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Roland Reuß hat in der FAZ heute den Teufel an die Wand gemalt: die Open Access-Bewegung sei eine „klammheimliche technokratische Machtergreifung“. Er versucht seinen Lesern zu erklären, warum Open Access schlecht ist: aus „kulturelle[n], rechtliche[n] und finanzielle[n] Gründe[n]“, nämlich. Außerdem bringt er es fertig, durch seine Wortwahl das Kritisierte in die Nähe sowohl des Faschismus („Machtergreifung“) als auch des Kommunismus („staatsmonopolistischer Verwertungskreislauf“) zu stellen. Open Access-Vertreter sind, folgt daraus, fanatisch. Mit Verlaub: das ist unfair. Ich kann mir solche Rhetorik nur so erklären, dass Reuß wirklich echt und tiefempfunden Angst hat vor dem, was er da heraufziehen sieht. Angst ist etwas Irrationales, und so bringt Reuß seine Angst wohl auch dazu, sich an die Fakten nicht zu kehren.
Roland Reuß
Wer ist dieser Roland Reuß? Auf der Webseite seines „Instituts für Textkritik“ erfährt man, dass er seit 2007 in Heidelberg als Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft wirkt, 1994 das besagte Institut mit begründet hat, 1958 geboren ist. Seine Forschungsinteressen sind: „Theorie der Edition, Hölderlin, Kafka, Kleist, Romantik, Paul Celan, Digitale Medien“.
Die Publikationsliste nennt zwei Publikationen (wenn ich nicht was übersehen habe), die etwas mit „Digitalen Medien“ zu tun haben, ein Aufsatz „Digitalisierung ohne Daumen“ (oder vielleicht zwei titelgleiche) und „Textkritische Editionen und Datenformate“ im Jahrbuch der Computerphilologie 1999, den zu verlinken er sich nicht die Mühe macht.
Die anderen Forschungsinteressen sagen mir als studiertem Germanisten, dass wir es hier mit einem zu tun haben, der die ‘Theorie’ liebt: Hölderlin, Kleist, Romantik, Kafka, Celan: das sind die typischen Spielwiesen der Literaturtheoretiker. Die schwierigen, vieldeutigen Autoren. Reuß hat auch Kafka und Kleist ediert und gibt die Zeitschrift TEXT heraus, bei der er fleißig selbst schreibt.
Reuß’ Editionen im Stroemfeld-Verlag sind Faksimile-Editionen, d.h. solche, die das Manuskript und auf der gegenüberliegenden Seite einen Transkriptionsvorschlag zeigen. Damit hat Reuß methodisch die Editionsphilologie vorangebracht; mit seinem streitfreudigen Eintreten für diese Form der Edition und gegen alle anderen aber auch seinen wissenschaftlichen Solipismus gezeigt. Reuß ist einer, der nicht gern auf andere Meinungen hört, aber immerzu von andern fordert, sie möchten auf ihn hören.
David gegen Goliath: Reuß gegen DFG, WR und KMK
Ich verneige mich vor der Chuzpe, mit der Reuß sich zum Underdog macht: er steht nämlich auf gegen Kultusministerkonferenz, Wissenschaftsrat UND Deutsche Forschungsgemeinschaft, die im Verein „partiell und mit Billigung der unkundigen und hilflosen Opfer“ diesen Open Access aufzwingen. David Reuß gegen Goliath Politik. Die DFG zum Beispiel gibt in ihren Richtlinien vor, zitiert Reuß, „dass die mit ihren Mitteln finanzierten Forschungsergebnisse publiziert und dabei möglichst auch digital veröffentlicht und für den entgeltfreien Zugriff im Internet verfügbar gemacht werden“. Ähnliches sieht Reuß (vermutlich) auch bei der KMK am Werk, und da die Unis aus Ländermitteln bezahlt werden, fürchtet er, dass Uniangehörige von ihrer Hochschule verpflichtet würden, ihre Forschungsergebnisse auf dem Hochschulserver abzulegen. Der Streit geht nicht darum, ob das stimmt (für die DFG kann das jeder auf deren Webseiten nachlesen), sondern wie das zu bewerten ist. Warum soll das schlecht sein? Sehen wir uns Reuß’ Gründe an.
Die finanziellen Gründe gegen Open Access nach Reuß -- und Kommentar
- OA setzt „leichtfertig“ die „bewährte Infrastruktur mittelständischer Wissenschaftsverlage“ auf Spiel.
- Verlage, die nicht mehr da sind, können dann auch nicht ihre wesentlichen Leistungen für die Wissenschaft erbringen.
Ad 1. Typographie
Dass das für ihn als typographischen Feinschmecker von Belang ist, muss man ihm nachsehen. Dass es aber nicht stimmt, sollte man schon mit in die Bewertung einbeziehen. Es stimmt beides nicht: OA ist nicht notwendig hässlich. (Belege kann man sich schenken, da Reuß Behauptung ohnehin nur Polemik ist.) Und Verlage erbringen nicht immer diese Leistungen. Ich rede nicht von Peter Lang oder VDM. Ich habe die Produktion von Dissertationen, Tagungsbänden und Professorenmonographien mitbekommen, und Veröffentlichungen bei den Verlagen Mohr Siebeck, Vandenhoeck und Ruprecht, Carl Winter, Neukirchener, Königshausen & Neumann, Niemeyer, de Gruyter. Die verlangten Druckkostenzuschüsse sind natürlich unterschiedlich hoch, bilden aber schon jeweils eine stolze Summe. Bei Niemeyer musste ich meinen eigenen Text komplett zum Satz vorbereiten. De Gruyter hat einem Autor eine Word-Dokumentvorlage gegeben; Mohr Siebeck eine Formatierungsvorschrift auf Papier. Beide haben das druckfertige Manuskript zum Abfotografieren (CRC-Verfahren) bekommen. Sammelbände werden in der Regel von den Hilfskräften der Herausgeber korrekturgelesen und oft auch gesetzt.
Ad 2. Durchsetzen
Von welchen Werken redet Reuß? Der Verdacht liegt nahe: von seinen eigenen Editionsvorhaben im Stroemfeld-Verlag, die ja in der Tat umstritten sind und für die der Verlag sicher Mut gebraucht hat. Aber sonst?
Ad 3. Qualitätsfilter vs. Wissenschaftsdarwinismus
Das Argument Qualitätsfilter bringt Reuß gerade im Zusammenhang mit Dissertationen: die „besseren“ lägen gedruckt vor, nur die „mittelmäßigen“ landeten auf dem Hochschulschriftenserver. Dazu ist verschiedenes anzumerken. Welcher Verlag sucht sich die Dissertationen selbst aus, die er druckt? In der Regel, bei den mittelständischen Verlagen, um die es geht, gibt es Reihen und Reihenherausgeber, das heißt Wissenschaftler. Die könnten diesen Dienst an der Wissenschaft natürlich auch bei OA-Publikationen erbringen. Da besteht kein notwendiger Zusammenhang. -- Glaube ich an den hier von Reuß vertretenen Wissenschaftsdarwinismus: Qualität wird gedruckt? Nein, ich halte das für eine zynische Sicht. Ich kenne einige bestens bewertete Dissertationen, die allein darum auf dem Hochschulschriftenserver landeten, weil die Autoren das Geld für Druckkostenzuschüsse nicht aufbringen wollten und nicht die Geduld hatten, auf die Entscheidung von VG Wort oder DFG oder Boehringer Ingelheim oder eine der anderen Fördereinrichtungen zu warten. Die Veröffentlichung auf dem Hochschulschriftenserver hingegen kostet den Verfasser in der Regel nichts.
- OA versteckt die „gesamtgesellschaftlichen Kosten“, die viel höher sind als angenommen. Beleg 1: Die Uni Yale hat die Unterstützung des OA-Verlags Biomed Central eingestellt, weil ihnen die Publikationskosten für die Autoren zu hoch sind. Beleg 2: OA basiert darauf, dass „öffentlich sichtbare Kosten (Zeitschriftenabonnements, Bücherkäufe, kurz: Außenweltbeziehungen)“ durch „unsichtbare (immanente, komplett durch Steuermittel beglichen) verwandelt“. Gemeint sind: „Server, Eingabegeräte, Bildschirme und tariflich bezahlte Angestellte“, die „laufend beträchtliche Gelder verschlingen“.
Reuß verweist hier auf eine in seiner eigenen Zeitschrift erschienenen Text vom nicht gerade als neutralen Beobachter ausgewiesenen Konstanzer Bibliothekar Uwe Jochum. Der ist, sagt Reuß, „den Dingen auf den Grund“ gegangen in einem Beitrag über Nationallizenzen, und hat „erstaunliches“ festgestellt. Was kann das sein, dieses Erstaunliche? Dass die Uni Yale ihren Angehörigen die Publikation beim OA-Verlag BioMed Central nicht mehr bezahlt, weil sie dafür im Jahr 2005 4648 Dollar, im Jahr 2007 aber schon 64.000 Dollar hätten zahlen müssen, was immerhin, weiß Reuß, „den Abonnementkosten von rund vierzehn biomedizinischen Fachzeitschriften entspricht“.
Was ich hier wiedergegeben habe, rundet sich nicht zum Argument, ganz egal, wie man es dreht und wendet. Hier fehlen z.B. die Zahlen, wieviele Yale-Autoren in den entsprechenden Jahren überhaupt bei Biomed Central veröffentlicht haben. Denn was bei Reuß aussieht wie „explodierende Kosten“, d.h. mehr Geld für gleichbleibende Leistung, ist in Wirklichkeit mehr Geld für mehr Leistung. Ohnehin lohnt ein Blick auf die Antwort von Biomed Central und der Vergleich mit den von anderen Verlagen erhobenen Gebüren.
Ohnehin verfehlt dieser Blick die „gesamtgesellschaftlichen Kosten“. Denn hier sollten nicht die Abonnementkosten einer Institution mit den Gebühren verglichen werden, die dieselbe Institution zahlt. Sondern die Gebühren dieser einen Institution und aller anderen müssen verrechnet werden mit den Abonnementkosten dieser Institution und aller anderen. OA heißt, dass es zugänglich für alle ist. Niemand zahlt mehr das Abo für BioMed Central.
Zum 2. Beleg: Versteckte Kosten
Ich muss gestehen, dass ich Reußens Argumentation da nicht ganz verstanden habe. Aber ich nehme an, dass er meint, OA koste dann zwar keine Abo-Gebühren mehr, aber dafür müssten die Institutionen, die sonst die Abos bezahlten, nun Geld für Hilfskräfte und Technik ausgeben, um den Internetzugang zu haben und um selbst als OA-Verlag (Hochschulschriftenserver) aufzutreten.
Hier nimmt Reuß das zentrale OA-Argument nicht zur Kenntnis: In der gegenwärtigen Publikationspraxis bezahlt die Gesellschaft die Forschung doppelt. Sie zahlt, wenn staatlich bestallte Wissenschaftler an staatlichen Unis und in staatlichen Forschungseinrichtungen in staatlichen Laboren und Büros Forschungsergebnisse produzieren, und sie zahlt dann noch einmal, um diese Forschungsergebnisse, die die Wissenschaftler in der Regel kostenfrei Verlagen überlassen (wenn sie nicht sogar für die Veröffentlichung bezahlen), in Form der in Verlagen produzierten Veröffentlichungen zurückzukaufen. Der Gedanke liegt doch auf der Hand, dass Geld gespart wird, wenn die Gesellschaft nur einmal zahlt und sich um die Veröffentlichung selbst kümmert!
Und auch sonst: Auf dem Hochschulschriftenserver der UB Erlangen-Nürnberg wurden 2007 165 Dissertationen veröffentlicht. Nehmen wir mal an, die wären alle gedruckt worden, mit einem Druckkostenzuschuss der Autoren, wie es üblich ist. Kalkulieren wir vorsichtig mit 500,- € pro Stück (4.000,- €, wie ich es von einigen der oben genannten Verlage schon gehört habe). Dann hat die Veröffentlichung auf dem Schriftenserver 82.500,- € gespart: nicht der Uni, aber der „Gesamtgesellschaft“. Demgegenüber stehen die Ausgaben für den Betrieb des Servers und der Diplomkraft, die die Autoren mit einem Teil ihrer Arbeitszeit betreut. Es ist leicht auszubuchstabieren, was billiger ist für die Gesellschaft!
(Update 19.2.) Antwort von Gudrun Gersmann auf Reuß' Artikel in der FAZ, zu lesen bei Archivalia.
(Update 18.8.09) Gerade entdeckt, dass es einen "Infobrief" über "Das für und Wider der urheberrechtlichen Diskussion im Zusammenhang mit dem Heidelberger Appell" des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages gibt, den Roger Cloes und Christopher Schappert verfassten. Hier das pdf: http://www.bundestag.de/dokumente/analysen/2009/heidelbergerappell.pdf. Wer bis zum Literaturverzeichnis liest, wird feststellen können, dass dort dieser Eintrag und Teil 2 zusammen 4 mal angeführt werden -- allerdings unter dem Namen von "Gudrun Gersmann"! Warum nur? Ist doch nicht so, dass ich meinen eigenen Namen versteckt hätte?
Ein sehr schöner Artikel, wirklich sehr schön. Schade, dass sowas nicht als Erwiderung in der FAZ steht? Schon mal eine Anfrage getätigt?
AntwortenLöschenOb es allerdings wirklich Chuzpe war, die DFG derart frontal anzugehen? Ich würde das eher unter kindisches Ressentiment gegenüber der DFG verbuchen. Riskieren tut er damit sicherlich nichts mehr.
Und prätentiös ist diese Polemik auch allemal. Vor allem diese Selbststilsierung zum "Niemand" ist putzig. Genauso wie das affige Kursivsetzen von "Server". Erinnert mich sehr an die düstere Kulturkritik, die Hr. Jochum gerne in seinen Seminaren und Büchern verbreitet (natürlich genießt er alle Konstanzer Annehmlichkeiten). Jochum und jetzt auch Reuß - das ist der lahme Aufstand einer verbiederten Manufactum-Generation, die sich in ihrer wohligen Alststadt-Ruhe gestört fühlt :-)
Dabei kann man sich wahrlich streiten, ob die aktuelle Ausgestaltung von OA und der ganzen Infrastruktur so sinnvoll ist ... .
Zu Ihrem letzten Argument des angeblichen "doppelten" Bezahlens des Staates für wissenschaftliche Publikationen: Fakt ist aber doch wohl, dass alleine in Deutschland zehntausende von Menschen in Wissenschaftsverlagen arbeiten, die der Staat NICHT bezahlt. Diese Menschen beschäftigen sich in irgendeiner Form mit wissenschaftlichem Publizierem. Geht Ihre Theorie davon aus, dass diese Menschen allesamt sinnlose und überflüssige Arbeit leisten? Wird deren Arbeit von Universitätsmitarbeitern a) überhaupt b) besser und/oder c) effizienter (d.h. zu einem besseren Preis-Leistungsverhältnis) erbracht? Ich bezweifle das.
AntwortenLöschen"Zehntausende"? In Wissenschaftsverlagen allgemein in Deutschland? Wie kommen Sie denn auf diese Zahl? Das ist ein sehr dünnes Brett.
AntwortenLöschenUnd zum zweiten Argument: Vielleicht fragen Sie sich mal, mit welchen Geldern sich diese Verlage finanzieren? Wer produziert denn Wissenschaft? Und wer kauft das? Und wer bezahlt die, die produzieren und kaufen? Genau, der Staat.
Und zum dritten Argument? Welche Arbeit machen denn diese "Zehntausende"? Ausdrucken, binden, verkaufen (Buchhaltung). Wenn überhaupt. Lektorart? Satz? Betreuung? Ha ha ha.
Sicher, wenn Mitarbeiter entlassen werden ist das immer schade. Aber wenn sich meine UB immer weniger Zeitschriften oder aktuelle Monohgraphien leisten kann, weil in der ach so wertvollen Verlagslandschaft massiv Gelder versickern, dann ist etwas ganz faul. Wenn meine Uni bei wiss. Projekten Gelder für Druckkostenzuschüsse bereitstellen muss, die einen Wissenschafler (halbe BAT II-Stelle zb) ein Jahr finanzieren können, dann ist was oberfaul! Dann verzichte ich lieber auf ein paar Verlagsmitarbeiter. Und mache dafür mehr Wissenschaft!
Danke für den starken Teil 1! Bitte bald einen ebenso starken Teil 2!
AntwortenLöschenOA Publikationen benötigen natürlich auch eine Infratruktur. Diese kann von Unis zu Verfügung gestellt werden, oder eben von "kleinen privaten Firmen" wie mittelständigen Verlagen. Es pricht NICHTS dagegen das unsere Verlage eine OA Option anbieten. Tun auch einige. Das diese also alle bankrott gehen müssen ist einfach nicht gegeben.
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