint, dass bisherige Untersuchungen den Zusammenhang Religiösität und Gesundheit nicht überzeugend darlegen könnten. Wenn z.B. Kirchgänger sich gesünder erwiesen als der Rest, dann könnte das auch daran liegen, dass Kranke eben nicht mehr in die Kirche gehen können -- das führe ich mal als besonders eingängiges Beispiel an. Unabhängig von den harten Fakten fragt sich, ob das ein intuitiv überzeugender Gedanke ist. Wie können Bekehrte bezeugen, dass sie länger und gesünder leben? Sie können mit ihrem früheren Lebenswandel vergleichen. Könnte sein, dass man z.B. weniger Alkohol trinkt, nicht mehr raucht, nicht mehr die Nächte durchfeiert. Für alle diejenigen, für die das wichtige Bestandteile der eigenen Lebensfreude sind, müsste es also heißen: Mehr Lebensfreude durch weniger Lebensfreude...
b) Wird die Partnerschaft glücklicher, wenn man glaubt? Zum Gedankengebäude der Mormonen gehört es, dass selbstverständlich die ganze Familie der gleichen Religion angehört und diese pflegt. Da dieser Glaube starke moralische Orientierung bietet, ermöglicht er Standardlösungen für mögliche Streitfälle. Wer sich weniger streitet, lebt vielleicht auch glücklicher.
c) Ähnlich könnte der Zusammenhang mit der Beziehung zu den Kindern sein. Mormonen wissen schon, wie sie ihre Kinder erziehen sollen bzw. welche Werte und welches Weltbild sie ihnen vermitteln sollen. Weniger Konflikte, mehr Lebensfreude. Schon möglich.

Argument 2: Mehr Sicherheit
Mehr Sicherheit gibt es durch a) "die Gewissheit auf ein Leben nach dem Tod und die ewige Verbindung mit dem Ehepartner und der Familie", b) ein soziales Netz mit Freunden und gemeinschaftlichen Aktivitäten, c) Gewissheit in persönlichen Problemen durch göttliche Antwort auf Gebete.
Uiuiui. Gewissheit spielt also große Rolle. Sicherheit durch Gewissheit? Gewissheit ist ja ein nicht ganz unbelasteter Begriff; wir können das Problem hier mal auf die Frage bringen, ob "Gewissheit, dass p" "es ist wahr, dass p" impliziert. Wie Gettier gezeigt hat, ist das wohl nicht so, denn die Kenntnis einer einwandfreien "Rechtfertigung, dass p", welche die "Überzeugung, dass p" begründet, kann täuschen -- der Wikipedia-Artikel liegt da ganz richtig. Mit anderen Worten wird hier behauptet, dass Sicherheit zunimmt, wenn man sich sicher fühlt. Ich habe da Zweifel...
Ein "Leben nach dem Tod" wirft eine ganze Reihe weiterer Probleme auf, denke ich; darüber denke ich lieber ein anderes Mal nach. Aus der Tatsache, dass es hier werbend versprochen wird, kann man wohl ableiten, dass man es sich entweder als Fortsetzung des glücklichen irdischen Lebens vorzustellen hat oder als Ort, an dem man per definitionem glücklich ist, als Paradies z.B.
Es leuchtet ein, dass eine Glaubensgemeinschaft einem ein soziales Netz verspricht. Werbung kann das natürlich nur für Menschen sein, die keins haben (oder mit ihrem nicht zufrieden sind).
Schließlich wird versprochen, dass Gott persönlich auf die Gebete antwortet und bei Problemen hilft. Das ist nett und wäre aus meiner Sicht auch ein überzeugender Grund für diesen -- wie für jeden anderen -- Glauben. Aber es fragt sich, warum Gott nur auf meine Gebete antworten sollte, wenn ich schon glaube. Das ist der erkenntnistheoretische Kniff der meisten Religionen: weil Gott sich nur den zu erkennen gibt, die glauben, kann man jemandem, dem er nicht antwortet, einfach unterstellen, er glaube nicht fest genug. Hier gibts kein Testabo und kein Probegebet mit göttlicher Antwort gratis!

Was bleibt also? Aus meiner Sicht werben die Mormonen vor allem damit, dass man eine erprobte moralische Theorie bekommt und Gesellschaft von Leuten, die sich daran halten. Das bietet Sicherheit, lässt vielleicht auch länger leben, und macht einen glücklich. Wie bei jederm Glauben ist das auch bei diesem zunächst ein Verlust von Freiheit, dem man zustimmen muss.

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