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30 September 2005

Die ganze Philosophie in einem Band?

Für mich als Fachphilosophen ist eher die interessante Frage, ob der Brockhaus Philosophie den anderen einbändigen Nachschlagewerken Konkurrenz machen kann. Dabei muss man sich im klaren sein, dass er eine andere Zielgruppe hat: er richtet sich eher an den gebildeten Laien, und er ist kein reines Sach- sondern ein kombiniertes Sach- und Personenlexikon. Über die reine alphabetische Ordnung hinaus bietet er „Infokästen“ zu „Hauptwerken“, und zwölf „doppelseitige, reich illustrierte Sonderartikel“ zu „brisanten Themen der Philosophie.

Was ist brisant? Dass man zu Bioethik Streitbares sagen könnte, ist klar, aber zum „linguistic turn“, zum „Philosophieren“, zum „Wissen“? Der Artikel zum Wissen, illustriert mit zwei Bildern aus einem Labor (schwarzweiß, ein Foto, ein Stich) und dem bekannten Bild vom Kopf aus der Welthalbkugel in den Sternenhimmel), deren Nutzen nicht ersichtlich ist, beschäftigt sich nach einem Verweis auf Sokrates’ „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ –– die pseudogelehrte Fassung des Brockhaus „Eins weiß ich, dass ich nichts weiß“ möchte man gleich ins Arno Schmidtsche übersetzen: „1 weiß ich“ -- tatsächlich mit der aktuellen Frage, unter welchen Bedingungen man von Wissen sprechen darf. Es kommen sogar Gettier-Fälle, wenn auch nicht als solche kenntlich gemacht, vor: also ein Teil der (nicht mehr ganz aktuellen) Diskussion. Bedauerlicherweise endet der Artikel mit der Feststellung, Wissen sei „eine Haltung zur Welt, ein Modus des Für-wahr-Haltens -- und der Inbegriff der Erkenntnis überhaupt“. Damit ist zu wenig gesagt, und auch das Falsche, denn der Begriff unterscheidet sich ja gerade vom Für-wahr-Halten, doch worin?

Es gibt leider keinen Artikel zum Kontextualismus, der einem vielleicht beim Thema Wissen einfällt, es gibt keinen Artikel zum „Kognitivismus“ als Teilgebiet der Ethik, obwohl im Artikel zu MacIntyre von ihm die Rede ist. Die letztere Beobachtung lässt sich verallgemeinern: viele Artikel verwenden Begriffe, die man ihrerseits gern erläutert sähe, nach denen man aber vergeblich sucht. Damit ist das Lexikon nicht sehr geeignet für den philosophischen Laien. In der Tiefe und Genauigkeit der Artikel aber ist es anderen, z.B. meinem Favoriten unter den deutschsprachigen einbändigen Philosophielexika, dem Metzler Philosophie Lexikon, deutlich unterlegen. Die Infokästen sind meist Schnickschnack, die Illustrationen schön bunt, aber nichtssagend -- sehen Sie sich nur mal an, wie „Macht“ illustriert ist. Und muss man „Humanismus“ mit da Vincis Proportionenstudie bebildern?

Ein letztes, auch beim Blättern gefunden: Zum Internalismus gibts einen Infokasten mit dem Gedankenexperiment vom Gehirn im Tank -- einem meiner Lieblingsthemen. Es steht dazu darin, dass Hilary Putnam mit diesem Experiment „den radikalen Externalismus ad absurdum zu führen“ versuchte. In einer Quizshow wäre Brockhaus damit ausgeschieden: denn Putnam versucht mit dem Gedankenexperiment den semantischen -- was „radikaler E.“ ist, kann Brockhaus auch nicht beantworten -- Externalismus (The meaning just ain’t in the head) gerade plausibel zu machen!

PS Auf der Umschlagseite wird eine "ständig aktualisierte Liste mit den wichtigsten Internetlinks" versprochen. Die Liste ist nicht nur nicht besonders gut, es stimmt nicht einmal die auf dem Umschlag angegebene URL -- dass so ein renommierter Verlag keine anständige Weiterleitung hinbekommt, ist schon bedauerlich.

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