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04 Mai 2006

Der gegenwärtige König von Frankreich

hat vielleicht eine Glatze. 1905 erschien zum ersten Mal Russells On denoting (hier online); in den letzten hundert Jahren ist einiges an Diskussion darüber zustande gekommen. Die Titelformulierung dieses Posts -- für alle, die nicht so gut bei den Analytikern zu Hause sind -- ist ein Beispielsatz von Russell, um die Schwierigkeit zu illustrieren, die sich ergibt, wenn man von einer zweiwertigen Logik ausgeht bei der Zuschreibung von Wahrheitswerten zu Propositionen, äh, bei der Frage, ob ein Satz wahr oder falsch ist. Analytische Philosophen, wie der Name schon sagt, pflegen solchen Schwierigkeiten durch eine logische Bedeutungsanalyse zu begegnen. Ist der Satz falsch? Impliziert die Verneinung nicht auch, dass es jetzt einen König in Frankreich gibt?
Das ist vielleicht die geringste der Fragen, die Russell aufgeworfen hat. In aller Ausführlichkeit kann man die 100 Jahre Rezeptionsgeschichte bzw. die Fruchtbarkeit von Russells Fragestellung nun im Sammelband On denoting 1905-2005, hg. von Bernard Linsky und Guido Imaguire nachlesen (Philosophia Verlag München, 2005).

Im Vorwort (S. 11) wird ein "apocryphal tale" mitgeteilt, das in "certain German academic circles" kursiere und das ich hier übersetzt wiedergebe, weil ich herzlich drüber gelacht habe:
Ein Student, der kein großes Interesse an analytischer Philosophie besaß, musste doch zugeben, dass er ein paar nützliche Fakten gelernt habe: dass der Morgenstern der Abendstern sei, dass alle Schwäne weiß seien und dass "Schnee ist weiß" wahr sei genau dann, wenn Schee weiß sei; aber bisher habe er nicht begriffen, ob der König von Frankreich nun eine Glatze habe oder nicht. Immerhin müsse aber der König, um den es hier geht, jetzt über 100 Jahre alt sein, so dass man wohl jetzt getrost annehmen dürfe, falls er mal welche gehabt habe, seien ihm die Haare längst ausgegangen!


Update 8.5.: Auch die Zeitschrift Mind feiert den 100. Geburtstag von On denoting, und zwar mit einem Sonderheft -- Nr. 456, erschienen Oktober 2005, darin z.B. ein Aufsatz von David Kaplan, "Reading On Denoting on its centenary".

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