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17 Juni 2008

Entscheiden bei Nichtwissen

Heute habe ich hier bei Ludmila Carone eine interessante Diskussion über Fahrradhelme gelesen. Carone bringt ein paar Studien bei darüber, ob es sicherer ist, einen Fahrradhelm zu tragen, als nicht. Alle Studien bis auf eine bejahen das, und an der einen, die meint, es sei nicht sicherer, erheben sich starke methodische Zweifel. Interessanterweise gibt es aber in den Kommentaren den einen oder anderen Vertreter eines Fahrens ohne Helm, und diese versuchen mit allerhand argumentatorischen Winkelzügen der eigentlich überzeugenden Argumentation zu entkommen. Dabei kann man, auch wenn man Zweifel an den Studien hätte, trotzdem nur zu dem Ergebnis kommen, dass man einen Helm tragen sollte. Denn wenn eine Studie sagt: Trag einen Helm, das ist sicherer, und die andere sagt: du brauchst keinen Helm zu tragen, das ist genauso sicher, und man außerdem keine Ahnung hat, wer recht hat, sollte man die Lösung wählen, die einen nicht schlechter stellt, egal welche Meinung recht hat, aber besser, wenn eine bestimmte von beiden richtig ist.
Diese Überlegung ging mir zum ersten Mal auf anhand des sogenannten Ziegenproblems oder Monty Hall-Problems, dem ich in den 90ern zuerst begegnet bin. Bekanntermaßen geht das so: Man ist Teilnehmer einer Quizshow. Am Ende werden die Preise vergeben. Der Moderator führt einen vor 3 geschlossene Türen und gibt folgende Informationen: "Hinter einer der drei Türen ist ein Preis, hinter den anderen beiden stehen Ziegen. Suchen sie sich eine Tür aus!"
Man sucht sich eine aus. Dann öffnet der Moderator eine der beiden anderen Türen und zeigt einem die Ziege dahinter. Er sagt: "Jetzt, wo Sie gesehen haben, dass hier eine Ziege ist: möchten Sie vielleicht Ihre Wahl noch einmal überdenken und die Tür wechseln?"
Frage: Sollte man die andere Tür wählen? Mathematisch korrekte Antwort: Ja, man sollte; das erhöht die Wahrscheinlichkeit, den Preis zu erwischen, von 1/3 auf 2/3. Aber schon bei Vorstellung des Problems und der Lösung in einer amerikanischen Zeitungskolumne 1990 hagelte es Zuschriften auch von mathematischen Experten, die darauf beharrten, dass sich die Chancen nicht 'veränderten' und das daher die Wahrscheinlichkeit, den Gewinn zu bekommen beim Türwcheseln, bei 1/2 liegen müsse. Daher solle man nicht wechseln.
Klarerweise ist die Folgerung "daher solle man nicht wechseln" falsch: hätten die Recht, wäre es egal, ob man wechselt. Also haben wir einen Lösungsweg, der Wechseln empfiehlt, und einen, der sagt, dass es egal ist. Also kommen wir zu folgender Metastrategie: Wenn ich keine Ahnung habe, muss ich mich für das Wechseln entscheiden, weil ich dadurch meine Chancen nicht verschlechtern kann, möglicherweise aber verbessern.
Mit den Fahrradhelmen scheint es mir genauso zu sein.
Übrigens ist das keine Strategie für mich: ich halte Fahrradhelme ohnehin für sicherer. Es ist eine Argumentationsstrategie für bzw. gegen die Leute, die den Schritt von "ist egal" zu "also sollte ich bei meiner Praxis bleiben" machen.

6 Kommentare:

  1. Anonym19/2/09

    Sollte man daher nicht auch "Becel" essen, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, länger zu leben - vorausgesetzt man möchte letzteres?

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  2. Das hängt ein bisschen davon ab, wie man den Gewinn einschätzt, und natürlich die Glaubwürdigkeit der Leute, die einem Gründe für dies oder das geben. Nun habe ich den Eindruck, dass die Leute, die den Verzehr von Becel empfehlen, im Wesentlichen die Leute sind, die Becel verkaufen. Im Unterschied zu den Leuten, die das Tragen von Fahrradhelmen empfehlen: die verdienen meist nix dran.

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  3. Anonym20/2/09

    Aber angenommen, Becel wirkt lebensverlängernd, dann wäre es doch angebracht Becel zu essen, wenn man die Wahrscheinlichkeit erhöhen möchte, länger zu leben - genauso wie bei den Fahrradhelmen.

    Nun, man sollte allerdings auch vorsichtig sein mit Leuten, die Fahrradhelme empfehlen. Denn es ist nicht ohne weiteres gesagt, dass sie nichts an der Empfehlung verdienten. Außerdem ist Fahrradhelm nicht gleich Fahrradhelm.

    Aber ich denke, dass der Punkt, den ich angesprochen habe, schon greift. Denn tatsächlich scheint es doch so zu sein, dass bestimmte Konsumartikel gesundheitsförderlich wirken oder sind und dadurch, wenn man an die Konsequenzen denkt, lebensverlängernd oder, was die (vermeinte, wenn es so etwas gibt) Lebensqualität angeht, positiv wirken. (Nicht ohne Grund werden bei uns immer mehr Leuten immer älter.)
    Aber dennoch bin ich nicht geneigt - ein langes Leben anstrebend - all die Produkte zu konsumieren, von denen man annimmt, sie seien gesundheitsförderlich und damit lebensverlängernd.

    Aber offensichtlich scheint das auch ein Informationsproblem, wenn nicht letztlich ein erkenntnistheoretisches Problem, zu sein.

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  4. Anonym20/2/09

    "Aber angenommen" soll natürlich zur Rettung meines Einwandes nicht bedeuten, dass das eine Art Wissen darstellen soll.

    Leider kann ich mich auch nicht auf Studien beziehen, sondern nur auf solche Meinungen, die z. B. besagen, dass Olivenöl gesund ist.

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  5. Ich hatte zwei Punkte:
    - die Glaubwürdigkeit der Aussage, dass dies oder das eine positive Wirkung hat
    - der erwartete Gewinn dieser positiven Wirkung

    Also angenommen, alle sind sich darin einig, dass Becel länger leben lässt: um wieviel länger? Im Vergleich zu was? Könnte man nicht dieselbe Wirkung erzielen, indem man nur fest an die gute Wirkung glaubt (Placeboeffekt)? Bei Fahrradhelmen ist der Placeboeffekt nicht möglich...

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  6. Anonym23/2/09

    Beim letzteren wäre ich mir aber nicht so sicher - bei `made in sonstwo´...

    Ich glaube dennoch, dass Becel mit Fahrradhelmen verglichen werden kann und dass die konsumkritische Verallgemeinerung der beiden Fälle trägt.

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