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11 September 2006

Für Freunde der Physiognomik

bedarf es strenger Regeln: So beginnt Johann Caspar Lavater, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hoffte, die Kunst, den Charakter aus dem Aussehen herauszulesen, auf eine festere Grundlage zu stellen, mit dem Hinweis, man möge seine Regeln "als Weise" brauchen und nicht "wie es nur Unweisen möglich ist". Bin gerade über eine kleine Broschüre von 1802 gestolpert, die in Leipzig bei Friedrich Gotthold Jacobäer erschien und heißt J. C. Lavaters vermischte physiognomische Regeln : ein Manuscript für Freunde.
"An Freunde" richtet Lavater bereits auf dem Titelblatt den zitierten Rat. Schon eine lustige Denkfigur, mit wenig Aussicht auf Erfolg: Lieber Dummkopf, handle klug! Und der Schaden kann groß sein für diejenigen, die sich mit unvorteilhaftem Aussehen herumschlagen müssen und von ihren eifrig physiognomierenden Mitmenschen dann misstrauisch betrachtet werden. Vielleicht eine ähnliche Problematik wie heute die Gendiagnose... Keine Stellung mehr für Leute, deren Aussehen ihnen einen schlechten Charakter bescheinigt usf.
Kleines Beispiel gefällig aus dem Kapitel über Nasen? (S. 32f)
§40
Nasen ohn' allen auffallenden Character, ohne Nuances, ohne Beugung, ohne Undulation, ohne einige angebliche Bezeichnung, können zwar bey vernüftigen, guten, allenfalls auch edlen Characteren gefunden werden, nie bey großen und vorzüglichen.
§41
Nasen, an beyden Seiten mit vielen Einschnitten, die bey der geringsten Bewegung sichtbarer werden, und bey der völligsten Ruhe nicht ganz unsichtbar sind, sind ein Zeichen eines schwerfälligen, drückenden, oft hypochondrischen, oft boshaftschalkhaften Sinnes.
§42
Nasen die sich leicht und alle Augenblicke rümpfen, sind so wenig an ächtguten Menschen, als Nasen, die sich kaum rümpfen könnten, wenn sie auch wollten, an erzbösen Menschen zu finden sein werden. -- Wenn die Nasen, die sich nicht nur leicht rümpfen, sondern schon eingebrabne Rümpfe haben, an guten Menschen gefunden werden, so sind diese gutgesinnte Menschen -- Halbnarren.
"Das Wenigste davon ist für alle; es sind größtentheils Geheimregeln", schrieb Lavater, zeitlebens mit der Veröffentlichung solcher Geheimregeln beschäftigt und sicher auch seinen Erfolg genießend.
Georg Christoph Lichtenberg, der Göttinger Physiker, Astronom (ein Mondkrater ist nach ihm benannt), Hypochonder und Philosoph, bekanntermaßen ein bucklichter Zwerg, wandte sich scharf gegen die physiognomischen Ideen des Schweizer Zeitgenossen. Lichtenberg tat dies mal polemisch, mal satirisch; für letzteres das schönste Beispiel ist sein "Fragment von Schwänzen", wo er vorgibt, die Schattenrisse von Schweineschwänzen und Studentenzöpfen physiognomisch zu deuten (hier online!).

2 Kommentare:

  1. Sie lachen. Noch in den Neunziegern gab es da einen neuen Hype. Da waren Experten bei Schreinemakers, die dem Publikum erzählten, wie man Verbrecher an der Ohrform erkennt. Noch in den Neunzigern wurden diese Leute als Sachverständige in Gerichten angehört! Leute wurden auf ihren Rat hin verurteilt!
    Und ich sage Ihnen, da kann jederzeit wieder einer kommen und ein neues Buch schreiben, und die Bildleser werden ihre Nachbarn genauer angucken und der Herr Schäuble wird sich freuen und die allgemeinen Biometriedaten des geborenen Terroristen in die Kameras einspeisen.

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  2. Der Schäuble ist, vom Aussehen her, auch ein Lichtenberg...

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