12 Dezember 2008
Philosophie in Deutschland seit 1945
Norbert Kapferer, verdienter Philosophiehistoriker der jüngeren Geschichte, hat den ersten Band einer Philosophiegeschichte Deutschlands zwischen 1945 und 1995 vorgelegt, erschienen bei Kovac in Hamburg. Kapferer legt besonderes Augenmerk auf die wechselhaften Einflüsse der beiden Deutschlands aufeinander in der Zeit.
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20. Jahrhundert,
Deutschland,
Nachkriegszeit
Philosophie und Science Fiction
Dass man Science-Fiction-Filme und -Bücher im Philosophie-Unterricht einsetzen kann und dass manche philosophisch interessante Gedankenexperimente ausmalen, war hier schon öfter Gegenstand. Nun liegt ein Buch vor von Ryan Nichols und anderen: Philosophy through Science Fiction : a coursebook with readings (New York : Routledge, 2009). Das Buch "offers a fun, challenging, and accessible way in to the issues of philosophy through the genre of science fiction". Jedes Kapitel endet mit einer ordentlichen Leseliste zum jeweiligen Thema; die Themen sind alle klassisch benannt (Inhaltsverzeichnis als pdf hier). Leider gibt's kein Werkregister, dass einem einen schnellen Überblick erlauben würde, ob auch alle Lieblingsstücke dabei sind :-). -- Angelegt ist das ganze wirlich als "Kursbuch", d.h. Textausschnitte sind bereits mit Fragen und Anregungen zum Nachdenken versehen. Zum Teil haben die Textabschnitte Aufsatzlänge, eignen sich also nicht alle zur Lektüre in einer Unterrichtsstunde.
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Didaktik,
Science fiction
10 Dezember 2008
Preisfrage: Macht Liebe sehend?
Das fragt das Hannoversche Forschungsinstiut für Philosophie in der Herbstausgabe seiner Hauszeitschrift Fiph-Journal (hier als pdf, siehe S. 9). Für die Antworten ist das Institut bereit, ein bisschen Geld auszugeben: 5.000,- € für die beste. Einsendeschluss: Erst April nächsten Jahres.
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Preisfrage
09 Dezember 2008
Husserl unterrichtet Allgemeine Pädagogik
In Erlangen gibt es in der UB eine Mitschrift einer Vorlesung Allgemeine Geschichte der Pädagogik, die "Husserl" gehalten hat.
Die Mitschrift hat in der UB Erlangen-Nürnberg die Signatur H62/Ms 2826. Handelt es sich etwa um Edmund Husserl? Der war doch kein Pädagoge?
Kurze Googelei bringt mich auf die Seiten der Husserl-Chronik von Karl Schuhmann, wo auf S. 184 festgehalten ist, dass Edmund Husserl am 29. Oktober 1913 in Göttingen mit einer Vorlesung Allgemeine Geschichte der Pädagogik begonnen hat. Also ist Edmund Husserl der Verfasser der Vorlesung. Tatsächlich ist die Existenz der Mitschrift dem Husserl-Archiv in Leuven bekannt, dort gibt's ein Mikrofiche davon.
Wieso hat Husserl dort über das Thema gelesen?
Hans-Georg Herrlitz schreibt in seinem Aufsatz "Von Herbart zu Nohl -- Göttinger Pädagogik im 19. Jahrhundert" (in: Pädagogik an der Georg August-Universität zu Göttingen. Eine Vorlesungsreihe. Hg. von Dietrich Hoffmann. - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 1987. - S. 83-107, hier S. 88), dass Husserl in Göttingen viermal "eine Allgemeine Geschichte der Pädagogik vorgetragen" habe, und zwar in den WS 1903/04, 1909/10, 1913/14 und 1915/16. Husserl habe dies übernehmen müssen als Teil seiner Göttinger Aufgaben; er war, zitiert Herrlitz Plessner, "gegen den Willen der Göttinger Fakultät" in Göttingen aufgenommen worden und musste da dann anscheinend auch Kärrnerarbeit verrichten.
Eine interessante Frage ist, von wem die Mitschrift stammt. Das könnte der Krakel unter dem Namen "Husserl" anzeigen -- aber leider nicht sehr leserlich. Vorschläge? Oder wie kriegt man das raus?
Die Mitschrift hat in der UB Erlangen-Nürnberg die Signatur H62/Ms 2826. Handelt es sich etwa um Edmund Husserl? Der war doch kein Pädagoge?
Kurze Googelei bringt mich auf die Seiten der Husserl-Chronik von Karl Schuhmann, wo auf S. 184 festgehalten ist, dass Edmund Husserl am 29. Oktober 1913 in Göttingen mit einer Vorlesung Allgemeine Geschichte der Pädagogik begonnen hat. Also ist Edmund Husserl der Verfasser der Vorlesung. Tatsächlich ist die Existenz der Mitschrift dem Husserl-Archiv in Leuven bekannt, dort gibt's ein Mikrofiche davon.
Wieso hat Husserl dort über das Thema gelesen?
Hans-Georg Herrlitz schreibt in seinem Aufsatz "Von Herbart zu Nohl -- Göttinger Pädagogik im 19. Jahrhundert" (in: Pädagogik an der Georg August-Universität zu Göttingen. Eine Vorlesungsreihe. Hg. von Dietrich Hoffmann. - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 1987. - S. 83-107, hier S. 88), dass Husserl in Göttingen viermal "eine Allgemeine Geschichte der Pädagogik vorgetragen" habe, und zwar in den WS 1903/04, 1909/10, 1913/14 und 1915/16. Husserl habe dies übernehmen müssen als Teil seiner Göttinger Aufgaben; er war, zitiert Herrlitz Plessner, "gegen den Willen der Göttinger Fakultät" in Göttingen aufgenommen worden und musste da dann anscheinend auch Kärrnerarbeit verrichten.
Eine interessante Frage ist, von wem die Mitschrift stammt. Das könnte der Krakel unter dem Namen "Husserl" anzeigen -- aber leider nicht sehr leserlich. Vorschläge? Oder wie kriegt man das raus?
02 Dezember 2008
Hume und Rousseau
Auf meiner inneren geistigen Landkarte waren Rousseau und Hume bisher zwei getrennte Kontinente. Hume hat dort einen guten Platz, der sich meiner Lektüre des Treatise und der Enquiries verdankt, und auch dem Satz von Karl Hepfer, dass man sein Philosophie-Examen bestehen würde, wenn man den Treatise und die Kritik der reinen Vernunft gelesen habe. Er ist der Endpunkt der empiristischen Trias Locke-Berkeley-Hume. Dass Hume auch über die Geschichte geschrieben hat und als guter Stilist gilt, wurde glaubich mal im Proseminar erwähnt.
Rousseau kommt hingegen nur als vager Schemen eines Aufklärungsschriftstellers mit seltsamer Autobiographie ("Bekenntnisse"), weltfremder Pädagogik des Zurück zur Natur (Emile) -- bekanntermaßen hat Rousseau seine eigenen Kinder ins Waisenhaus gegeben statt sie zu erziehen -- und schließlich als Erfinder des Gesellschaftsvertrags daher. Oder als Antagonist von Hobbes, der ja meinte, dass der Mensch im Urzustand seinen Mitmenschen anfallen würde. Überschneidungen gab es also auf dieser geistigen Karte nicht.
Dass die beiden sich tatsächlich kennengelernt haben, dass Hume Rousseau sogar dabei half, in England eine Bleibe zu finden, dass schließlich daraus ein grotesker Streit wurde und dass Rousseau wohl unter Verfolgungswahn leidet -- das habe ich gerade auf höchst ergötzliche Weise im neuen Buch von David Edmonds und John Eidinow, Rousseaus Hund (DVA 2008), gelesen. Edmonds und Eidinow hatten schon über Wittgenstein, Popper und den Feuerhaken geschrieben, haben also etwas Übung in der populären Darstellung von Philosophen. In diesem neuen Buch über die beiden sehr gegensätzlichen Aufklärungsphilosophen gelingt ihnen ein schönes Sittenbild, das Einblick gewährt in die Welt der literarischen Salons in Paris und London der 1760er Jahre. Gut gefällt mir auch die Einbindung von Bildmaterial in den Text. (Die Übersetzung von Sonja Hinck ist ebenfalls gelungen.)
Hin und wieder habe ich den Eindruck, dass die beiden Autoren es vorziehen, Fundstücke mitzuteilen, statt diese auch zu bewerten, so dass vor allem im späteren Teil des Buches einige Male der Eindruck entsteht, die Erzählung gefalle sich in der Aneinanderreihung von Einzelheiten. Das ist aber zum Glück nicht oft der Fall. Für mich war das Buch jedenfalls ein Gewinn, da es doch die eingangs erwähnte geistige Karte ein bisschen umgeschrieben hat...
Rousseau kommt hingegen nur als vager Schemen eines Aufklärungsschriftstellers mit seltsamer Autobiographie ("Bekenntnisse"), weltfremder Pädagogik des Zurück zur Natur (Emile) -- bekanntermaßen hat Rousseau seine eigenen Kinder ins Waisenhaus gegeben statt sie zu erziehen -- und schließlich als Erfinder des Gesellschaftsvertrags daher. Oder als Antagonist von Hobbes, der ja meinte, dass der Mensch im Urzustand seinen Mitmenschen anfallen würde. Überschneidungen gab es also auf dieser geistigen Karte nicht.
Dass die beiden sich tatsächlich kennengelernt haben, dass Hume Rousseau sogar dabei half, in England eine Bleibe zu finden, dass schließlich daraus ein grotesker Streit wurde und dass Rousseau wohl unter Verfolgungswahn leidet -- das habe ich gerade auf höchst ergötzliche Weise im neuen Buch von David Edmonds und John Eidinow, Rousseaus Hund (DVA 2008), gelesen. Edmonds und Eidinow hatten schon über Wittgenstein, Popper und den Feuerhaken geschrieben, haben also etwas Übung in der populären Darstellung von Philosophen. In diesem neuen Buch über die beiden sehr gegensätzlichen Aufklärungsphilosophen gelingt ihnen ein schönes Sittenbild, das Einblick gewährt in die Welt der literarischen Salons in Paris und London der 1760er Jahre. Gut gefällt mir auch die Einbindung von Bildmaterial in den Text. (Die Übersetzung von Sonja Hinck ist ebenfalls gelungen.)
Hin und wieder habe ich den Eindruck, dass die beiden Autoren es vorziehen, Fundstücke mitzuteilen, statt diese auch zu bewerten, so dass vor allem im späteren Teil des Buches einige Male der Eindruck entsteht, die Erzählung gefalle sich in der Aneinanderreihung von Einzelheiten. Das ist aber zum Glück nicht oft der Fall. Für mich war das Buch jedenfalls ein Gewinn, da es doch die eingangs erwähnte geistige Karte ein bisschen umgeschrieben hat...
Anmerkungen zur SWD (1)
Ja, ich habe schon ein paar Bemerkungen zur SWD gemacht, ich weiß.
Mir liegt natürlich der Philosophie-Wortschatz am Herzen. Und oft fällt mir auf, dass ich Schwierigkeiten habe, eine Verschlagwortung zu verstehen, weil ich die intendierte Bedeutung des Schlagworts nicht nachsehen kann. Das geht mir nun wieder so mit dem Buch von Carsten Seck, Theorien und Tatsachen, das die Verschlagwortung "Moritz Schlick" (klar) und "Wissenschaftsphilosophie" mitbringt. Ich hätte das Buch mit ""Wissenschaftstheorie" verschlagwortet, aber das liegt einfach daran, dass der Ausdruck "Wissenschaftsphilosophie" nicht zu meinem aktiven Wortschatz gehört. Was bedeutet er?
Als Quelle gibt die SWD "Speck unter Wissenschaftsforschung" an, und als Verweisungsform gibt es noch "Epistemologie". "Wissenschaftstheorie" ist ein verwandter Begriff.
Beim Nachsehen geht mir nun auf, dass der Speck für die Philosophie an 4. Stelle in der Liste der Nachschlagewerke steht -- nach "Ritter", "Kröner" und "Enz Wiss". Und "Speck" ist das "Handbuch wissenschaftstheoretischer Begriffe" von 1980, 3 Bände, UTB. Das atmet auch den Geist der 70er. Ich habe gerade nachgesehen und gelernt, dass die "Wissenschaftsforschung" sich in 5 Teilgebiete untergliedern lässt, nämlich in W.-philosophie, W-Psychologie, W-Organisation und Planung, W-Geschichte und W-Soziologie. Nach Ossowska und Ossowski. Da das gleiche Lexikon auch einen Eintrag "Wissenschaftstheorie" enthält, habe ich dort nachgesehen und gelernt, dass bei Speck die Wissenschaftstheorie, auch wenn jüngst, also 1980, die Forschung sogar empirische Impulse aufnimmt (gemeint ist Kuhns Theorie wissenschaftlicher Revolutionen), auf eine "logische Analyse der Wissenschaft im apragmatischen Sinne" zielt. Hhm. Der Eintrag "Wissenschaftsforschung" gibt übrigens auch keine Definition, man kann also nur raten aus der Abgrenzung zu den anderen 4 Disziplinen, was die Wissenschaftsphilosophie sein soll.
Der SWD-Eintrag zur "Wissenschaftstheorie" gibt als Quelle "M" an, also den Meyer von 1971. Auch nicht gerade die allerneueste Quelle,habe ich nicht geprüft. Der aktuelle Online-Meyer liefert in der Tat eine Definition, wie sie ungefähr meinem Verständnis entspricht -- und auf deren Grundlage ich das Buch von Seck mit "Wissenschaftstheorie" verschlagworten würde. Und den Begriff "Wissenschaftsphilosophie" würde ich überhaupt in die Tonne treten.
Was sagt eigentlich der Ritter dazu? Das Handwörterbuch, ist klar, war vermutlich mit dem Band W noch nicht erschienen, als das Schlagwort angesetzt wurde. Aber das kanonische erste Nachschlagewerk zur Philosophie hat einen Artikel "Wissenschaftstheorie, Wissenschaftsphilosophie", also: die denken, dass mit den Begriffen dasselbe gemeint ist. (Enz Wiss als das umfangreichste deutsche Begriffswörterbuch der Philosophie hat keinen Eintrag zur Wissenschaftsphilosophie.)
Mir liegt natürlich der Philosophie-Wortschatz am Herzen. Und oft fällt mir auf, dass ich Schwierigkeiten habe, eine Verschlagwortung zu verstehen, weil ich die intendierte Bedeutung des Schlagworts nicht nachsehen kann. Das geht mir nun wieder so mit dem Buch von Carsten Seck, Theorien und Tatsachen, das die Verschlagwortung "Moritz Schlick" (klar) und "Wissenschaftsphilosophie" mitbringt. Ich hätte das Buch mit ""Wissenschaftstheorie" verschlagwortet, aber das liegt einfach daran, dass der Ausdruck "Wissenschaftsphilosophie" nicht zu meinem aktiven Wortschatz gehört. Was bedeutet er?
Als Quelle gibt die SWD "Speck unter Wissenschaftsforschung" an, und als Verweisungsform gibt es noch "Epistemologie
Beim Nachsehen geht mir nun auf, dass der Speck für die Philosophie an 4. Stelle in der Liste der Nachschlagewerke steht -- nach "Ritter", "Kröner" und "Enz Wiss". Und "Speck" ist das "Handbuch wissenschaftstheoretischer Begriffe" von 1980, 3 Bände, UTB. Das atmet auch den Geist der 70er. Ich habe gerade nachgesehen und gelernt, dass die "Wissenschaftsforschung" sich in 5 Teilgebiete untergliedern lässt, nämlich in W.-philosophie, W-Psychologie, W-Organisation und Planung, W-Geschichte und W-Soziologie. Nach Ossowska und Ossowski. Da das gleiche Lexikon auch einen Eintrag "Wissenschaftstheorie" enthält, habe ich dort nachgesehen und gelernt, dass bei Speck die Wissenschaftstheorie, auch wenn jüngst, also 1980, die Forschung sogar empirische Impulse aufnimmt (gemeint ist Kuhns Theorie wissenschaftlicher Revolutionen), auf eine "logische Analyse der Wissenschaft im apragmatischen Sinne" zielt. Hhm. Der Eintrag "Wissenschaftsforschung" gibt übrigens auch keine Definition, man kann also nur raten aus der Abgrenzung zu den anderen 4 Disziplinen, was die Wissenschaftsphilosophie sein soll.
Der SWD-Eintrag zur "Wissenschaftstheorie" gibt als Quelle "M" an, also den Meyer von 1971. Auch nicht gerade die allerneueste Quelle,habe ich nicht geprüft. Der aktuelle Online-Meyer liefert in der Tat eine Definition, wie sie ungefähr meinem Verständnis entspricht -- und auf deren Grundlage ich das Buch von Seck mit "Wissenschaftstheorie" verschlagworten würde. Und den Begriff "Wissenschaftsphilosophie" würde ich überhaupt in die Tonne treten.
Was sagt eigentlich der Ritter dazu? Das Handwörterbuch, ist klar, war vermutlich mit dem Band W noch nicht erschienen, als das Schlagwort angesetzt wurde. Aber das kanonische erste Nachschlagewerk zur Philosophie hat einen Artikel "Wissenschaftstheorie, Wissenschaftsphilosophie", also: die denken, dass mit den Begriffen dasselbe gemeint ist. (Enz Wiss als das umfangreichste deutsche Begriffswörterbuch der Philosophie hat keinen Eintrag zur Wissenschaftsphilosophie.)
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Wissenschaftstheorie
01 Dezember 2008
Leibniz' Diss De casibus ... (Teil 2)
Neulich hatte ich mich der Frage gewidmet, wie man denn wohl herausfindet, ob es eine deutsche Übersetzung von Leibniz' juristischer Dissertation gibt. Die Leibniz-Datenbank kennt keine, und die Bibliographie der Werke von Leibniz (von Emile Ravier) auch nicht. Auch ein bisschen Herumsuchen, ob in einer der Anthologien von Leibniz' Werken (z.B. bei Meiner: Leibniz, Frühe Schriften zum Naturrecht) wohl etwas enthält, schlägt fehl. Mein Fazit: Es gibt wohl keine deutsche Übersetzung.
Dafür enthält die eben genannte Anthologie immerhin eine übersetzte Wiedergabe des Geschehens rund um die Dissertation, wie Leibniz es notiert:
Leibniz wechselt von Leipzig nach Altdorf und reicht dort wenig später eine andere juristische Dissertation ein:
Hubertus Busche (aus dessen Einleitung zu den Frühen Schriften auch diese Übersetzung stammt) erläutert dazu , die "scharfsinnige Analyse und Lösungsstrategie" von De Casibus gelte "Rechtsfällen, deren Konstellation einen unafhebbaren sachlogischen Widerspruch" enthalte, "und sie bringt Leibniz bei den Rechtsgelehrte auch anderer Universitäten so viel Ruhm, dass ihm gleich nach der feierlichen Promotion am 22. Februar 1667 eine Professur in Altdorf angeboten" wurde.
Gibt's Forschungsliteratur zu De Casibus... ?
Die Antwort ist nicht ganz einfach, denn eine genaue Recherche müsste die Schrift kennen, um beurteilen zu können, ob allgemein gehaltene Titel etwas darüber enthalten können. So gibt es eben eine ganze Reihe von Werken der Forschung, die sich mit Leibniz' Position zum Naturrecht auseinandersetzen, aber ob es in De Casibus... auch um das Naturrecht geht, weiß ich nicht. Daher kann ich jetzt hier nur ein paar Titel auflisten, die ich so gefunden habe.
Dafür enthält die eben genannte Anthologie immerhin eine übersetzte Wiedergabe des Geschehens rund um die Dissertation, wie Leibniz es notiert:
"Ich erkannte, dass ich bei früher Erlangung des Doktorgrades als einer der ersten ein Mitglied der Fakultät werden und mein sicheres Glück machen würde. Doch gerade damals entstand ein heftiger Streit, weil einige allein zum Doktor gemacht werden wollten, und hierfür die Jüngeren auszuschließen und auf einen späteren Promotionstermin zu verdrängen suchten. Sie fanden die Gunst bei der Mehrheit aus der Fakultät. Als ich das Kunststück meiner Nebenbuhler bemerkte, änderte ich meine Pläne und beschloss, meinen Aufenthaltsort zu wechseln, und die mathematischen Disziplinen zu studieren. Ich meinte, dass es eines jungen Mannes unwürdig sei, wie angenagelt an einem bestimmten Ort klebenzubleiben."
Leibniz wechselt von Leipzig nach Altdorf und reicht dort wenig später eine andere juristische Dissertation ein:
"Als ich öffentlich disputierte, führte ich die Erörterung mit einer solchen Leichtigkeit und legte meine Gedanken mit einer solchen Geistesklarheit dar, dass nicht nur die Zuhörer über die neuartige und insbesondere bei einem Rechtsgelehrte ungewohnte Akribie sich wunderten, sondern auch die, die eigentlich opponieren sollten, öffentlich bekannten, sie seien hervorragend zufriedengestellt worden."
Hubertus Busche (aus dessen Einleitung zu den Frühen Schriften auch diese Übersetzung stammt) erläutert dazu , die "scharfsinnige Analyse und Lösungsstrategie" von De Casibus gelte "Rechtsfällen, deren Konstellation einen unafhebbaren sachlogischen Widerspruch" enthalte, "und sie bringt Leibniz bei den Rechtsgelehrte auch anderer Universitäten so viel Ruhm, dass ihm gleich nach der feierlichen Promotion am 22. Februar 1667 eine Professur in Altdorf angeboten" wurde.
Gibt's Forschungsliteratur zu De Casibus... ?
Die Antwort ist nicht ganz einfach, denn eine genaue Recherche müsste die Schrift kennen, um beurteilen zu können, ob allgemein gehaltene Titel etwas darüber enthalten können. So gibt es eben eine ganze Reihe von Werken der Forschung, die sich mit Leibniz' Position zum Naturrecht auseinandersetzen, aber ob es in De Casibus... auch um das Naturrecht geht, weiß ich nicht. Daher kann ich jetzt hier nur ein paar Titel auflisten, die ich so gefunden habe.
- Georges Kalinowski: La logique juridique de Leibniz. In: Studia Leibnitiana 9 (1977) 2, 168-189.
- Hanina Ben-Menahem: Leibniz on hard cases. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie. 79 (1993) 2, 198-215.
- André Robinet: Loi naturelle et loi positive dans l’architectonique archaique de l’oeuvre de Leibniz. In: La notion de nature chez Leibniz, hg. von Martine de Gaudemar, Stuttgart : Steiner, 1995 (ISBN 3515066314) (Studia leibnitiana Sonderhefte ; 24). 159-170.
- Höck, J[ohann] K[arl]: Ein Bonmot von Leibnitz. In: Neuer literar. Anzeiger. München. 2 (1807), S. 253-254. (Auch in: Höck, Miscellen. Gmünd: Ritter, 1815, S. 61.)
- Hans Peter Schneider: Justitia Universalis : Quellenstudien zur Geschichte des ‘christlichen Naturrechts’ bei Gottfried Wilhelm Leibniz. S. 348f.
- Markku Roinila: Leibniz on rational decision making (Philosophical studies from the University of Helsinki ; 16) Vantaa 2007, S. 237ff. (hier pdf)
- Marcelo Dascal: Leibniz’ two-pronged dialectic, S. 37-72 in : Leibniz: What kind of rationalist, hg. von Dascal, Springer 2008
ebenda: Pol Boucher: Leibniz: What kind of legal rationalism?, S. 231-249.
- Bayart, A.: Leibniz et les antinomies en droit. In: Revue internationale de philosophie 20 1966 (H. 67-77) 257-263
- Berlioz, Dominique: Jurisprudence, résolution des controverses et philosophie. In: Nihil sine ratione: Mensch, Natur und Technik im Wirken von G. W. Leibniz ; Vorträge ; Berlin, 10. - 14. September 2001 / VII. Internationaler Leibniz-Kongreß. Hrsg. von Hans Poser ; Nachtr.-Bd. - Hannover: Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Gesellschaft, 2002. - S. 150 - 157. - ISBN 3-9808167-0-2
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Bibliographie,
Datensammeln,
Leibniz
28 November 2008
Das American Biographical Institute und sein Angebot
Bisher kannte ich das nur aus dem Foucaultschen Pendel von Eco. Da arbeitet der Erzähler bekanntlich in einem Verlag, der schöne Bücher macht, und muss zwischendurch feststellen, dass der Verleger eifrig ein weiteres Geschäftsfeld beackert. Dort werden nämlich eitle Möchtegernautoren dazu gebracht, für die Veröffentlichung ihrer Bücher zu bezahlen, dann wird ihre Eitelkeit gestreichelt mit einem Eintrag im Verlagseigenen "Berühmte Autoren", das die wirklich bekannten Autoren in ein paar Zeilen abhandelt, aber die zahlenden Goldesel des Verlags spaltenlang bauchpinselt.
Solche Bauchpinselei gibt es wirklich. Das sogenannte "American Biographical Institute" schreibt:
"
Wo liegt das Geschäft? Ah, hier:
Da werden wohl nur Leute antworten, deren Eitelkeit höher ist als ihre Intelligenz, insbesondere, wenn sie einen Blick auf die Preise geworfen haben. Die Vorausgabe zum Vorpublikationsrabatt kostet knapp 400 US-Dollar, die Medaille knapp 600 US-Dollar und die "Proclamation Plaque" zum an die Wand-Hängen knapp 300 Dollar. Alles drei zusammen kann man übrigens für knapp 1100 Dollar bekommen.
Wikipedia hat auch ein paar Infos zum Institut. U.a. eine kleine Liste mit Namen von Leuten, deren Biographien sich da finden. Siehe auch die englische Ausgabe und den Artikel zum Who-is-who-scam.
[Update 22.1.09]
Jetzt fand sich auch ein Brief des International Biographical Centre (IBC) aus Cambridge, England. Die geben ein Buch "2000 outstanding intellectuals of the 21st century 2009/2010" heraus, so dass man vermuten darf, es würden sich jedes Jahr oder alle 2 Jahre 2000 Leute finden, die eitel genug sind, dafür zu blechen. Immerhin:
"Inclusion is based on merit alone and there is no obligation to purchase a copy of [the book]." Trotzdem wird man noch dazu eingeladen "to take your place within its pages". "Entry into the biographical reference books is by invitation only and cannot be 'bought'." IBC, informiert die Einladung, ist ein Imprint von "Melrose books"; der Verlag sei gerade dabei, "one of Britain's leading independent publishers of an eclectic range of titles ..." zu werden. Heißt das, sie sind ein führender Verlag, oder heißt das, sie sind führend darin, ihre Titel zu veröffentlichen?
Man kann hier das Buch kaufen für 255 $ (die Preise werden auch in Pfund angegeben, aber mich interessiert, was teurer ist, IBC oder die andern), das "Diplom" für 255 $ und eine Medaille für ebenfalls 255 $ (Versandkosten jeweils 16 $). Oder zwei von drei Dingen für 495 $ oder alles drei für 695 $. Und wieder die Möglichkeit, Kollegen und Freunde vorzuschlagen.
Fazit: Das American biographical institute ist deutlich teurer. Oder: Es ist teuer, ein "Great mind" als ein "Outstanding intellectual" zu sein.
Solche Bauchpinselei gibt es wirklich. Das sogenannte "American Biographical Institute" schreibt:
"
Dear Dr. XY:
you have been nominated to appear in Great Minds of the 21st Century, a major reference directory including just 1,000 of the world's top thinkers and intellctuals. For 41 years the American Biographical Institute has researched and compiled over 200 separate publications devoted to provide accurate and factual information on compelling, interesting and accomplished men and women throughout the world. Many reference institutions,businesses, governments, universities and libraries consider Great Minds fo the 21st Century the finest volume dedicated to intelligence and its achievements forged.
To compile a volume of this significance, the Institute relies on established research techniques. The ABI is constantly engaged with research centers thoughout the world as well as its own global network of research advisors sitting on an international board. ..."
Wo liegt das Geschäft? Ah, hier:
"Inclusion in a volume as prestigious s Great Minds of the 21st Century is quite an accolade,and to celebrate the occasion we offer several mementoes, including keepsake copies of the colume at pre-publication rates to those included only. A Medal of unequaled quality and molded only for Great Minds of the 21st Century honorees is of special significance, as is the Proclamation Plaque designed to indicate your unique selection for this volume. ... I urge you to complete the questionnaire enclosed and return it to us by December 13, 2008, as entries in this book are limited ... I congratulate you on your nomination for this monumental reference work, whis has never seen a likeness. I look forward to receiving your biography.
Sincerely, J. M. Evans
PS To assist in our research, you will find a nomination form on the reverse of this letter. You may recommend colleagues, family, friends or any individual you feel deserves inclusion in one of our biographical directories."
Da werden wohl nur Leute antworten, deren Eitelkeit höher ist als ihre Intelligenz, insbesondere, wenn sie einen Blick auf die Preise geworfen haben. Die Vorausgabe zum Vorpublikationsrabatt kostet knapp 400 US-Dollar, die Medaille knapp 600 US-Dollar und die "Proclamation Plaque" zum an die Wand-Hängen knapp 300 Dollar. Alles drei zusammen kann man übrigens für knapp 1100 Dollar bekommen.
"Please Note: All award orders must be pre-paid as thea are individually crafted."Als Bibliothekar interessiert mich, ob diese Aussage mit den "many institutes ... consider" stimmt, ob das Werk oder seine Vorausgaben wirklich so eine weite Verbreitung hat. Da es sich ja schon um die 4. Ausgabe handelt für das 21. Jahrhundert, müsste sich ja eine der ersten drei nachweisen lassen. Oh, tatsächlich. Worldcat zeigt immerhin 14 Bibliotheken in den USA für eine der drei Vorausgaben. Das sind ja echt viele. Und in Deutschland auch in jedem Verbund ein Exemplar.
Wikipedia hat auch ein paar Infos zum Institut. U.a. eine kleine Liste mit Namen von Leuten, deren Biographien sich da finden. Siehe auch die englische Ausgabe und den Artikel zum Who-is-who-scam.
[Update 22.1.09]
Jetzt fand sich auch ein Brief des International Biographical Centre (IBC) aus Cambridge, England. Die geben ein Buch "2000 outstanding intellectuals of the 21st century 2009/2010" heraus, so dass man vermuten darf, es würden sich jedes Jahr oder alle 2 Jahre 2000 Leute finden, die eitel genug sind, dafür zu blechen. Immerhin:
"Inclusion is based on merit alone and there is no obligation to purchase a copy of [the book]." Trotzdem wird man noch dazu eingeladen "to take your place within its pages". "Entry into the biographical reference books is by invitation only and cannot be 'bought'." IBC, informiert die Einladung, ist ein Imprint von "Melrose books"; der Verlag sei gerade dabei, "one of Britain's leading independent publishers of an eclectic range of titles ..." zu werden. Heißt das, sie sind ein führender Verlag, oder heißt das, sie sind führend darin, ihre Titel zu veröffentlichen?
Man kann hier das Buch kaufen für 255 $ (die Preise werden auch in Pfund angegeben, aber mich interessiert, was teurer ist, IBC oder die andern), das "Diplom" für 255 $ und eine Medaille für ebenfalls 255 $ (Versandkosten jeweils 16 $). Oder zwei von drei Dingen für 495 $ oder alles drei für 695 $. Und wieder die Möglichkeit, Kollegen und Freunde vorzuschlagen.
Fazit: Das American biographical institute ist deutlich teurer. Oder: Es ist teuer, ein "Great mind" als ein "Outstanding intellectual" zu sein.
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Biographie,
Eitelkeit
25 November 2008
Logik im Alltag: Heute: Die Argumentation der Werbetreibenden Industrie
Gerade bei heise gesehen, und Wert, in der Mittagspause gebloggt zu werden: Die Wirtschaftsverbände sind gegen eine Datenschutzreform, die ein paar Änderungen vorsieht beim Umgang mit Werbung. Z.B. soll, so der Vorschlag, bei der Weitergabe von Adressdaten "zur Nutzung durch Drittfirmen" das ausdrückliche Einverständnis der Betroffenen nötig sein. Und es soll nicht mehr erlaubt sein, dass ein Unternehmen die Bereitstellung einer Leistung sich von einem Verbraucher zusammen mit der Weitergabe seiner Daten genehmigen lässt.
Heise fasst auch zusammen, was die Verbände dagegen haben. Erstens seien Arbeitsplätze in Gefahr. Zweitens würden Verbrauchern "pauschal Informationen über maßgeschneiderte Angebote vorenthalten". Drittens würde ohnehin die illegale Nutzung von Kundendaten weitergehen. Viertens sei der Wert der Werbung von der "überwiegenden Mehrheit der Bürger" seit langem akzeptiert. Bitkom fasst das so zusammen: die vorgeschlagenen Maßnahmen seien weder erforderlich noch angemessen und somit unverhältnismäßig.
Hhm. Eine seltsame Verbindung von Gedankengängen! Die Grundidee der Argumentation der Wirtschaftsverbände ist, dass die Neuregelung die bisherige Praxis behindert, dass also mit der Neuregelung weniger geworben würde als bisher, die Leute aber Werbung bekommen wollen. Dann leuchtet es ein, dass die Verbände auf die Idee kommen, dass die folgenden Thesen als Argumente gegen die Neuregelung funktionieren.
1. Arbeitsplätze sind in Gefahr. -- Wodurch denn? Ich sehe da zwei Möglichkeiten, nämlich a), dass die Arbeitsplätze der Unternehmen in Gefahr sind, die ihre Produkte so nicht mehr bewerben dürften, weil sie dann keine oder weniger verkaufen. b), dass die Arbeitsplätze der werbetreibenden Unternehmen in Gefahr sind, weil sie dann keine Werbung mehr verkaufen. Beides scheint mir nicht sehr wahrscheinlich, weil ja Unternehmen auch noch andere Möglichkeiten der Werbung haben, mit denen sie a) Verbraucher erreichen und b) Werbeunternehmen beauftragen können.
2. Verbrauchern würden Informationen vorenthalten. -- In diesem Sinne von "vorenthalten" gibt es eine Menge Informationen, die mir vorenthalten werden! Hier wirkt die Prämisse, Verbraucher würden die Information wollen bzw. sie würden sie wollen wollen, wenn sie wüssten, dass es sie gäbe. Stimmt das? Außerdem ist es lustig, wenn für das, was einen an Werbung erreicht, das Wort "Information" benutzt wird. Das ist ja nur in der engen Definition richtig, die allein das physische Stück als Textträger oder den Telefonanruf oder sonstwas betrachtet. Betrachtet man den Verbraucher als Informationsmanager, der ordnen und bewerten muss, was ihn jeden Moment an Information erreicht, dann ist Werbung in der Regel das Gegenteil von Information, weil sie um Aufmerksamkeit buhlt, die man besser den wichtigen Dingen widmete.
3. Illegale Nutzung geht weiter. -- Tolles Argument: Weil die illegale Nutzung ohnehin weitergeht, soll die jetzige legale Praxis nicht beschränkt werden, heißt ja wohl: die Werbung, die den Verbraucher erreicht, beruht ohnehin großenteils auf dem illegalen Adressenhandel. Denn nur so wird ja zum Argument, dass da was weitergeht! Hier übersehen die Verbände nämlich, dass ich als Verbraucher gar nicht erkennen kann, ob die mich erreichende Werbung auf illegalem oder legalem Adresshandel beruht. Würde durch eine Gesetzänderung eine Einschränkung darin erreicht, wieviel Werbung mich erreicht, dann wäre das toll, finde ich. Nun könnten die Verbände argumentieren, dass es gemein wäre, wenn mich dann nur noch die illegale Werbung erreichen würde: dann würden ja die ehrenhaft handelnden Unternehmen benachteiligt. Ja, stimmt schon: so wie Käufer gegenüber Dieben "benachteiligt" werden, weil sie einen Preis bezahlen müssen. Aber trotzdem würde niemand auf den Gedanken kommen zu sagen: Geklaut wird immer, also brauchen ab heute alle nix mehr zu bezahlen.
(Es ist selbstverständlich, dass man mit einer Gesetzesänderung keine Wirkung auf das illegale Verhalten erzielt (es sei denn, dass man das Illegale durch die Änderung legal werden lässt).)
4. Werbung ist akzeptiert. -- Haha. Es mag Leute geben, die auf Direktmarketing in irgendeiner Weise positiv reagieren. Aber wie man in jedem Lehrbuch zum Direktmarketing nachlesen kann, sind die Antwortquoten sehr sehr gering. Und das kann ja wohl nur bedeuten, dass das "maßgeschneiderte" Angebot den Verbrauchern in der Regel am ... vorbei geht. Werbung ist in etwa so akzeptiert wie Regenwetter: Leute tragen einen Schirm, um so wenig wie möglich davon abzukriegen.
Das wäre doch das Tolle am "Opt-in": dass Verbraucher die Möglichkeit bekommen, explizit zu sagen, dass Sie Werbung bekommen wollen. Das Wirtschaftsverbände gerade dies fürchten, wiewohl es Ihnen ermöglichen würde, die Adressen von Leuten zu handeln, die offen sind für Werbung, zeigt doch nur, dass sie nicht an ihr eigenes Gerede "Werbung ist akzeptiert" glauben, sondern damit rechnen, dass dann niemand mehr sich für Direktwerbung interessiert.
Heise fasst auch zusammen, was die Verbände dagegen haben. Erstens seien Arbeitsplätze in Gefahr. Zweitens würden Verbrauchern "pauschal Informationen über maßgeschneiderte Angebote vorenthalten". Drittens würde ohnehin die illegale Nutzung von Kundendaten weitergehen. Viertens sei der Wert der Werbung von der "überwiegenden Mehrheit der Bürger" seit langem akzeptiert. Bitkom fasst das so zusammen: die vorgeschlagenen Maßnahmen seien weder erforderlich noch angemessen und somit unverhältnismäßig.
Hhm. Eine seltsame Verbindung von Gedankengängen! Die Grundidee der Argumentation der Wirtschaftsverbände ist, dass die Neuregelung die bisherige Praxis behindert, dass also mit der Neuregelung weniger geworben würde als bisher, die Leute aber Werbung bekommen wollen. Dann leuchtet es ein, dass die Verbände auf die Idee kommen, dass die folgenden Thesen als Argumente gegen die Neuregelung funktionieren.
1. Arbeitsplätze sind in Gefahr. -- Wodurch denn? Ich sehe da zwei Möglichkeiten, nämlich a), dass die Arbeitsplätze der Unternehmen in Gefahr sind, die ihre Produkte so nicht mehr bewerben dürften, weil sie dann keine oder weniger verkaufen. b), dass die Arbeitsplätze der werbetreibenden Unternehmen in Gefahr sind, weil sie dann keine Werbung mehr verkaufen. Beides scheint mir nicht sehr wahrscheinlich, weil ja Unternehmen auch noch andere Möglichkeiten der Werbung haben, mit denen sie a) Verbraucher erreichen und b) Werbeunternehmen beauftragen können.
2. Verbrauchern würden Informationen vorenthalten. -- In diesem Sinne von "vorenthalten" gibt es eine Menge Informationen, die mir vorenthalten werden! Hier wirkt die Prämisse, Verbraucher würden die Information wollen bzw. sie würden sie wollen wollen, wenn sie wüssten, dass es sie gäbe. Stimmt das? Außerdem ist es lustig, wenn für das, was einen an Werbung erreicht, das Wort "Information" benutzt wird. Das ist ja nur in der engen Definition richtig, die allein das physische Stück als Textträger oder den Telefonanruf oder sonstwas betrachtet. Betrachtet man den Verbraucher als Informationsmanager, der ordnen und bewerten muss, was ihn jeden Moment an Information erreicht, dann ist Werbung in der Regel das Gegenteil von Information, weil sie um Aufmerksamkeit buhlt, die man besser den wichtigen Dingen widmete.
3. Illegale Nutzung geht weiter. -- Tolles Argument: Weil die illegale Nutzung ohnehin weitergeht, soll die jetzige legale Praxis nicht beschränkt werden, heißt ja wohl: die Werbung, die den Verbraucher erreicht, beruht ohnehin großenteils auf dem illegalen Adressenhandel. Denn nur so wird ja zum Argument, dass da was weitergeht! Hier übersehen die Verbände nämlich, dass ich als Verbraucher gar nicht erkennen kann, ob die mich erreichende Werbung auf illegalem oder legalem Adresshandel beruht. Würde durch eine Gesetzänderung eine Einschränkung darin erreicht, wieviel Werbung mich erreicht, dann wäre das toll, finde ich. Nun könnten die Verbände argumentieren, dass es gemein wäre, wenn mich dann nur noch die illegale Werbung erreichen würde: dann würden ja die ehrenhaft handelnden Unternehmen benachteiligt. Ja, stimmt schon: so wie Käufer gegenüber Dieben "benachteiligt" werden, weil sie einen Preis bezahlen müssen. Aber trotzdem würde niemand auf den Gedanken kommen zu sagen: Geklaut wird immer, also brauchen ab heute alle nix mehr zu bezahlen.
(Es ist selbstverständlich, dass man mit einer Gesetzesänderung keine Wirkung auf das illegale Verhalten erzielt (es sei denn, dass man das Illegale durch die Änderung legal werden lässt).)
4. Werbung ist akzeptiert. -- Haha. Es mag Leute geben, die auf Direktmarketing in irgendeiner Weise positiv reagieren. Aber wie man in jedem Lehrbuch zum Direktmarketing nachlesen kann, sind die Antwortquoten sehr sehr gering. Und das kann ja wohl nur bedeuten, dass das "maßgeschneiderte" Angebot den Verbrauchern in der Regel am ... vorbei geht. Werbung ist in etwa so akzeptiert wie Regenwetter: Leute tragen einen Schirm, um so wenig wie möglich davon abzukriegen.
Das wäre doch das Tolle am "Opt-in": dass Verbraucher die Möglichkeit bekommen, explizit zu sagen, dass Sie Werbung bekommen wollen. Das Wirtschaftsverbände gerade dies fürchten, wiewohl es Ihnen ermöglichen würde, die Adressen von Leuten zu handeln, die offen sind für Werbung, zeigt doch nur, dass sie nicht an ihr eigenes Gerede "Werbung ist akzeptiert" glauben, sondern damit rechnen, dass dann niemand mehr sich für Direktwerbung interessiert.
24 November 2008
Vicente Requeno y Vives
Ich bin immer wieder überrascht, was herauskommt, wenn man nach Personen recherchiert, wobei hier "recherchieren" das vornehme Wort ist für "Googeln". Auf meinem Tisch liegt ein Buch Escritos Filosóficos von einem Vicente Requeno y Vives. Wer ist das? Als Bibliothekar hat man ja die Möglichkeit, rasch in der PND nachzusehen, ob bei der Ansetzung schon was bekannt war. Aber der Satz ist als Namen-Satz gekennzeichnet, ohne Lebensdaten, auch wenn er einen Haufen verknüpfte Werke enthält. Außerdem eine Ansetzungsform, nämlich ohne "y Vives". Die Googelei bringt als ersten Treffer eine Rezension in der Allgemeinen Literaturzeitung von 1787 über ein Werk von Requeno. Toll aufbereitetes Digitalisat! Und dort kann man sich zu dem weiterklicken, was den Kollegen in Jena bekannt ist über Requeno: dass es sich um einen männlichen Jesuiten handele, der von 1743-1811 gelebt hat. Das stimmt übrigens auch mit dem überein, was meine Vorlage weiß, die überdies Geburtsort (Calatorao) und Sterbeort (Tivoli) angibt. Das Interessante: blättert man ein paar Google-Treffer weiter runter, findet man einen Treffera aus Google Books, nämlich Carl Ferdinand Beckers Systematisch-chronologische Darstellung der musikalischen Literatur von der frühesten bis auf die neueste Zeit, Leipzig 1836. Dort gibt es einen Eintrag zu einem Requeno:
Seltsamerweise sind da die Lebensdaten anders: geboren in Granada 1730, gestorben 1799 in Venedig. Ist das vielleicht eine andere Person? Aber auch dieser Requeno ist von Spanien nach Italien gekommen. -- Vielleicht helfen einem die Werke weiter: etwas über die Musik der Griechen und Römer: das ist genau das Werk, was in der ALZ im oben angeführten Eintrag rezensiert wurde. Löst also das Problem nicht: Gibt es zwei Requenos, die Jesuiten waren, oder ist einer der Einträge (Becker vs. Bibliothekare) falsch?
Nach nochmaligem Blick in meine Vorlage sehe ich, dass dort eine recht ausführliche Biographie von Requeno enthalten ist. Requeno ist übrigens "jesuita expulso". Und seine Interessen galten eben auch der antiken Musik. Also liegt wohl der Becker falsch mit seinen Lebensdaten: wo hat er die her?
Seltsamerweise sind da die Lebensdaten anders: geboren in Granada 1730, gestorben 1799 in Venedig. Ist das vielleicht eine andere Person? Aber auch dieser Requeno ist von Spanien nach Italien gekommen. -- Vielleicht helfen einem die Werke weiter: etwas über die Musik der Griechen und Römer: das ist genau das Werk, was in der ALZ im oben angeführten Eintrag rezensiert wurde. Löst also das Problem nicht: Gibt es zwei Requenos, die Jesuiten waren, oder ist einer der Einträge (Becker vs. Bibliothekare) falsch?
Nach nochmaligem Blick in meine Vorlage sehe ich, dass dort eine recht ausführliche Biographie von Requeno enthalten ist. Requeno ist übrigens "jesuita expulso". Und seine Interessen galten eben auch der antiken Musik. Also liegt wohl der Becker falsch mit seinen Lebensdaten: wo hat er die her?
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Lebensdaten,
Requeno
21 November 2008
Philosophische Rezensionen im Netz
Mir ist gerade aufgefallen, über die Homepage von Sven Walter, dass es mit Metapsychology eine Webseite gibt, die auch philosophische Rezensionen enthält -- man kann über "Select Topic" in der Navigationsleiste die Anzeige auf das Philosophische beschränken. Wo gibt's noch online-Rezensionen zur Philosophie?
Kritikon, natürlich, aber wir haben ja gerade erst angefangen.
Notre Dame Philosophical Review.
Sonst noch?
Kritikon, natürlich, aber wir haben ja gerade erst angefangen.
Notre Dame Philosophical Review.
Sonst noch?
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Rezension
14 November 2008
Laughlins "Betrug"
Rezension zu Robert B. Laughlin: Das Verbrechen der Vernunft : Betrug an der Wissensgesellschaft. - Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2008.
Die Rezension erschien in Buch und Bibliothek 60 (2008) 11/12, S. 830-831.
Robert B. Laughlins Streitschrift Das Verbrechen der Vernunft : Betrug an der Wissensgesellschaft verspricht interessante Lektüre für Bibliothekare: „Mitten drin“ sind wir schon in „Orwells Welt“ (S. 13), die Freiheit der Forschung schon aufgegeben. Und Laughlin müsste es wissen: der Physik-Nobelpreisträger von 1998 forscht und lehrt selbst an der Stanford University. Zum Glück hält das Buch nicht, was der Autor verspricht.
Ein wichtiges Thema packt Laughlin da an: Wir sind auf dem falschen Weg. Staat und Unternehmen schränken ein, was gewusst und geforscht werden darf, und Forscher und Bürger nehmen es hin, ohne dafür etwas zu bekommen. Daher leiht man der Warnung gern seine Aufmerksamkeit, auch um zu erfahren, was wohl dagegen zu tun wäre. Doch diese Hoffnung wird enttäuscht. Laughlin hat wenig positive Botschaften, und verliert sich in Anekdoten und Kleinigkeiten. Sein Gedankengang wirkt oft assoziativ und eher anekdotisch als argumentierend, d.h. das Vorgetragene baut nicht recht aufeinander auf. Schnell ist er mit Worten wie „Orwell“ bei der Hand, formuliert ansonsten aber recht sorglos und ungenau.(FN 1) Dafür, dass das Buch zuerst auf Deutsch erschien, nimmt der Inhalt ohnehin wenig Rücksicht auf die deutsche bzw. europäische Situation. Dabei gäbe es hier einiges anders zu bewerten; wir haben ja mit Artikel 5 GG ein Grundrecht auf Informationsfreiheit.
Doch im einzelnen: In zehn lose miteinander verbundenen Kapiteln geht Laughlin der Frage nach, in welcher Form und aus welchem Grund der ‘freie Zugang zum Wissen’ in der Gegenwart eingeschränkt ist. Im ersten Kapitel verknüpft Laughlin seine Ausgangsthese mit dem (unbegründeten) „Grundrecht des Menschen [...], Fragen zu stellen und nach Erkenntnis zu streben“ (S. 10) und nennt drei gesellschaftliche Motive für die Einschränkung dieses Grundrechts: 1. die staatliche Sicherheit (Beispiele Nukleartechnik / Biowaffen), 2. die ökonomischen Interessen von Unternehmen (Beispiel Patentwesen), 3. die Moral (Beispiel Klonen). Dies sind die Hauptanwendungsfälle für das ganze Buch, deren Reflexion Laughlin allerdings durch fragwürdige Parallelisierungen vernebelt.
Im zweiten Kapitel geht es z.B. darum, was Wissen „gefährlich“ macht und warum man sich entscheiden könnte, den Zugang dazu einzuschränken. Das ganze Kapitel krankt jedoch daran, dass Laughlin nicht unterscheidet zwischen gefährlichen Dingen (oder Handlungen) und dem Wissen davon. So schreibt er, dass das ‘Wissen um den Gebrauch von Fleischermessern’ zu tragischen Unfällen und sogar zu Mord führen könne und das Wissen um den Gebrauch von Streichhölzern „immer wieder schwere Verbrennungen oder sogar Brandstiftung zur Folge hat“ (S. 14) – dabei liegt auf der Hand, dass 1. Wissen ohne Besitz und Gebrauch des betreffenden Gegenstandes zu gar nichts führt und 2. in der Regel das Wissen um den richtigen Gebrauch eines Gegenstandes seine Handhabung sicherer macht. Folglich eignen sich diese Analogien nicht zur Illustration seiner Thesen, die damit seltsam unbegründet erscheinen.
Zwei weitere Beispiele: Laughlin unterscheidet nicht zwischen „Wissen“ und „Information“ (im informationstheoretischen Sinne) und bringt daher das Spiel ‘Stille Post’ als Beispiel, wie Wissen in der Kommunikation „verfällt“ (S. 31/32). Er setzt das Verbot des Gebrauchs und der Verbreitung von Technologien zur Umgehung des Kopierschutzes bei Musik- und Filmdateien gleich mit der ‘Kriminalisierung des für das Kopieren nötigen Wissens’ (S. 23), denn nur so taugt dies als weiterer Beleg dafür, wie wirtschaftliche Interessen erzwingen, dass der Zugang zu Wissen beschränkt wird.
Ärgerlich ist, dass Laughlin derlei Ungenauigkeiten auch dort in Kauf nimmt, wo er als Experte auftritt, nämlich im Bereich der Naturwissenschaften. Im interessantesten Kapitel seines Buches geißelt Laughlin – zu Recht – die Auswüchse des amerikanischen Patentrechts. Dabei macht er sich darüber lustig, dass der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten kürzlich entschieden habe, dass „chemische Prozesse im menschlichen Körper keine Naturgesetze seien“; dies folge nämlich daraus, dass Naturgesetze nicht patentiert werden können, Gensequenzen aber für patentfähig erklärt wurden (S. 55). Gensequenzen sind aber – wie kann man etwas anderes denken? – weder Naturgesetze noch chemische Prozesse!
Dabei ist das Anliegen insbesondere des Kapitels zum Patentrecht durchaus wichtig und bedenkenswert. Dass Patente auf Gene und Gensequenzen erteilt werden können, verhindert Forschung an diesen Genen, weil dafür Lizenzgebühren an die Patentinhaber gezahlt werden müssten oder weil Forscher sonst teure juristische Auseinandersetzungen befürchten müssen. Patente können derzeit in den USA offenbar auch auf Dinge und Verfahren erteilt werden, die nur ‘entdeckt’ (statt erfunden) worden sind, und sogar auf solche, die schon längst von anderen genutzt werden, wodurch deren Nutzung plötzlich lizenzpflichtig wird. Das Patentwesen in dieser amerikanischen Form ist also in der Tat ein Betrug an der Wissensgesellschaft, und Laughlin schlägt auch, wenngleich nicht ernst gemeint, eine Lösung vor: Patente „auf die Natur“ dürften gar nicht gewährt werden, denn das „ist offensichtlich unmoralisch“ (S. 65). „Und dasselbe gilt für Patente auf die Vernunft“, das heißt: Verfahren und Techniken, die auf der Hand liegen, dürften keinen Schutz genießen; das Urteil darüber, was als auf der Hand liegend gelten kann, müsste einer Jury aus Experten zustehen. Hier sieht Laughlin eine Aufgabe für den Gesetzgeber.
Auch die Frage, wie die Sicherheitsinteressen eines Staates oder der Staatengemeinschaft mit der Freiheit der Forschung vereinbar sind (6. Kapitel), ist wichtig. Laughlins Haltung dazu ist allerdings unentschlossen. Einerseits hält er nichts von der Strategie des Verbots, weil diese auch wichtige Forschung behindere, und erzählt ein paar einschüchternde Anekdoten von unschuldigen Wissenschaftlern, die aus öffentlichen Quellen Informationen zusammengestellt haben, die dann plötzlich als geheim eingestuft wurden, so dass die Wissenschaftler vor Gericht gestellt wurden. Andererseits hält er Sicherheitsinteressen für legitim. Einen Ausgleich sieht er nicht, sondern geht lieber zum nächsten Thema über, indem er Nukleartechnik und Virenforschung als Präzedenzfälle für den staatlichen behindernden Umgang mit Wissen ansieht. Denselben, erprobten, Umgang wähle der Staat nun beim Thema Klonen.
Die beiden Klon-Kapitel zeigen besonders deutlich, woran es dem ganzen Buch fehlt. Erstens übersieht Laughlin die moralische Dimension der Debatte um das Klonen und bringt stattdessen stets ökonomische Erklärungen. Und zweitens bringt er immer wieder abschweifende Analogien zwischen dem Klonen von Zellen und dem Kopieren von Computerprogrammen ein. So meint er nebenbei zeigen zu müssen, dass die Computerprogramme heutzutage so schlecht seien, weil sie „geklont“ würden, statt einem darwinistischen Ausleseprozess mit Mutationen zu unterliegen. Das ist sicher für sich eine diskussionswürdige These, die im Zusammenhang des „Betruges an der Wissensgesellschaft“ aber vom Thema ablenkt. Ähnliches gilt übrigens für das Kapitel über Spam (9.), in dem Laughlin darüber schreibt, wie ein Zuviel an Informationen das Wichtige zum Verschwinden bringt. Neil Postman brachte das vor Jahren schon besser auf den Nenner „wir informieren uns zu Tode“, und ohnehin hat das nichts mit Laughlins Thema zu tun.
Die Lektüre des Buches ist also, das muss man leider zusammenfassend feststellen, nur zum Teil erhellend. Laughlin gelingt es selten, das Wichtige vom Unwichtigen zu scheiden, um es in einer klaren gedanklichen Gliederung zu präsentieren. Bleibt also positiv hervorzuheben, dass Laughlin sich eines wichtigen Themas angenommen hat, wenngleich er damit eher zum eigenen Denken als zum Nach-Denken anregt.
FN1: Hier mag auch die Übersetzung an einem Teil der Missverständlichkeiten schuld sein. Das Buch ist zwar im April 2008 zuerst auf Deutsch erschienen, die englischsprachige Ausgabe erschien erst Mitte September und scheint etwas ausführlicher zu sein mit ca. 220 Seiten. Trotzdem handelt es sich um eine Übersetzung (von Michael Bischoff). Für mich liegt z.B. der Verdacht nahe, dass die Formulierung, die „Gesetze kollektiver Organisation“ seien „per definitionem abstrus“ (S. 38/39), sich dem englischen Wort „obscure“ verdankt; in der Tat geht es eher um ihre Verborgenheit im Fluss der beobachtbaren Phänomene. – Verkürzte, selbstwidersprüchlich wirkende Formulierungen wie: „Das Schicksal des Würfels ist bekannt, sobald er die Hand des Spielers verlassen hat, nur kennen wir das Schicksal nicht“ (S. 30), dürften allerdings allein auf das Konto Laughlins gehen.
Die Rezension erschien in Buch und Bibliothek 60 (2008) 11/12, S. 830-831.
Robert B. Laughlins Streitschrift Das Verbrechen der Vernunft : Betrug an der Wissensgesellschaft verspricht interessante Lektüre für Bibliothekare: „Mitten drin“ sind wir schon in „Orwells Welt“ (S. 13), die Freiheit der Forschung schon aufgegeben. Und Laughlin müsste es wissen: der Physik-Nobelpreisträger von 1998 forscht und lehrt selbst an der Stanford University. Zum Glück hält das Buch nicht, was der Autor verspricht.
Ein wichtiges Thema packt Laughlin da an: Wir sind auf dem falschen Weg. Staat und Unternehmen schränken ein, was gewusst und geforscht werden darf, und Forscher und Bürger nehmen es hin, ohne dafür etwas zu bekommen. Daher leiht man der Warnung gern seine Aufmerksamkeit, auch um zu erfahren, was wohl dagegen zu tun wäre. Doch diese Hoffnung wird enttäuscht. Laughlin hat wenig positive Botschaften, und verliert sich in Anekdoten und Kleinigkeiten. Sein Gedankengang wirkt oft assoziativ und eher anekdotisch als argumentierend, d.h. das Vorgetragene baut nicht recht aufeinander auf. Schnell ist er mit Worten wie „Orwell“ bei der Hand, formuliert ansonsten aber recht sorglos und ungenau.(FN 1) Dafür, dass das Buch zuerst auf Deutsch erschien, nimmt der Inhalt ohnehin wenig Rücksicht auf die deutsche bzw. europäische Situation. Dabei gäbe es hier einiges anders zu bewerten; wir haben ja mit Artikel 5 GG ein Grundrecht auf Informationsfreiheit.
Doch im einzelnen: In zehn lose miteinander verbundenen Kapiteln geht Laughlin der Frage nach, in welcher Form und aus welchem Grund der ‘freie Zugang zum Wissen’ in der Gegenwart eingeschränkt ist. Im ersten Kapitel verknüpft Laughlin seine Ausgangsthese mit dem (unbegründeten) „Grundrecht des Menschen [...], Fragen zu stellen und nach Erkenntnis zu streben“ (S. 10) und nennt drei gesellschaftliche Motive für die Einschränkung dieses Grundrechts: 1. die staatliche Sicherheit (Beispiele Nukleartechnik / Biowaffen), 2. die ökonomischen Interessen von Unternehmen (Beispiel Patentwesen), 3. die Moral (Beispiel Klonen). Dies sind die Hauptanwendungsfälle für das ganze Buch, deren Reflexion Laughlin allerdings durch fragwürdige Parallelisierungen vernebelt.
Im zweiten Kapitel geht es z.B. darum, was Wissen „gefährlich“ macht und warum man sich entscheiden könnte, den Zugang dazu einzuschränken. Das ganze Kapitel krankt jedoch daran, dass Laughlin nicht unterscheidet zwischen gefährlichen Dingen (oder Handlungen) und dem Wissen davon. So schreibt er, dass das ‘Wissen um den Gebrauch von Fleischermessern’ zu tragischen Unfällen und sogar zu Mord führen könne und das Wissen um den Gebrauch von Streichhölzern „immer wieder schwere Verbrennungen oder sogar Brandstiftung zur Folge hat“ (S. 14) – dabei liegt auf der Hand, dass 1. Wissen ohne Besitz und Gebrauch des betreffenden Gegenstandes zu gar nichts führt und 2. in der Regel das Wissen um den richtigen Gebrauch eines Gegenstandes seine Handhabung sicherer macht. Folglich eignen sich diese Analogien nicht zur Illustration seiner Thesen, die damit seltsam unbegründet erscheinen.
Zwei weitere Beispiele: Laughlin unterscheidet nicht zwischen „Wissen“ und „Information“ (im informationstheoretischen Sinne) und bringt daher das Spiel ‘Stille Post’ als Beispiel, wie Wissen in der Kommunikation „verfällt“ (S. 31/32). Er setzt das Verbot des Gebrauchs und der Verbreitung von Technologien zur Umgehung des Kopierschutzes bei Musik- und Filmdateien gleich mit der ‘Kriminalisierung des für das Kopieren nötigen Wissens’ (S. 23), denn nur so taugt dies als weiterer Beleg dafür, wie wirtschaftliche Interessen erzwingen, dass der Zugang zu Wissen beschränkt wird.
Ärgerlich ist, dass Laughlin derlei Ungenauigkeiten auch dort in Kauf nimmt, wo er als Experte auftritt, nämlich im Bereich der Naturwissenschaften. Im interessantesten Kapitel seines Buches geißelt Laughlin – zu Recht – die Auswüchse des amerikanischen Patentrechts. Dabei macht er sich darüber lustig, dass der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten kürzlich entschieden habe, dass „chemische Prozesse im menschlichen Körper keine Naturgesetze seien“; dies folge nämlich daraus, dass Naturgesetze nicht patentiert werden können, Gensequenzen aber für patentfähig erklärt wurden (S. 55). Gensequenzen sind aber – wie kann man etwas anderes denken? – weder Naturgesetze noch chemische Prozesse!
Dabei ist das Anliegen insbesondere des Kapitels zum Patentrecht durchaus wichtig und bedenkenswert. Dass Patente auf Gene und Gensequenzen erteilt werden können, verhindert Forschung an diesen Genen, weil dafür Lizenzgebühren an die Patentinhaber gezahlt werden müssten oder weil Forscher sonst teure juristische Auseinandersetzungen befürchten müssen. Patente können derzeit in den USA offenbar auch auf Dinge und Verfahren erteilt werden, die nur ‘entdeckt’ (statt erfunden) worden sind, und sogar auf solche, die schon längst von anderen genutzt werden, wodurch deren Nutzung plötzlich lizenzpflichtig wird. Das Patentwesen in dieser amerikanischen Form ist also in der Tat ein Betrug an der Wissensgesellschaft, und Laughlin schlägt auch, wenngleich nicht ernst gemeint, eine Lösung vor: Patente „auf die Natur“ dürften gar nicht gewährt werden, denn das „ist offensichtlich unmoralisch“ (S. 65). „Und dasselbe gilt für Patente auf die Vernunft“, das heißt: Verfahren und Techniken, die auf der Hand liegen, dürften keinen Schutz genießen; das Urteil darüber, was als auf der Hand liegend gelten kann, müsste einer Jury aus Experten zustehen. Hier sieht Laughlin eine Aufgabe für den Gesetzgeber.
Auch die Frage, wie die Sicherheitsinteressen eines Staates oder der Staatengemeinschaft mit der Freiheit der Forschung vereinbar sind (6. Kapitel), ist wichtig. Laughlins Haltung dazu ist allerdings unentschlossen. Einerseits hält er nichts von der Strategie des Verbots, weil diese auch wichtige Forschung behindere, und erzählt ein paar einschüchternde Anekdoten von unschuldigen Wissenschaftlern, die aus öffentlichen Quellen Informationen zusammengestellt haben, die dann plötzlich als geheim eingestuft wurden, so dass die Wissenschaftler vor Gericht gestellt wurden. Andererseits hält er Sicherheitsinteressen für legitim. Einen Ausgleich sieht er nicht, sondern geht lieber zum nächsten Thema über, indem er Nukleartechnik und Virenforschung als Präzedenzfälle für den staatlichen behindernden Umgang mit Wissen ansieht. Denselben, erprobten, Umgang wähle der Staat nun beim Thema Klonen.
Die beiden Klon-Kapitel zeigen besonders deutlich, woran es dem ganzen Buch fehlt. Erstens übersieht Laughlin die moralische Dimension der Debatte um das Klonen und bringt stattdessen stets ökonomische Erklärungen. Und zweitens bringt er immer wieder abschweifende Analogien zwischen dem Klonen von Zellen und dem Kopieren von Computerprogrammen ein. So meint er nebenbei zeigen zu müssen, dass die Computerprogramme heutzutage so schlecht seien, weil sie „geklont“ würden, statt einem darwinistischen Ausleseprozess mit Mutationen zu unterliegen. Das ist sicher für sich eine diskussionswürdige These, die im Zusammenhang des „Betruges an der Wissensgesellschaft“ aber vom Thema ablenkt. Ähnliches gilt übrigens für das Kapitel über Spam (9.), in dem Laughlin darüber schreibt, wie ein Zuviel an Informationen das Wichtige zum Verschwinden bringt. Neil Postman brachte das vor Jahren schon besser auf den Nenner „wir informieren uns zu Tode“, und ohnehin hat das nichts mit Laughlins Thema zu tun.
Die Lektüre des Buches ist also, das muss man leider zusammenfassend feststellen, nur zum Teil erhellend. Laughlin gelingt es selten, das Wichtige vom Unwichtigen zu scheiden, um es in einer klaren gedanklichen Gliederung zu präsentieren. Bleibt also positiv hervorzuheben, dass Laughlin sich eines wichtigen Themas angenommen hat, wenngleich er damit eher zum eigenen Denken als zum Nach-Denken anregt.
FN1: Hier mag auch die Übersetzung an einem Teil der Missverständlichkeiten schuld sein. Das Buch ist zwar im April 2008 zuerst auf Deutsch erschienen, die englischsprachige Ausgabe erschien erst Mitte September und scheint etwas ausführlicher zu sein mit ca. 220 Seiten. Trotzdem handelt es sich um eine Übersetzung (von Michael Bischoff). Für mich liegt z.B. der Verdacht nahe, dass die Formulierung, die „Gesetze kollektiver Organisation“ seien „per definitionem abstrus“ (S. 38/39), sich dem englischen Wort „obscure“ verdankt; in der Tat geht es eher um ihre Verborgenheit im Fluss der beobachtbaren Phänomene. – Verkürzte, selbstwidersprüchlich wirkende Formulierungen wie: „Das Schicksal des Würfels ist bekannt, sobald er die Hand des Spielers verlassen hat, nur kennen wir das Schicksal nicht“ (S. 30), dürften allerdings allein auf das Konto Laughlins gehen.
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Laughlin,
Rezension,
Wissensgesellschaft
05 November 2008
Wer ist Gerhard Kahl-Furthmann?
Der Name taucht auf im Inhaltsverzeichnis des 4. Bandes der Zeitschrift für philosophische Forschung als Autor eines Artikels Descartes' Betonung seiner Unabhängigkeit von der Tradition und Leibnizens Kritik, S. 377; außerdem steht dort eine Rezension verzeichnet (S. 302ff.). Wie es damals in der ZfphF üblich ist, wird auch ein Herkunftsort des Autors angegeben: Bayreuth.
Was hat dieser Kahl-Furthmann sonst so veröffentlicht? Wenn ich Google glaube: nix. Der Doppelname scheint mir aber eher selten, und es gibt eine einigermaßen prominente Namensträgerin, die, welch Zufall, ebenfalls aus Bayreuth stammt und Philosophin ist! Nämlich Gertrud Kahl-Furthmann. Diese Autorin hat selbst einige Beiträge in der ZfphF veröffentlicht, außerdem einiges an Büchern.
These: Den Gerhard gibt es nicht. Die Autorin schrieb an die Redaktion per Hand, und ihr Vorname wurde nicht richtig gelesen. (Wie könnte man das wohl klären?)
Was hat dieser Kahl-Furthmann sonst so veröffentlicht? Wenn ich Google glaube: nix. Der Doppelname scheint mir aber eher selten, und es gibt eine einigermaßen prominente Namensträgerin, die, welch Zufall, ebenfalls aus Bayreuth stammt und Philosophin ist! Nämlich Gertrud Kahl-Furthmann. Diese Autorin hat selbst einige Beiträge in der ZfphF veröffentlicht, außerdem einiges an Büchern.
These: Den Gerhard gibt es nicht. Die Autorin schrieb an die Redaktion per Hand, und ihr Vorname wurde nicht richtig gelesen. (Wie könnte man das wohl klären?)
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Kahl-Furthmann
www.Kritikon.de ist online!
Kritikon ist online, und zwar schon seit dem 1.11. Da ich daran selbst beteiligt bin (allerdings nicht inhaltlich), hätte ich da auch schon früher darauf hinweisen sollen, aber die Veröffentlichungsgeschwindigkeit hat ja noch nicht ein Tempo erreicht, welches die paar Tage Differenz als echte Verspätung erscheinen lässt. Also: Jetzt gibts endlich auch philosophische Rezensionen à la H-Soz-u-Kult oder Sehepunkte. Die Redaktion liegt in Leipzig, herausgegeben und qualitätsgeprüft wird das ganze von Pirmin Stekeler-Weithofer, der vermutlich ohnehin in Arbeit ertrinkt, und seinen Leipziger Kollegen Nikos Psarros und Thomas Kater sowie den von ihnen bestellten Gutachtern. Geld kommt von der DFG. Die UB Erlangen-Nürnberg hostet Kritikon, da es zusammen mit der Virtuellen Fachbibliothek Philosophie Sophikon konzipiert worden ist.
Toll finde ich, wenn ich hier uns mal selbst loben darf, dass die Artikel unter einer deutschen CC-BY-NC-SA 3.0-Lizenz veröffentlicht werden. Das erlaubt es Interessierten z.B., die Rezensionen anreichernd in einen Katalog einzubringen. Und die parallele Veröffentlichung als pdf-Version bietet bequemen Download und offline-Lektüre.
Toll finde ich, wenn ich hier uns mal selbst loben darf, dass die Artikel unter einer deutschen CC-BY-NC-SA 3.0-Lizenz veröffentlicht werden. Das erlaubt es Interessierten z.B., die Rezensionen anreichernd in einen Katalog einzubringen. Und die parallele Veröffentlichung als pdf-Version bietet bequemen Download und offline-Lektüre.
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Kritikon,
Sophikon,
Virtuelle Fachbibliothek
04 November 2008
Neues zur Philosophie des Traums
Gleich zwei Bücher sind hier zu vermelden. Christoph Türcke hat eine Philosophie des Traums bei Beck vorgelegt; Petra Gehring über Traum und Wirklichkeit bei Campus nachgedacht. Rezensionsnotizen bei Perlentaucher zum ersten und zum zweiten. Denen entnehme ich, dass derselbe Rezensent, Oliver Pfohlmann, Türckes Buch am gleichen Tag für die ZEIT und die NZZ rezensiert hat? Oder irren die sich bei Perlentaucher?
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Traum
03 November 2008
Leibniz' Diss De casibus perplexis in jure (1. Teil)
Wenn man kein Leibniz-Experte ist: wie kommt man dann mit diesen zwei Fragen zurecht:
1. Existiert eigentlich eine deutsche Übersetzung für Leibniz' Dissertation De casibus perplexis in jure ?
2. Und gibt es Forschungsliteratur dazu?
Für beide Fragen kann man ja vielleicht einschlägige Bibliographien heranziehen. Für Leibniz gibt es eine Bibliographie der Forschungsliteratur, die bis 1990 in gedruckter Form und für die Zeit danach in Datenbankform erschienen ist bzw. erscheint, bearbeitet vom Leibniz-Archiv in Hannover. (Man findet sie, indem man im elektronischen Katalog der UB Erlangen-Nürnberg die Kombination der Schlagworte "Leibniz, Gottfried Wilhelm" und "Bibliographie" sucht.)
Die gedruckte ist in zwei Bänden erschienen, deren erster in der zweiten Auflage ich durchgesehen habe:
Dazu gleich mehr. Die Datenbank taugt auch zur Suche nach Textausgaben von Leibniz: aber leider nicht über den gesamten Zeitraum, d.h. nicht seit Leibniz' Leben bis heute. -- Über die gleiche Schlagwort-Suche im Erlanger Katalog wie oben würde man auch die von Emile Ravier gefertigte "Bibliographie des oeuvres de Leibniz" finden, welche 1937 erschien und 1966 nachgedruckt wurde: eine Bibliographie der Primärliteratur. Dass diese a) überarbeitungsbedürftig und b) auf dem Stand von 1937 ist, heißt also, dass man ihrer Auskunft, sie kenne keine deutschen oder überhaupt Übersetzungen von De casibus ... nicht unbedingt trauen kann. Immerhin kann man ihr entnehmen, in welchem Band der Leibniz-Gesamtausgabe der lateinische Text selbst enthalten ist.
Verrät die Datenbank mehr? Hier muss man zugeben, dass die Suchsystematik und ihre Darbietung etwas eigen ist. Ruft man die Startseite auf, kann man der linken Navigationsleiste entnehmen, dass es eine Systematik gibt, die ein Leser der gedruckten Bibliographie auch schon kennt. Da diese allerdings keine Primärliteratur von Leibniz enthält, ist die Systematik der Datenbank entsprechend ungegliedert. Im Bild kann man mit dem Klick auf die "2" der Systematik die Forschungsliteratur weiter aufblättern, landet aber bei der Primärliteratur direkt bei den 466 Treffern.
Deren Anzeige ist übrigens alles andere als geglückt: warum da kein automatischer Zeilenumbruch für den Browser (Firefox und IE ausprobiert) stattfindet, bleibt wohl ein Geheimnis der Hannoverschen Kollegen.
Für die Suche nach "De casibus" kann man nun die Systematik zur Einschränkung nutzen, d.h. man gibt in die Zeile G der Suchmaske "1" ein und in die Titelstichwortzeile z.B. "casibus". Leider geht aus der Datenbankbeschreibung, soweit ich sehen konnte, nicht hervor, ob die Datenbank Übersetzungen auch unter dem Titel des übersetzten Werks verzeichnet, oder ob man bereits die Formulierung der Übersetzung kennen muss. Das ist nämlich bei den Casibus perplexis nicht ganz einfach. Eine mögliche Übersetzung lautet "Über verwirrende Fälle" oder "Über verzwickte Fälle". Es geht nämlich wohl um Rechtsfälle, bei denen schon die Exposition einen Widerspruch enthält. -- Jedenfalls will auch die Datenbank keine Übersetzung kennen, wenn wir davon ausgehen, dass man mit dem Einheitssachtitel suchen kann. Schade.
1. Existiert eigentlich eine deutsche Übersetzung für Leibniz' Dissertation De casibus perplexis in jure ?
2. Und gibt es Forschungsliteratur dazu?
Für beide Fragen kann man ja vielleicht einschlägige Bibliographien heranziehen. Für Leibniz gibt es eine Bibliographie der Forschungsliteratur, die bis 1990 in gedruckter Form und für die Zeit danach in Datenbankform erschienen ist bzw. erscheint, bearbeitet vom Leibniz-Archiv in Hannover. (Man findet sie, indem man im elektronischen Katalog der UB Erlangen-Nürnberg die Kombination der Schlagworte "Leibniz, Gottfried Wilhelm" und "Bibliographie" sucht.)
Die gedruckte ist in zwei Bänden erschienen, deren erster in der zweiten Auflage ich durchgesehen habe:
- Leibniz-Bibliographie : die Literatur über Leibniz bis 1980 / begründet von Kurt Müller. - 2. erw. Aufl. - Frankfurt am Main : Klostermann, 1984.
- 2. Band: Leibniz-Bibliographie : Band 2. Die Literatur über Leibniz bis 1981-1990 / begründet von Kurt Müller. - Frankfurt am Main : Klostermann, 1996.
- www.leibniz-bibliographie.de
Dazu gleich mehr. Die Datenbank taugt auch zur Suche nach Textausgaben von Leibniz: aber leider nicht über den gesamten Zeitraum, d.h. nicht seit Leibniz' Leben bis heute. -- Über die gleiche Schlagwort-Suche im Erlanger Katalog wie oben würde man auch die von Emile Ravier gefertigte "Bibliographie des oeuvres de Leibniz" finden, welche 1937 erschien und 1966 nachgedruckt wurde: eine Bibliographie der Primärliteratur. Dass diese a) überarbeitungsbedürftig und b) auf dem Stand von 1937 ist, heißt also, dass man ihrer Auskunft, sie kenne keine deutschen oder überhaupt Übersetzungen von De casibus ... nicht unbedingt trauen kann. Immerhin kann man ihr entnehmen, in welchem Band der Leibniz-Gesamtausgabe der lateinische Text selbst enthalten ist.
Verrät die Datenbank mehr? Hier muss man zugeben, dass die Suchsystematik und ihre Darbietung etwas eigen ist. Ruft man die Startseite auf, kann man der linken Navigationsleiste entnehmen, dass es eine Systematik gibt, die ein Leser der gedruckten Bibliographie auch schon kennt. Da diese allerdings keine Primärliteratur von Leibniz enthält, ist die Systematik der Datenbank entsprechend ungegliedert. Im Bild kann man mit dem Klick auf die "2" der Systematik die Forschungsliteratur weiter aufblättern, landet aber bei der Primärliteratur direkt bei den 466 Treffern.
Deren Anzeige ist übrigens alles andere als geglückt: warum da kein automatischer Zeilenumbruch für den Browser (Firefox und IE ausprobiert) stattfindet, bleibt wohl ein Geheimnis der Hannoverschen Kollegen.
Für die Suche nach "De casibus" kann man nun die Systematik zur Einschränkung nutzen, d.h. man gibt in die Zeile G der Suchmaske "1" ein und in die Titelstichwortzeile z.B. "casibus". Leider geht aus der Datenbankbeschreibung, soweit ich sehen konnte, nicht hervor, ob die Datenbank Übersetzungen auch unter dem Titel des übersetzten Werks verzeichnet, oder ob man bereits die Formulierung der Übersetzung kennen muss. Das ist nämlich bei den Casibus perplexis nicht ganz einfach. Eine mögliche Übersetzung lautet "Über verwirrende Fälle" oder "Über verzwickte Fälle". Es geht nämlich wohl um Rechtsfälle, bei denen schon die Exposition einen Widerspruch enthält. -- Jedenfalls will auch die Datenbank keine Übersetzung kennen, wenn wir davon ausgehen, dass man mit dem Einheitssachtitel suchen kann. Schade.
WYSIWYG bei Blogger
Was ist das hier?
Das ist der Mist, den Blogger in den HTML-Code schreibt, wenn man aus einer Word-Datei etwas herauskopiert, um es in den Blogger-Editor reinzukopieren. Der Text, den ich herauskopiert habe, in der vorletzten Zeile. Wozu das? Warum kein "Ohne Formatierung reinkopieren"-Button?
Das ist der Mist, den Blogger in den HTML-Code schreibt, wenn man aus einer Word-Datei etwas herauskopiert, um es in den Blogger-Editor reinzukopieren. Der Text, den ich herauskopiert habe, in der vorletzten Zeile. Wozu das? Warum kein "Ohne Formatierung reinkopieren"-Button?
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Blogger
22 Oktober 2008
"5. Auflage, unveränderter Nachdruck"
Es handelt sich um Paul Natorp, Philosophie -- ihr Problem und ihre Probleme : Einführung in den kritischen Idealismus, hg. und mit einer Einleitung von Karl-Heinz Lembeck. - Göttingen, Edition Ruprecht, 2008.
Natorp ist einer der Philosophen der Marburger Schule des Neukantianismus -- eine philosophiegeschichtliche Episode Anfang des 20. Jahrhunderts, die vielleicht nicht ganz unwichtig war, aber deren Ausstrahlung auf die Gegenwart doch eher gering ist. Trotzdem hat jetzt Frau Reinhilde Ruprecht das Werk in ihrer Edition Ruprecht neu zugänglich gemacht. Ich hatte bisher angenommen, dass die Edition Ruprecht was mit Vandenhoeck und Ruprecht zu tun habe, so wie die edition suhrkamp mit Suhrkamp, aber das ist wohl ein Irrtum, auch wenn Edition Ruprecht aus Göttingen kommt wie V&R.
Was erwartet man bei einem "unveränderten Nachdruck"? Dass das original Druckbild gleich bleibt und auch die Seitenzahlen, dass also der alte Satz komplett übernommen wurde. Tatsächlich wurde aber wohl der alte Text gescannt und mit OCR erfasst und dann neu aufs Papier gebracht, wie man auch an den hässlichen künstlichen Kursiven sehen kann -- d.h. es ist keine "unveränderte" Neuauflage, sondern eine Neuausgabe. Aber immerhin haben die sich die Mühe gemacht, die alten Seitenzahlen und Seitenumbrüche mit anzugeben, so dass man also diese Neuausgabe wie die alte benutzen kann.
Ohnehin frage ich mich, welche Wirkung mit der Mitteilung "5. Auflage" beabsichtigt ist -- die 4. stammt von 1929 (und erschien bei Vandenhoeck und Ruprecht -- gibt es also doch eine Verbindung zwischen den beiden Verlagen?). Kaufen wir das jetzt, weil das ja ein so erfolgreicher Titel ist?
Natorp ist einer der Philosophen der Marburger Schule des Neukantianismus -- eine philosophiegeschichtliche Episode Anfang des 20. Jahrhunderts, die vielleicht nicht ganz unwichtig war, aber deren Ausstrahlung auf die Gegenwart doch eher gering ist. Trotzdem hat jetzt Frau Reinhilde Ruprecht das Werk in ihrer Edition Ruprecht neu zugänglich gemacht. Ich hatte bisher angenommen, dass die Edition Ruprecht was mit Vandenhoeck und Ruprecht zu tun habe, so wie die edition suhrkamp mit Suhrkamp, aber das ist wohl ein Irrtum, auch wenn Edition Ruprecht aus Göttingen kommt wie V&R.
Was erwartet man bei einem "unveränderten Nachdruck"? Dass das original Druckbild gleich bleibt und auch die Seitenzahlen, dass also der alte Satz komplett übernommen wurde. Tatsächlich wurde aber wohl der alte Text gescannt und mit OCR erfasst und dann neu aufs Papier gebracht, wie man auch an den hässlichen künstlichen Kursiven sehen kann -- d.h. es ist keine "unveränderte" Neuauflage, sondern eine Neuausgabe. Aber immerhin haben die sich die Mühe gemacht, die alten Seitenzahlen und Seitenumbrüche mit anzugeben, so dass man also diese Neuausgabe wie die alte benutzen kann.
Ohnehin frage ich mich, welche Wirkung mit der Mitteilung "5. Auflage" beabsichtigt ist -- die 4. stammt von 1929 (und erschien bei Vandenhoeck und Ruprecht -- gibt es also doch eine Verbindung zwischen den beiden Verlagen?). Kaufen wir das jetzt, weil das ja ein so erfolgreicher Titel ist?
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Neuausgabe,
Paul Natorp
18 Oktober 2008
Was Philosophiestudierte können
Gibt es sowas eigentlich auch auf deutsch? Eine Zusammenstellung der Dinge, die man gelernt hat bzw. haben sollte, wenn man Philosophie studiert hat -- vom Arbeitsmarkt aus betrachtet? Eine Zusammenstellung der Quality Assurance Agency for Higher Education. Wenn man das liest, kann es eigentlich kein besseres Fach als Philosophie geben! Da ist man dann bestens gerüstet für den Arbeitsmarkt, auch wenn man hin und wieder "non-vocatonal courses" besucht hat. Den Ausdruck habe ich übrigens aus einem andern englischen Highlight, nämlich der Broschüre "Where next? Unlocking the potential of your philosophy degree" (pdf). Die sagt genau, worauf es ankommt: "There are plenty of career opportunities for philosophy graduates, but often in roles that bear no obvious relation to the study of philosophy, so you need to be able to demonstrate sound personal transferable skills, which emplyers value." Das ganze klingt wunderbar positiv. So gibt es z.B. zum Thema Fähigkeiten der "Business and / or organisation awareness" den Hinweis: "Although this set of skills seems to be purely related to work experience, as a philosophy student you are very well equipped to build up this type of knowledge". Soll heißen: "Weiste zwar nicht nach nem Philosophiestudium, musste dann eben so rauskriegen. Aber bist ja nicht doof."
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Arbeitsmarkt,
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Studium
16 Oktober 2008
Pflanzen, moralphilosophisch betrachtet
Sollte man Pflanzen als Subjekte in seine moralischen Überlegungen mit einbeziehen? Viele Auseinandersetzungen z.B. mit Umweltzerstörung haben den Menschen im Mittelpunkt und beziehen sich auf ihn. Die Argumentation läuft dann so: Wir sollten die Umwelt nicht zerstören, weil wir /unsere Kinder etc. dann zukünftig in einer zerstörten Umwelt leben müssen.
Bei Tieren hat sich inzwischen, scheint mir, nicht nur dank der unermüdlichen Tätigkeit von Tierrechtsaktivisten, die Ansicht durchgesetzt, dass sie an sich und als Selbstzweck moralische Faktoren sind. Aber wie ist das mit Pflanzen? Man möchte zunächst erst mal wissen, mit Thomas Nagel: How is it like to be a plant? Wenn wir z.B. Leidensfähigkeit als Ausgangspunkt moralischer Überlegungen nehmen, dann wird es schwierig mit Pflanzen, weil einerseits zwar sich Schaden und Zerstörung bei ihnen genau aufzeigen lassen, andererseits ein Leiden aber nicht. Zu sagen, dass eine Pflanze "leidet" oder Schmerzen hat, scheint mir Anthropologisierung in hohem Maße. Kommt man aus dieser Falle heraus?
In der Schweiz hat die "Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Außerhumanbereich" über das Thema nachgedacht und einen Bericht verfasst, hier als pdf. Sie gehen von der Betrachtung der Pflanzen um ihrer Selbst willen aus. Das ist mit großer Ernsthaftigkeit vorgetragen und in den 20 Seiten der Broschüre mit bunten Bildern attraktiv veröffentlicht. Da finden sich Zitate wie dieses aus den "Schlussfolgerungen":
Was ist ein vernünftiger Grund? Kind mit Stock schlägt Blume den "Kopf" ab, aus Spaß: vernünftiger Grund? Ist nicht überhaupt das Reden von einem Kopf eine unzulässige Anthropologisierung, weil der Begriff "Köpfen" ja vorgibt zu wissen, wie es ist, eine Pflanze zu sein?
Interessant an dem Bericht, dass er Mehrheits- und Minderheitsmeinung in der Kommission gleichermaßen festhält und weitergibt.
Bei Tieren hat sich inzwischen, scheint mir, nicht nur dank der unermüdlichen Tätigkeit von Tierrechtsaktivisten, die Ansicht durchgesetzt, dass sie an sich und als Selbstzweck moralische Faktoren sind. Aber wie ist das mit Pflanzen? Man möchte zunächst erst mal wissen, mit Thomas Nagel: How is it like to be a plant? Wenn wir z.B. Leidensfähigkeit als Ausgangspunkt moralischer Überlegungen nehmen, dann wird es schwierig mit Pflanzen, weil einerseits zwar sich Schaden und Zerstörung bei ihnen genau aufzeigen lassen, andererseits ein Leiden aber nicht. Zu sagen, dass eine Pflanze "leidet" oder Schmerzen hat, scheint mir Anthropologisierung in hohem Maße. Kommt man aus dieser Falle heraus?
In der Schweiz hat die "Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Außerhumanbereich" über das Thema nachgedacht und einen Bericht verfasst, hier als pdf. Sie gehen von der Betrachtung der Pflanzen um ihrer Selbst willen aus. Das ist mit großer Ernsthaftigkeit vorgetragen und in den 20 Seiten der Broschüre mit bunten Bildern attraktiv veröffentlicht. Da finden sich Zitate wie dieses aus den "Schlussfolgerungen":
Die Kommissionsmitglieder halten einen willkürlich schädigenden Umgang mit Pflanzen einstimmig für moralisch unzulässig. Zu einem solchen Umgang zählt z.B. das Köpfen von Wildblumen am Wegrand ohne vernünftigen Grund.
Was ist ein vernünftiger Grund? Kind mit Stock schlägt Blume den "Kopf" ab, aus Spaß: vernünftiger Grund? Ist nicht überhaupt das Reden von einem Kopf eine unzulässige Anthropologisierung, weil der Begriff "Köpfen" ja vorgibt zu wissen, wie es ist, eine Pflanze zu sein?
Interessant an dem Bericht, dass er Mehrheits- und Minderheitsmeinung in der Kommission gleichermaßen festhält und weitergibt.
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Ethik,
Nationaler Ethikrat,
Pflanzen,
Schweiz
14 Oktober 2008
Braucht die Philosophie Open Access?
Auf jeden Fall braucht sie bei uns etwas mehr Bewusstsein davon, was Open Access ist und wo man sinnvollerweise so veröffentlichen kann. Heute ist Open-Access-Tag, initiiert von SPARC, Students for Free Culture und PLoS. Und wo kann eine Philosophin, ein Philosoph sinnvollerweise ...? Tja, auf den Hochschulschriftenservern. In der einen oder anderen OA-Zeitschrift. Bei de Gruyter kann man OA veröffentlichen z.B. in den Kant-Studien, wenn man ein erkleckliches Sümmchen dafür bezahlt. Und sonst? Denn dass man seine Texte selbst online stellt, ist lobenswert, hilft aber nicht beim Gefunden- und Gelesenwerden. Brauchen wir also einen Philosophie- OA-Server?
[Update] Mehr zu Open Access im Allgemeinen bei Archivalias Beitrag zum OA-Tag.
[Update] Mehr zu Open Access im Allgemeinen bei Archivalias Beitrag zum OA-Tag.
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Open Access
10 Oktober 2008
Die Wahrheit über Heidegger
Nee, Heidegger über die Wahrheit. Christoph Martel hat mit Heideggers Wahrheiten : Wahrheit, Referenz und Personalität in Sein und Zeit. - Berlin u.a. : de Gruyter, 2008 (Quellen und Studien zur Philosophie ; 87) ein sehr gut lesbares Buch über das im Untertitel genannte Thema vorgelegt. Ich war dabei, als Christoph zum ersten Mal seine Ideen zum Thema vortrug, 1999 in Prof. Carls Kolloquium in Göttingen, und freue mich nun zu sehen, dass so ein ansehnliches Buch daraus geworden ist. Christoph zeigt, was an Erkenntnisgewinn dabei herauskommt, wenn jemand mit analytischer Schulung und der Vermutung, dass der behandelte Philosoph auch etwas Sinnvolles zu sagen hat, sich dem Inbegriff der Kontinentalphilosophie annimmt -- sozusagen das Gegenteil von Russells berühmter Nichtachtung der Heideggerschen Philosophie. Anders ausgedrückt: Man kann durchaus Heidegger lesen und verstehen. Und braucht das Ziel nicht aufzugeben, ihn ohne Heideggerismen zu interpretieren. Daher denke ich, dass auch solche, die mit Heidegger nichts anfangen können, das Buch mit Gewinn lesen werden!
08 Oktober 2008
Honeckers Traumergebnis
Ferdinand von Bismarck hat sicher nicht nur mir einen Brief geschrieben darüber, wie sehr er in Sorge ist, weil Deutschland "nach links driftet". Seltsame Sätze stehen in dem Brief. So meint er, die SED-Nachfolgepartei erziele "in ganz Deutschland Wahlergebnisse, von denen Honecker & Co niemals auch nur zu träumen gewagt hätten". Hhm, mal vergleichen. Bei der letzten Bundestagswahl 8,7%, bei der letzten Landtagswahl in einem ostdeutschen Bundesland 25,2% in Sachsen-Anhalt. In der DDR gab es bekanntlich eine Einheitsliste, wo man nur mit Ja stimmen konnte. Das taten 1986 z.B. 99,4%, bei einer Wahlbeteiligung von 99,74%. Also: von so einem schlechten Wahlergebnis wie in den letzten Jahren für die Linke könnten Honecker und Co natürlich nur alpträumen, lebten sie noch.
Aber ernsthaft. Von Bismarck argumentiert in seinem Werbebrief, dass D nach links drifte, weil die Jugend nicht gut genug politisch informiert sei; er schreibt vom "PISA-Elend in Politik und Geschichte". Im Unterricht würden nämlich "der Terror kommunisticher Gewaltherrschaft verschwiegen und verharmlost", während der des 3. Reichs erläutert würde, und aus dieser Asymmetrie können die Linken "politisches Kapital schlagen". "Dazu dürfen wir nicht länger schweigen".
Aber von Bismarck will gar nicht, dass ich selbst dazu was sage. Er will nur, dass ich mich "informiere", indem ich die bekannte rechte Wochenzeitschrift Junge Dingsbums probelese -- denkt er, ich wäre einer der unbedarften Jugendlichen, die laut einer von ihm zitierten Umfrage von 2006 Adenauer für einen DDR-Politiker hielten? Und wie kann das Probelesen ein "wichtiger Beitrag" sein gegen die politische Entwicklung? Wie verhindere ich mit dem Probelesen, dass da die Linken "die Diskurshoheit in unserem Vaterland" bekommen?
Da ich diese Argumentation nicht nachvollziehen kann, mag ich auch nicht zur geforderten Handlung schreiten. Allerdings frage ich mich, woher die Rechten meine Adresse haben. Vielleicht hat Robert Spaemann sie ihnen gegeben? Oder T-Mobile?
Aber ernsthaft. Von Bismarck argumentiert in seinem Werbebrief, dass D nach links drifte, weil die Jugend nicht gut genug politisch informiert sei; er schreibt vom "PISA-Elend in Politik und Geschichte". Im Unterricht würden nämlich "der Terror kommunisticher Gewaltherrschaft verschwiegen und verharmlost", während der des 3. Reichs erläutert würde, und aus dieser Asymmetrie können die Linken "politisches Kapital schlagen". "Dazu dürfen wir nicht länger schweigen".
Aber von Bismarck will gar nicht, dass ich selbst dazu was sage. Er will nur, dass ich mich "informiere", indem ich die bekannte rechte Wochenzeitschrift Junge Dingsbums probelese -- denkt er, ich wäre einer der unbedarften Jugendlichen, die laut einer von ihm zitierten Umfrage von 2006 Adenauer für einen DDR-Politiker hielten? Und wie kann das Probelesen ein "wichtiger Beitrag" sein gegen die politische Entwicklung? Wie verhindere ich mit dem Probelesen, dass da die Linken "die Diskurshoheit in unserem Vaterland" bekommen?
Da ich diese Argumentation nicht nachvollziehen kann, mag ich auch nicht zur geforderten Handlung schreiten. Allerdings frage ich mich, woher die Rechten meine Adresse haben. Vielleicht hat Robert Spaemann sie ihnen gegeben? Oder T-Mobile?
01 Oktober 2008
Welche Philosophiezeitschriften sind die wichtigsten?
Immerhin hätte ich jetzt eine Antwort auf die Frage, welche Zeitschriften die Australasian Association of Philosophy (AAP) für die wichtigsten hält. Ausgangspunkt ist offenbar, wenn ich den vorsichtigen Brief des Geschäftsführers richtig verstehe, die Aufforderung des Australian Research Council, ein solches Ranking zu erstellen, was dann vermutlich Ausgangspunkt sein dürfte für verschiedene institutionelle Folgen: z.B. Beurteilung der Forschungsleistung, Vergabe von Geldern etc.
Die AAP hat die Zeitschriften in 4 Kategorien eingeteilt: A*, A, B, C. Außerdem gibt's noch nicht gewertete, weil die Begutachter nicht alle Zeitschriften kennen.
Von den 31 A* eingestuften Zeitschriften ist nur eine aus dem deutschsprachigen Raum:
Kant-Studien
Von den 94 A eingestuften Zeitschriften sind 11 aus dem deutschsprachigen Raum -- wenn ich mich nicht verzählt habe:
Archiv für Geschichte der Philosophie
Facta philosophica
Fichte-Studien
Grazer philosophische Studien
Heidegger-Studien
Nietzsche-Studien
Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie
Philosophische Rundschau
Studia Leibnitiana
Theologie und Philosophie
Zeitschrift für Philosophische Forschung
Ist das die Creme der deutschsprachigen Zeitschriften?
Hm. Wo ist die AZP? Wo DZPhil? Ich vermisse auch das Archiv für Begriffsgeschichte und Philosophia naturalis. Dafür wundere ich mich ein bisschen über die Facta philosophica in dieser Liste und die Neue Zeitschrift ... Naja. Klar muss sich meine Innenansicht etwas vom australischen Blick auf die Verhältnisse unterscheiden, oder?
Den Hinweis auf das Ranking fand ich bei The Brooks Blog. Andern Links folgend sah ich, dass die European Science Foundation offenbar schon vor zwei Jahren mal ein solches Ranking vorgenommen hatte, beschrieben von Gualtiero Piccinini. Allerdings sind die Links nicht mehr zugänglich.
Die AAP hat die Zeitschriften in 4 Kategorien eingeteilt: A*, A, B, C. Außerdem gibt's noch nicht gewertete, weil die Begutachter nicht alle Zeitschriften kennen.
Von den 31 A* eingestuften Zeitschriften ist nur eine aus dem deutschsprachigen Raum:
Kant-Studien
Von den 94 A eingestuften Zeitschriften sind 11 aus dem deutschsprachigen Raum -- wenn ich mich nicht verzählt habe:
Archiv für Geschichte der Philosophie
Facta philosophica
Fichte-Studien
Grazer philosophische Studien
Heidegger-Studien
Nietzsche-Studien
Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie
Philosophische Rundschau
Studia Leibnitiana
Theologie und Philosophie
Zeitschrift für Philosophische Forschung
Ist das die Creme der deutschsprachigen Zeitschriften?
Hm. Wo ist die AZP? Wo DZPhil? Ich vermisse auch das Archiv für Begriffsgeschichte und Philosophia naturalis. Dafür wundere ich mich ein bisschen über die Facta philosophica in dieser Liste und die Neue Zeitschrift ... Naja. Klar muss sich meine Innenansicht etwas vom australischen Blick auf die Verhältnisse unterscheiden, oder?
Den Hinweis auf das Ranking fand ich bei The Brooks Blog. Andern Links folgend sah ich, dass die European Science Foundation offenbar schon vor zwei Jahren mal ein solches Ranking vorgenommen hatte, beschrieben von Gualtiero Piccinini. Allerdings sind die Links nicht mehr zugänglich.
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Rangliste,
Zeitschrift
26 September 2008
Philosophiedidaktik und Wissenschaftstheorie
Martin Euringer vollzieht "metatheoretische Analysen zur Fachdidaktik Philosophie" in seinem neuen Buch Vernunft und Argumentation (seine Habil). Erschienen bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt 2008. -- Metatheorie klingt für mich ein bisschen abschreckend, wenn man an der Praxis interessiert ist, aber der Klappentext versichert, wer die Didaktiken besser verstehe, könne sie dann auch verbessern. Hilft einem das Buch also dabei, ein besserer Philosophielehrer zu werden? Vielleicht gibts einen Philosophielehrer, der dies mal prüfen will?
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Didaktik
22 September 2008
Populäre Irrtümer
Der Stern online bietet ein kleines Quiz zum Durchklicken an: Populärer Irrtümer der Kultur. Ich falle immer wieder auf so etwas herein.
Frage 7: Gibt es Einhörner?
Multiple Choice Antworten:
Laut Stern ist die richtige Antwort D!
Dann hätte ich eigentlich abbrechen sollen, habe aber noch Frage 8 angesehen.
Michelangelo verstand sich in erster Linie als:Kommentar überflüssig.
Aber nochmal zurück zum Einhorn. Die richtige Antwort ist D), weil man früher mal etwas gefunden hat, was man für Überbleibsel von Einhörnern gehalten hat? Oder meinen die: es gibt Einhörner, aber was man früher für die Hörner von Einhörnern gehalten hat, sind keine, so dass Stern aufgrund ganz neuer eigener wissenschaftlicher Erkenntnisse vermelden kann, es gab doch welche?
Frage 7: Gibt es Einhörner?
Multiple Choice Antworten:
Dann hätte ich eigentlich abbrechen sollen, habe aber noch Frage 8 angesehen.
Michelangelo verstand sich in erster Linie als:
Habe, eingedenk der Bauten in Florenz, C) angeklickt.
Stern aber meint:
Ihre Antwort "C: ...Architekt." war leider falsch.
Die richtige Antwort ist "B: ...Bildhauer".
Michelangelo Buonarroti (1475-1564) war Maler, Bildhauer, Architekt und Dichter. Er selbst verstand sich vor allem als Maler.
Aber nochmal zurück zum Einhorn. Die richtige Antwort ist D), weil man früher mal etwas gefunden hat, was man für Überbleibsel von Einhörnern gehalten hat? Oder meinen die: es gibt Einhörner, aber was man früher für die Hörner von Einhörnern gehalten hat, sind keine, so dass Stern aufgrund ganz neuer eigener wissenschaftlicher Erkenntnisse vermelden kann, es gab doch welche?
21 September 2008
Das Zwei-Götter-Argument
Müssen Meinungen propositionalen Gehalt haben? David Lewis versucht dies mit dem folgenden Beispiel zu widerlegen:
Inwiefern ist das ein Argument dafür, dass es Meinungen ohne propositionalen Gehalt gibt? Der Gedanke verläuft ungefähr so: Die Götter wissen jede Proposition. Sie könnten aber noch mehr wissen, nämlich wer sie sind, bzw. ob sie auf dem höchsten Berg leben. Über diesen Sachverhalt haben sie vielleicht eine Meinung. Diese kann dann keinen propositionalen Gehalt haben, weil alle Propositionen ja gewusst werden.
Wirkt auf mich zirkulär...
Mehr darüber in Neil Feit: Belief about the Self : a defense of the property theory of content. Oxford : Oxford University Press, 2008. Das Szenario und eine Diskussion darin S. 34ff.
Stellen wir uns zwei Götter vor. Sie bewohnen eine bestimmte mögliche Welt, und sie wissen genau, welche Welt das ist. Daher wissen sie jede Proposition, die wahr ist in dieser Welt. In dem Sinne, dass Wissen eine propositionale Einstellung ist, sind sie allwissend. Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass sie in einem bestimmten Punkt unwissend sind: keiner von beiden weiß, welcher Gott er ist. Sie sind nicht exakt gleich. Einer lebt auf dem höchsten Berg und wirft mit Manna, der andere lebt auf dem kältesten Berg und schmeißt mit Blitzen. Keiner von beiden weiß, ob er auf dem kältesten oder dem höchsten Berg lebt und ob er mit Manna oder mit Blitzen wirft.
(D. Lewis, Attitudes De Dicto and De Se. Philosophical Review 87, 513-545).
Inwiefern ist das ein Argument dafür, dass es Meinungen ohne propositionalen Gehalt gibt? Der Gedanke verläuft ungefähr so: Die Götter wissen jede Proposition. Sie könnten aber noch mehr wissen, nämlich wer sie sind, bzw. ob sie auf dem höchsten Berg leben. Über diesen Sachverhalt haben sie vielleicht eine Meinung. Diese kann dann keinen propositionalen Gehalt haben, weil alle Propositionen ja gewusst werden.
Wirkt auf mich zirkulär...
Mehr darüber in Neil Feit: Belief about the Self : a defense of the property theory of content. Oxford : Oxford University Press, 2008. Das Szenario und eine Diskussion darin S. 34ff.
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David Lewis,
Gedankenexperiment,
Meinung,
Proposition
18 September 2008
Philosophie in D
Neulich hat Marion Hartig im Spiegel Online unter dem reißerischen Titel Gehen Deutschland die Denker aus? ein paar interessante Dinge niedergeschrieben; ein Kollege machte mich darauf aufmerksam.
Ich habe aus dem Artikel einiges gelernt. Nida-Rümelin etwa wird zitiert mit der Feststellung, "kein Fach" sei "so stark am Puls der Zeit" wie die Philosophie. Als Beleg werden dann drei Fragen angeführt: ist Folterandrohung in der Verbrechensbekämpfung erlaubt? Stammzellenforschung? Sterbehilfe? Glaubt man dem, besteht die Aktualität der Philosophie in der praktischen Ethik.
Carl Friedrich Gethmann, zur Zeit Präsident der DGPhil, wird ebenfalls befragt, und er findet, dass die deutschen Philosophen mit den Briten und Amerikanern "auf Augenhöhe" seien. Dies ist sicher eine Qualitätsbeurteilung; ich läse das gern mal umgemünzt in eine bibliometrische Untersuchung über die jeweilige Rezeption!
Gethmann heißt gut, dass sich das Fach neu orientiert habe. In den 60er Jahren seien "60% der Lehrstühle auf die Geschichte der Philosophie ausgerichtet" gewesen, "heute nur noch 20" (Prozent). Heißt das, dass eine systematische Unterrichtung der Studierenden in historischen Themen nur an philosophischen Seminaren stattfindet, die mindestens fünf Lehrstühle haben?
An deutschen Hochschulen gebe es etwa 150 Lehrstühle, wenn davon 20% historisch gewidmet sind, dann sind das 30 Lehrstühle für Philosophiegeschichte. Vielleicht meinte Gethmann aber auch nicht Lehrstühle, sondern Professuren, deren es etwa 330 gibt (sagt der Artikel). Und während in den letzten 12 Jahren die Studierendenzahlen von 24.000 auf 15.000 gesunken seien, sei die Zahl der Professoren nicht zurückgegangen. Was folgern wir aus diesen Zahlen?
Hat sich das Betreuungsverhältnis gebessert?
Auch die Zahlen selbst wirken etwas merkwürdig. Der Wissenschaftsrat hat in seiner Erhebung zur Lage der Geisteswissenschaften (pdf) in Deutschland, die ich schon mal kommentierte, zwischen 1990 und 2003 ein Schwanken um 20.000 Studierende zu verzeichnen (statistischer Anhang). Das "Wissenschaftliche Personal" ist zwischen 1997 und 2003 sogar leicht gestiegen, von 1097 auf 1127 (S. 138), Professuren gibt 1997 und 2003 299.
Ich habe aus dem Artikel einiges gelernt. Nida-Rümelin etwa wird zitiert mit der Feststellung, "kein Fach" sei "so stark am Puls der Zeit" wie die Philosophie. Als Beleg werden dann drei Fragen angeführt: ist Folterandrohung in der Verbrechensbekämpfung erlaubt? Stammzellenforschung? Sterbehilfe? Glaubt man dem, besteht die Aktualität der Philosophie in der praktischen Ethik.
Carl Friedrich Gethmann, zur Zeit Präsident der DGPhil, wird ebenfalls befragt, und er findet, dass die deutschen Philosophen mit den Briten und Amerikanern "auf Augenhöhe" seien. Dies ist sicher eine Qualitätsbeurteilung; ich läse das gern mal umgemünzt in eine bibliometrische Untersuchung über die jeweilige Rezeption!
Gethmann heißt gut, dass sich das Fach neu orientiert habe. In den 60er Jahren seien "60% der Lehrstühle auf die Geschichte der Philosophie ausgerichtet" gewesen, "heute nur noch 20" (Prozent). Heißt das, dass eine systematische Unterrichtung der Studierenden in historischen Themen nur an philosophischen Seminaren stattfindet, die mindestens fünf Lehrstühle haben?
An deutschen Hochschulen gebe es etwa 150 Lehrstühle, wenn davon 20% historisch gewidmet sind, dann sind das 30 Lehrstühle für Philosophiegeschichte. Vielleicht meinte Gethmann aber auch nicht Lehrstühle, sondern Professuren, deren es etwa 330 gibt (sagt der Artikel). Und während in den letzten 12 Jahren die Studierendenzahlen von 24.000 auf 15.000 gesunken seien, sei die Zahl der Professoren nicht zurückgegangen. Was folgern wir aus diesen Zahlen?
Hat sich das Betreuungsverhältnis gebessert?
Auch die Zahlen selbst wirken etwas merkwürdig. Der Wissenschaftsrat hat in seiner Erhebung zur Lage der Geisteswissenschaften (pdf) in Deutschland, die ich schon mal kommentierte, zwischen 1990 und 2003 ein Schwanken um 20.000 Studierende zu verzeichnen (statistischer Anhang). Das "Wissenschaftliche Personal" ist zwischen 1997 und 2003 sogar leicht gestiegen, von 1097 auf 1127 (S. 138), Professuren gibt 1997 und 2003 299.
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Deutschland
16 September 2008
Beabsichtigte Nebeneffekte
Bin über das Buch Experimental philosophy, hg. von Joshua Knobe und Shaun Nichols (Oxford : Oxford University Press) auf einen interessanten Aufsatz gestoßen. Auf die Webseite zur experimentellen Philosophie hatte ich hier schon hingewiesen.
Joshua Knobe veröffentlichte 2003 in Analysis 63, 190-193 einen Aufsatz (hier als pdf online) mit dem Titel Intentional action and side-effects in ordinary language. Darin beschäftigte er sich nicht mit der Frage, wie er den wohl Nebeneffekte von Handlungen beurteilen würde, sondern, mit den Methoden der experimentellen Psychologie, wie andere darauf reagieren. Er präsentierte seinen Probanden jeweils eines der beiden Szenarien:
A) ein Geschäftsmann entscheidet sich für eine bestimmte Handlung. Er weiß, dass diese Handlung zwei Folgen hat. 1. er wird ganz viel Geld verdienen, 2. die Handlung wird der Umwelt schaden. Doch während 1. ihm wichtig ist, ist 2. ihm egal.
B) ein Geschäftsmann entscheidet sich für eine bestimmte Handlung. Er weiß, dass diese Handlung zwei Folgen hat. 1. er wird ganz viel Geld verdienen, 2. die Handlung wird die Umweltbedingungen verbessern. Doch während 1. ihm wichtig ist, ist 2. ihm egal.
Die Probanden sollten entscheiden, ob der Nebeneffekt "2." jeweils absichtlich herbeigeführt worden war. Dabei zeigte sich für die Mehrheit der Antworten eine Asymmetrie: In Szenario A wurde überwiegend der Nebeneffekt des Schadens als absichtlich beurteilt, in Szenario B der Nebeneffekt des Nutzens überwiegend nicht. Woran liegts?
Die offensichtliche Antwort ist, dass schlechte (Neben-)Folgen stärker in Betracht gezogen werden als gute. Das scheint mir ohnehin auf der Hand zu liegen, weil wir auch ein asymmetrisches moralisches Vokabular haben. Man kann nämlich über schlechte Folgen sagen, dass man sie "in Kauf genommen" hat, während es bei guten keinen entsprechenden Ausdruck gibt. Vorausgesehene schlechte Folgen führen immer dazu, dass bei der Handlungsbegründung ein "obwohl" stehen muss: "Ich wollte dies, obwohl ..." Bei guten Folgen ist das gleichgültig, weil überhaupt kein moralisches Urteil der Handlung gefragt ist.
Joshua Knobe veröffentlichte 2003 in Analysis 63, 190-193 einen Aufsatz (hier als pdf online) mit dem Titel Intentional action and side-effects in ordinary language. Darin beschäftigte er sich nicht mit der Frage, wie er den wohl Nebeneffekte von Handlungen beurteilen würde, sondern, mit den Methoden der experimentellen Psychologie, wie andere darauf reagieren. Er präsentierte seinen Probanden jeweils eines der beiden Szenarien:
A) ein Geschäftsmann entscheidet sich für eine bestimmte Handlung. Er weiß, dass diese Handlung zwei Folgen hat. 1. er wird ganz viel Geld verdienen, 2. die Handlung wird der Umwelt schaden. Doch während 1. ihm wichtig ist, ist 2. ihm egal.
B) ein Geschäftsmann entscheidet sich für eine bestimmte Handlung. Er weiß, dass diese Handlung zwei Folgen hat. 1. er wird ganz viel Geld verdienen, 2. die Handlung wird die Umweltbedingungen verbessern. Doch während 1. ihm wichtig ist, ist 2. ihm egal.
Die Probanden sollten entscheiden, ob der Nebeneffekt "2." jeweils absichtlich herbeigeführt worden war. Dabei zeigte sich für die Mehrheit der Antworten eine Asymmetrie: In Szenario A wurde überwiegend der Nebeneffekt des Schadens als absichtlich beurteilt, in Szenario B der Nebeneffekt des Nutzens überwiegend nicht. Woran liegts?
Die offensichtliche Antwort ist, dass schlechte (Neben-)Folgen stärker in Betracht gezogen werden als gute. Das scheint mir ohnehin auf der Hand zu liegen, weil wir auch ein asymmetrisches moralisches Vokabular haben. Man kann nämlich über schlechte Folgen sagen, dass man sie "in Kauf genommen" hat, während es bei guten keinen entsprechenden Ausdruck gibt. Vorausgesehene schlechte Folgen führen immer dazu, dass bei der Handlungsbegründung ein "obwohl" stehen muss: "Ich wollte dies, obwohl ..." Bei guten Folgen ist das gleichgültig, weil überhaupt kein moralisches Urteil der Handlung gefragt ist.
Tags:
Empirie,
Experiment,
Psychologie
12 September 2008
Neue Reprints
Bisher ist mir der Adlibri-Verlag nicht aufgefallen. Eine kurze Googelei findet nur die Einträge in den Branchenverzeichnissen; eine Webpräsenz scheint es nicht zu geben.
Adlibri veröffentlicht neuerdings Reprints von philosophischen Titeln. Angekündigt sind z.B. Max Müller, Philosophische Anthropologie (war mal bei Alber in den 70er Jahren), oder Wilhelm Perpeet: Ästhetik im Mittelalter (war auch mal bei Alber), oder Otto F. Bollnow, Studien zur Hermeneutik 1 (war auch mal bei Alber).
[Update 13.10.] Titel des Postings geändert, klang zu negativ. -- Inzwischen habe ich erfahren, dass Adlibri eine Lizenzvereinbarung mit Alber hat über die Veröffentlichung von ein paar Titeln getroffen hat (wobei die Rechte an Perpeets Werk wieder bei der Erbin liegen). Adlibri ist dabei wohl auf Alber zugekommen.
Adlibri veröffentlicht neuerdings Reprints von philosophischen Titeln. Angekündigt sind z.B. Max Müller, Philosophische Anthropologie (war mal bei Alber in den 70er Jahren), oder Wilhelm Perpeet: Ästhetik im Mittelalter (war auch mal bei Alber), oder Otto F. Bollnow, Studien zur Hermeneutik 1 (war auch mal bei Alber).
[Update 13.10.] Titel des Postings geändert, klang zu negativ. -- Inzwischen habe ich erfahren, dass Adlibri eine Lizenzvereinbarung mit Alber hat über die Veröffentlichung von ein paar Titeln getroffen hat (wobei die Rechte an Perpeets Werk wieder bei der Erbin liegen). Adlibri ist dabei wohl auf Alber zugekommen.
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Reprint
10 September 2008
Darf man Wikipedia zitieren?
Natürlich darf man, auch als Wissenschaftler/in. Die Frage ist a), was man damit sagen will und b), ob man richtig zitiert. B) lasse ich hier mal weg; dass es Versionen von Artikeln gibt, gilt ja auch für die Stanford Encyclopedia. Und für die Frage a) weise ich auf Lisa Spiros Untersuchung, wo wie oft Wikipedia tatsächlich zitiert wird.
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Nachschlagen
25 August 2008
Fundstück
Gerade angezeigt gesehen: ein Wolfgang Baumgartner hat ein dreibändiges Werk über "Intuitionismus" verfasst. Leider bei Books on Demand erschienen, d.h. nicht peer reviewed. Dafür gibt es bei BoD ein paar biographische Angaben zum Autor. "Wolf Baumgartner arbeitet hauptberuflich als hochspezialisierter Personenschützer und nebenberuflich als freier Schriftsteller und als Gastlektor an verschiedenen Universitäten". Das klingt doch, hhm, interessant? Immerhin habe der Autor auch einen Doktor der Philosophie an der Uni Wien. Das lässt sich ja leicht überprüfen: tatsächlich gibt es da eine philosophische Diss eines Wolfgang Baumgartner von 1984, Essay über das sinnliche Leben : antiphilosophische Beschreibungen. 200 Blatt. Die Inhaltsangaben zu den Büchern von Dr. Baumgartner überzeugen mich aber nicht.
BoD ist ja nur ein Dienstleister, deswegen wäre es Unfug, sich darüber zu beschweren, was die so veröffentlichen. Aber was ich schon etwas lästig finde, ist, dass nun vermehrt Urheberrechtsfreies dort angeboten wird. Eine kleine Auswahl aus dem Bereich Philosophie, angekündigt im Neuerscheinungsdienst 31/2008 der DNB.
Ernst Haeckel: die Weltraetsel. Herausgegeben von Klaus-Dieter Sedlacek, der auch BoD-Autor ist und möglicherweise hofft, mit Jules Verne-Schmökern sich was dazuzuverdienen.
John Stuart Mill: System der deduktiven Logik. Hg. von Rolf Nölle, der offenbar Spaß daran hat, philosophische Werke herauszugeben.
Immanuel Kant: Von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Eine Auswahl aus seinen Werken von Willi Maslankowski. Zweite Auflage!
BoD ist ja nur ein Dienstleister, deswegen wäre es Unfug, sich darüber zu beschweren, was die so veröffentlichen. Aber was ich schon etwas lästig finde, ist, dass nun vermehrt Urheberrechtsfreies dort angeboten wird. Eine kleine Auswahl aus dem Bereich Philosophie, angekündigt im Neuerscheinungsdienst 31/2008 der DNB.
Ernst Haeckel: die Weltraetsel. Herausgegeben von Klaus-Dieter Sedlacek, der auch BoD-Autor ist und möglicherweise hofft, mit Jules Verne-Schmökern sich was dazuzuverdienen.
John Stuart Mill: System der deduktiven Logik. Hg. von Rolf Nölle, der offenbar Spaß daran hat, philosophische Werke herauszugeben.
Immanuel Kant: Von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Eine Auswahl aus seinen Werken von Willi Maslankowski. Zweite Auflage!
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Books on Demand
19 August 2008
Zitate erkennen und Bloggen
In meiner Diss habe ich einige Mühe darauf verwandt zu klären, wie man sicher sein kann, dass ein Autor einen anderen zitiert, oder genauer: wann ein Bachmann-Forscher berechtigt ist zu sagen, dass Bachmann diesen oder jenen anderen Autor zitiert habe. Das ist eine interessante Frage immer dann, wenn die Forschung offenkundig Einflüsse / Zitate / Anspielungen auf die Autoren entdeckt, die den Forschern selbst wichtig sind. Mein Ergebnis jedenfalls: Es hängt a) vom realen Kontext ab (z.B. kann Bachmann den angeblich zitierten Text überhaupt gekannt haben?) und b) vom Kontext des angeblichen Zitats und dessen Eigenschaften im Text. Ein gutes Beispiel habe ich in meinem Bachmann-Nietzsche-Aufsatz dargestellt, wo die Kommentatoren meinten, Bachmann habe einen obskuren Nietzsche-Text zitiert, während eine Kleist-Formulierung, die Bachmann zudem nachweislich gekannt hat, viel ähnlicher ist und viel besser passt.
Der Gedanke scheint trotzdem der Forschung im allgemeinen eher unangenehm zu sein, bremst ja auch die Entdeckerfreude etwas, wenn es nicht genügt, einfach eine Ähnlichkeit zwischen zwei Texten wahrzunehmen, sondern wenn auch noch etwas weitergehende Erläuterung verlangt wird. Aber das passiert auch im "richtigen Leben", wenn man die Bloggerwelt so nennen darf. Da hat der Schriftsteller Peter Glaser, der für die Stuttgarter Zeitung bloggt, in seinem Blog mitgeteilt, dass er dem FAZ-Journalisten Marco Dettweiler einen Brief geschrieben hat. Weil der nämlich in einem seiner Artikel den Satz schrieb "Die Welt ist eine Google", und zwar am 6.8.08 in der FAZ. Glaser hatte den Satz selbst auch formuliert, und zwar viel früher, nämlich am 13.5.2005, in einem Artikel in der Stuttgarter Zeitung, und danach noch einmal in einem Artikel in der Stuttgarter Zeitung von 2006. Also, schreibt Glaser, möge Dettweiler beim nächsten Mal angeben, dass der Satz eben von ihm, Glaser, sei. Dettweiler reagierte beleidigt und verwies darauf, dass der Satz nicht allzu fernliegend sei; und er sei selbst darauf gekommen. Glaser meinte daraufhin zeigen zu müssen, dass seine Erfindung aber die früheste nachweisbare sei.
Ich stelle das hier so ausführlich da, weil das ein Musterbeispiel ist, wie in der Intertextualitätsforschung manchmal argumentiert wird. Glaser steht für den eifrigen Forscher, der etwas wiedererkennt und zum Schluss kommt: das spätere der beiden Auftreten muss zitiert sein! Dettweiler sagt hingegen, der Satz sei, mit meiner Terminologie zu reden, nicht prägnant und nicht originell genug, um so eine eindeutige Einflusslinie zu zeichnen.
Das spannende ist, dass dies der Autor selbst tut, der doch ohnehin am besten weiß, ob er zitiert hat oder nicht! Aber offenkundig geht es ihm auch darum, den Verdacht zu zerstreuen, dass er vielleicht lügt, weil er ja andernfalls sich schuldig gemacht hätte, seine Quelle nicht anzugeben. Während Dettweiler in dem Disput auf ein paar tausend Google-Treffer für den Satz hinwies als Beleg dafür, dass er nicht originell sei, gelang es ein paar findigen Lesern von Glasers Blog, im Web Veröffentlichungen des Satzes zu finden, die älter sind als Glasers eigene erste Veröffentlichung; das ist alles in seinen Kommentaren nachzulesen. Was zeigt diese Auskunft über die Fakten? Sie zeigt -- bloß --, a) dass der Satz nicht originell ist, b) dass Glaser nach der Logik seiner ursprünglichen Forderung nun auf andere Quellen verweisen müsste, statt sich selbst als Urheber zu sehen. Sie zeigt hingegen nicht, dass Dettweiler die Formulierung nicht von Glaser hat. Aber da können wir ihm vielleicht einfach glauben.
Glasers Argumentation "Ich habe den Satz aber zuerst gesagt!" scheint mir ohnehin fragwürdig. Er will die "Credits" der geitigen Urheberschaft immer noch bekommen, auch wenn ihm gleichgültig zu sein scheint, ob Dettweiler tatsächlich zitiert hat. D.h. die Frage verlagert sich vom tatsächlichen Zitat als Beziehung zwischen zwei Texten bzw. Autoren zu so etwas wie einem Geistesblitz-Patentstreit: "Völlig egal, ob Du meinen Text kennst, du nimmst meine geistige Schöpfung in Anspruch!" Aber "in Anspruch nehmen" besteht eben nicht darin, dass man zu einem gleichen Ergebnis kommt, zumal, wenn das Ergebnis einigermaßen banal ist.
Der Gedanke scheint trotzdem der Forschung im allgemeinen eher unangenehm zu sein, bremst ja auch die Entdeckerfreude etwas, wenn es nicht genügt, einfach eine Ähnlichkeit zwischen zwei Texten wahrzunehmen, sondern wenn auch noch etwas weitergehende Erläuterung verlangt wird. Aber das passiert auch im "richtigen Leben", wenn man die Bloggerwelt so nennen darf. Da hat der Schriftsteller Peter Glaser, der für die Stuttgarter Zeitung bloggt, in seinem Blog mitgeteilt, dass er dem FAZ-Journalisten Marco Dettweiler einen Brief geschrieben hat. Weil der nämlich in einem seiner Artikel den Satz schrieb "Die Welt ist eine Google", und zwar am 6.8.08 in der FAZ. Glaser hatte den Satz selbst auch formuliert, und zwar viel früher, nämlich am 13.5.2005, in einem Artikel in der Stuttgarter Zeitung, und danach noch einmal in einem Artikel in der Stuttgarter Zeitung von 2006. Also, schreibt Glaser, möge Dettweiler beim nächsten Mal angeben, dass der Satz eben von ihm, Glaser, sei. Dettweiler reagierte beleidigt und verwies darauf, dass der Satz nicht allzu fernliegend sei; und er sei selbst darauf gekommen. Glaser meinte daraufhin zeigen zu müssen, dass seine Erfindung aber die früheste nachweisbare sei.
Ich stelle das hier so ausführlich da, weil das ein Musterbeispiel ist, wie in der Intertextualitätsforschung manchmal argumentiert wird. Glaser steht für den eifrigen Forscher, der etwas wiedererkennt und zum Schluss kommt: das spätere der beiden Auftreten muss zitiert sein! Dettweiler sagt hingegen, der Satz sei, mit meiner Terminologie zu reden, nicht prägnant und nicht originell genug, um so eine eindeutige Einflusslinie zu zeichnen.
Das spannende ist, dass dies der Autor selbst tut, der doch ohnehin am besten weiß, ob er zitiert hat oder nicht! Aber offenkundig geht es ihm auch darum, den Verdacht zu zerstreuen, dass er vielleicht lügt, weil er ja andernfalls sich schuldig gemacht hätte, seine Quelle nicht anzugeben. Während Dettweiler in dem Disput auf ein paar tausend Google-Treffer für den Satz hinwies als Beleg dafür, dass er nicht originell sei, gelang es ein paar findigen Lesern von Glasers Blog, im Web Veröffentlichungen des Satzes zu finden, die älter sind als Glasers eigene erste Veröffentlichung; das ist alles in seinen Kommentaren nachzulesen. Was zeigt diese Auskunft über die Fakten? Sie zeigt -- bloß --, a) dass der Satz nicht originell ist, b) dass Glaser nach der Logik seiner ursprünglichen Forderung nun auf andere Quellen verweisen müsste, statt sich selbst als Urheber zu sehen. Sie zeigt hingegen nicht, dass Dettweiler die Formulierung nicht von Glaser hat. Aber da können wir ihm vielleicht einfach glauben.
Glasers Argumentation "Ich habe den Satz aber zuerst gesagt!" scheint mir ohnehin fragwürdig. Er will die "Credits" der geitigen Urheberschaft immer noch bekommen, auch wenn ihm gleichgültig zu sein scheint, ob Dettweiler tatsächlich zitiert hat. D.h. die Frage verlagert sich vom tatsächlichen Zitat als Beziehung zwischen zwei Texten bzw. Autoren zu so etwas wie einem Geistesblitz-Patentstreit: "Völlig egal, ob Du meinen Text kennst, du nimmst meine geistige Schöpfung in Anspruch!" Aber "in Anspruch nehmen" besteht eben nicht darin, dass man zu einem gleichen Ergebnis kommt, zumal, wenn das Ergebnis einigermaßen banal ist.
Bayerische SWD, Sortierreihenfolge
Die Registerfunktion des Aleph-Katalogs des BVB ist, gelinde gesagt, nicht optimal. Man gewöhnt sich mit der Zeit daran, dass die Homonymenzusätze mit einsortiert werden, so dass z.B. "Kind <0-1>" lange vor dem Hauptsatz "Kind" kommt, da nämlich als zweites Sortierkriterium die Identnummer des Satzes in der Datenbank fungiert, und die beginnt in der Regel mit "4".
Lästig.
Aber noch lästiger finde ich, dass gleichlautende Verweisungsformen und Ansetzungsformen so angeboten werden, dass die Verweisungsform zuerst steht. Will man etwa mit "Socrates" erschließen -- gemeint ist der Philosoph, der hier RSWK-konform in lateinischer Form eingetragen werden muss --, dann bietet das Register:
Rot habe ich die beiden Socrates-Einträge markiert. Für den oberen sieht man darunter die Details, und das Feld 800 "Ansetzungsform" verrät, dass dieser Socrates eigentlich Francois Hemsterhuis ist. Warum kann nicht die "Tmp02"-Form, d.h. die Verweisungsform, die später einsortierte sein?
Dieser Fall ist mir gerade wieder eingefallen wegen eines italienischen Buches über einen gewissen Tommaso Cornelio:
Hatte arglos zunächst mit dem ersten verknüpfen wollen, in der Annahme, dass meine italienische Veröffentlichung Tommaso Cornelio : Appunti per una biografia eben die italienische Form des Namens gewählt habe. Ging mir erst danach auf, dass hier vielleicht zwei Leute ungefähr gleich heißen. (In diesem Fall kommt noch hinzu, dass die SWD-Identnummern der Sätze sehr ähnlich sind.)
Also: Warum muss die Verweisungsform für Corneille vor dem eigentlichen Cornelio stehen?
Lästig.
Aber noch lästiger finde ich, dass gleichlautende Verweisungsformen und Ansetzungsformen so angeboten werden, dass die Verweisungsform zuerst steht. Will man etwa mit "Socrates" erschließen -- gemeint ist der Philosoph, der hier RSWK-konform in lateinischer Form eingetragen werden muss --, dann bietet das Register:
Rot habe ich die beiden Socrates-Einträge markiert. Für den oberen sieht man darunter die Details, und das Feld 800 "Ansetzungsform" verrät, dass dieser Socrates eigentlich Francois Hemsterhuis ist. Warum kann nicht die "Tmp02"-Form, d.h. die Verweisungsform, die später einsortierte sein?
Dieser Fall ist mir gerade wieder eingefallen wegen eines italienischen Buches über einen gewissen Tommaso Cornelio:
Hatte arglos zunächst mit dem ersten verknüpfen wollen, in der Annahme, dass meine italienische Veröffentlichung Tommaso Cornelio : Appunti per una biografia eben die italienische Form des Namens gewählt habe. Ging mir erst danach auf, dass hier vielleicht zwei Leute ungefähr gleich heißen. (In diesem Fall kommt noch hinzu, dass die SWD-Identnummern der Sätze sehr ähnlich sind.)
Also: Warum muss die Verweisungsform für Corneille vor dem eigentlichen Cornelio stehen?
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Bibliothek,
BVB,
SWD
17 August 2008
Philosophie digital
Wenn ich mal mehr Zeit habe, habe ich mir vorgenommen, gehe ich den Möglichkeiten nach, die philosophische Forschung durch Werkzeuge und Hilfsmittel im Web und für PC bekommen hat. Im Augenblick verweise ich nur gern auf das Blog von Lisa Spiro (Digital Scholarship in the humanities), und Dan Cohens Digital Humanities Blog.
Kann jedenfalls dauern. Daher hier der Hinweis auf zwei Fundstücke:
PhiloSURFical ist ein Projekt, das versucht, mit der Technik der semantischen Beschreibung, die gewöhnlich für Thesauri eingesetzt wird, einen Text zu beschreiben, und zwar beispielhaft Wittgensteins Tractatus.
Und Argunet ist eine Software des Instituts für Philosophie der FU BErlin, um Argumente zu erfassen / zu strukturieren. Hab's noch nicht ausprobiert, aber ist klarerweise etwas für Leute, die ohnehin gern elektronisch arbeiten. Möchte das jemand rezensieren?
Kann jedenfalls dauern. Daher hier der Hinweis auf zwei Fundstücke:
PhiloSURFical ist ein Projekt, das versucht, mit der Technik der semantischen Beschreibung, die gewöhnlich für Thesauri eingesetzt wird, einen Text zu beschreiben, und zwar beispielhaft Wittgensteins Tractatus.
Und Argunet ist eine Software des Instituts für Philosophie der FU BErlin, um Argumente zu erfassen / zu strukturieren. Hab's noch nicht ausprobiert, aber ist klarerweise etwas für Leute, die ohnehin gern elektronisch arbeiten. Möchte das jemand rezensieren?
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Digitale Wissenschaft,
Werkzeuge
16 August 2008
Transhumanistische Webseiten
Paolo Augusto Masullo hat seinem Buch l'umano in transito : saggio di antropologia filosofica (Bari : Edizioni di pagina, 2008) eine kleine Webseitensammlung mitgegeben. Zum Transhumanismus habe ich hier schon ein paar Worte verloren.
http://www.grafifoto.com/page/postumano.htm
http://www.tecnoetica.it/2004/12/07/addio-cyborg-benvenuto-post-umano/
http://it.groups.yahoo.com/group/tecnotransumani/
http://www.posthuman.it/
http://www.frc.ri.cmu.edu/users/hpm/
http://www.lex.unict.it/dottorato/std/tecnoscienza.htm
http://www.posthuman.com/
http://www.kainos.it/
http://www.ariannaeditrice.it/articolo.php?id_articolo=5017
http://www.edge.org/
http://www.fondazionebassetti.org/
http://www.intertheory.org/pepperell.htm
http://www.grafifoto.com/page/postumano.htm
http://www.tecnoetica.it/2004/12/07/addio-cyborg-benvenuto-post-umano/
http://it.groups.yahoo.com/group/tecnotransumani/
http://www.posthuman.it/
http://www.frc.ri.cmu.edu/users/hpm/
http://www.lex.unict.it/dottorato/std/tecnoscienza.htm
http://www.posthuman.com/
http://www.kainos.it/
http://www.ariannaeditrice.it/articolo.php?id_articolo=5017
http://www.edge.org/
http://www.fondazionebassetti.org/
http://www.intertheory.org/pepperell.htm
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Transhumanismus
Philosophien der Welt
Gerade erschienen: die 2. Auflage des Klassikers von Ninian Smart World philosophies (London : Routledge, 2008). Die zweite Auflage wurde überarbeitet von einer Gruppe von Autoren, die nun dafür sorgt, dass die Kapitel über die verschiedenen asiatischen Philosophien ebenso wieder auf der Höhe der Forschung sind wie das über die afrikanischen oder jüdische und islamische Philosophien.
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Welt
Kunst und Moral
Dass es moralische Gesichtspunkte für die Beurteilung von Kunst (Malerei, Literatur, Film etc.) gibt, scheint mir kaum bestreitbar. Und dabei braucht man nicht mal die Verletzung religiöser Empfindlichkeiten heranzuziehen, für die regelmäßig Rücksichtsnahme eingefordert wahlweise die Freiheit der Kunst in den Ring geworfen wird. Aber muss man mit solchen Meldungen nur rechnen, wo Kunst zugleich politisch sein will (Karikaturenstreit) oder die historische "Wahrheit" im Blick hat (Wilkomirski-Fall)? Meine Argumentation würde ungefähr so laufen: Kunstwerke sind kommunikative Akte. Wie jeder weiß, hat Kommunikation neben anderen Funktionen auch eine Appell-Funktion, die in jedem Akt vorhanden und mehr oder weniger ausgeprägt ist. Dieses Appellative kann jederzeit dem moralischen Urteil unterworfen werden. Und da es im Auge des Betrachters liegt, wie stark der Appell wirkt, hängt es auch von ihm ab, wie stark er urteilt. So könnte, wer will, auch noch einem meditativen Mondrian vorwerfen, dass er eben welt-fremd ist, statt sich zu engagieren.
Der neue Sammelband Art and ethical criticism (hg. von Gerry L. Hagberry, Blackwell 2008) untersucht den Zusammenhang von Kunst und Moral. Ein Teil der Beiträge beschäftigt sich damit, wie Kunst moralische Inhalte vermitteln kann. Das ist natürlich auch ein Aspekt der Frage der moralischen Beurteilung von Kunst, denn immer lässt sich fragen, ob die Kunst denn diesen oder jenen Inhalt vermitteln sollte. Interessanter finde ich aber die paar Beiträge über die "ethical dimensions of photography" (David Davies) oder "Ethical judgements in museums" (Ivan Gaskell).
Der neue Sammelband Art and ethical criticism (hg. von Gerry L. Hagberry, Blackwell 2008) untersucht den Zusammenhang von Kunst und Moral. Ein Teil der Beiträge beschäftigt sich damit, wie Kunst moralische Inhalte vermitteln kann. Das ist natürlich auch ein Aspekt der Frage der moralischen Beurteilung von Kunst, denn immer lässt sich fragen, ob die Kunst denn diesen oder jenen Inhalt vermitteln sollte. Interessanter finde ich aber die paar Beiträge über die "ethical dimensions of photography" (David Davies) oder "Ethical judgements in museums" (Ivan Gaskell).
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Kunst,
Moralisches Urteil
14 August 2008
Gehirn und Moral
Dass es einen Sitz des moralischen Empfindens im Gehirn gäbe, haben wohl die Theoretiker gedacht, seit bekannt ist, dass im Gehirn überhaupt etwas an Empfindungen sitzt. Was wann darüber gedacht wurde, erzählt Jan Verplaetse in Het morele brein : een geschiedenis over de plaats van de moraal in onze hersenen (Antwerpen : Garant, 2006). Habe gerade entdeckt, dass es zum Thema auch eine Webseite und ein Weblog gibt -- und beide auf englisch. Ah, und aus der Liste der Publikationen geht hervor, dass das Buch von Verplaetse wohl auch auf Englisch erscheint, bei Springer, 2008.
13 August 2008
Der Sinn nach Harmanus
[Entwurf vom 13.8.; wurde nicht zu Ende geschrieben]
Hat die "Existenz" einen "logischen Sinn"? Fabian Harmanus ist überzeugt davon und hat darum ein Buch geschrieben. Was qualifiziert den inzwischen 33jährigen Diplom-Kommunikationsdesigner dazu, die Frage zu beantworten? Dass er schon im Alter von 4 anfing, sich tiefe Fragen zu stellen, und seitdem nicht aufgehört hat, darüber nachzudenken?
Irgendwie ist das sympathisch: dass sich jemand hinsetzt und 30 Jahre nachdenkt ohne sich dabei Rat zu holen bei den Profi-Nachdenkern. Und dann, natürlich, von seinem System so überzeugt ist, dass er es publizieren muss: denn es könnte ja den andern helfen. Harmanus findet, dass "viele existenzielle Fragen des Menschen nur aufgrund von Vermutungen behandelt werden", dabei könnte man doch von Tatsachen ausgehen! Es gibt nämlich nur: "Wissen, das logisch gefolgert wird, gleich einer mathematischen Formel; Reine Logik, die keinen Spielraum für Relativierungen lässt". Harmanus wird daher nicht nur verraten, worin der Sinn besteht, sondern auch, warum alle andern bisher daran scheiterten, ihn zu finden!
Wie denkt er so? Auf S. 14 definiert er "absolute Erkenntnis". Sein Beispiel ist die "absolute Erkenntnis" eines Pferdes, und da er abstrakt definiert hat, dass eine absolute Erkenntnis von etwas darin besteht, "alle maßgebenden Faktoren und Informationen zu wissen (...), jede noch so schier belanglose Information zu wissen". Über ein Pferd müsste man, von seinem Äußeren abgesehen, auch über sein Inneres und schließlich darüber Bescheid wissen, wie es sich anfühlt, ein Pferd zu sein. "Das mag sich absurd anhören, ist aber in dieser vorerst abstrakte Form logisch". Philosophen, die nach Erkenntnis streben, müssten also, folgert er eine Seite weiter, auch die Erkenntnis sein oder jede andere "übernatürliche Kraft", um die es ihnen geht.
Hat die "Existenz" einen "logischen Sinn"? Fabian Harmanus ist überzeugt davon und hat darum ein Buch geschrieben. Was qualifiziert den inzwischen 33jährigen Diplom-Kommunikationsdesigner dazu, die Frage zu beantworten? Dass er schon im Alter von 4 anfing, sich tiefe Fragen zu stellen, und seitdem nicht aufgehört hat, darüber nachzudenken?
Irgendwie ist das sympathisch: dass sich jemand hinsetzt und 30 Jahre nachdenkt ohne sich dabei Rat zu holen bei den Profi-Nachdenkern. Und dann, natürlich, von seinem System so überzeugt ist, dass er es publizieren muss: denn es könnte ja den andern helfen. Harmanus findet, dass "viele existenzielle Fragen des Menschen nur aufgrund von Vermutungen behandelt werden", dabei könnte man doch von Tatsachen ausgehen! Es gibt nämlich nur: "Wissen, das logisch gefolgert wird, gleich einer mathematischen Formel; Reine Logik, die keinen Spielraum für Relativierungen lässt". Harmanus wird daher nicht nur verraten, worin der Sinn besteht, sondern auch, warum alle andern bisher daran scheiterten, ihn zu finden!
Wie denkt er so? Auf S. 14 definiert er "absolute Erkenntnis". Sein Beispiel ist die "absolute Erkenntnis" eines Pferdes, und da er abstrakt definiert hat, dass eine absolute Erkenntnis von etwas darin besteht, "alle maßgebenden Faktoren und Informationen zu wissen (...), jede noch so schier belanglose Information zu wissen". Über ein Pferd müsste man, von seinem Äußeren abgesehen, auch über sein Inneres und schließlich darüber Bescheid wissen, wie es sich anfühlt, ein Pferd zu sein. "Das mag sich absurd anhören, ist aber in dieser vorerst abstrakte Form logisch". Philosophen, die nach Erkenntnis streben, müssten also, folgert er eine Seite weiter, auch die Erkenntnis sein oder jede andere "übernatürliche Kraft", um die es ihnen geht.
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Pseudophilosophie
12 August 2008
Achte Auflage des "Lexikon der Ethik"
Höffes Lexikon habe ich selbst noch nie gebraucht. Aber nun liegt hier die 8. Auflage 2008, wieder erweitert und aktualisiert. Ich habe zum ersten Mal bemerkt, dass das Lexikon nicht nur von Höffe in Zusammenarbeit mit Forschner, Horn und Vossenkuhl herausgegeben, sondern auch geschrieben ist; d.h. diese 4 haben alle Inhalte besorgt. Ich teste ein solches Lexikon gern an ein paar Begriffen; bei der Ethik liegen mir "Supervenienz" und "Supererogation" nahe. Für Supererogation wird auf "Verdienstlichkeit" verwiesen und dort einigermaßen ausführlich erläutert; die Supervenienz findet im Lexikon nicht statt.
Es gibt leider -- aber das würde das Lexikon auch zu sehr aufblähen -- keine Personeneinträge; Ausnahmen sind adjektivierte Personennamen: z.B. die Kantische Ethik. Kurz nachgesehen: natürlich, in einem Höffe-Buch, auch die Aristotelische Ethik. Nützlich finde ich die Listen am Ende über "Quellen", d.h. klassische Werke der Ethik, Nachschlagewerke und "Sammelbände". Allerdings scheinen die Autoren von den Blackwell Philosophy Companions nicht allzuviel zu halten, denn diese generell recht nützlichen Bände erscheinen weder bei den "Nachschlagewerken" noch bei den Sammelbänden noch, z.B. Beim Blackwell Companion to christian ethics, bei den Literaturangaben zum Artikel Christliche Ethik.
Wer die Vorauflagen kennt oder besitzt: Höffe schreibt im Vorwort, was neu ist. Die 6. Auflage war von 2002, seitdem wurden Artikel überarbeitet und die Literaturangaben ergänzt sowie einige Verweisungen neu aufgenommen, um sich an die wandelnde Terminologie anzupassen bzw. um neue Inhalte in älteren Artikeln unterzubringen, z.B. das "Gefangenendilemma" im Artikel "Entscheidungstheorie". Ganz neue Einträge sind, unter anderen, "Angewandte Ethik", "Bürgertugenden", "Intergenerationelle Gerechtigkeit", "Unternehmensethik".
Es gibt leider -- aber das würde das Lexikon auch zu sehr aufblähen -- keine Personeneinträge; Ausnahmen sind adjektivierte Personennamen: z.B. die Kantische Ethik. Kurz nachgesehen: natürlich, in einem Höffe-Buch, auch die Aristotelische Ethik. Nützlich finde ich die Listen am Ende über "Quellen", d.h. klassische Werke der Ethik, Nachschlagewerke und "Sammelbände". Allerdings scheinen die Autoren von den Blackwell Philosophy Companions nicht allzuviel zu halten, denn diese generell recht nützlichen Bände erscheinen weder bei den "Nachschlagewerken" noch bei den Sammelbänden noch, z.B. Beim Blackwell Companion to christian ethics, bei den Literaturangaben zum Artikel Christliche Ethik.
Wer die Vorauflagen kennt oder besitzt: Höffe schreibt im Vorwort, was neu ist. Die 6. Auflage war von 2002, seitdem wurden Artikel überarbeitet und die Literaturangaben ergänzt sowie einige Verweisungen neu aufgenommen, um sich an die wandelnde Terminologie anzupassen bzw. um neue Inhalte in älteren Artikeln unterzubringen, z.B. das "Gefangenendilemma" im Artikel "Entscheidungstheorie". Ganz neue Einträge sind, unter anderen, "Angewandte Ethik", "Bürgertugenden", "Intergenerationelle Gerechtigkeit", "Unternehmensethik".
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Ethik,
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07 August 2008
Nietzsche am Rand
Reading Nietzsche at the margins / hg. von Steven V. Hicks, Alan Rosenberg. - West Lafayette, Ind. : Purdue UP, 2008.
Das Katalogisat enthält bereits Schlagwörter: Nietzsche, Friedrich ; Randbemerkung ; Aufsatzsammlung. Liest man die Editorial introduction, dann erfährt man, dass die Nietzsche-Rezeption in den letzten zwanzig Jahren in der Wahrnehmung der Herausgeber eine Konzentration auf einen eng umrissenen Themenkreis erfahren hat: auf die Umwertung der Werte, das Übermensch-Konzept etc. Der Aufsatzband will sich demgegenüber Themen zuwenden, die nicht als zentral wahrgenommen wurden. Handelt es bei diesen Themen um "Randbemerkungen" Nietzsches (im Sinne der SWD)?
Sicher nicht. Denn die SWD ist da, wie eigentlich immer, wörtlich zu verstehen. Eine Randbemerkung ist etwas, was am Rand von etwas (anderem) steht.
Das Buch, auf das die Sacherschließung passt, muss also wohl erst noch erscheinen. Immerhin gibt es ja ein Werk von Martin Stingelin über Nietzsches Lichtenberg-Rezeption, wo sicher auch die eine oder andere Randbemerkung Nietzsches Berücksichtigung findet...
Das Katalogisat enthält bereits Schlagwörter: Nietzsche, Friedrich ; Randbemerkung ; Aufsatzsammlung. Liest man die Editorial introduction, dann erfährt man, dass die Nietzsche-Rezeption in den letzten zwanzig Jahren in der Wahrnehmung der Herausgeber eine Konzentration auf einen eng umrissenen Themenkreis erfahren hat: auf die Umwertung der Werte, das Übermensch-Konzept etc. Der Aufsatzband will sich demgegenüber Themen zuwenden, die nicht als zentral wahrgenommen wurden. Handelt es bei diesen Themen um "Randbemerkungen" Nietzsches (im Sinne der SWD)?
Sicher nicht. Denn die SWD ist da, wie eigentlich immer, wörtlich zu verstehen. Eine Randbemerkung ist etwas, was am Rand von etwas (anderem) steht.
Das Buch, auf das die Sacherschließung passt, muss also wohl erst noch erscheinen. Immerhin gibt es ja ein Werk von Martin Stingelin über Nietzsches Lichtenberg-Rezeption, wo sicher auch die eine oder andere Randbemerkung Nietzsches Berücksichtigung findet...
06 August 2008
Ist es besser, nicht gelebt zu haben?
Vor einiger Zeit habe ich auf eine neue philosophische Veröffentlichung zur Frage hingewiesen. Dabei ist mir allerdings nicht aufgefallen, dass es ja eine Tradition seit der Antike gibt, die sich mit der Frage befasst bzw. die eben vertritt, dass es besser sei. Als erster Zeuge dafür wird Silen angeführt, der von Midas befragt wurde (das ist der mit den Goldfingern), was er denn dem Menschen am zuträglichsten erachte. Der darauf: Wenn er nicht geboren würde, und danach, wenn er gleich wieder stürbe (so gibt das Hederichs Lexikon wieder).
Darüber und über die Conditio humana "zwischen Aischylos und Nietzsche" mehr in Umberto Curi: Meglio non essere nati. Turin : Bollati Boringhieri, 2008.
Darüber und über die Conditio humana "zwischen Aischylos und Nietzsche" mehr in Umberto Curi: Meglio non essere nati. Turin : Bollati Boringhieri, 2008.
05 August 2008
Volltexte aus Humanismus und Renaissance
Bin mehr oder weniger zufällig, auf der Suche nach Webseiten zu Giordano Bruno, über Bivio (Biblioteca Virtuale Online) gestolpert. Das ist eine italienische Seite, die Texte bekannter Autoren im Volltext zur Verfügung stellt: und auch mit Suchmöglichkeit, da man sich die Mühe gemacht hat, sie als XML aufzubereiten. Das Projekt ist an der Uni Pisa, Zentrum für Renaissance-Studien, entstanden und man arbeitet inzwischen auch mit Historikern aus Harvard zusammen. Sieht sehr gut aus!
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03 August 2008
Muss man über alles reden dürfen?
Oliver Hallich schreibt im gleichen Heft der AZP über Grenzen der Redefreiheit : Lassen sich Diskussionsbeschränkungen in der Bioethik rechtfertigen? (S. 125-153). Dabei bleibt er nicht im Theoretischen, sondern beleuchtet sein Thema mit Blick auf Peter Singers Wahrnehmung in Deutschland Anfang der 90er. Kurz und knapp kommt der Aufsatz zu dem Schluss, dass es sehr wohl Fälle vorstellbar sind, in denen die Einschränkung der Redefreiheit zu rechtfertigen wäre, dass aber Singer nicht so ein Fall war. Allerdings waren Singers Theorien zur Bioethik auch deswegen nicht so ein Fall, weil sie falsch verstanden wurden. Und so könnte man mit Hallich zu dem Schluss kommen, dass die Redefreiheit eines Forschers stärker wiegt als die Kränkung seiner Hörer, sofern sie durch ein Missverständnis entsteht.
Das Kränkungs-Argument ist eines von drei Argumenttypen, die Hallich der Beurteilung unterzieht. Die anderen beiden sind "Dammbruch" à la: "wenn hier schon über das Thema öffentlich nachgedacht wird, wird damit der Boden bereitet für eine gesellschaftliche Akzeptanz der verdammenswerten Praxis"; und "Diskriminierung" à la: "die Thesen Singers implizieren eine Diskriminierung einer bestimmten Gruppe, und Diskriminierung ist eine verwerfliche Praxis."
Dammbruch und Diskriminierung haben gemeinsam, dass sie als Rechtfertigung für die Einschränkung der Redefreiheit heranziehen, dass die Rede, um die es geht, für eine fragwürdige moralische Praxis argumentiert. D.h. sie funktionieren nur, 1. wenn man weiß, worin die Rede besteht, die eingeschränkt werden soll, und 2. wenn sich wirklich alle (vernünftigen) darin einig sind, dass die beworbene Praxis fragwürdig ist. Auch beim Kränkungsargument muss man, um eine Kränkung der Zuhörer zu verhindern, die Rede vorher unterbinden, also schon wissen, was gesagt werden wird (sonst könnten wir jegliche Rede einschränken mit Hinweis auf eine mögliche Kränkung / Diskriminierung / Dammbruch).
Aber wie Hallich auf die Diskrepanz zwischen Singers Thesen und dem verweist, was manches Publikum vorher für Singers Thesen gehalten hat (die es ihn nicht wieder äußern lassen wollte), um zu zeigen, dass die Einschränkung der Redefreiheit (durch Proteste, Trillerpfeifenaktion etc.) nicht gerechtfertigt waren, wird man solche Rechnung öfter aufmachen können. Die Frage scheint mir daher zu sein, wo wir wohl die Redefreiheit einschränken wollen würden. Und die Antwort ist offensichtlich: da, wo wir es im Strafrecht auch schon getan haben. Wo sonst?
Das Kränkungs-Argument ist eines von drei Argumenttypen, die Hallich der Beurteilung unterzieht. Die anderen beiden sind "Dammbruch" à la: "wenn hier schon über das Thema öffentlich nachgedacht wird, wird damit der Boden bereitet für eine gesellschaftliche Akzeptanz der verdammenswerten Praxis"; und "Diskriminierung" à la: "die Thesen Singers implizieren eine Diskriminierung einer bestimmten Gruppe, und Diskriminierung ist eine verwerfliche Praxis."
Dammbruch und Diskriminierung haben gemeinsam, dass sie als Rechtfertigung für die Einschränkung der Redefreiheit heranziehen, dass die Rede, um die es geht, für eine fragwürdige moralische Praxis argumentiert. D.h. sie funktionieren nur, 1. wenn man weiß, worin die Rede besteht, die eingeschränkt werden soll, und 2. wenn sich wirklich alle (vernünftigen) darin einig sind, dass die beworbene Praxis fragwürdig ist. Auch beim Kränkungsargument muss man, um eine Kränkung der Zuhörer zu verhindern, die Rede vorher unterbinden, also schon wissen, was gesagt werden wird (sonst könnten wir jegliche Rede einschränken mit Hinweis auf eine mögliche Kränkung / Diskriminierung / Dammbruch).
Aber wie Hallich auf die Diskrepanz zwischen Singers Thesen und dem verweist, was manches Publikum vorher für Singers Thesen gehalten hat (die es ihn nicht wieder äußern lassen wollte), um zu zeigen, dass die Einschränkung der Redefreiheit (durch Proteste, Trillerpfeifenaktion etc.) nicht gerechtfertigt waren, wird man solche Rechnung öfter aufmachen können. Die Frage scheint mir daher zu sein, wo wir wohl die Redefreiheit einschränken wollen würden. Und die Antwort ist offensichtlich: da, wo wir es im Strafrecht auch schon getan haben. Wo sonst?
Tags:
Bioethik,
Redefreiheit,
Singer
02 August 2008
Macht Google dumm?
Nicholas Carr hat das in The Atlantic gefragt, und die ZEIT weist darauf hin. Die Überschrift (auch meine :-)) ist irreführend; Carr stellt zunächst dar, welchen Wandel er bei sich selbst wahrnimmt, wenn es ums Lesen geht. Er meint, sein Internetkonsum habe die Art und Weise, wie er Informationen aus Texten aufnehme und verarbeite, verändert, nämlich von der langen Aufmerksamkeitsspanne und dem deep reading hin zum "skimming" und der Konzentration auf kleine Informationshäppchen. Dabei versucht er zu zeigen, dass, je mehr wir mit dem Internet machen, das Internet auch etwas mit uns macht:
Ja, da lässt sich natürlich leicht drauf antworten, dass selbst schuld ist, wer sich reprogrammieren lässt. Oder dass gerade die Leute, die das Internet häufig nutzen, auch viel lesen. Denn gegen derlei steht ja Carrs Befund, dass er dies bei sich selbst wahrnimmt, und er ist ja eigentlich gerade so ein Vorzeigeintellektuell-Vielleser.
Außerdem ist Clay Shirkys Antwort im Britannica-Blog ein ziemlicher Witz. Wenn Carr feststellt, dass deep reading ihm nicht mehr möglich sei, dann hilft Shirkys Feststellung, er habe das ohnehin noch nie gemacht, und auch niemand, den er kenne (so fasse ich seine Bemerkung über Krieg und Frieden und Auf der Suche nach der verlorenen Zeit zusammen) natürlich nichts.
Mir geht's hier eigentlich nur um die Gleichsetzung von Google, oder: Suchmaschine, und Internet. Suchen und Finden ist eine tolle Sache. Wie kann uns das dümmer machen? Die Antwort, die Carr da gibt, ist aristotelisch: durch Gewohnheit. Wir üben im Internet ein bestimmtes Verhalten ein, und davon können wir nicht mehr lassen anderswo. Allerdings scheint mir das im Falle Carrs eine typische deformation professionelle, die in direktem Zusammenhang steht mit der Zeit, die er selbst im Internet verbringt. Muss man ja aber nicht!
Interessanter, ob das Internet die Ausbildung von deep reading-Fertigkeiten in Jugendlichen verhindert, also anders ausgedrückt, ob es Leute gibt, deren Mediennutzung vom Internet nicht "reprogrammiert", sondern gerade erst "programmiert" wird.
Yet, for all that’s been written about the Net, there’s been little consideration of how, exactly, it’s reprogramming us.Es "reprogrammiert" uns! Wenn wir nicht aufpassen, werden wir zu unmenschlichen Computern, die bloß noch Informationen suchen und verarbeiten!
Ja, da lässt sich natürlich leicht drauf antworten, dass selbst schuld ist, wer sich reprogrammieren lässt. Oder dass gerade die Leute, die das Internet häufig nutzen, auch viel lesen. Denn gegen derlei steht ja Carrs Befund, dass er dies bei sich selbst wahrnimmt, und er ist ja eigentlich gerade so ein Vorzeigeintellektuell-Vielleser.
Außerdem ist Clay Shirkys Antwort im Britannica-Blog ein ziemlicher Witz. Wenn Carr feststellt, dass deep reading ihm nicht mehr möglich sei, dann hilft Shirkys Feststellung, er habe das ohnehin noch nie gemacht, und auch niemand, den er kenne (so fasse ich seine Bemerkung über Krieg und Frieden und Auf der Suche nach der verlorenen Zeit zusammen) natürlich nichts.
Mir geht's hier eigentlich nur um die Gleichsetzung von Google, oder: Suchmaschine, und Internet. Suchen und Finden ist eine tolle Sache. Wie kann uns das dümmer machen? Die Antwort, die Carr da gibt, ist aristotelisch: durch Gewohnheit. Wir üben im Internet ein bestimmtes Verhalten ein, und davon können wir nicht mehr lassen anderswo. Allerdings scheint mir das im Falle Carrs eine typische deformation professionelle, die in direktem Zusammenhang steht mit der Zeit, die er selbst im Internet verbringt. Muss man ja aber nicht!
Interessanter, ob das Internet die Ausbildung von deep reading-Fertigkeiten in Jugendlichen verhindert, also anders ausgedrückt, ob es Leute gibt, deren Mediennutzung vom Internet nicht "reprogrammiert", sondern gerade erst "programmiert" wird.
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