Ein bisschen erstaunt mich schon der fordernde Ton des Artikels: Die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften brauchen auch einen Nobelpreis -- her damit!
Warum brauchen wir auch einen Nobelpreis?
a) Von der Pfordten meint, "dass die selektive Vergabe des Preises viele wissenschaftliche Fächer benachteiligt". Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Verständnis von "Benachteiligung" mit dieser These nicht vereinbar ist. Ist jemand benachteiligt, der nicht Lotto spielt, weil er keine Möglichkeit hat, im Lotto zu gewinnen? Es ist richtig, dass diese Analogie nicht perfekt ist, weil Geisteswissenschaftler nicht einfach mitspielen könnten, wenn sie wollten. Aber sie zeigt doch, dass die Art und Weise, wie materielle Güter verteilt werden, mit dazu beiträgt, etwas als "gerechtfertigt" anzusehen. Ist es ungerecht, dass die Naturwissenschaften einen Nobelpreis haben und wir nicht?
b) Von der Pfordten meint, dass die Leistungen mancher Geistes- und Gesellschaftswissenschaftler der Menschheit ebenso nützlich oder nützlicher waren als diejenigen der offiziellen Preisträger: "vorausgesetzt, man verkürzt Nützlichkeit nicht auf naturwissenschaftlich-technische Entdeckungen". Das zielt auf die ursprüngliche Definition der Preiswürdigkeit; von der Pfordten meint, dass mit der Beschränkung auf Chemie, Medizin, Physik, Literatur und Frieden (sowie Wirtschaft, für die das Geld aber nicht aus Schweden kommt) den Geisteswissenschaften "implizit" eine "vergleichbare gesellschaftliche Nützlichkeit abgesprochen wird", weil die Schwedische Akademie sie nicht berücksichtigt. "Auf diese Weise schafft der Nobelpreis eine globale Zweiklassengesellschaft der Wissenschaften und Wissenschaftler." Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind so etwas wie die dritte Welt im Reich der Wissenschaften?
c) Schließlich meint von der Pfordten, dass zwar Nobel den Preis gestiftet habe, der Rang des Preises stamme aber aus der Expertise der Schwedischen Akademie und der globalen Aufmerksamkeit. Daher könne man nicht mehr sagen, dass der Fächerkanon Nobels Privatsache sei.
Die Reputation des Preises ist zum symbolischen Gemeingut der gesamten Menschheit geworden. Dann erscheint es aber geboten, die Stifterentscheidung zu ergänzen und die wissenschaftlichen Fächer gleich zu behandeln.Symbolisches Gemeingut! In diesem Sinne scheint mir auch die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika symbolisches Gemeingut der ganzen Welt zu sein; es wäre nur gerecht, wenn wir sie alle mitwählten, schließlich sind wir ja auch alle von ihren Entscheidungen betroffen.
Nein, mal ernsthaft. Von der Pfordten möchte, dass bestimmte Fächer gesellschaftlich aufgewertet werden. (Die Reputation von Personen ist kaum zu verbessern; Popper oder Rawls, die von der Pfordten nennt, brauchen keinen Nobelpreis. Aber wer im letzten Jahr den Physik-Nobelpreis bekommen hat, das weiß ich heute nicht mehr.) Doch scheint mir, dass der Einfluss von Geisteswissenschaften auf die gesellschaftlichen Diskurse nicht geringer sein dürfte als der von Naturwissenschaftlern.
Brauchen die Geistes- und Sozialwissenschaften also eine Aufwertung? Ja, trotzdem, möchte man sagen. Aber die sollte nicht oben ansetzen, beim bekanntesten Wissenschaftspreis. Sondern unten, bei dem Gewicht, dass ihnen in der Forschungsförderung eingeräumt wird. Und der selbstgestellte Anspruch auf Preiswürdigkeit sollte sich bei den Geisteswissenschaften auch niederschlagen a) in besserem Marketing ihrer Erkenntnisse, b) in der Herstellung von Vergleichbarkeit. Exzellenzpreise brauchen auch einen Maßstab, an dem sich Exzellenz messen lässt.
Applaus!
AntwortenLöschenUnd damit definieren Sie das allgemeine Problem der Geisteswissenschaft in der heutigen Zeit: "Vergleichbarkeit". Denn unsere Zeit ist geprägt von der Statistik, der nominellen Wertschöpfung, der Skalierbarkeit der Ergebnisse, der Quantifizierbarkeit der Erkenntnisse, des "Rankings" und der Messbarkeit schlechthin, derer die Geisteswissenschaft unfähig gerecht zu werden.
Und all die neueren Forderungen der Wirtschaft und der Politik, die heute an die Universität herangetragen werden, bauen auf eben diesem Paradigma auf. M.E. würde dies den Tod der Geisteswissenschaft bedeuten.
Sicher, natürlich haben Denker die Welt nachhaltig verändert, ja auch sogar signifikant verändert. Aber wir sind doch gerade erst dabei zu verstehen, wie das Denken Descartes vor vielen hundert Jahren das Weltbild umkrempelt hat, wie nach Kant die Politik sich veränderte, wie die Psychoanalyse bisher unbekannte Räume erschlossen hat, etc.
Die Erfüllung dieser Forderung nach "Vergleichbarkeit", würde die Geisteswissenschaft also erst nach frühestens hundert Jahren der Sekundärforschung erfüllen können.
Mein Vorschlag für die erste Nominierung wäre somit Leibniz, und Ihrer?