blogoscoop

21 August 2007

Nützt es dem Volk, betrogen zu werden?

Fragte die Preußische Akademie der Wissenschaften 1777, auf dass bis 1780 preiswürdige Antworten einträfen. Hans Adler erläutert Hintergründe und Umfeld in seiner Einleitung in die zweibändige Dokumentation der Antworten, die jüngst bei Frommann-Holzboog erschienen ist. Die beiden Wälzer sind nicht ganz billig, aber eine tolle Quelle: immerhin 42 Antworten gingen ein, und davon sind 38 handschriftlich noch erhalten und die beiden Gewinner gedruckt.
Da die Frage auf Anweisung Friedrich des Zweiten gestellt wurde, interessiert natürlich auch, ob er wohl ein Händchen in der Auswahl der Gewinner hatte (nein) -- und was die Gewinner zur Frage meinen. Die lautet übrigens vollständig "Nützt es dem Volk, betrogen zu werden, sei es, dass man es in neue Irrtümer führt oder in denen, die es unterhält, bestätigt?"
Die Antworten können wohl nur als Regierungshilfen verstanden werden, denn das Konzept der Meinungsführerschaft gab es damals noch nicht, und so ist die einzige Person, die das Volk führt, Friedrich Zwo selbst. Der hatte allerdings schon eine Meinung zu dem Thema, wie Adler kenntnisreich ausführt: Friedrich II. sah das Volk als einen von Vorurteilen bestimmten Mob, mit dem "nichts zu erreichen" sei, wie er an d'Alembert schrieb; dabei dachte er daran, ob es wohl ohne Religion gehe. "Friedrich hielt den Volksbetrug für legitim, weil unumgänglich" (S. XXXII), fasst Adler zusammen. D'Alembert widersprach: die Vernunft würde den Aberglauben überwinden. Scheint wie eine Diskussion zwischen optimistischer und pessimistischer Aufklärung, bzw. einer Aufklärung für alle und einer für die Eliten.
Da Friedrich II. seine Antwort schon hatte, hatte er auch kein großes Interessse an den beiden ausgezeichneten Antworten, sie stammen von Rudolf Zacharias Becker, der "Nein" sagt, und Friedrich Adolph Maximilian Gustav von Castillon (genannt Frédéric de Castillon). Offenbar hat die Akademie schon vor der Lektüre der eingesandten Beiträge entschieden, den Preis zu teilen für einen Beitrag, der die Frage bejaht, und einen, der sie verneint, was ihr den Vorwurf des Opportunismus einbrachte.
Einer der Juroren, teilt Adler mit, machte die Beobachtung, dass diejenigen Einsender, die von abstrakten Idealen wie Freiheit, Vollkommenheit etc. ausgegangen wären, die Frage verneinten, während diejenigen, die (empirisch) vom Volk in seiner "Unvollkommenheit" ausgingen, die Frage bejahten. (Vermultlich lässt sich der Zusammenhang auch umgekehrt darstellen: wer bejahen will, muss ja von einer Basis ausgehen, welche dieses Ergebnis zulässt.)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen