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20 September 2005

Hat die marxistische Ethik heute noch etwas zu sagen?

Wer hätte gedacht, dass noch Bücher zur Marxistischen Ethik erscheinen? Ohne die genauer zu kennen, gehen bei mir schon ein paar Schubladen auf: Objektivistische (=kognitivistische) Theorie, utilitaristisch, von der marxistischen Orthodoxie verdorben.
Das letztere kann vermutlich von neueren Veröffentlichungen nicht mehr gesagt werden, zumal, wenn sie gleich vom Klassenfeind verfasst werden. Mir liegt jedenfalls gerade Marxist Ethics : a short exposition (da beim Verlag International Publishers keine Produktseite vorliegt, hier der Link auf eine Buchhandelsseite) von Willis H. Truitt vor. Der ist seit 1968 Professor an der University of South Florida in Tampa, kein Arbeiter der Faust also. Ich habe beim Reinblättern schon etwas Wesentliches darüber gelernt, was marxistische Ethik sein könnte. Truitt wirft nämlich Robert Nozick als typischem Vertreter akademischer Moralphilosophie vor, seine Ethik beschäftige sich im wesentlichen mit Rechten, nicht mit Bedürfnissen. Sie sei darum dazu angetan, den Status quo zu erhalten: eine Ethik der Reichen. Ein harter Vorwurf; dem man am besten begegnet, indem man klärt, wie sich denn das moralische Handeln des Einzelnen zur Gesellschaft verhält. Andernfalls läuft man Gefahr, im universellen "Denke daran, dass du Schuld bist an allem Entsetzlichen, was fern von dir passiert" unterzugehen.
Zur Praxis marxistischer Ethik eine kleine Erinnerung: Anfang der neunziger Jahre habe ich in Göttingen studiert. Nach dem Fall der Mauer waren viele Bücher aus der DDR auf dem Antiquariatsmarkt gelandet; ein typisches Angebot waren die Stände vor dem Eingang zur Mensa und zum zentralen Hörsaalgebäude. Dort fand ich auch eines Tages eine "Marxistische Ethik", die in der DDR verfasst und gedruckt worden war. Ein Stempel drinnen zeigte, dass es sich um ehemaligen Bestand aus der Grenztruppenbücherei der NVA handelte, den Ort habe ich vergessen. Schön, dass die Truppen sich (überhaupt!) mit Ethik beschäftigt haben. Bedeutet das nicht ein gewisses Niveau ihres moralischen Standpunkts -- unbedingt nötig angesichts ihrer moralisch schwierigen Tätigkeit des Bewachsens der deutsch-deutschen Grenze? Es war ein Leihzettel hineingeklebt, in den die Ausleihen eingestempelt werden sollten. Das Buch war kein einziges Mal ausgeliehen worden.

Zur philosophischen Herausforderung des Marxismus vgl. auch H. B. Acton, The Illusion of the Epoch, in der schönen Online Library of Liberty.

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