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20 Oktober 2005

Wenn ein Katholik evangelischen Studenten das Theologie-Examen abnimmt

... dann ist das schon ein starkes Stück, und wirft eine Reihe von auch philosophischen Fragen auf.
Seit zig Jahren ist Klaus Berger Professor für Neues Testament an der Fakultät für evangelische Theologie in Heidelberg. Heute berichtet die ZEIT (nicht online, aber Referat bei Spiegel online), dass der fleißige Professor -- jedes Jahr ein neues Buch --, von dem man wusste, dass er früher katholisch war, nie aus der katholischen Kirche ausgetreten ist. Berger will, zitiert der Spiegel, keinen Betrug begangen und nichts verheimlicht haben. Was das gehen soll, ist allerdings unklar, denn die Angaben widersprechen sich: a) wisse die evangelische Fakultät in Heidelberg seit 30 Jahren Bescheid, b) habe ihn in Heidelberg nie jemand nach seiner Konfession gefragt. Was denn nun?
Die ZEIT schreibt, Berger habe, fragte man ihn nach seiner Konfessionszugehörigkeit, stets seinen Gehaltsbescheid gezeigt, der evangelische Kirchensteuer ausweise. Im Spiegel wird er nun zitiert mit der Behauptung, er sei "juristisch Mitglied der evangelischen Kirche", weil er Kirchensteuer zahle und getauft sei. Das ist nicht recht nachvollziehbar. Sicher will Berger nicht damit sagen, dass er evangelisch getauft ist; vielmehr verhält es sich so, dass die Taufe von beiden Konfessionen anerkannt wird. Wie verhält es sich mit der Kirchensteuer? Kann man sich einfach aussuchen, an wen man Kirchensteuer zahlt? Oder ist es nicht vielmehr so, dass man Kirchensteuer zahlt, weil man ein Formular ausgefüllt hat und das Kästchen "evangelisch" angekreuzt hat, und schließlich unterschrieb, dass man die Angaben alle nach bestem Wissen wahrheitsgemäß gemacht hat? Es bleibt in jedem Fall nur der Schluss, dass ein Katholik, der evangelische Kirchensteuer zahlt, damit er die Möglichkeit hat, die Frage nach seiner Konfession mit Verweis auf diese Zahlung zu beantworten, lügt. Eine Lüge ist eine Form kommunikativen Handelns, und wie jede kommunikative Handlung braucht sie nicht in Gestalt von Worten daher zu kommen. Dass Berger nun behauptet, er habe nie gelogen, ist eine weitere Lüge: denn er ist nicht dumm und ungebildet genug, um nicht zu wissen, was er tat.
Dass er jetzt bzw. seit kurzem -- im Netz findet man einen Artikel im Sonntagsblatt Bayern vom 9.10., in dem auch schon steht, dass Berger "nie aus der katholischen Kirche ausgetreten" sei -- nicht bestreitet, katholisch zu sein, wenn er darauf angesprochen wird, verändert nicht, wie sein Verhalten seit dreißig Jahren zu beurteilen ist. Berger habe das "Geheimnis" selbst lüften wollen, bevor er emeritiert werde: wenn es ein Geheimnis war, hat es wohl nicht jeder gewusst.


Was für einen Grund hatte Berger für sein Manöver überhaupt? Berger habe, so gibt ihn der Spiegel wieder, in jungen Jahren eine von der katholischen Lehrmeinung abweichende Meinung gehabt, so dass er nicht katholischer Theologieprofessor werden konnte. Dazu: Berger hat die Meinung gehabt, steht dort, nicht, dass er sie vertreten habe. Wenn er im stillen Kämmerlein eine andere Meinung hat als die offizielle Kirche, wieso sollte ihn das hindern, nach einem katholischen Amt zu streben? Ich kann mir nur zwei Gründe vorstellen: a) er fürchtete, dass seine abweichende Meinung einmal herauskäme, b) er wollte die katholische Kirche nicht über seine Meinungen täuschen. Im Fall a) fragt man sich, ob das so schlimm wäre oder wirklich nicht zu vermeiden, bei b), die weitaus spannendere Frage, ob es wirklich dem Gewissen konform sein kann, die eigene Kirche nicht zu täuschen, aber die andere.
Beide Gründe scheinen mir recht schwach; ich vermute, dass Berger die fragliche Meinung schon öffentlich gemacht hatte, so dass ihn die Katholiken nicht eingestellt hätten.

Die These, dass nach dem Scheitern der Hoffnung auf ein katholisches Lehramt nur noch ein evangelisches übriggeblieben sei, dass er also, übertrieben ausgedrückt, zur Wahrung seiner Berufsschancen zum Betrug verpflichtet gewesen sei, scheint mir ebenfalls fragwürdig.

Ein paar weitere Fragen sind offen. Wie ist es zu beurteilen, wenn die katholische Kirche von diesem Betrug gewusst hat? Laut Zeit und Spiegel habe Berger von seinem katholischen Beichtvater seinerzeit die Erlaubnis bekommen, evangelische Kirchensteuer zu zahlen. Das habe damals sogar Ratzinger gewusst und gutgeheißen! Mit anderen Worten: die katholische Kirche hat keine (moralischen) Einwände, die evangelische zu täuschen. Was von Berger als Entschuldigung, vielleicht auch als dogmatische Rechtfertigung, gedacht war: die Oberen haben es gewusst, ist vor allem eine Ausweitung der Verantwortlichkeit. Vertrauen zwischen den Konfessionen stiftet es nicht.

Und was ist mit den Studierenden, die Berger in evangelischer Theologie unterrichtet hat? Er hat sogar (evanglische) kirchliche Examina abgenommen. Sind die jetzt alle ungültig? Die Meinung von jemandem, der sich als katholisch begreift, wird kaum der evangelischen Lehrmeinung entsprechen. Auf der anderen Seite hat Berger ja publiziert, so dass seine Meinungen bekannt waren; man wird darum, denke ich, seine Lehrkompetenz nicht infragestellen können oder hätte dies früher machen müssen.

Nachtrag [21.10.] Bisschen im Web umgesehen. Tatsächlich habe ich einen Artikel in der Münchner Kirchenzeitung gefunden, der zwar nicht mit Datum versehen ist, in dem Berger aber als 62 Jahre alt angegeben wird, der also von 2003 stammt. Auch hier sagt Berger schon, dass er katholisch ist. Wie geheim ist das Geheimnis?

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